Rätselhafter Tauchunfall (Karotis-Sinus-Syndrom)

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09.08.2016 11:01
Kategorie: Medizin

Glück im Unglück

Es ist ein zynischer Zufall, dass der Innsbrucker im Gardasee gerade einen Tauchrettungskurs absolviert, als er in ca. acht Metern Tiefe einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet. Zufällig -und glücklicherweise- anwesende Ärzte bergen den leblosen Taucher aus dem Wasser und beginnen mit der Reanimation.

Die Reanimation wurde 15 Minuten lang und schlussendlich erfolgreich durchgeführt. Im lokalen Krankenhaus wird der Taucher untersucht, doch die Mediziner finden trotz intensiver und invasiver Abklärung keine Ursache. Sie lassen den Patienten per Rettungstransport in die Innsbrucker Klinik überstellen. Hier hat in der Notaufnahme gerade der Notfallmediziner und Taucherarzt Frank Hartig Dienst. Er braucht nicht lange, um das Rätsel zu lösen. Der Patient leidet an einem sogenannten Karotis-Sinus-Syndrom.

Problem an der Kontrollstelle
Um eine optimale Blutversorgung im ganzen Körper sicherzustellen, gibt es an den verschiedensten Positionen des Körpers Kontrollstellen, die den Blutdruck überwachen. Einer dieser Punkte befindet sich an der Halsschlagader (Karotis). Bei manchen Menschen kann dieser Punkt allerdings überempfindlich reagieren. Dann reicht schon ein geringer Druck von außen auf diesen Punkt, die Kontrollstelle wertet das als Bluthochdruck und gibt den Befehl den Herzschlag zu verlangsamen. Das kann einen Herzstillstand zur Folge haben.

Oft reichen bereits beengende Kleidungsstücke, um bei betroffenen Patienten eine derartige Krise auszulösen. In diesem Fall war es der Taucheranzug, der im Halsbereich relativ eng anliegend war. Wenn dann eine bestimmte Kopfbewegung dazukommt, um sich z.B. zum Tauchpartner umzudrehen, reicht das aus, um den falschen Befehl an das Herz auszulösen. Bei dem Patienten konnte im Schockraum der Medizinischen Notfallaufnahme durch gezielten Druck auf diesen Punkt ein neuerlicher kurzfristiger Herzstillstand reproduziert und am EKG dokumentiert werden. Ohne die richtige Diagnose des Tauchmediziners der Innsbrucker Klinik wäre es beim nächsten Tauchgang mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem ähnlichen Vorfall gekommen, den der Patient vermutlich nicht mehr überlebt hätte.

Der kleinste Herzschrittmacher der Welt

Der zweite glückliche Zufall für den Patienten: An der Innsbrucker Klinik steht seit kurzem ein Mini-Herzschrittmacher zu Verfügung. Zudem gibt es mit Markus Stühlinger von der Innsbrucker Univ.-Klinik für Kardiologie einen Mediziner, der Erfahrung bei der Implantation dieses Gerätes hat.

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Übliche Schrittmacher haben etwa die Größe einer Streichholzschachtel und werden im Bereich der Schulter implantiert. Von dort werden Drähte in das Herz eingebracht. Mit einem derartigen Schrittmacher hätte der 74-jährige seinen Tauchsport in dieser Form aber nicht mehr ohne weiteres ausüben können. Die herkömmlichen Geräte sind meist nur eingeschränkt unter Wasser verwendbar.

Der neue Schrittmacher ist nur etwa so groß wie eine Euro-Münze und wurde dem Patienten über ein großes Blutgefäß in der Leiste direkt in das Herz eingesetzt. Er besitzt keinerlei Drähte und sowohl Batterie, Impulsgeber als auch Datenspeicher sind direkt in das Gerät eingebaut. Bei dieser neuen Schrittmachergeneration gibt es wenig Erfahrung zur Verwendung bei Tauchern. Die Taucheignung haben die beiden Mediziner letzten Donnerstag gemeinsam mit dem Patienten im Tivoli bewiesen. Um die Sicherheit für den Taucher zu gewährleisten, hat Frank Hartig gemeinsam mit dem 74-jährigen Innsbrucker den Tauchgang unter notfallmedizinischem Standby durchgeführt. Markus Stühlinger hat am Beckenrand mit seinem Equipment gewartet, um sofort nach dem Tauchgang die Werte des Schrittmachers auslesen zu können und die Funktion des Aggregats zu überprüfen.

