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LorischlomoSSI Master Diver500 TGs

Im Sog der Riesen (FAS, 20.03.2022)

Es war nur ein kurzer Blick aus dem Fenster. Die Italienerin Maura Cavallo war auf dem Rückflug von Daressalam nach Mafia, wo sie als Geschäftsführerin einer kleinen Lodge arbeitete. Die Cessna der Coastal Aviation war zum Anflug auf den „Mafia Airport“ bereits auf 700 Fuß gesunken. „Schau, da schwimmt was im Wasser!“, sagte Maura dem neben ihr sitzenden Moez Kassam, ihrem auf Mafia geborenen Ehemann, der in der selben Lodge die Tauchbasis leitete. „Das sind Walhaie“, antwortete er beim Anblick der massigen grauen Körper, die wie Mini-U-Boote direkt unter der Wasseroberfläche lagen.
Statt mit dem Landrover quer über die Insel zur Chole Bay zu fahren, wo sich damals die einzigen Touristenunterkünfte auf Mafia befanden, weil man dort in einer geschützten Bucht ganzjährig Korallenriffe betauchen kann, fuhren sie runter zum Strand von Kilindoni, wo die Fischer ihren Fang sortierten, putzten, salzten oder in heißem Öl frittierten. Maura und Moez befragten die Fischer zu den Walhaien. Wie viele sind es? Wie weit draußen? Wie oft seht Ihr sie? Zu welcher Jahreszeit? Dann fassten sie einen Entschluss. „Wir sprachen einen Fischer an, der ein großes Boot besaß“, erinnert sich Moez. „Wir fragten ihn, ob er bereit wäre, sein Boot umzubauen und statt Fische an Land zukünftig Touristen aufs Meer zu den Walhaien zu bringen. Noch heute fährt er mit unseren Gästen raus. Gefischt hat er nie wieder. Er hat es nie bereut.“
Das war 2003. Maura und Moez kauften Land am Strand neben dem Fischerdorf, fanden einen südafrikanischen Investor und bauten die Butiama Beach Lodge, bis heute die edelste Touristenbleibe auf Mafia. 15 gepflegte Bungalows in einem tropischen Garten, Pool, Strandbar, WLAN-Sitzecke, Restaurant – alles draußen, nach allen Seiten offen, mit geflochtenen Grasdächern gegen die tropischen Regengüsse geschützt.

Mafia liegt nur wenige Kilometer vor der tansanischen Küste im Einzugsbereich des weit verzweigten Rufiji-Deltas, aus dem reichlich Nährstoffe aus dem Landesinneren ins Meer fließen. Das trübt zwar das Wasser, lässt aber eine artenreiche Meeresfauna prächtig wachsen. Genau deshalb kommen die Walhaie von November bis März hierher. Imposante, aber auch sensible Tiere, die leicht zu verschrecken sind, weshalb wir nicht mit ihnen tauchen dürfen. Nur schnorcheln ist erlaubt.
Los geht es morgens um 8.00 Uhr direkt vom Strand der Butiama Lodge aus. Das Wetter ist grau und nass. Außer uns fährt kein anderes Touristenboot raus. Die Fahrtzeit ins Walhai-Gebiet beträgt eine Stunde, danach sind wir in der Hand der Natur. Zwei Stunden kreuzen wir frustriert hin und her, endlich taucht einer auf. Doch die Sichtverhältnisse im Wasser sind ohne Sonnenlicht miserabel. An Fotografieren ist nicht zu denken. Dreimal taucht der Walhai unter uns durch, einmal ganz nah. Das war’s.

