Kategorie: Biologie
Im Anfang sind wir alle gleich... Nach der Befruchtung beginnt sich die Zelle abzuschnüren und zu teilen. Immer und immer wieder findet dieser Vorgang statt. Das Zellhäufchen wird größer und die Zellen beginnen sich zu spezialisieren. Manche bilden Haut, andere Muskeln und wieder andere Blutgefäße. Irgendwann ist dieser Entwicklungsschritt abgeschlossen und ein universelles "Etwas" ist fertig.
Ein Etwas das bei den meisten Lebewesen ziemlich gleich aussieht. Egal ob Seescheide, Langnasenbüschelbarsch, Huhn oder Mensch: In dieser frühen Entwicklungsphase sehen wir alle aus wie eine Kaulquappe. Mund, Magen und Darm, dazu noch Atmungsorgane die Kiemen sehr ähnlich sind.
Dazu einfache Augen und auch das Neuralrohr darf bei den Chordatieren nicht fehlen. Chorda - was? Der Name leitet sich von der Chorda dorsalis ab und sollte nicht mit Costa Cordalis verwechselt werden (danke an Bio-Uli für diesen schon legendären Vergleich), die deutsche Übersetzung lautet "Rückensaite".
Bericht von Harald Mathä
Manteltiere?
Wir kennen Murmeltiere und Faultiere: Erstere sehen Murmeln wirklich nicht ähnlich, dafür scheinen letztere wirklich nur faul herumzuhängen. Maultiere haben ein Maul, darüber lässt sich nicht streiten.
Moostiere und Bärtiere gibt es nicht wirklich, sondern sind eine Übertreibung. In Wirklichkeit sind es winzigkleine Tier-chen. Und die Moostierchen leben nicht im Moos, sondern die kleinen Bärtierchen tapsen darin herum.
Was soll man sich unter einem Manteltier vorstellen? Etwas das mindestens die Größe einer Blumenvase hat und von einem Mantel bedeckt über die Wiese hüpft, denkt man vielleicht. Fast richtig!
Manteltiere leben wie eben Seescheiden sessil (festsitzend) am Meeresgrund oder wie Salpen planktonisch. Plankton bedeutet "herumirrend", es kann im Gegensatz zu Nekton nicht gegen Strömungen anschwimmen. Wozu wir Taucher gehören, mag nun jeder für sich entscheiden! ;-)
Sie vereint ihr Mantel (Tunica) aus Tunicin, einer Celluloseart. Dieser Mantel bzw. Haut ist im Tierreich ziemlich einzigartig. Das Polysaccharid Cellulose kennt man sonst ja nur von Pflanzen in Form von Holz (Pinocchio und die Tigerente von Janosch mal ausgenommen).
Wozu braucht man Hirn?
Wie ganz oben zu lesen ist, sehen wir am Anfang alle aus wie eine Kaulquappe. Wir bewegen uns in einer Flüssigkeit fort und um nicht laufend gegen irgendwas zu schwimmen, müssen wir Hindernisse oder gar unheimliche Feinde erkennen und auf diese Reize reagieren. Dazu braucht man Sinnesorgane wie Augen und ein Gehirn. Auch die kleine Seescheide. Ihre ersten Lebenswochen verbringt sie flosselnd im Plankton. Sie schwimmt in den Strömungen solange herum, bis sie ein Stückchen Meeresgrund findet und sich denkt "Geil! Hier gefällt´s mir, hier bleib ich bis zum Ende meines Lebens!" Sie verankert sich mit Mantelfortsätzen auf ihrem Substrat und beginnt sich zu verändern.
INFOBOX Seescheiden
Arten: etwa 2.000
Englisch: sea squirt
Lat: Ascidiae
Größe: meist bis ca. 25 cm
Aussehen: Einzelexemplare ähneln Schwämmen
Lebensraum: Flachwasser bis in die Tiefsee
Nahrung: Herumtreibendes
Verbreitung: in allen Meeren
Verwechslungsmöglichkeit: je nach Art mehr oder weniger leicht mit Schwämmen
Bald sieht sie aus wie eine künstlerisch recht frei gestaltete Blumenvase mit seitlichen "Auspuffrohren". Fortan tut sie nichts anderes mehr als Herumtreibendes aus der Strömung zu filtrieren und zu fressen. Das ist intellektuell wenig anspruchsvoll, daher hat sie auch ihr Gehirn weitgehend abgebaut. Dagegen bleibt das Nervensystem teils erhalten, dafür benötigt sie ihr kleines Stückchen Resthirn. Berührt man eine Seescheide ganz zart, so verschließt sie ihre Ein- und Ausströmöffnung. Um die empfangenen Reize zu verarbeiten und die Befehle zum Schließen zu geben – möglicherweise ist das die Funktion des Resthirns. Vielleicht verläuft diese Kontraktion aber auch weniger komplex und viel einfacher - so wie bei Pflanzen.
Interessant ist auch, dass Seescheiden ein einfaches, aber einzigartiges Herz haben. Erst pumpt es etwa 50-100 mal in die eine Richtung, dann stoppt es und pumpt in die andere Richtung weiter.
Single oder WG?
Manche Seescheiden leben einzeln und ähneln dann einer Blumenvase (Ilva & Svenja fanden für die Rote Seescheide folgenden, entzückenden Vergleich: "Ein roter Delfin ohne Augen mit hellem Bauch." Ganz klar! Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen?). Die nennt man dann Solitärascidie.
Anders sieht es bei den Sozialen Asciden aus. Sie haben sich für eine Art Wohngemeinschaft entschieden und teilen so manches. Sind aber dennoch als Individuen erkennbar.
Ganz anders die Synascidien! Sie haben sich innig miteinander vereint und teilen Gefäßsystem, Ein- und Ausströmöffnung und vieles mehr. Sie wirken und agieren wie ein gemeinsamer Organismus, die Ähnlichkeit nimmt mit zunehmender Vereinigung zu. Aber welche Lebensform ist die optimale? Eine kaum zu beantwortende Frage, denn alle drei Formen haben sich in den weltweiten Meeren überaus erfolgreich behauptet!
Zusammenfassung
Mit rund 2.000 Arten sind die Seescheiden die artenreichste Gruppe der Manteltiere. Sie haben sich höchst erfolgreich in allen Weltmeeren verbreitet: vom Schelf bis in die Tiefsee. Trotz ihres primitiven Aussehen sind sie näher mit uns verwandet, als man denkt: Denn in frühen Stadien ihrer Entwicklung ist die Larve einer Seescheide einem Fisch oder einem Säugetier durchaus ähnlich. Also mehr Respekt beim nächsten Zusammentreffen mit einer Seescheide!
Bildergalerie verschiedenster Seescheiden.