Wie erwartet, funktionierte das neue Schrittmachersystem perfekt. Der Patient verspürte keine Symptome und wurde daher von den Medizinern auch für weitere Tauchgänge freigegeben.

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Interview mit Dr. Frank Hartig

Gefahr für Taucher durch das Karotis Sinussyndrom?
Kein Grund zur Hysterie, aber aufgepasst!

Taucher.Net: Frank, was genau ist das Karotis Sinussyndrom und warum kann es für Taucher sehr bedrohlich sein?
Frank Hartig: Das Karotis Sinussyndrom ist ein Syndrom, bei dem es durch einen überempfindlichen Rezeptor zu Kollapszuständen bis hin zu Herzstillständen kommen kann. Der Karotis-Sinusknoten an der Halsschlagader ist einer von mehreren peripheren Sensoren, der dem Herz Auskunft über Druckzustände gibt. Durch Druck von außen kann er dem Herz eine Falschinformation geben und das Herz reduziert seine Schlagfrequenz und / oder seinen Blutdruck. Es gibt hier zwei Varianten: bei der einen Variante kommt es zu einem Blutdruckabfall und bei der anderen Variante zu einem Pulsabfall. Bei den meisten Menschen führt eine Massage dieses Punktes zu einem leichten Abfall der Herzfrequenz, jedoch ohne klinische Symptome.

Beim älteren Patienten kann es auch mal zu einem kurzzeitigen Aussetzen des Pulses kommen, jedoch dann auch nur mit wenigen Symptomen wie kurzfristiger Schwindel und Präkollaps. Dann gibt es aber jene Fälle, in denen durch geringen Druck eine echte Asystolie mit Ohnmacht auftritt. Diese Menschen haben oft eine Geschichte mit mehreren Umfallern, deren Ursache man nie finden konnte. Oft bleibt das KSS also unentdeckt. Druck auf die Halsschlagader kann beim Rasieren, bei Kopfwendungen wie Schulterblick beim Autofahren oder durch enge Krawatten oder – für den Taucher interessant – durch enge Halsmanschetten oder wie in unserem Beispiel durch eine zu enge Eisweste bedingt sein. Als Voraussetzung für ein echtes KSS muss der Patient eine Anamnese einer Ohnmacht haben und man muss durch externen Druck eine Asystolie mit Kollaps wirklich einwandfrei reproduzieren können. Erst dann spricht man von einem Karotis Sinussyndrom.

Für Taucher sind alle Formen einer Bewusstlosigkeit unter Wasser lebensbedrohlich und enden meistens mit dem Ertrinken. Ein aktives KSS, das unter Wasser auftritt, ist also in der Regel genauso tödlich, wie ein Sauerstoffkrampf der unter Wasser auftritt. Überleben kann man so etwas nur, wenn aufmerksame Buddys eine Rettung an die Oberfläche durchführen. In unserem Fall musste der Taucher sogar noch 20 Minuten reanimiert werden.

TN: Kann man als Taucher eine mögliche Symptomatik in dieser Richtung selbst feststellen oder ist das mit Gefahren verbunden?
FH: Ja das geht. Man kann durch einen gezielten Druck auf die Karotisgabel ein KSS innerhalb weniger Sekunden diagnostizieren. Allerdings warne ich hier ausdrücklich davor! Beispielsweise können sich bei älteren Patienten Plaques an den Halsschlagadern lösen und schwere Schlaganfälle auslösen. Der Herzstillstand kann anhalten und plötzlich ist man in einer Reanimationssituation. Man macht so etwas also nur, wenn gewisse medizinische ärztliche Voraussetzungen gegeben sind. Der Taucherarzt, der aber notfallmedizinisches Standby hat, kann das schnell und sicher diagnostizieren!
Achtung: alle Würgespiele, Ohnmachtsspiele sind lebensgefährlich. Ein Kollege von Frank erlebte vor Jahren einen 19 Jährigen, der sich in den Hirntod hyperventilierte und der dann als Organspender fungierte…

