Immersions-Lungenödem - hattest du schon mal Atemnot beim Tauchen?

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27.10.2024 16:14
Kategorie: Medizin

Von Dr. Vera Wittenberg

Unter einem Immersions-Lungenödem versteht man eine vermehrte Flüssigkeitsansammlung in der Lunge, die sich während eines Tauchgangs entwickelt. Die besonderen Bedingungen unter Wasser führen zu Veränderungen des Kreislaufs und der Atmung, so dass sich auch bei sonst gesunden Menschen ein gefährlicher Zustand entwickeln kann, den man sonst nur von schwer kranken Herzpatienten kennt. Er entsteht durch eine Kombination mehrerer Faktoren, die in jedem einzelnen Fall unterschiedlich große Anteile an dem Geschehen haben können. 

Als Folge der Flüssigkeitseinlagerung ins Lungengewebe wird die Aufnahme von Sauerstoff durch die verdickten und mit Flüssigkeit angefüllten Lungenbläschen behindert. Unter Wasser bemerkt der Taucher dann vielleicht einen Hustenreiz und ein ungewöhnliches Rasseln, wie von Sekret in der Lunge, oder Atemnot. Vor allem während des Auftauchens kann es aber durch den Abfall des Sauerstoffpartialdrucks im Blut zu einer lebensgefährlichen Hypoxie und so zu einer Bewusstlosigkeit kommen. Auch wenn das Vorkommen bei Tauchern bereits in den Neunzigerjahren beschrieben wurde, ist das Wissen um dieses Phänomen in der Taucher-Community kaum bekannt, so dass frühe Anzeichen oft nicht erkannt werden.
 
Grundsätzlich scheint eine gewisse Veranlagung eine Rolle zu spielen. Das bedeutet, dass ein Individuum, welches ein Immersions-Lungenödem erlitten (und überlebt) hat, ein erhöhtes Risiko besitzt, dass es wieder auftritt. 
Daher sollte sich jeder betroffene Taucher die Frage stellen, ob für ihn das Tauchen so wichtig ist, dass er das Risiko einer potentiell tödlich verlaufenden Störung eingehen möchte. Aufgeben ist immer eine Option! Falls jemals Atemnot während eines Tauchgangs aufgetreten ist, muss immer eine Abklärung beim Kardiologen erfolgen. Denn natürlich begünstigen strukturelle Herzkrankheiten das Auftreten schwerer Kreislaufveränderungen auch unter Wasser. Aber auch ohne Herzkrankheit ist es möglich, dass ein Immersions-Lungenödem auftritt.
 
Jeder Taucher ist anders, was Körperzusammensetzung, eventuelle Vorerkrankungen und Fitness-Level angeht. Am besten ist es natürlich, jung, gesund und fit zu sein, wenn man tauchen will. Aber auch junge und körperlich fitte Menschen können unter bestimmten Bedingungen ein Lungenödem entwickeln. Das ist zum Beispiel von Leistungsschwimmern bekannt, die unter extremer körperlicher Anstrengung im Wasser ein Lungenödem entwickeln (daher wurden die ersten Veröffentlichungen zu dem Auftreten von einem Lungenödem gemacht - SIPE = Swimming Induced Pulmonary Edema). 
Die Immersion selbst, also das Eintauchen des Körpers ins Wasser, führt zu Veränderungen im Körper, deren Ausmaß von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist, aber eine Flüssigkeitsansammlung in der Lunge begünstigen können. 
Der Wasserdruck komprimiert unsere Venen, also die Blutgefäße, die das Blut aus dem Körper zurück zum Herzen bringen. Im Grunde wie ein Ganzkörper-Stützstrumpf. Dadurch gelangt mehr Flüssigkeit zum Herzen („Vorlast-Steigerung“ nennt das der Fachmann). Das sind problemlos 500 bis 700 ml. Dem Herzen nachgelagert befinden sich die Arterien, also die Gefäße, durch die das Herz das Blut in den Körper pumpt. Durch den Wasserdruck werden auch diese Blutgefäße komprimiert, so dass das Herz einen größeren Widerstand überwinden muss („Steigerung der Nachlast“). Diese Engstellung der Arterien wird vermutlich durch einen Kältereiz noch verstärkt, so dass in kalten Gewässern - oder beim Tauchen mit unzureichendem Kälteschutz - die Gefahr einer übermäßigen Flüssigkeitsansammlung in der Lunge zusätzlich steigt.
 
