Panik beim Tauchen und Vermeidungsstrategien. Köpfchen beim Tauchen

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14.10.2014 09:50
Kategorie: Medizin


"Ich könnte nie tauchen, ich würde unter Wasser Panik bekommen", diesen Satz hören Taucher immer wieder von Passanten, die neugierig zusehen, wenn die Neoprenjünger in den Badesee einsteigen. Unter Wasser Panik zu bekommen – das ist auch eine Angst, die viele Taucher haben.

Bericht von Andreas Nowotny

Von all den vermeintlichen und tatsächlichen Gefahren im Kopf eines Tauchers ist diese wahrscheinlich die diffuseste, es ist die Angst vor der Angst, davor, auf einmal die Kontrolle zu verlieren und als Folge vielleicht sein Leben. Das scheinbare Damoklesschwert "Panik" ist für viele auch deshalb so schwer greifbar, weil es in Schulungsunterlagen und Lehrbüchern überwiegend nur sehr kurz, oberflächlich, wenig greifbar und teilweise schlichtweg falsch dargestellt wird.

Kann man panischen Tauchern noch helfen?

In der Ausbildung wird noch häufig gelehrt, wie man einen Taucher in Panik erkennt, und diesem beisteht. Es wird darüber geschrieben, wie man einen Buddy aus diesem Zustand herausholt und den in Panik Geratenen wieder beruhigt. Dabei sind die gelehrten Symptome wie:

hektische Atmungaufgerissene Augen und starrer Blickunharmonische, fahrige und ineffektive Bewegungen (z.B. beim Flossenschlagen)häufiges, unkoordiniertes Überprüfen der Ausrüstungkeine oder nur sehr verzögerte Reaktion auf den Tauchpartner nicht Anzeichen für eine tatsächliche Panik, aber sehr wohl für eine Vorstufe dazu. Sie zeigen die letzten Momente an, in denen man als Buddy noch wirklich helfen kann – helfen, eine echte Panik zu vermeiden.

Es ist daher zwingend notwendig, sofort zu handeln – und der erste Schritt hierfür ist die Kontaktaufnahme, speziell durch Körperkontakt. Also nahe an den Buddy ran, ihn mit einer Hand greifen, mit der anderen vor seiner Maske das OK-Zeichen geben und Blickkontakt suchen. Wichtig ist, dass man dem Taucher an der Schwelle zur Panik suggeriert, dass man alles im Griff hat, dass er jetzt in guten Händen ist und man sich um ihn kümmert. Deshalb immer wieder das OK-Zeichen geben, nicht als Abfrage, ob der Buddy OK ist (man sieht ja, dass das nicht der Fall ist), sondern als vertrauensfördernde Maßnahme. Als nächstes kontrollieren, ob es irgendeinen direkten Grund für die Furcht gibt, ob er sich irgendwo verhakt hat, ob es Probleme mit der Luft oder sonst etwas gibt, das man direkt beheben kann und muss. Der nächste Schritt ist dann, den Taucher aus der Gefahrenlage ruhig an die Oberfläche zu bringen.

Wichtig!

Der Schlüsselfaktor ist es, eine "volle Panik" zu vermeiden! Denn bei der praktisch immer vorkommenden Panikreaktion "Flucht an die Oberfläche" ist unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung der Selbstgefährdung so gut wie keine direkte Hilfe mehr möglich. Ist ein Mensch in Panik, wird das volle Programm abgespielt, Hilfe von außen erreicht das Bewusstsein zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Daher müssen wir vorher ansetzen, um solche fatalen Reaktionen im Vorfeld einzudämmen und zu unterbinden.