TN: Welche Zielgruppen sind besonders betroffen?
FH: Ältere Taucher über 60 Jahre sollten zumindest mal daran denken. Ähnlich wie beim PFO (Persistierendes Foramen ovale) gilt: wer keine Symptome wie Schwindel, Präkollapszustände oder ähnliches hat, braucht nichts zu tun. Laut Literatur ist ein KSS bei bis zu 20 % der über Sechzigjährigen vorhanden. Allerdings ist ein relevantes KSS mit Ohnmacht wesentlich seltener. Aber die Kombination kaltes Wasser, was ja schon per se ein proarrhythmogenes Elixier ist und das Tauchen (Immersion) und dann noch ein Druck kann schon mal Probleme machen. Gerade der ältere Taucher sollte hierauf achten bzw. der Taucherarzt. Bei fehlenden Strömungsgeräuschen über der Karotis kann man ja einfach mal drücken und schauen was passiert, das sage ich immer unseren angehenden Taucherärzten. Allerdings immer unter notfallmäßigem Standby, dazu gehört ein venöser Zugang, Atropin 1mg und CPR Bereitschaft.

TN: Was genau verursacht die Symptome bei Tauchern?
FH: Bei Tauchern sind es oft die engen Latexhalsmanschetten oder enge Eiswesten. Gerade bei kombinierten Dreh-/Streckbewegungen wie der Bedienung des Inflators mit Blick nach oben kann dann das Licht mal kurz ausgehen oder aber ein Schwindel auftreten. Im Freiwasser können solche Schwindelattacken sehr unangenehm sein. Aber auch beim Flossen ausziehen oder anziehen, also über oder am Wasser können Druckaktionen am Hals unangenehmen Folgen haben.

TN: Kann man Empfindlichkeiten abmildern, indem man zu enge Halsmanschetten/Kopfhauben vermeidet?
FH: Ja das ginge, gerade enge Latexmanschetten sind hier eine Gefahr. Es gibt nämlich auch die Variante, dass der Blutdruck abfällt und weniger die Frequenz.

TN: Ist das KSS ähnlich wie das PFO (Persistierendes Foramen ovale) eine „schlummernde“ Gefährdung, die eigentlich jeder Taucher untersuchen und ausschließen lassen sollte?
FH: NEIN, keine Hysterie. Auch das PFO sollte nicht gescreent werden, das kann man nicht oft genug sagen. Ebensowenig ein Karotissyndrom. Wenn überhaupt, dann sollte man bei älteren Tauchern darauf achten.
Ähnlich wie beim PFO gilt: wer keine Symptome wie Schwindel, Präkollapszustände oder ähnliches hat braucht nichts zu tun. Ein „Klassiker“ wäre ein 70jähriger einheimischer langjähriger Taucher, der vielleicht ein paar Medikamente einnimmt wegen a bisschen hohem Blutdruck, a bisschen Cholesterin und a bisschen Übergewicht. Er taucht natürlich wegen seines Rheumas gerne trocken im Kaltwasser und klagt immer wieder über Schwindel oder Präkollapszustände. Vielleicht ist er auch erfahrener Tauchlehrer und man glaubt nicht an irgendwelche Tauchkorrelationen. Diesen Burschen würde ich mal auf KSS untersuchen.

TN: Ist ein Schrittmacher immer eine Option, dieses Problem auszuschalten oder ist sie nur für bestimmte Patiententypen gegeben?
FH: Leider nein, es gibt wie schon gesagt auch Formen wo der Blutdruck abfällt und so die Ohnmacht verursacht. Diese Formen werden durch den Schrittmacher nicht beeinflusst. Desweiteren gibt es komplexere Störungen, die man mit einfachen Schrittmachern nicht beheben kann. Das ist alles recht komplex.

