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Film impliziert, dass Freitaucher seine Frau tötete
Netflix wurde am Mittwoch wegen des Films "No Limit" verklagt. „No Limit“ ist ein fiktionalisierter Film auf Basis eines realen Unfalls, in dem behauptet wird, dass ein Freitaucher seine Frau bei einem Tauchunfall absichtlich getötet hat.
Der französischsprachige Film basiert auf der wahren Geschichte von Francisco „Pipin“ Ferreras und seiner Frau Audrey Mestre-Ferreras (* 11.8.1974; † 12.10.2002). Die beiden waren Anfang der 2000er wohl das weltberühmteste Paar in der Welt des Freitauchens.
Mestre verunglückte 2002 bei einem Tauchversuch auf 171m in der Dominikanischen Republik, nachdem das Schlittensystem – im speziellen der Ballon der sie an die Oberfläche bringen sollte, nicht funktionierte (siehe auch: Untersuchungsprotokoll zum Tod Audrey Mestres freigegeben)
Der Film erzählt die Geschichte von "Pascal Gautier" und "Roxane Aubrey", einer fiktionalen Version des Paares. Gautier wird als missbräuchlich und eifersüchtig auf Aubreys Erfolg dargestellt. In der Schlussszene deutet der Film stark an, dass Gautier Sabotage am Tauchschlitten (an der Pressluftflasche zum Füllen des Ballons) durchgeführt hat, so dass die Taucherin keine Chance hatte wieder die Oberfläche zu erreichen.
Verleumdungsklage eingereicht
„Pipin“ Ferreras reichte am Mittwoch eine Verleumdungsklage ein und behauptete, der Film stelle ihn als Mörder dar. "Ich weiß nicht, wie Menschen so etwas tun können", sagte Ferreras in einem Interview. "Sie haben die Geschichte umgedreht. Sie haben es so dargestellt, wie sie es wollten. Das hat mich wirklich verletzt."
Ferreras sagte, dass die Macher von "No Limit" ihn nicht kontaktiert haben. Er erzählte, er habe den Film kurz nach seiner Veröffentlichung gesehen und musste nach dem halben Film abbrechen. Unter anderem wurde gezeigt wie Gautier Aubrey beim Sex würgt und wie beide Figuren einander betrügen, was zu einer heftigen Konfrontation kurz vor dem tödlichen Tauchgang führt.
"Als der Film weiterlief, begann ich zu leiden und zu leiden", sagte er. "Alles war sehr beunruhigend. Stellen Sie sich vor, Sie sehen - ohne es zu wissen - einen Film über Ihr Leben und Ihre Geschichte mit Ihrer verstorbenen Frau, und er überrascht Sie auf eine so verletzende Weise...". "Sie haben Audrey so dargestellt, als würde sie mich betrügen", fuhr er fort. "Sie hätte so etwas nie getan, Audrey war ein Engel."
Seit der Veröffentlichung wurde Ferreras nach eigenen Angaben mit anklagenden und teils beleidigenden Kommentaren in den sozialen Medien bombardiert.
Ein fiktives Werk?
Der Film enthält einen Haftungsausschluss, der besagt, dass es sich um ein "fiktives Werk" handelt und dass jede Ähnlichkeit mit realen Personen zufällig ist. Außerdem heißt es dort, dass der Film "von realen Ereignissen inspiriert" ist. Am Ende des Films ist eine Titelkarte mit dem Foto von Mestre und einem kurzen Bericht über ihren Tod zu sehen.
Der Autor und Regisseur David M. Rosenthal sagte in einem Interview mit Variety, dass der Film von Anwälten geprüft wurde, bevor er in Produktion ging, und er glaubt nicht, dass eine Klage gerechtfertigt wäre und seine Filmgeschichte nach den Regel der Kunstfreiheit zu beurteilen sei.
"Dies ist die Fiktionalisierung einer Geschichte, die in der Öffentlichkeit sehr präsent war - von Dokumentarfilmen bis hin zu vielen Artikeln und Büchern über dieses Thema", so Rosenthal. "Was ich geschrieben habe, ist Fiktion, mit fiktiven Charakteren... Ich bin mir sicher, dass Ferreras hier versucht, Geld zu verdienen, indem er Netflix verklagt."
