Kurzanalyse zur Kenterung des Tauchsafaribootes M/Y Carlton Queen

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28.04.2023 16:53
Kategorie: News

Was ist passiert?

Am 25. April 2023 ist das 2022 erbaute Tauchsafariboot M/Y Carlton Queen kurz nach dem Start einer Tauchsafari auf der Fahrt von Abu Nuhas über die Strasse von Gubal gekentert. Es wehte Wind aus Nordwest mit einer Geschwindigkeit von 30km/h und einer Lufttemperatur von 26°C. Die M/Y Carlton Queen hat eine Länge von 42m und eine Breite von 8,5m und ist für 28 Gäste in 14 Kabinen ausgelegt. Zum Unfallzeitpunkt befanden sich 26 Gäste und 9 Besatzungsmitglieder an Bord. Bei den Safarigästen handelte es sich überwiegend um erfahrene Tauchlehrer. Alle Personen konnten durch Schiffe in der Nähe aufgenommen werden. Nach Angaben der Reederei Sank die M/Y Carlton Queen infolge der Kenterung.

Bericht von Jan-Philipp Lauer, MSc

Augenzeugen zufolge hatte das Schiff bereits beim Beginn der Tauchsafari leichte Schlagseite nach Steuerbord. Zum Unfallzeitpunkt befanden sich fast alle Gäste nach einem vorhergehenden Tauchgang im Schiffsinneren. Laut Augenzeugenberichten krängte das Schiff zu diesem Zeitpunkt wie in Zeitlupe immer weiter nach Steuerbord, bis es auf der Steuerbordseite zum Liegen kam und sich nicht wieder aufrichtete. Alle Gäste konnten den Schiffsinnenraum verlassen. Einige der Gäste erlitten leichte Verletzungen.

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Warum kentert ein Schiff?

Ein Schiff schwimmt entweder auf ebenem Kiel, das heißt der Kiel befindet sich parallel zur Wasseroberfläche, oder es hat Lage. Sofern ein Schiff Lage hat, hat es entweder Schlagseite (Neigung) nach Steuer- oder Backbord. Diese kann unabhängig vom Wind sein oder das Schiff neigt sich (krängt) unter Winddruck auf die Leeseite (die dem Wind abgewandte Seite), wobei sich die Luvseite (dem Wind zugewandte Seite) lüftet. Kurvenfahrt führt bei größeren Schiffen zu einer Krängung entgegengesetzt zur Kurvenrichtung. Eine weitere Möglichkeit ist die nicht gleichlastige Trimmung, woraus eine kopf- (tieferes Eintauchen Richtung Bug) oder achterlastige (Richtung Heck) Vertrimmung resultiert. Wenn ein Schiff auf ebenem Kiel liegt, kann es sich gleichmäßig und gerade durch das Wasser bewegen.

Wenn ein Schiff jedoch Schlagseite hat, bedeutet dies eine ungleichmäßige Gewichtsverteilung - dann ist ein Schiff vertrimmt. Große Schiffe verfügen über Ballasttanks, um jederzeit einen korrekten Trimm herstellen zu können. Kleine und mittelgroße Schiffe müssen den richtigen Trimm durch korrekte Ausrüstung und Beladung erreichen. Ein korrekter Trimm muss zunächst beim Bau eines Schiffes sichergestellt werden. Beim Betrieb eines Schiffes ist es eine grundlegende Aufgabe der Schiffsführung, für korrekten Trimm zu sorgen, da dies die Stabilität eines Schiffes maßgeblich beeinflusst.

Unter Stabilität versteht man die Fähigkeit eines Schiffes, eine aufrechte Schwimmlage beizubehalten bzw. sich aus einer gekrängten (geneigten) Lage wieder aufzurichten. Die grundsätzlichen Parameter der Schiffsstabilität sind Gewichts- und Auftriebsschwerpunkt. Der Gewichtsschwerpunkt beschreibt den gedachten Punkt, an dem die Gewichtskraft des Schiffes Richtung Erdmittelpunkt angreift. Bei einer Krängung behält dieser Punkt seine Position im Schiff bei, sofern sich keine Masseänderung/-verschiebung, z.B. durch Wassereinbruch oder das Losreißen schwerer Ausrüstung, ergibt.
Der Auftriebsschwerpunkt ist der gedachte Angriffspunkt aller Auftriebskräfte, welche aus der nach oben wirkenden Gewichtskraft des durch das Schiff verdrängten Wassers resultieren. Bei einer Krängung verändert sich die Lage des Auftriebsschwerpunktes, da sich durch die nun veränderte, im Wasser befindliche Rumpfform auch die Form des verdrängten Wassers verändert.

