Gewinne kenne ich nur als das, was anderen Leuten passiert. Doch auf der BOOT gab ich nichtshoffend einen Zettel ab. Mein Name war drauf, und ein paar Tage später erhielt ich eine Mail: Ja, es sei wirklich wahr, ich habe einen fünftägigen Tauchurlaub gewonnen: beim San Fruttuoso Diving Center mit Übernachtung im Viersterne-Hotel Suisse, außerdem Vollverpflegung. Einem geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul? Oh doch, denn Italien war für mich eigentlich kein Tauchziel – was soll es da schon zu sehen geben? Mehr als ich dachte – soviel steht fest.
Ich hängte wegen der Flugplanung noch ein paar Tage an den Gratis-Urlaub an. Da der nächstliegende Flughafen Genua aus Norddeutschland nur umständlich zu erreichen war und das ebenso für Mailand galt, entschied ich mich für Pisa, den Abflughafen Lübeck und Ryan Air, ersparte mir nervtötenden Gepäck-Ärger durch Buchung von Tauchgepäck und maximale Gepäckvolumina. Andrea und Pietro vom San Fruttuoso Diving Center holten mich Mitte Juni am Flughafen ab und nach anderthalbstündiger Fahrt erreichte ich die Basis in Santa Margherita. Ob ich gleich tauchen wollte? Na klar! Kurz die Sachen ins Hotel gefeuert und zwei Stunden später war ich das erste Mal im Wasser.
Nun zu den für Besucher wichtigeren Details:
Das San Fruttuoso Diving Center befindet sich etwas südlich von Genua, allerdings nicht im namengebenden Ort San Fruttuoso, sondern in Santa Margherita Ligure. Verwirrenderweise kennt das keiner, wohl aber die viel kleinere Ortschaft Portofino. Dort gibt’s einen zuckersüß-romantischen Hafen mit niedlichen, bunten Häusern. Er wird fast täglich von Kreuzfahrt-Touristen überrannt, die an den possierlichen „Awesome!“-Ausrufen zu erkennen sind und die zur Strafe kräftig gemolken werden: Ein Espresso kostet dort halsabschneiderische 3 Euro, ein Eis fast soviel wie dessen Gewicht in Diamanten. Portofino nimmt aber nicht nur die Kreuzfahrer aus, es gibt auch was, und zwar dem Meeresschutzgebiet seinen Namen. Und genau dort bietet das San Fruttuoso Diving Center an insgesamt 21 Tauchplätzen Tauchausfahrten an.
Das Meeresschutzgebiet ist unterteilt in drei Zonen, von denen der „Vollschutz“ (Zone A), also das Verbot jeglicher Aktivitäten jedoch nur einen relativ kleinen Bereich westlich von San Fruttuoso umfasst. Die restliche Südküste gehört zur Zone B. Dort ist das Ankern verboten (daher gibt es spezielle Bojen für die wenigen Tauchboote), aber vieles andere ist eingeschränkt erlaubt: Nachts, wenn es die Touristen nicht sehen, tuckern die Fischer also trotzdem dorthin und stopfen Hummer, Zackis, Oktopusse und diverse dicke Fische in die Ladebäuche ihrer Seelenverkäufer. Das Ergebnis lässt sich täglich beispielsweise auf dem Fischmarkt des Städtchens Santa Margherita begutachten. Wer die Ausplünderung des Meeres nicht noch unterstützen will, etwa durch unbekümmertes Fischessen im Restaurant, kann seinen Magen genauso gut mit den leckeren Focaccia füllen, einem ligurischen Fladenbrot, das es köstlich belegt und gewürzt überall gibt. Oder mit Fleischgerichten, die man bei der Bestellung zuweilen energisch gegenüber dem Fisch vorziehen muss. Eine gewöhnliche Gemüsesuppe zu bestellen wäre hingegen so unerhört, dass sie im hervorragenden Restaurant L‘Insolita Zuppa als Spezialität besonders beworben werden muss. Sonst würde sie keiner auslöffeln.
Bedeuten die vollen Fischtruhen in Santa Margherita nun, dass die Meere dort so leer wie die griechischen Staatskassen sind? Nein, zum Glück nicht. Die Fischer haben so viel Verstand, dass sie noch einiges zum Angucken übrig lassen. Durchblick gibt es auch in anderer Hinsicht: Rund 15 Meter Sichtweise kann man erwarten, manchmal gibt es mehr, mal weniger. Generell sollen die Sichtweiten im Süden Italiens zwar besser sein, aber ausreichend waren sie allemal. Bei meinem Aufenthalt Mitte Juni war das Wasser oberhalb 16 Meter rund 22 Grad warm, darunter fiel die Temperatur auf etwa 16 Grad ab. Bei Tauchgängen von rund einer Stunde war dies zwar locker im 7-mm-Halbtrocken auszuhalten, aber nicht wenige tauchten im Trocki. Zum Atmen gibt’s Pressluft oder Enriched Air, die Füllungen kann jeder selbst kontrollieren. Standardmäßig gab es 15-Liter-Stahltüten mit zwei Abgängen (einer DIN, einer INT) – Nitrox-Buddeln allerdings ohne spezielle Gewinde. Falls – wie bei mir – zwei DIN-Automaten vorhanden waren, erledigte die Crew das Rausdrehen des INT-Adapters aus der Flasche im Nu. Angenehm war, dass ich das der Crew danach nicht mehr sagen musste: Ich bekam automatisch die richtige Ventilbestückung.
