Kategorie: Diverses
Geschichte des U-Bootes vor Genua
August 2005. Der genuesische Taucher Lorenzo Del Veneziano sieht im Licht seiner Lampen die Umrisse eines U-Boots auf über 100m Wassertiefe. Auffällig wie bei allen U-Booten: der Turm; hier kann Lorenzo eine Maschinengewehrhalterung, Funkantennen und das Periskop erkennen. Auf dem Boden des Turms, auf 107 Meter, ist die Luke geöffnet und im Inneren ist die zweite geschlossene Luke zu sehen. Augenscheinlich handelt es sich um ein U-Boot aus dem 2.Weltkrieg, die Identifizierung dauert einige Jahre…
Bericht und Historische Forschung von Stefano Astori
Bilder von Marcello Bussotti und Ugo Sgrevi, Video von Ugo Sgrevi
U-455
Das U-Boot U-455 der VIIC-Klasse wurde von der Werft der Deutschen Werke AG - Kiel Gaaden-Ost, gebaut. Das Atlantikboot der Deutschen Kriegsmarine wurde am 21. Juni 1941 vom Stapel gelassen. Ein Boot dieses Typs war 67,1m lang und 6,2m breit. Die Höchstgeschwindigkeit bei dieselgetriebener Überwasserfahrt betrug 17kn. Zwei Elektromotoren mit je 375-PS Leistung ermöglichten unter Wasser eine Fahrt von 7,6kn.
Von Januar 1942 bis Februar 1944 wurde die U-455 zur VII. Flottille St. Nazaire versetzt. In den ersten Monaten des Jahres 1944 bis zum Tag des Verschwindens im April 1944 operierte es auf dem Stützpunkt Toulon bei der XXIX. Flottille.
VIDEO UBOOT455: youtube.com/watch?v=66lrZSE67r4
Im Zweiten Weltkrieg brachte Deutschland mit seinen U-Booten die Alliierten und vor allem England in starke Bedrängnis (die sogenannte „Atlantikschlacht“): Damit erschwerte Deutschland die Versorgung der Alliierten in Europa. Die U-455 führte in Summe zehn erfolgreiche Missionen durch. Die von Hitler angeordnete Offensive erreichte ihre maximale Wirksamkeit durch die U-Boote, die während des Zweiten Weltkriegs über 7,5 Millionen BRT an Schiffen (Handes- und Kriegsschiffe) versenkten. Klar ist, dass die Verluste bei den alliierten Kräften sehr hoch waren, aber während der Atlantikschlacht im Zweiten Weltkrieg wurden von 863 eingesetzten deutschen U-Booten 630 versenkt. Dies entspricht einer ungefähren Verlustrate von 73 Prozent, ein schrecklicher Blutzoll auf beiden Seiten.
Genua, Ligurien
Das deutsche U-Boot U-455, von dem die Bewohner der Gegend mehrere Jahre lang gesprochen hatten, bis es zur Legende wurde, wurde dank einiger Berichte im August 2005 von Lorenzo Del Veneziano entdeckt. Die Identifizierung war nicht einfach und nicht sofort möglich.
An den Seiten des U-Bootes sind die Entlüftungsöffnungen der Ballasttanks zu erkennen, die bis zur Brücke hinaufführen. Auf dem Deck ist die Teakholzverkleidung inzwischen verschwunden. Der Bug ist mit seiner schlanken Form zur Oberfläche hin sehr eindrucksvoll; darunter sind die beiden Tiefenruder in Navigationsposition sichtbar. Am Rumpf sieht man die geschlossenen Luken der Torpedowerfer als Beweis dafür, dass der Unfall so schnell passiert ist, dass die Besatzung keine Zeit für andere Manöver hatte.
Das U-Boot ist stark bewachsen und voll vielfältigem Leben: Austern, Anemonen, Mikroorganismen und vieles mehr… So gut wie jeder Teil des Rumpfes ist bedeckt und Schwärme von Fahnenbarschen ziehen ihre Kreise um das versenkte Kriegsschiff. Aus den Öffnungen lugen die Antennen der Hummer hervor und man entdeckt zudem große Krabben, die im Wrack ihre Heimat gefunden haben.
Die Ursache des Untergangs bleibt ein Rätsel. Der letzte Funkspruch von U-455 wurde im April 1944 gesendet, als das U-Boot sein Patrouillengebiet nördlich von Algier verließ und zu seinem Stützpunkt nach La Spezia unterwegs war. Die wahrscheinlichste Ursache für den Untergang ist die Kollision mit einer „freundlichen“ Mine: Das U-Boot lief wohl in ein Deutsches Seeminenfeld.
Der Tauchgang gilt als äußerst anspruchsvoll, sowohl aufgrund der Tiefe als auch der Strömungen, die ziemlich stark sein können und die Sicht insbesondere am Grund beeinträchtigen.
Das Wrack liegt mit einer Neigung von etwa 45° auf einer Tiefe von 120 Meter und dem Bug in etwa 90 Meter Tiefe. Das ist nur eine kurze Zusammenfassung der Entdeckung von U-455.
Wir möchten hier aber der Mannschaft von U-455 ein Gesicht geben.