In einer aufrechten Schwimmlage liegt der Gewichtsschwerpunkt direkt unter dem Auftriebsschwerpunkt. Wenn eine Krängung vorliegt, ist dies nicht mehr der Fall. Durch die Krängung wandert der Auftriebsschwerpunkt in Richtung der Krängung aus. Zwischen Gewichts- und Auftriebsschwerpunkt entsteht ein Hebelarm, der ein aufrichtendes Drehmoment erzeugt. Aufgrund des sich mit zunehmender Krängung weiter vergrößernden Hebelarms nimmt das aufrichtende Drehmoment bis zu einem Umschlagpunkt immer weiter zu. Wenn der Umschlagpunkt erreicht ist, kann sich ein Boot nicht mehr aufrichten sondern bleibt auf der Seite liegen, kentert durch (dreht sich) oder schwimmt kieloben weiter (negative Stabilität). Dies ist von der Bauform abhängig. Aufgrund der großen Auswirkungen der Stabilität auf die Schiffssicherheit gibt es eine Reihe von Vorschiften, die sowohl beim Bau als auch beim Betrieb von Schiffen zu beachten sind.

Einordnung

Die laut Zeugenaussagen bereits bei Beginn der Safari vorhandene Schlagseite muss kritisch gesehen werden, da dies massive Auswirkungen auf die Schiffstabilität hat. Auch auf See wäre es durch das Umstauen schwerer Gegenstände möglich gewesen, den Trimm zu korrigieren bzw. die Safari abzubrechen, sofern das Umstauen nicht zu einem korrekten Trimm führt. Ob die Schiffsführung eine Stabilitätsbetrachtung angestellt hat und warum sie nicht für eine korrekte Trimmung gesorgt bzw. die Safari abgebrochen hat, ist zu klären.

Ferner ist zu klären, welche Zustandsänderungen eingetreten sind, die letztendlich zum Kentern des Schiffes geführt haben. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen keine Erkenntnisse zu einer Gewichtsverschiebung, z. B. durch das Ausbrechen einer Maschine aus deren Fundament, vor. Auch über eine Kollision bzw. einen Wassereinbruch ist nichts bekannt. Über Versuche der Mannschaft, das Schiff zu retten, wurde nichts berichtet.

Es muss geklärt werden, ob eine Übung zum Verlassen des Schiffes stattgefunden hat. Ferner gilt es zu klären, ob das Kommando zum Verlassen des Schiffes zeitgerecht und ordnungsgemäß gegeben wurde und ob das verwendete Signal den Gästen hinlänglich bekannt war. Auch die Eignung, Hindernisfreiheit und Markierung der Fluchtwege und Notausgänge ist zu überprüfen. Ob die Besatzung die Evakuierung ordnungsgemäß durchgeführt und am Sammelpunkt die Vollzähligkeit der Gäste und Besatzungsmitglieder geprüft hat bedarf weiterer Klärung. Der Verbleib vieler Gäste auf dem Schiffsrumpf weist auf eine ungeordnete Evakuierung hin.

Die Berichte über eine defekte Rettungsinsel (von zwei) sind besorgniserregend. Normalerweise funktionieren Rettungsinseln auch noch Jahre nach versäumten Wartungsintervallen. Da dieses Schiff erst 2022 gebaut wurde, hätte dieses Rettungsmittel funktionstüchtig sein müssen. Oftmals werden Rettungsinseln für 25 Personen auf Safaribooten dieser Größe verwendet. Schon mit der vorgesehenen Anzahl an Personen sind die Platzverhältnisse auf einer Rettungsinsel sehr beengt. Angesichts der 35 an Bord befindlichen Personen stellte das Versagen einer der beiden Rettungsinseln ein großes Problem dar.

Ein weiterer zu klärender Punkt ist, warum die mitgeführten Schlauchboote augenscheinlich nicht als Rettungsmittel eingesetzt wurden, zumal eine der beiden Rettungsinseln nicht zur Verfügung stand. Weder Rettungswesten noch Rettungsringe sind auf dem momentan verfügbaren Foto- und Videomaterial des Unfalls zu sehen, was in dieser Situation ungewöhnlich erscheint.
Die zu klärenden Fragestellungen erfordern umfangreiche Aufklärungsarbeit im Rahmen einer Seeunfalluntersuchung durch die ägyptischen Behörden. Hätte sich dieser Unfall bei Dunkelheit und ohne andere Schiffe in der Nähe ereignet, ist von einem deutlich ungünstigeren Ausgang auszugehen.

 

Update vom 4.5.2023:

Wir haben mit den drei Deutschen Tauchern und Mitreisenden - Zoe, Dominic und Maik ein Interview geführt. Hierbei erörterten wir zusammen mit unserem Unfallexperten Jan-Philipp Lauer detailliert die Situation. Macht euch selbst ein Bild.  Bei manchen Schilderungen stehen einem sprichwörtlich die Haare zu Berge: Update und Interview zur Kenterung der M/Y Carlton Queen