Ich bin ganz ehrlich: Meine italienische Ex-Kollegin hatte mich gewarnt, so hatte ich ein bisschen chaotische Verhältnisse erwartet. Doch an keinem einzigen Tag hatte die Mannschaft irgendetwas vergessen oder planerisch verbockt. Dabei geht es auf dem beengten Platz der Tauchbasis - ¬sagen wir mal – quirlig zu. Je nach Bedingungen bauen die Taucher das Jacket schon dort zusammen, packen es auf eines von zwei dreirädrigen „Apes“ – man glaubt gar nicht, dass außer dem Fahrer noch jemand reinpasst! Dann fliegen Blei, Flossen und das übrige Tauchgerödel ebenfalls auf die Ladefläche. Anschließend plünnen sich die Taucher an, entweder in einem von zwei gefliesten Umkleideräumen (mit Toiletten und mehreren Duschen) mit Haken, Regalen und abschließbaren Wertfächern oder im Freien unter dem Sonnendach. Sobald das Ape losfährt, gehen die gutgekleideten (sind ja immer im Anzug!) Taucher hinterher zum Hafen. Wer die Straßenüberquerung überlebt, findet schnell die Ablegestelle, hilft beim Herabreichen des Equipments ins Boot. Dort werden die montierten Tauchgeräte mit Gummis in der Bootsmitte festgemacht. Wer es dann noch schafft, beim Umstieg ins Boot nicht ins Wasser zu fallen, hat gute Chancen, den Tauchgang zu machen, wenn er unterwegs nicht plötzlich feststellt, dass er Fische so lieb hat, dass er sie über der Bordwand hängend füttern muss. Das kann schon mal passieren. Denn die stolzen Ligurer fahren bei fast jedem Wetter raus. Und im 12-Mann-Zodiac oder in der Barkasse ist eine 15 bis 30minütige Fahrt bei einem Meter Welle für den einen oder anderen zu viel der Schaukelei. Den Empfehlungen des Staff („Fahr heute lieber nicht mit!“) ist daher schon zu trauen. Sie sehen es einem wohl an der Nasenspitze an, ob jemand seekrank wird oder nicht.
Zu den Tauchplätzen: Alle werden mit Guide betaucht, können aber auch im Buddy-Team allein mit Luftblasen versorgt werden. Einstieg fast immer per Rolle rückwärts, außer auf der Barkasse. Dort wird man am Heck ins Wasser gelassen. Zurück ins Boot geht’s per Leiter. An Deck stehen genug Leute, die Blei, Flossen et cetera entgegen nehmen.
Wo getaucht wird, bestimmt das Wetter. Das Briefing auf dem Boot findet in für Italiener leicht verständlichem italienisch statt, für die anderen in englisch. Nicht alle auf der Basis sprechen das fließend, aber irgendjemand findet sich immer, der aushelfen kann. Das Publikum setzte sich hauptsächlich aus Italienern zusammen, meist erfahrenere Taucher, die nicht groß betüdelt werden müssen. Wie üblich muss man sich auch hier vor den Sporttauchern in Tekki-Outfit hüten – die wollen nämlich nur spielen: Einen sah ich, wie er fröhlich seinen gesamten Atemregler samt erster Stufe ins Spülbecken warf – nein, er hatte keine Stufe mit automatisch schließendem Gewinde. Ansonsten gibt’s viel Hilfsbereitschaft, auch wenn es sprachlich nicht immer klappen will. Es gibt auch einige Deutsche, die der Basis schon länger die Treue halten und die immer wieder kommen – nicht unwichtig, denn dafür muss es ja Gründe geben. Eines ist klar: Hier zu urlauben, ist teuer: Für ein Essen kann man leicht über 60 Euro ausgeben, doch wer sucht, kann auch eine Pizza für 8 Euro stechen und damit die Kasse für mehr Tauchgänge schonen. Ein solcher kostet 30 Euro, wobei es Basen am Ort geben soll, die das Doppelte verlangen. Es gibt auch Tauchpakete, und es wird für die Kunden immer so abgerechnet, dass er optimal dabei wegkommt.