Strategien zur Vermeidung von Panik

Auch wenn viele Taucher davon ausgehen, dass "Panik" eher Unerfahrene trifft, kann ihr jeder von uns zum Opfer fallen. Gerade auch bei Tauchunfällen von erfahrenen Tauchern stellt man immer wieder fest, dass Panik die Ursache für den eigentlichen Unfall, wenn auch nicht der Auslöser war. Daher sollte sich jeder Taucher mit dem Thema beschäftigen und daran arbeiten, Angst und Stress, die beiden Auslöser von Panik, so weit wie möglich zu reduzieren. Dafür gibt es verschiedene Strategien vor dem Tauchgang:

Ausbildung, Training und häufiges Tauchen
Reizüberflutung ist ein wichtiger Auslöser von Angst. Durch Gewöhnung an die Besonderheiten des Aufenthalts unter Wasser, durch die mentale Auseinandersetzung mit der Materie in Kursen und nicht zuletzt durch das Training von Standardsituationen, die insbesondere auch Notfälle mit einschließen, lässt sich diese Reizüberflutung drastisch reduzieren. Vieles läuft dann als gelerntes Programm quasi im Hintergrund ab, während man sich beispielsweise um ein auftretendes Problem kümmert.Die richtige Ausrüstung und der vertraute Umgang damit
Einerseits geht es hier darum, durch die richtige Ausrüstung bestimmte Stressoren wie z.B. Kälte in ihrem Einfluss zu begrenzen, andererseits auch wieder darum, die Bedienung der Ausrüstung aus dem Effeff zu beherrschen und so unnötiges Nachdenken über die Position und Funktionsweise, wie zum Beispiel das Absperren von Ventilen, in einem Notfall zu reduzieren.Die richtige Einstellung
Die Panik spielt sich unter Ausschluss des Bewusstseins ab, aber ihre Vermeidung ist zum großen Teil Kopfsache. Wichtig ist neben dem körperlichen Training auch die mentale Auseinandersetzung mit dem Tauchen. Diese sollte auf drei Wegen geschehen:
- Akzeptanz von irrationalen Ängsten
Wenn man an Ängsten leidet, die nicht rational begründbar und damit einfach zu entkräften sind, sollte man sich selbst und auch seinen Buddys gegenüber ehrlich sein, zu diesen Ängsten stehen und sein Tauchverhalten entsprechend anpassen. Schon bei einer sehr leichten Klaustrophobie müssen jegliche Tauchgänge in Höhlen oder Wracks ein Tabu sein. Bei Angst vor Dunkelheit müssen die Tauchgänge an hellen, lichtdurchfluteten Plätzen im relativen Flachwasser unternommen werden.
- Abbau von übersteigerten Ängsten
auch erfahrenere Taucher können tauchspezifische Ängste haben, die zwar begründbar, aber dennoch übersteigert sind, wie beispielsweise Angst vor Haiangriffen, aber auch die Angst, dass ein Ausrüstungsteil versagt. Hier sollte über die Lektüre von entsprechender Fachliteratur, dazu gehören auch Berichte von Tauchunfällen, ein realistisches Bild über die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens gewonnen werden, um so die Ängste zu reduzieren.
- Analyse von Tauchzwischenfällen
Das Analysieren von Tauchunfällen und Zwischenfällen bei eigenen Tauchgängen dient nicht nur dazu, das Risiko besser einschätzen zu können, sondern auch, um daraus Vermeidungsstrategien im Vorfeld und Handlungsstrategien während des Tauchgangs abzuleiten. Dies bedeutet doppelt vorbereitet zu sein um das realistisch existierende Restrisiko durch eine entsprechende Planung weiter zu reduzieren und für den Fall, dass dann doch etwas passiert, einen vorbereiteten Plan zu haben, den man ohne neu nachzudenken umsetzen kann.


So gut die Vorbereitung auch sein mag, letztlich hängt sehr viel vom Verhalten im Wasser ab.

Auch hier hat es jeder Taucher wieder selbst in der Hand, dass bei etwaigen Problemen keine Furcht aufkommt:

Entspannt tauchen
Neben der geistigen Entspannung, die viele Taucher suchen, sollten sie auch auf die körperliche Entspannung achten. Kein hektisches hin und her flosseln, möglichst ohne Anstrengung tauchen und aktiv auf ruhige und gleichmäßige Atmung achten.Auf die innere Stimme horchen
Gerade in der eigentlich für uns lebensfeindlichen Unterwasserwelt reagiert unser Körper sehr feinfühlig auf die Umgebung und sendet schnell Unwohlsein-Signale, wenn etwas nicht hundertprozentig stimmt. Taucher die während des Tauchgangs stetig in sich hineinhorchen und auf diese Signale achten, können sehr früh darauf reagieren und gegensteuern, bzw. die Situation so verändern, dass sich das Unwohlsein legt.Auf die Instrumente schauen
Panik wird häufig durch reale Luftnot ausgelöst. Eine ebenso einfache wie oft vernachlässigte Methode der Panikvermeidung ist daher, den Luftverbrauch, die Restnullzeit, bzw. die geplanten Dekozeiten und die Tauchtiefe immer im Auge zu behalten und idealerweise mit dem Tauchplan abzugleichen.
Doch trotz aller Vorbereitung passiert es dann – es kommt unter Wasser zu einem Zwischenfall. Normalerweise handelt es sich hier immer zuerst um etwas Kleines. Aber gleich ob scheinbar belanglos oder offensichtlich kritisch, auch hier gibt es klare Handlungsweisen, die das Entstehen von Panik verhindern können:

Ruhe bewahren
Auch wenn es im ersten Moment schwerfällt, in kleinen wie großen Krisensituation ist die eigene mentale Einstellung der Schlüssel zur Vermeidung einer Panik. Wer es schafft, Ruhe zu bewahren, kann im Zweifelsfall den sich selbst verstärkenden Kreislauf der Ängste und des Ansteigens innerer Stressoren wirksam unterbrechen.Innehalten und nachdenken
Bei größeren Problemen besteht die Gefahr, dass man in blinden Aktionismus und Hektik verfällt, bei kleineren, dass man sie nicht genügend beachtet und nebenher beheben will. Dabei sollte man sich in beiden Fällen die gleichen Fragen stellen:
- Was genau ist das Problem?
- Was sind die aktuellen Folgen?
- Was sind potentielle spätere Folgen, wenn das Problem nicht behoben wird / werden kann?
- Was ist die Ursache des Problems?
- Kann ich das Problem allein / mit meinem Buddy lösen?
- Wenn nein, was sind die Alternativmöglichkeiten?


Handeln und das Problem vollständig lösen
Der nächste Schritt ist, in Ruhe das Problem zu lösen. Wichtig ist hierbei, dass jedes Problem (erscheint es auch noch so nichtig) vollständig gelöst wird. Wenn die Maske vollläuft ist die Lösung (ohne viel Nachdenken), sie auszublasen. Wenn dies dauernd geschieht, ist es ein Zeichen, dass etwas Größeres mit der Maske nicht in Ordnung ist. Dieses muss vor dem Weitertauchen behoben sein, denn falls ein anderes Problem auftaucht, muss dieses nicht noch durch eine volllaufende Maske verkompliziert werden.Entscheidung treffen über das Weitertauchen
Nach dem erfolgreichen Lösen eines jeden Zwischenfalls muss der Taucher noch einmal innehalten und über den Zwischenfall und den weiteren Tauchgang nachdenken.

Ist ein sicheres Weitertauchen noch möglich? Ist der Stresslevel durch den Vorfall soweit gestiegen, dass das Gesamtrisiko steigt?

Eine Entscheidung, die jeder für sich treffen muss und die nur nach dem eigenen Befinden und Abwägen getroffen werden sollte. Wie der Buddy zu einem Tauchgangsabbruch stehen würde, ist in diesem Moment unerheblich, denn letztlich wird auch er durch diese Entscheidung geschützt.

Panik ist nichts, das ohne Vorwarnung einfach über den Taucher hereinbricht und dem man hilflos ausgeliefert ist, sondern lässt sich, wie in den vorangegangenen Abschnitten erläutert, in den meisten Fällen wirksam vermeiden. Sie sollte daher auch nicht als Damoklesschwert gesehen werden, das drohend über dem Taucher hängt, sondern als das, was es ist: Ein weiteres durchaus reales Risiko für Taucher, das aber durch sicheres und überlegtes Tauchverhalten, sowohl in der Vorbereitung als auch der Durchführung des Tauchgangs, beherrschbar ist und somit keine große Gefahr darstellt. Dann kann man den neugierigen Passanten am See auch ehrlich antworten: "Panik? Nein, ganz im Gegenteil, ich kann mich unter Wasser so gut entspannen wie sonst nur selten."


Detailinformationen zum Thema:

Stress und seine Bewältigung

Angst und Stress - der Fluch des Tauchens?