Netflix veröffentlichte den Film im September, und für einige Wochen war er der beliebteste nicht-englische Film auf der Plattform.
Grenzen der Kunstfreiheit
Es gibt mehrere Fälle bei denen Gerichte der Kunstfreiheit Grenzen gesetzt hatten. Das wohl bekannteste Beispiel im Deutschsprachigen Raum ist der Roman „Esra“. Im Jahr 2003 erschien das Buch von Maxim Biller. Der Autor erzählt bis in intimste Details die Liebesbeziehung zwischen Esra und dem Ich-Erzähler, dem Schriftsteller Adam. Der Liebesbeziehung stellen sich Umstände aller Art in den Weg: Esras Familie, insbesondere ihre herrschsüchtige Mutter Lale, Esras Tochter aus der ersten, gescheiterten Ehe, und vor allem Esras passiver schicksalsergebener Charakter.
Auf Klage der ehemaligen Freundin des Autors und deren Mutter, die sich in den Romanfiguren Esra und Lale wieder erkennen und geltend machten, das Buch stelle eine Biographie ohne wesentliche Abweichung von der Wirklichkeit dar, untersagten die Zivilgerichte dem Verlag die Veröffentlichung und Verbreitung des Romans. Der Bundesgerichtshof bestätigte das Verbot.
Ende 2005 legte der Verlag Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot ein. Am 13. Juni 2007 lehnte das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde mit fünf zu drei Stimmen ab. Zur Begründung hieß es, dass der Roman die Persönlichkeitsrechte der Ex-Geliebten Billers mit seiner detaillierten Beschreibung einer Liebesbeziehung verletze. Im Unterschied zu vorhergehenden Instanzen wurde allerdings gleichzeitig betont, dass die Mutter der Geliebten, die sich ebenfalls in einer Figur des Romans wiedererkannte, keinen Unterlassungsanspruch habe.
Der Fall „Esra“ der bis zum Bundesgerichtshof samt Verfassungsbeschwerde ging, zeigt auch wie komplex solche Fälle zu beurteilen sind. Welcher Argumentation sich das Gericht im Fall „Audrey Mestre“ anschließen wird, ist im Vorfeld nicht abzusehen.
Zwei Bücher zum Fall Audrey Mestre veröffentlicht
Ferreras veröffentlichte im Jahr 2004 ein Buch mit dem Titel Tiefenrausch, in dem er nicht nur die Lebensgeschichte seiner Frau, sondern auch ihrer beide Leidenschaft und totale Hingabe zum Apnoetauchen beschreibt.
Im Jahr 2006 erschien Carlos Serras Buch “The Last Attempt: The True Story of Freediving Champion Audrey Mestre And The Mystery of Her Death”. In dem Buch zeigt Serras eine andere Version der Ereignisse und schreibt, dass Francisco und Audrey vor der Scheidung standen. Ferreras soll eifersüchtig auf seine Frau und ihre großen Erfolge gewesen sein. Serra erhebt im Zusammenhang mit dem Unfall schwere Vorwürfe gegen Ferreras, dieser soll die Ausrüstung seiner Frau manipuliert haben. Serra gehörte ebenfalls dem Team des letzten Tauchgangs von Audrey Mestre-Ferreras an und war ein ehemaliger Partner der Weltrekordlerin.
Eine "klare und verabscheuungswürdige Verleumdung“
In einer Erklärung sagte Rufus-Isaacs, der Anwalt von Ferreras, dass die Macher von "No Limit" eine "klare und verabscheuungswürdige Verleumdung" begangen hätten.
"Filmemacher können nicht einen Film über eine reale Situation drehen und einfach ein paar Namen ändern und ihn als Fiktion ausgeben, um der Haftung für Verleumdung zu entgehen", sagte er. "Ich bin erstaunt, dass die Anwälte der Beklagten ihnen nicht nachdrücklich davon abgeraten haben, dies zu tun. Ich kann mir vorstellen, dass die Geschworenen Pipin einen sehr hohen Schadenersatz zusprechen werden." Eine Stellungnahme von Netflix steht bisher aus.
Siehe auch:
Meldung vom 13.10.2002: Audrey Mestre bei Rekordversuch ums Leben gekommen
Forum-Eintrag vom 20.02.2003: Untersuchungsprotokol zu Audrey Mestres Tod freigegeben