Ein paar Tauchgänge möchte ich herausheben. Ganz im Westen des Schutzgebietes liegt beispielsweise die Landzunge Punta della Chiappa. Dort erlebte ich einen Tieftauchgang entlang zweier auf rund 40 Meter Tiefe liegender Blöcke, die teilweise über und über mit Gorgonien bewachsen sind. Aufgrund gestiegener Wassertemperaturen sind leider etliche Gorgonien im flacheren Teil des Tauchganges tot. Dennoch: Unten ist’s zauberhaft. Wer es drauf anlegt, kann schöne Deko-Tauchgänge machen, was aufgrund des Luftvorrates kein Problem ist. Gut: Die Struktur der beiden Blöcke lässt das langsame Austauchen nicht langweilig werden. Hat man – wie ich – das Glück, bei etwas Strömung dort zu tauchen, gibt es Fischsuppe für die Augen: Barakudas, Bonitos, Zahnbrassen sowie dicke Zackis und Abertausende von Mönchsfischen. Radikaler Ortswechsel: Ganz im Osten des Schutzgebietes, in der Nähe von Portofino, befindet sich der Leuchturm. Auch dort: Unmengen an Fisch, viele Oktopusse, Barakudas und Goldstriemen. Den örtlichen Hummern sind die Taucher lieber als Fischer und das Fotografieren lassen sie sich geduldig gefallen. Mit gutem Auge und etwas Geduld lassen sich auch zahlreiche Fadenschnecken sehen. Im Nachttauchgang am gleichen Platz gab es Bärenkrebse, Gespensterkrabben, Schlangensterne und viele Garnelen. Alle sind unterwegs, um sich eine Mahlzeit zu organisieren, ohne selbst eine zu werden. Außerdem im Angebot: Oktopusse beim Liebeswerben – oder bei einer Klopperei – wer kann das schon sagen? Für Freunde des gepflegten Wracktauchgangs gibt es den kanadischen 4500-Tonnen-Tanker Mohawk Deer, 1967 schon auf dem Weg zum Abwracken vor der Küste gesunken, ironischerweise an der „englischen Küste“. Hier lässt sich auch unspektakulär in die Laderäume tauchen. Alle paar Meter gibt es Durchbrüche nach oben, und aufgrund der Breite gibt es genug Manövrierraum. Das Wrack ist zerbrochen und liegt schräg am Hang. Oben am Wrack sind Drachenköpfe versteckt, die sich dem kundigen Blick kaum entziehen dürften. In den Poseidongras-Wiesen, die sich daran anschließen, machen einem die Seepferdchen das Aufspüren deutlicher schwerer.
Was mir gut gefallen hat: Wenn es irgendwie geht, versucht der Staff die Vorlieben der Taucher („Will mal einen Mondfisch sehen“, „Schnecken!“, „Ein Bad in Fischen!“) zu erfüllen. Für den Chef Stefano Lugaresi spricht, dass er kaum Schwund im Staff hat. So arbeitet nicht nur der Tauchlehrer Marco schon jahrelang für ihn. Marco ist seit seinem vierzehntem Lebensjahr und kennt das Revier wie seine Jackettasche. Langweilig ist es ihm trotzdem noch nicht geworden. Und im Urlaub taucht er auch – ausnahmsweise mal woanders. Andrea und Stefano haben auch Ausflugstipps, falls die See mal zu rau ist, dazu lädt die Umgebung auch ein – auch über Wasser gibt’s ein Schutzgebiet zu durchwandern.
Angenehm an der Atmosphäre der Basis: Es scheint kein Angezicke untereinander zu geben. Wenn etwas zu tun ist, sieht jeder die Arbeit und erledigt sie auch. Locker geht es auch nach dem Tauchen zu. Da kann es auch mal passieren, dass man als Gast zu Focaccia und Wein eingeladen wird oder dass mittags ein Topf Spaghetti für alle auf dem Tisch steht. Der Staff hat übrigens nicht – wie anderswo ¬- die Order, die Gäste auch in den Pausen zu bespaßen. Umso netter, wenn die Truppe trotzdem das Gespräch sucht, einfach zuvorkommend und herzlich ist. Ein echtes Opfer brachte Chef Stefano dann noch beim Abschied: Er stand schon um 3.30 Uhr am Hotel, um mich wieder nach Pisa zu bringen. Und im Auto zückte dann noch eines seiner privaten Staff-T-Shirts, das er mir als Andenken mitgab. Vorgeschichte: Die Souvenir-Ware an der Basis war in meiner Größe leider vergriffen. Und mal ehrlich: Hätte ich erwarten dürfen, dass nur wenige Minuten nach dem Abschied von der Basis auch noch in aller Herrgottsfrühe Tauchlehrer Pietro am Straßenrand steht und ebenfalls bis nach Pisa zum abschließenden Drückerchen mitfährt? Ich muss nicht mehr schreiben, dass es mir dort sehr gefallen hat, oder?
Marco arbeitet gern mit Druck
Wir hängen hier nur so rum
Die örtliche Fischfauna lässt sich leider auch auf dem Fischmarkt bestaunen
Bequemer als Hartschalenboote bei Wellengang: EIn Zodiac
Ich warte nur auf eine Mahlzeit
Ick könnt de janze Welt umarmen, wa
Mir schneckt´s
An der Mohawk Deer