Im Wasser gelangt also mehr Blut zum Herzen, und das Herz muss sich stärker anstrengen, um es weiter zu pumpen. Die Kombination dieser beiden Effekte führt zu einer deutlichen Erhöhung des Blutdrucks, allein dadurch dass wir uns ins Wasser begeben. Wenn der Blutdruck also vor dem Tauchgang 130/80 war, ist er im Wasser bereits 150/100. Ganz ohne Stress und ohne körperliche Anstrengung. Aber diese Faktoren können den Blutdruck natürlich noch weiter ansteigen lassen. Und bei Menschen, die von Haus aus bereits an erhöhtem Blutdruck leiden, kann der Effekt sogar noch stärker ausgeprägt sein, selbst wenn der Blutdruck durch Medikamente im Alltag gut eingestellt ist. 
In Untersuchungen hat sich eine Bluthochdruck-Krankheit, auch wenn sie durch Medikamente eingestellt ist, oder die Veranlagung dazu als Risikofaktor für das Auftreten eines Lungenödems während des Tauchens gezeigt.
 
Neben der Belastung von Herz und Kreislauf nimmt unter Wasser auch die Atemarbeit zu, also die Kraft, welche die Atemmuskulatur aufwenden muss, um gegen den Wasserdruck den Brustkorb so weit auszudehnen, dass eine ausreichende Menge an Luft, respektive Atemgas, die Lungenbläschen erreicht. Wenn die Atemmuskulatur sehr kräftig gegen einen Widerstand arbeiten muss, wird der Druck in der Lunge vorübergehend stark negativ, so dass es zu einem Übertritt von Flüssigkeit aus den Kapillaren der Lunge in die Lungenbläschen kommen kann.
 
Dieser Effekt spielt sogar schon kurz unterhalb der Wasseroberfläche eine Rolle, und er ist ein Grund dafür, warum ein Schnorchel nur eine gewisse Länge haben darf, damit man unter Wasser noch atmen kann (darüber hinaus kommt es bei einem langen Schnorchel zu einem Durchmischen von Aus- und Einatemluft, so dass im Schnorchel der Sauerstoff-Anteil abnimmt und der Kohlendioxid-Anteil stetig zunimmt, aber das ist eine andere Geschichte.). Ein gut funktionierender kompensierter Atemregler liefert das Atemgas aus der Flasche mit einem an die Umgebung angepassten Druck, so dass dieser Effekt normalerweise keine große Rolle spielt. Die Atemarbeit kann aber zusätzlich durch bestimmte Faktoren noch weiter gesteigert werden, so dass während der Einatmung vorübergehend ein deutlich niedrigerer Druck entsteht. Faktor eins ist körperliche Anstrengung, die zu einer kräftigeren Einatmung führt. Faktor zwei könnte ein schlecht gewarteter Atemregler sein. Auch die Wahl eines zu dichten Atemgas-Gemisches (Stichwort „Deep Air“) oder ein im Rumpfbereich zu enger Neoprenanzug erschweren die Atemarbeit. Beim Tauchen mit einem Rebreather (Kreislaufgerät) kann die Atemarbeit je nach Gerät bauartbedingt relativ hoch sein, was unter anderem durch die Position der so genannten Gegenlunge und die Körperposition im Wasser bedingt sein kann.
 
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Je älter wir werden, um so eher kommt es zu Veränderungen des Körpers. Allerdings entwickeln diese sich so langsam, dass ein Taucher sich immer noch fit fühlen kann, auch wenn sich seine Leistungsfähigkeit bereits verändert hat. Eventuell kommt es unbemerkt dann sogar zu Veränderungen, die durchaus Krankheitswert besitzen, wie zum Beispiel einem erhöhten Blutdruck. 
Viele Menschen werden mit zunehmendem Lebensalter weniger aktiv, treiben weniger Sport und neigen so auch eher zu „Wohlstandsleiden“ wie Übergewicht und mangelnder Fitness. Dadurch nimmt das Risiko zu, einen hohen Blutdruck zu entwickeln. Und wenn der Taucheranzug dann zu eng ist, kauft man vielleicht deshalb keinen neuen, weil man ja die feste Absicht hat, im nächsten Tauchurlaub ganz bestimmt wieder hinein zu passen. 
Auch unabhängig von einer Disposition für ein Immersions-Lungenödem profitieren Taucher auch aus dem Grund einer optimalen Dekompression von einer guten körperlichen Fitness und einer optimierten Körperzusammensetzung mit einem geringen Körperfettanteil (schon bei Haldane war es die dicke Ziege, die als erstes die „Bends“ bekam).
 