Juni 2021
Das Handy klingelt und mit seinem schönen toskanischen Akzent sagt Marcello zu mir: „Was machst du gerade? Ich brauche dich für ein Projekt…“ Marcello will, dass ich so viel Material wie möglich von U-455 recherchiere und mehr über die Besonderheit am Turm herausfinde, weil er sich von denen auf den Fotos der VII-C-Klasse unterscheidet. Meine Freunde Marcello Bussotti und Ugo Sgrevi betauchten die U-455 viele Male und brachten gutes Foto- und Videomaterial welches ich für die weitere Recherche gut verwenden kann. Ich beginne mit der Suche und finde Dokumentation im ehrenamtlich betriebenen U-Boot-Museum in der Stadt Cuxhaven-Altembruch.
In einem der beiden Logbücher beeindruckt mich eine Notiz des Kapitäns, weil man an diesen Worten erkennen kann, wie groß die Kameradschaft in der Crew war, und ich denke, dass das in einem so engen Umfeld eines U-Bootes im Zweiten Weltkrieg nur so zu ertragen war.
Identifikation von U-455
Kommen wir zu einem Detail des Turms, der Maschinengewehrplattform. Ursprünglich war U-455 mit einer 80-mm-Kanone und einem 20-mm-Flak-Maschinengewehr ausgestattet. Um endgültig die Identität der U-455 zu bestätigen, muss der Umbau des Turms mit der neuen Plattform nachvollzogen werden. Die mir zugänglichen Aufnahmen von 1942 aus Saint Nazaire zeigen noch das Original vor der Veränderung. Ich suche in jedem einzelnen Logbuch nach einem Hinweis auf die Umbauten und entdecke schließlich, dass zwischen dem 31. März und dem 15. April 1942 auf dem Marinestützpunkt (einem der fünf) von St. Nazaire im Bunker 9 die Änderungen vorgenommen wurden. Das ist der endgültige Nachweis dass es sich bei dem Wrack vor Genua um U-455 handelt.
Das U-Boot verschwand zwischen dem 4. und 6. April 1944 vor Camogli (Ligurien). Nach der vermutlichen Minenkollision sank es wohl innerhalb kürzester Zeit. Im Video sieht man eine der beiden Turmtüren geschlossen, die innere aus Sicherheitsgründen. Ein Zeichen dafür, dass das U-Boot an der Oberfläche navigierte. Vermutlich wurden mindestens zwei Männer, die das Schiff oben am Turm steuerten, durch die Wucht der Explosion ins Meer geschleudert.
Ein ehemaliger deutscher U-Bootfahrer beschrieb 1956 die Qual und das Ende „seines“ U-Bootes. Während einer Mission im Atlantik wurde es Opfer einer Minenexplosion. „Plötzlich erstarrte alles Leben im Tauchboot. Draußen, an der Steuerbordseite ein Geräusch. Es klang als ob ein Metallgegenstand langsam am Rumpf entlangkroch. Niemand atmete mehr: Draußen, einen Meter entfernt, kollidierte Stahl mit Stahl, das schreckliche Geräusch nahm kein Ende und jeder hörte es. Die Männer spürten, wie der Tod seine knochige Hand auf das Boot legte, und als sich das Geräusch am Boot entlang bewegte, folgten ihm die Augen der U-Boot Fahrer im inneren entlang der Schotten... Die Mine explodierte schlussendlich in der Nähe des Elektromotorenraums….“. Dieses Geräusch war wohl auch das letzte, was die Besatzung der U 455 hörte.
VIDEO UBOOT455: youtube.com/watch?v=66lrZSE67r4
Missionen der U-455
15.01.1942-28.02.1942
Erste Reise – Abfahrt von Kiel unter dem Kommando von Hans-Heinrich Giessler und Ankunft in Bergen nach sechs Wochen
15.01.1942-28.02.1942 Erste Reise – startet in Kiel und kommt nach sechs Wochen in Bergen an.
16.04.1942-10.06.1942 verlässt das Boot St. Nazaire und kehrt nach achtwöchiger Mission dorthin zurück. Während dieses Einsatzes trifft es zwei Einheiten, die im Konvoi fahren und von ON89 und SL111 eskortiert werden. Am 3. Mai 1942 sinkt das englische Schiff BRITISH WORKMAN und am 11. Juni das englische Schiff GEO H JONES.
24.11.1942-24.01.1943 verlässt die U-455 St. Nazaire unter dem Kommando von Hans-Martin Scheibe und kehrt nach mehr als achtwöchiger Mission zurück.
23.03.1943-23.04.1943 verlässt es St. Nazaire wieder und kehrt nach einem vierwöchigen Einsatz zurück. Während dieser Reise werde Minen verlegt, die am 25. April 1943 zum Untergang der französischen Einheit ROUENNAIS führen
20.09.1943-11.11.1943 St. Nazaire wird verlassen und U-455 kommt nach siebeneinhalb Wochen Mission in Lorient an.
06.01.1944-03.02.1944 Abfahrt von Lorient und Ankunft in Toulon nach vier Wochen.
22.02.1944-06.04.1944 verlässt es Toulon und wird am 6. April 1944 als vermisst gemeldet. Keine Überlebenden.
Anmerkung Stefano Astori: Weiteres Geheimhaltungsmaterial des Museums kann ich nicht zur Verfügung stellen