TN: Schrittmacher wurden doch bisher immer in der oberen Brusthälfte implantiert und mussten nach sieben bis acht Jahren ausgetauscht werden. Verstehe ich richtig, dass dieser Schrittmacher direkt im Herzen eingesetzt wird?
FH: Ja genau. Dieser Schrittmacher kommt direkt in die rechte Herzkammer, benötigt keine Kabel und kein Aggregat. Der Eingriff verläuft über eine Leistenvene minimal invasiv wie ein Rechtsherzkatheter. Nach Verlust der Batteriekapazität wird ein zweiter daneben gesetzt, weil man den alten belässt, das hat keine Auswirkungen auf die Hämodynamik.

TN: Was empfiehlst du Sporttauchern zu tun, die den Verdacht auf ein KSS haben weil sie im Karotisbereich druckempfindlich sind und bei engen Halsmanschetten öfter über Beklemmungen oder Schwindel klagen?
FH: Ich würde diesen Tauchern empfehlen, entweder einen erfahrenen Taucherarzt aufzusuchen oder einen erfahrenen Internisten und ihn mit genau dieser Fragstellung zu konfrontieren. Oft sind es ja andere Ursachen. Ich erinnere mich an einen etwas über die Jahre übergewichtigen Taucher, der dann beim Tauchrevival in seinen alten Trocki stieg und mit dem mittlerweile auf Kragengröße 46 angewachsenen Hals sich in die super enge Latexmanschette zwängte. Beim Bücken fürs Zuschnüren der Rockboots gingen dann die Lichter aus. Im Judo wäre das ein Würgegriff, irgendwann werden halt auch gesunde Halsschlagadern beidseits einfach abgedrückt und die Lichter gehen aus. Diesen Taucher mussten wir zwei Minuten beatmen und die Manschette aufschneiden.

Ein anderer Fall war ein Tiroler Bauer, der von der Hofauffahrt zur Bundesstraße am Sonntagvormittag (auf dem Weg zur Kirche) immer wieder geradeaus in die Leitplanke fuhr, weil ihm beim Schulterblick in Kombination mit der Sonntagskrawatte die Lichter ausgingen.

Vielen Dank für das interessante Gespräch. Das Interview führte Harald Apelt/Taucher.Net

Vita Dr.med. Frank Hartig,
internistischer Oberarzt und Intensivmediziner an der Innsbrucker Uniklinik (Schockraum, Notfallaufnahme, Intensivstation, Sonderstation). Taucherarzt, (www.tauchmedizin-tirol.com) Rheumatologe, ICU Flugrettungsarzt. Baujahr Januar 1972, geboren in Konstanz am (besser im) Bodensee, 3 Kinder verheiratet mit Dr. Andrea Köhler (www.diving-concepts.at).

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Frank und Andreas Woche hat 168 Stunden, die es einzuteilen gilt. Franks Lebensmotto: „Entzünde in anderen, was in dir brennt.“ „Was man tut, muss man leben...

Bei Barakuda für technisches Tauchen und Apnoetauchen. Forscht mit Dr. Andrea Köhler beruflich (Uniklinik, Forschungsprojekte, Drittmittelprojekte..) und in der Freizeit über Tauchmedizin und Dekompression. Wenn er dazwischen Zeit hat, fliegt er mit der Tyrol Air Ambulance in der Welt herum und holt Intensivpatienten zurück, darunter auch viele Tauchunfälle.
Frank verbringt ganzjährig forschungsmäßig ca. 250 Stunden unter Wasser bei 4 Grad (Trimix OC oder Trimix CCR) und forscht über tauchmedizinische Aspekte vorwiegend des technischen Tauchens und über extreme Dekompressionsprofile. Dazwischen liebt er das Apnoetauchen, was er früher leistungsmäßig ausübte und scootert nur noch in Apnoe an den Steilwänden herum. Leiter der Tauchlehrerausbildungen im Sporttauchen auf Giglio oder im Achensee. Franks Unterrichtsmotto: „lernen, lachen, schwitzen...

Forschungsschwerpunkte: Gasbreaks in der Sauerstoffdekompression, pulmonale shunts. Extreme Dekompressionen bei U-Boot Rettungen. Moderne Dekompressionsprofile für Mischgastauchgänge bis 100m.
Vorträge und Seminare im In- und Ausland, Tauchlehrerkurse, Buchbeiträge, Publikationen.
sonstige Hobbys: Klettersteig, Skitouren, Meditation, Essen und für die Familie Rezepte schreiben.