Kategorie: Reise
Wracktauchen in der Meerenge der Dardanellen
Türkische Tauchplätze brauchen sich nicht zu verstecken, was deren Qualität anbelangt. – Und rangieren damit sicherlich in den Top Ten der Mittelmeerziele. Allerdings assoziieren Taucher eher die Türkische Adria um die Städte Bodrum und Antalya mit dem Tauchen. Nun aber meldet sich eine Tauchbasis in den Dardanellen mit einem speziellen Angebot: Wracktauchen satt!
Bericht von Heinz Käsinger
Der Erste Weltkrieg begann für das Osmanische Reich am 12. November 1914. Britische Schiffe hatten osmanische Schiffe beim Auslaufen aus dem Hafen von Izmir beschossen und so erklärten die Osmanen der sogenannten Triple-Entente (Großbritannien, Frankreich, Russland) den Krieg.
Wenig später legte der Erste Lord der Admiralität, Winston Churchill, seine Pläne für einen Seeangriff auf die Dardanellen vor. Am 16. Februar 1915 beschlossen die Briten, ein großes Landungsunternehmen auf der Halbinsel Gallipoli durchzuführen. Und schon am 19. Februar 1915 griff ein großer Verband aus britischen und französischen Schiffen Halbinsel und Meerenge der Dardanellen – und damit osmanisches Reichsgebiet – an. Ziel der Operation war es, die Dardanellen zu erobern und so den Wasserweg ins Schwarze Meer und damit zum verbündeten Russland unter eigene Kontrolle zu bringen.
432 Wracks warten auf Taucher
Pech, dass die Osmanen die Küsten der Meerenge in den Jahren zuvor bestens befestigt hatten. Zudem war die Wasserstraße klug vermint, die Anzahl der Unterwasserminen war seit Kriegsbeginn mehr als verdoppelt worden. Der Angriff endete für Großbritannien und Frankreich im Desaster. Churchill, der als Vater der Operation galt, musste seinen Posten als Oberbefehlshaber der britischen Marine räumen.
„Wir kennen in den Dardanellen und rund um die Halbinsel Gallipoli 432 Wracks“, weiß Ali Bey, „natürlich stammen nicht alle aus dem Ersten Weltkrieg.“ Ali Bey ist Inhaber und Chef der Tauchbasis Byemdive. Darüber hinaus aber ist er auch Sportlehrer am Gymnasium und im Türkischen Tauchsportverband (Türkiye Sualti Sporlari Federasyonu, TSSF) Direktor der Unterwasser-Rugby-Abteilung. Seine Tauchbasis gibt es seit 20 Jahren. Er weiß also, wovon er redet, wenn er seinen Gästen von den 14 Wracktauchplätzen vorschwärmt, die er ansteuert; oder von den zehn Plätzen, an denen es Naturschönheiten abseits von Wracks zu bewundern gibt. Hinaus zu den Tauchstellen geht es mit der „Blackfish“, dem basiseigenen Boot. Bis zu 50 Taucher haben darauf Platz. Ali meint aber, 35, maximal 40 Taucher seien ideal.
Der Heimathafen der „Blackfish“ ist Kabatepe an der Nordwestseite der Halbinsel Gallipoli, die die Türken Gelibolu nennen. Von diesem malerischen Flecken aus starten auch die Fähren zu den türkischen Inseln im Ägäischen Meer. Endlich heißt es fertigmachen zum ersten Tauchgang. Ali hat, quasi zum Aufwärmen, das Wrack der „Lundy“ ausgesucht. Das liegt etwa 40 Bootsminuten südwestlich von Kabatepe in einer Bucht. 27 Meter müssen die Taucher absteigen. Die Strömung ist moderat an diesem Tag, obwohl der Wind über Wasser kräftig bläst und die Wellen Schaumkronen ausbilden. Das Wrack ist schnell auszumachen im Blau, das Wasser besticht durch kristallene Transparenz.
Die „Lundy“ war nach ihrer Fertigstellung in der Beverly-Werft im Jahr 1908 eigentlich ein ziviles Schiff, ein Fischtrawler. Mit Beginn des Krieges baute man den knapp 34 Meter langen Trawler dann zum Minenräumer um. Masten und Schornstein des Schiffes sind zwischenzeitlich verschwunden. Die Ankerwinde am Bug steht noch. Malerisch ragt der ins Freiwasser und bietet den Fotografen ein spektakuläres Motiv – mit oder ohne begleitendes Model.
