Kategorie: Reise
Ein gefallener Champion
Eine der am meist befahrenen Schiffsrouten der Welt, der englische Kanal, ist sprichwörtlich mit hunderten von Wracks übersät. Die heftigen atlantischen Stürme und zwei Weltkriege haben dafür gesorgt, dass eine Menge stolzer Schiffe, samt Besatzung hier ihre letzte Ruhestätte fanden. Einige dieser Wracks stechen aus der großen Vielzahl hervor – die Salsette ist eines dieser speziellen „Exemplare“.
Bericht von Steve Jones
Der prächtige Ozeanriese wurde häufig als das schönste Dampfschiff der Welt beschrieben. Zudem war die Salsette ein außergewöhnlich schnelles Kreuzfahrtschiff. Der im Jahr 1908 gebaute Luxusdampfer brach bereits auf seiner Jungfernfahrt, Marseilles – Bombay, einen Geschwindigkeitsrekord. Durch seine mächtige 10.000 PS Maschine erreichte das Schiff eine Spitzengeschwindigkeit von 20 Knoten.
Da die Salsette in der Lage war, den im ersten Weltkrieg eingesetzten U-Booten einfach davonzufahren, wurde sie als Transporter für wichtige Kriegsgüter auf der Indien-Route eingesetzt. Leider half ihr diese für damalige Verhältnisse atemberaubende Geschwindigkeit nicht… Am 20.Juli 1917 übersah die Wachmannschaft des Kreuzers das Periskop eines lauernden U-Bootes. Die UB-40 wartete in den ruhigen Gewässern der Lyme Bay im Süden Englands auf leichte Beute. Erst der weiße Heckflügel der Torpedos alarmierte die Mannschaft der Salsette, die sofort mit voller Kraft voraus ein Ausweichmanöver versuchte. Zu spät – das mächtige Schiff wurde mittschiffs an der Steuerbordseite getroffen. Heftige Explosionen zerrissen die Bordwände. Trotz der wasserdicht versiegelten Zwischendecks, war der Schaden zu groß, das Schiff verloren. Der Kapitän der Salsette erzählte nach seiner Rettung: „Es fühlte sich an, als bräche sie wie ein Kartenhaus zusammen“. Innerhalb von nur 28 Minuten sank sie komplett und ruht heute in 45 Meter Wassertiefe, knapp 20km westlich von Portland Bill in Dorset, England. Vierzehn Matrosen verloren bei diesem Untergang ihr Leben.
Nach wie vor - ein stolzes Schiff
Die Gewässer der Lyme Bay sind ruhig. So ruhig wie damals an diesem schicksalhaften Tag vor genau 91 Jahren, als die Salsette ihr nasses Grab fand. Fast spiegelglatt liegt die See vor uns; nur an unserem Tauchboot kräuseln sich Strömungswellen, die durch die einsetzende Gezeitenströmung verursacht werden. Eine Tatsache, die bei Tauchgängen im „Channel“ eine gute Planung erfordert. Die teils heftigen Tidenströmungen können Taucher weit abtreiben lassen.
Wir haben einen guten Zeitpunkt gewählt, die Gezeitenströmung nimmt ab. Während wir abtauchen, erreichen wir bereits in geringer Tiefe absolut ruhiges Wasser. Mein Puls beschleunigt merkbar, als sich die gigantische Schiffshülle langsam vor uns abzeichnet. Die Salsette, ein für damalige Zeiten großes Schiff mit 135 Metern Länge, liegt im 45 Grad Winkel auf ihrer Backbordseite. Der Rumpf wirkt völlig intakt. Langsam schweben wir in 34 Metern Tiefe über dem Wrack um uns zu orientieren. Bei einer Sichtweite von nur knapp sechs Metern und pechschwarzer Dunkelheit kein einfaches Unterfangen. Die Umrisse der Aufbauten verlieren sich wie Geisternebel. Details, von unseren starken HID Lampen angestrahlt, wirken noch sekundenlang auf der Netzhaut nach. Ein seltsames Gefühl, verstärkt durch Kälte und einer leichten Stickstoffnarkose, sowie den Gedanken an die Geschichte des stolzen Kreuzfahrers.
Heute sind wir nur mit Luft unterwegs und trotz der beiden Stageflaschen mit 80% Nitrox, bleibt uns nicht allzu viel Zeit für eine ausführliche Erkundung. Entlang der Reling schwimmen wir in Richtung der gigantischen Antriebswelle steuerbords. Die Schiffsschraube an dieser Seite wurde schon vor längerer Zeit durch ein Bergungsunternehmen verwertet. Nur ihr Gegenstück an der Backbordseite – eine mächtige Bronze-Schraube – ist noch vorhanden. Sie liegt in einer Unterspülung auf 48 Meter Tiefe. Bei dem Versuch die Stimmung mit meiner Kamera einzufangen, bemerke meine doch beträchtliche Stickstoffnarkose. Es fällt mir zunehmend schwer die gewünschten Werte an meiner Kamera einzustellen. Eigentlich völlig einfache Tätigkeiten, aber heute hat es mich richtig stark erwischt und nur mit höchster Konzentration schaffe ich ein paar gute Aufnahmen.