In einer Studie konnte ein Zusammenhang zwischen der subjektiven körperlichen Anstrengung bei einem Tauchgang und dem Flüssigkeitsgehalt des Lungengewebes, also einem frühen Vorläufer eines Lungenödems, festgestellt werden. Klar ist: je fitter man ist, um so stärker kann man sich belasten, ohne dass man subjektiv eine Anstrengung oder sogar eine Überanstrengung empfindet. Fun fact: die subjektiv empfundene Anstrengung geht mit einem Anstieg des Blutdrucks einher. 
Also: wenn man eine Tätigkeit als körperlich anstrengender empfindet, steigt der Blutdruck stärker als bei Tätigkeiten, die nicht so anstrengend sind.
 
Insgesamt kann man sagen, dass die Häufigkeit, mit der ein Immersions-Lungenödem auftritt, wahrscheinlich deutlich unterschätzt wird. Das liegt an mehreren Gründen. Erstens muss man etwas kennen, um es überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und zu beschreiben. 
Leichtere Atembeschwerden während oder nach einem Tauchgang können fehlgedeutet werden, z.B. als Fehlfunktion des Atemreglers, eine beginnende Erkältung, Empfindlichkeit gegen hohe Sauerstoffbelastung der Lunge, Reizung der Atemwege durch die trockene Luft oder, bei Tauchern von Kreislauftauchgeräten, stark staubigem Atemkalk. Da die Beschwerden wie Atemnot, Rasseln beim Atmen oder Abhusten von flüssigem, manchmal auch leicht blutigem oder metallisch schmeckendem Sekret recht schnell nach dem Verlassen des Wassers wieder verschwinden, vergisst man sie auch schnell wieder - es scheint ja nicht so wichtig gewesen zu sein. Im Fall von starken Beschwerden kann es durchaus passieren, dass der Taucher während des Auftauchens, wenn der Sauerstoff-Partialdruck im Gewebe abfällt, das Bewusstsein verliert. Die Sauerstoff-Aufnahme durch die verdickten und mit Flüssigkeit angefüllten Lungenbläschen hat dann in der Tiefe noch ausgereicht, weil hier der Sauerstoff-Partialdruck ja im gleichen Maß wie der Umgebungsdruck steigt. Beim Auftauchen reicht die Menge von Sauerstoff, welche von der Lunge aufgenommen werden kann, allerdings dann nicht mehr aus - es kommt zu einer Hypoxie, vergleichbar mit einem Flachwasser-Blackout bei Apnoe-Tauchern. Bewusstlosigkeit im Wasser ist eine gefährliche Kombination, und in dieser Situation ist es durchaus möglich, zu ertrinken, wenn man nicht sehr schnell Hilfe bekommt. Viele Experten vermuten mittlerweile, dass ein relevanter Anteil der unklaren tödlichen Tauchunfälle auf das Konto des Immersions-Lungenödems gehen.
 
Sollten während eines Tauchgangs Beschwerden auftreten, die auf ein Immersions-Lungenödem hinweisen, sollte der Tauchgang möglichst rasch kontrolliert beendet werden. Der betroffene Taucher sollte natürlich dem Buddyteam verständlich machen, dass es ihm nicht gut geht. Jeder Taucher kann zu jeder Zeit den Tauchgang abbrechen! Dabei sollte weitere starke Anstrengung, wie schnelles Schwimmen oder Gegenströmung vermieden werden. Ein Taucher mit erkennbarer Atemnot sollte besonders während des Aufstiegs niemals allein gelassen werden, denn gerade kurz vor der Oberfläche ist er gefährdet, durch den Sauerstoffmangel bewusstlos zu werden. Oft bessern sich die Beschwerden innerhalb von Minuten bis wenigen Stunden, nachdem der Taucher das Wasser verlassen hat. Körperliche Anstrengung muss vermieden werden. Falls weiterhin Atemnot besteht, sollte Sauerstoff gegeben werden. Schwerere Fälle gehören ins Krankenhaus! Eine Druckkammerbehandlung ist allerdings nicht angezeigt. 
Betroffene Taucher und deren Buddies sind nach solch einem Ereignis oft traumatisiert, da sich die Situation durchaus als bedrohlich wahrgenommen wird - und das ist sie auch! Nicht nur der strapazierte Kreislauf braucht Ruhe. Nach einem Immersions-Lungenödem steht daher immer eine Tauchpause an - und eine ausführliche Untersuchung und Beratung beim Tauchmediziner und unter Umständen auch bei weiteren Ärzten, um eventuelle Risikofaktoren herauszufinden. Nicht in jedem Fall ist es ratsam, weiter zu tauchen.