„Die 'Lundy' lag mehr als 70 Jahre unentdeckt in der Bucht“, erzählt Ali. „Erst 1987 wurde sie gefunden.“ Gesunken ist der Minenräumer nach einer Kollision mit der „Kalyan“, die dem Beschuss der Osmanen zu entkommen suchte.
Am Nachmittag geht es dann hinunter zum Schlachtschiff der „HMS Louis“. Das liegt gleich in der Nachbarschaft zur „Lundy“ und auch weniger tief. Nur 15 Meter gilt es zu überwinden, dann sinken die Taucher auf das Wrack des Zerstörers. Leider ist er in einem eher schlechten Zustand, viele Aufbauten sind schon abgeräumt. Ursprünglich war die „HMS Louis“ 82 Meter lang und in dieser ganzen Länge liegt sie auch in ihrem nassen Grab. Allerdings sind große Teile des Wracks schon im Sandboden versunken. Wie die „Lundy“ so sank auch die „Louis“ nach Kollision mit einem anderen Schiff, einem Schlepper.
Gelibolu Stadt ist das touristische Zentrum
Zwischen den Tauchgängen gibt es eine ausgedehnte Mittagspause auf der „Blackfish“. Wir ankern in der ruhigen, geschützten Bucht von Suvla. Helfende Hände haben ein leckeres türkisches Mittagessen zubereitet mit viel Salat, Gemüse und gegrilltem Fleisch. Nach dem Essen haben die Gäste Zeit, über den Tauchgang zu diskutieren oder sich auf das ausladende Sonnendeck zu einem Nickerchen zurückzuziehen. Abends auf der Heimfahrt gibt es auch ein Bierchen aus dem gut bestückten Kühlschrank des Tauchboots.
Ali bietet mit der „Blackfish“ Halb- oder Ganztagesausfahrten an. Die Buchungszeit startet im Januar. Die eigentliche Tauchsaison dauert nur vier Monate. Ab 2024 allerdings soll sie um zwei Monate verlängert werden, Byemdive will dann zusätzlich zum Sporttauchen auch technisches Tauchen mit anderen Atemgemischen anbieten. Möglich macht das eine Gesetzesänderung, die der türkische Staat vorsieht.
Gallipoli liegt nur knapp 500 Kilometer von der Millionenmetropole Istanbul entfernt. Trotzdem ist es vergleichsweise ruhig. Nur wenige Touristen machen die Halbinsel unsicher. Eine Ausnahme bildet der Ort Gallipoli, der touristische Hotspot der Region. Es gibt Bars und Clubs, wo man abtanzen kann und weitläufige Strände laden zum Baden ein. Gelibolu, wie die Einheimischen den Ort auf Türkisch nennen, liegt auf der europäischen Dardanellenseite der Halbinsel, etwas südlich des Marmarameeres. Noch einige Kilometer weiter südlich verbindet die „Çanakkale-1915-Brücke“ Europa mit Asien und erinnert mit ihrem Namen an die blutigen Begebenheiten der damaligen Zeit. Mit ihren mehr als fünf Kilometern Spannweite ist sie nicht nur die längste Brücke der Türkei, sondern auch die längste Hängebrücke der Welt.
Wer als Taucher im Ort Gelibolu wohnt und mit dem Wagen oder dem Bus nach Kabatepe zur „Blackfish“ pendelt, passiert das beeindruckende Bauwerk. Im Sommer steht es trutzig inmitten blühender Sonnenblumenfelder und die roten Pylonen bilden einen schönen Kontrast zum Gelb der Blumen. Auf der anderen Seite der Meerenge ragt das Ufer des asiatischen Kontinents aus dem Dunst; zum Greifen nah.
Heute geht es hinaus zu den Wracks zweier Landungsboote (Helles Barges genannt) sowie zum Schlachtschiff „HMS Majestic“. Beide Plätze liegen am südlichsten Punkt der Halbinsel, dort wo sich Ägäis und Dardanellen treffen. Die beiden Landungsboote sind 23 bzw. 18 Meter lang und die Holzdecks sind verrottet. So kann man gefahrlos in die Bilge der Boote tauchen. Eine Kanonenlafette und einen Anker gibt es auch noch. Die beiden Wracks liegen etwa 50 Meter entfernt voneinander in knapp 30 Metern Tiefe. Ali Bey: „An diesem Punkt der Gewässer kann es oft zu unkalkulierbaren, tückischen Strömungen kommen. Deshalb und wegen der Tiefe der Helles Barges nehmen wir hierher nur erfahrene Taucher mit.“ Wobei erwähnt werden muss, dass Byemdives Tauchplätze eine ausgewogene Mischung aus Plätzen für Profis und Anfängern bieten. „Für jeden ist etwas dabei“, freut sich Ali.