Mafia ist ein ruhiger Ort. Während die große Schwester Sansibar vom gehobenen Tourismus lebt, ist das arme Mafia noch weitgehend unberührt. Ein gutes Dutzend Herbergen, eine einzige geteerte Straße, die den Hauptort Kilindoni mit dem Marinepark verbindet, an dessen Eingang jeder Fremde eine Tagesgebühr von 24 Dollar entrichten muss. Nur mit Kreditkarte und nur, wenn das Netz stabil ist. „Heute geht’s nicht. Kommen Sie morgen wieder? Zahlen Sie dann!“, sagt der Kassierer mit einem entspannten Lächeln. Afrika eben.
Walhaie trifft man nur auf der dem Festland zugewandten Seite der Insel. Getaucht wird dagegen im indischen Ozeans. Zur Chole-Bay sind es 30 Autominuten einmal quer über die Insel.
Der erste Tauchgang ist ernüchternd. Plankton bis zum Abwinken. Die Sichtweite beträgt keine 10 Meter. Ja, da sind Fische, ganze Schwärme sogar, aber man sieht sie nur schemenhaft. Einem vom Roten Meer mit seinen beinah unendlichen Sichtweiten verwöhnten Taucher macht das kaum Lust auf mehr. Doch Moez spornt der Frust der Taucher an. „Morgen taucht Ihr mit mir“, kündigt er mit einem vielsagenden Lächeln an.
In der Tat. Auf einen Tauchtag zum Vergessen folgt einer zum Staunen. Der Tauchplatz Dindini liegt draußen im indischen Ozean, außerhalb der geschützten Bucht. Die Dhau kämpft mit nur einem ihrer zwei Außenbordmotoren verzweifelt gegen die hohen Wellen an. Der zweite Motor wird für Notfälle geschont. Auf dem schaukelnden Holzboot greift die Crew nach den Tauchausrüstungen und zieht jeden der Taucher komplett an, wuchtet das 20 Kilo schwere Equipment auf die Bootskante, anschnallen, Flasche aufdrehen, über Bord kippen und zügig runter bis auf 20 Meter.
Unten herrscht tiefster Friede. Und eine Menge Leben ist da. Schon beim Abstieg fliegt ein Stechrochen vorbei. Dann fuchtelt Moez mit den Armen, zeigt auf eine Grotte. Im Schein der Taucherlampe taucht ein braunes Ungetüm mit dunklen Flecken auf, schemenhaft, schwer zu identifizieren. Das Wesen spielt mit einem weißen Etwas, das plötzlich anschwillt zu einem Ball. Wahnsinn! Aus drei Metern Entfernung wird die Szene klarer.
Ein Riese von Zackenbarsch hat einen Kugelfisch in der spitz zulaufenden Grotte in die Enge getrieben. Der panische Kugelfisch wirft sein Überlebensprogramm an, pumpt Wasser in seinen Körper und bläht sich auf – von der Größe einer Aubergine zu einem fetten, stachligen Basketball. Der Barsch stupst die Kugel an, reisst das Maul weit auf, aber er kriegt die Beute nicht zu fassen. Die Begegnung hat Seltenheitswert. Selbst in einem langen Taucherleben bekommt man diese in der Literatur oft beschriebene Szene nur selten zu sehen.
Zweiter Tauchgang am Kinasi Pass. Eine alpin anmutende Landschaft, weiße Felsen von Korallen eingefasst. Aus einem Loch flüchtet eine Riesenmuräne und will kein Ende nehmen. Kann es sein, dass sie über drei Meter misst? Zackenbarsche, Doktorfische, Drücker und Barrakudas – alle sind hier größer als anderswo. Man muss nur näher ran, um sie gut zu sehen.
Als wir zurück zur Lodge kommen, sitzen Walhai-Schnorchler an der Bar. Es war ein Bilderbuchtag, berichten sie, blauer Himmel, Sonne und eine Gruppe Walhaie, die um die Boote kreiste. Doch unser Neid hält sich in Grenzen, denn diesmal hatten alle Lodges ihre Boote rausgeschickt und die meisten Gäste hatten inmitten eines Blasen schlagenden Rudels aus 50 Schnorchlern ständig die Flosse des Vordermanns an der Maske statt einen Hai vor der Linse.

„Julius Pintsch, Berlin 1893“ steht auf einer Messingplatte. Die Fahrt mit Amin, dem privaten Guide von Butiama, zum „German Lighthouse“ an der Nordspitze der Insel dauert zwei Stunden. Oben hat man einen Blick über Mangrovenwälder bis zum Horizont. Unten säubern Fischer ihren Fang. Einer posiert mit einer Netzmuräne vor der Kamera. „Kann man die essen?“ „Klar“, nickt Amin und hält einen Beutel Fische hoch, die er eben gekauft hat.
Eine Stunde später am Kanga Beach, einem von Kokospalmen gesäumten Traumstrand, der jedes Klischee übertrifft. Die Fische garen eingeklemmt in Palmwedelstilen, die neben einem Holzfeuer im Sand stecken. Ein Streichholz, mehr braucht es nicht, um ein afrikanisches Barbecue der Extraklasse zu zelebrieren. Amin hat Brot, Salat und Gewürze dabei; den Rest besorgt die Natur.
Nur zum Tauchen ist Mafia zu schade. Die Butiama Lodge bietet Exkursionen durch die Dörfer der kleinen Nachbarinseln, zu Verwaltungsgebäuden der früheren deutschen Kolonialherren oder zu den Ruinen von Kua, einer Stadt, deren Bewohner im 19. Jahrhundert von Kannibalen aus Madagaskar überfallen und verspeist worden sein sollen.
Wir lassen uns von Amin durch das abendliche Kilindoni führen, probieren Snacks am Straßenrand, streifen entlang der Auslagen der kleinen Läden, schauen den Schneiderinnen, Frisören, Fischverkäuferinnen zu, genießen schließlich in einem Einheimischen-Restaurant, was auf keiner Touristen-Speisekarte zu finden ist: knusprig frittierte Fische, Kassavablätter in Kokosmilch und Ugali, ein Maisbrei, den man mit den Fingern zu Bällchen rollt und in Currysauce tunkt.
Bei einem kühlen Serengeti Lager verrät uns Amin dann noch seine persönliche Rangliste der größten Rassisten. Am schlimmsten seien weiße Südafrikaner, die das Ende der Apartheid nicht verkraftet hätten, gefolgt von Russen und Amerikanern, die sich als Vertreter ihrer Weltmächte aufspielten. „Und die Europäer, Amin?“ „Die meisten sind okay“, sagt er, „weil sie oft weit gereist sind und viele fremde Kulturen kennen. Sie zeigen uns Respekt.“