Rund um das Heck steigen wir langsam höher und bewegen uns in Richtung Achterdeck. Aus der Dunkelheit schält sich langsam der Umriss der schweren 120mm Bordkanone heraus. Das Geschütz, eine Erinnerung an die letzte Aufgabe der Salsette, ragt martialisch am Hinterdeck hervor, fast wirkt es feuerbereit. Angeblich wurde die Kanone nie abgefeuert – der Kreuzer verließ sich doch immer auf seine überlegene Geschwindigkeit.
Die Ausmaße der Salsette machen es unmöglich das gesamte Wrack in einem Tauchgang zu erkunden: wir wissen, dass wir mehrere Tauchgänge benötigen, um nur einen ersten Eindruck dieses fantastischen Schiffes zu bekommen. Während wir uns entlang des Achterdecks bewegen, können wir erahnen, warum die Salsette als eines der schönsten Dampfschiffe in die Geschichte einging. Im Vergleich zu anderen Wracks aus dieser Zeit sind noch erstaunlich viele Details erhalten. Der Zustand der Salsette ist hervorragend. Während wir entlang der Oberdecks tauchen, können wir die luxuriösen Gesellschaften, welche sich hier vergnügten, fast vor uns sehen. Vorstellung und Realität vermischen sich; ein Tauchgang, an den ich mich noch lange erinnern werde!
In der Dunkelheit erahne ich Lichtkegel. Eine Gruppe Taucher nähert sich und im gestochen scharfen Licht ihrer HID Lampen können wir die Holzplanken des Promenadendecks vor uns erkennen. Fischschulen huschen durch die Lichtkreise und verstärken dieses einmalige, ein bisschen furchterregende Gefühl, welches ich nur an Wracks bekomme. Eine Mischung aus Faszination und Erregung, Erinnerung an vergangene Zeiten und leichter Beklemmung. Fast ein bisschen unheimlich. Der Schein meiner Lampe erhellt einen Niedergang. Die Entdeckungslust steigt, ich bin versucht die Geheimnisse der unteren Decks zu lüften – tiefer einzudringen in die Geschichte des stolzen Dampfschiffes. Natürlich siegt die Vernunft. Eine Penetration will gut vorbereitet sein, alles andere ist sträflicher Leichtsinn. Für heute müssen die Eindrücke der Außenseite reichen. Doch dieses Wrack wird mich noch öfter sehen.
Auf den Decks und am Seegrund befinden sich Unmengen von interessanten Fundstücken. Zwischen Bruchstücken und Unrat können wir mehrere Winchen und Einzelteile eines Krans erkennen. Kurz darauf eine weitere Öffnung – dieser Niedergang müsste in den Maschinenraum führen. Wir merken uns die Stelle vor. Die mächtige Dampfmaschine müssen wir bei einem der nächsten Besuche auf jeden Fall erkunden. Langsam wird es Zeit den Tauchgang zu beenden und so schweben wir entlang der Steuerbordreling in 34 Meter Tiefe, um die letzten Eindrücke der Salsette in uns aufzunehmen.
Kurz vor Erreichen unserer Shot-Line schwimmen wir an dem gewaltigen Krater, welchen der Torpedo in die Salsette gerissen hat, vorbei. Wir hörten von einigen Tauchern, dass zwischen dem Maschinenraum und der durch die Explosion zerrissenen Sektion eine betauchbare Passage vorhanden ist. Wir werden dies bei unserem nächsten Tauchgang überprüfen. Jetzt wartet erstmal ein gut 60minütiger Aufstieg auf uns. Trotz des relativ langen Tauchgangs konnten wir nur gut ein Drittel des mächtigen Rumpfes erkunden. Wie viele Tauchgänge werden wohl nötig sein um dieses, in meinen Augen wunderschöne Schiff, in seiner Gesamtheit zu erforschen?
In Großbritannien ist die Salsette eine der beliebtesten Tauchdestinationen. Trotz der Vielzahl an Wracks in den Gewässern des Channels sind gut erhaltene Kreuzfahrtschiffe eine echte Rarität. Solche Zeitzeugen unserer Geschichte zu erkunden ist ein ganz besonderes Erlebnis.
Die Salsette kann ganzjährig betaucht werden, bedingt durch die exponierte Lage und der vorherrschenden Süd-West Winde empfehlen sich die Sommermonate als beste Zeit für ausgiebige Erkundungen. Strömungsverhältnisse und Tiefe erfordern einiges an Erfahrung; die Salsette ist kein Wrack für Anfänger. Für ausgiebige Erkundungen sollte man eine Woche Zeit mitbringen und die Tauchgänge jeweils mit mehreren Stageflaschen planen. Nur kurze Ausflüge zu diesem wundschönen Wrack werden der „alten Dame“ nicht gerecht.
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