Den Schlusspunkt der Tauchreise zur Meerenge der Dardanellen setzt ein Tauchgang an der „HMS Majestic“. Das Wrack ist zwar in einem fürchterlichen Zustand aber es beeindruckt doch durch seine Größe von 118 Metern Länge – und durch sein Schicksal. Die „Majestic“ wurde 1893 in Portsmouth vom Stapel gelassen. Sie ist ein Schiff der so genannten Pre-Dreadnought-Klasse. In den ersten Jahren ihres Lebens patrouillierte sie an der Südküste Englands im Ärmelkanal, um das Land dort zu schützen. Churchill meinte, die „Majestic“ sei zu alt, um sie auf den Osmanenfeldzug mitzunehmen. Doch aufgrund ihrer Feuerkraft wollte man sie dazu einsetzen, die Kanonenforts des Gegners unter Beschuss zu halten (was sie sehr erfolgreich auch tat) und als Deckung vor der Südspitze Gallipolis zu fungieren. Leider machte ihr Kommandant, der Oberst zur See Henry FitzRoy George Talbot, den entscheidenden Fehler: er war sich seiner zu sicher. Er ankerte sehr nahe der Südspitze der Halbinsel in der irrigen Annahme, die Gewässer seien zu seicht für deutsche U-Boote. Doch in der Nacht zum 27. Mai 1915, morgens um 6.30 Uhr, traf ein Torpedo von U-21 den Riesen. U-21 hatte zuvor schon die „HMS Triumph“ versenken können.
Krieg aus längst vergangenen Tagen
Während die Ereignisse des Ersten Weltkriegs gut dokumentiert sind und aus moderner Zeitperspektive noch sozusagen in Sichtweite liegen, ist ein anderer Konflikt jener Region schon längst im Dunkel der Zeit versunken. Die Rede ist vom Trojanischen Krieg, dem Homer in seiner Ilias ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Geht man davon aus, dass es diesen Krieg tatsächlich gegeben hat (und vieles spricht dafür), dann könnte es damals schon um die strategische Position an den Dardanellen gegangen sein und damit um Geld: Die Lage der Stadt Troja am Hellespont (der damalige Name der Dardanellen) versetzte diese in die Lage, den Warenverkehr zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer zu kontrollieren. Es ging also um Zölle, um Versorgungssicherheit der Bevölkerung, um Truppenbewegungen.
Homer hat aus den Ereignissen jener Tage zwar eine Liebesgeschichte gemacht, aber Sex kam halt vor rund 3.300 Jahren schon besser an, als Politik. Wer einen Tauchurlaub auf Gallipoli macht, der erreicht die Ruinen Trojas in nur knapp zwei Stunden Fahrt. Das Trojanische Pferd kann man hier auch leibhaftig bewundern. Es steht in der Stadt Çanakkale. Die ist sozusagen der asiatische Gegenpol zu Gelibolu auf der europäischen Seite der Meerenge. Als Hollywood seinerzeit die Ilias verfilmte, hat man die Requisite beim Zusammenräumen einfach am Originalschauplatz vergessen. Das Pferd ist heute eine der Hauptattraktionen von Çanakkale – neben einem militärhistorischen Museum, das die Geschichte rund um den Ersten Weltkrieg dokumentiert.
Dieses Museum ist vorwiegend einem Mann gewidmet, der sich im Verlaufe der Kämpfe um die Dardanellen besonders hervorgetan hat. Er wurde nach dem Krieg der Begründer der modernen Türkei und sein Name ist nicht nur dort weltweit bekannt: Kemal Mustafa Atatürk.
Die Tauchbasis:
Byemdive
M. Ali Eyüpoglu
byemdive@gmail.com
www.byemdive.com
Byemdive Instagram
M: +90 532 305 35 37
T: +90 216 553 32 30
Mehr Information:
Byemdive auf Taucher.Net
Canakkale/Dardanellen auf Taucher.Net
The Gallipoli Historical Unterwater Parc