Der schiefe Fischkopf: Wie Gene und Verhalten das Rätsel der Symmetrie lösen

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31.07.2025 06:37
Kategorie: News

Ungewöhnlicher Buntbarsch zeigt, wie Gene und Verhalten Körperform beeinflussen

In der Natur sind die meisten Tiere äußerst symmetrisch gebaut. Bei Menschen, Vögeln oder Säugetieren lassen sich oft links und rechts kaum voneinander unterscheiden, die Körperhälften sind nahezu spiegelbildlich. Doch es gibt Ausnahmen, die dieses Bild sprengen…

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Ein Beispiel dafür ist der Buntbarsch Perissodus microlepis, der im Tanganjikasee in Afrika beheimatet ist und dessen Kopf – genauer gesagt das Maul – seitlich stark verschoben ist. Dieser ungewöhnliche Fisch hat einen „schiefen Kopf“, der nach links oder rechts gebogen ist. Wie sich herausgestellt hat, ist diese asymmetrische Kopfform nicht nur eine optische Besonderheit, sondern eng mit seinem Verhalten und den zugrunde liegenden Genen verbunden.

Doch warum sollte ein Fisch so ungewöhnlich gebaut sein? Und welche Bedeutung hat diese Erscheinung für sein Überleben? Ein Team von Forschern um Axel Meyer von der Universität Konstanz hat diese Fragen genauer untersucht. Ihr Ziel war es, herauszufinden, welche genetischen Mechanismen für diese asymmetrische Körperform verantwortlich sind, und wie sich Verhalten und Morphologie gegenseitig beeinflussen. Die Ergebnisse ihrer Studien sind beeindruckend und werfen neues Licht auf die komplexen Zusammenhänge zwischen Genetik, Verhalten und Evolution.

Das ungewöhnliche Beuteschema des Buntbarsches

Der Perissodus microlepis ernährt sich anders als die meisten anderen Fischarten. Er lebt vom Abbeißen der Schuppen anderer Fische, die er dabei torpedoförmig von hinten angreift. Das Besondere: Die Schuppen werden an der Seite abgezogen, von der der Buntbarsch sein Maul ausgerichtet hat. Das bedeutet, dass der Fisch entweder bevorzugt von rechts oder von links angreift – eine Präferenz, die eng mit der seitlichen Verschiebung seines Kopfes verknüpft ist. Die meisten Populationen bestehen aus einer fast ausgeglichenen Mischung von „Rechtsköpfern“ und „Linksköpfern“, wobei sich das Verhältnis im Laufe der Jahre alle vier bis fünf Jahre nach oben oder unten verschiebt, aber langfristig um die Hälfte pendelt.
Diese Schwankungen erklärt die Wissenschaftlerin Xiaomeng Tian mithilfe eines faszinierenden Mechanismus: Ist die Zahl der Linksköpfer hoch, wird die Beute auf die Seite achten, die mehr von diesen Fischen angegriffen wird – die rechte Seite der Beutefische wird also verstärkt beobachtet und verteidigt. Das wiederum bringt die Rechtsköpfer im Vorteil, und das Gleichgewicht zwischen den beiden Gruppen bleibt gewahrt. Dieses Phänomen nennt man frequenzabhängige Selektion. Es sorgt dafür, dass keine der beiden Varianten dauerhaft die Oberhand gewinnt, sondern ein dynamisches Gleichgewicht besteht.

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Warum ist die Kopfform überhaupt asymmetrisch?

Der nächste Schritt der Forscher war es, das genetische Ränkespiel hinter der asymmetrischen Kopfform zu entschlüsseln. Sie analysierten 102 Exemplare des Buntbarschs – führten umfassende Genomanalysen durch und erstellten mit moderner Morphi-technik 3D-Bilder der Fische. Dabei konnten sie 72 genetische Regionen feststellen, die mit der seitlichen Verschiebung des Kopfes in Zusammenhang stehen.
„Früher ging man davon aus, dass es sich bei diesem Phänomen um ein einfaches, mendelsches Merkmal handelt“, erklärt Axel Meyer. Doch die Untersuchungen zeigen: Es ist deutlich komplexer. Nicht nur ein Gen, sondern eine Vielzahl von Genen verteilt im ganzen Genom beeinflussen die Entwicklung der asymmetrischen Kopfform. Jedes einzel­ne Gen wirkt nur minimal, zusammen führen sie zu dem markanten Seitenschiefstand.

Huhn oder Ei? Was war zuerst da?

Eine weitere spannende Frage lautete: Was war zuerst da – die asymmetrische Kopfform oder die Verhaltenspräferenz beim Angriff? Hier vermuten die Wissenschaftler, dass beides gleichzeitig entstanden ist und sich gegenseitig verstärkt hat. Die genetischen und neurobiologischen Untersuchungen am Gehirn deuten darauf hin, dass die Richtung der Angriffspräferenz auf eine asymmetrische Aktivierung der Gene im Gehirn zurückzuführen ist. Das bedeutet, dass die genetischen Mechanismen sowohl die körperliche Form als auch das Verhalten beeinflussen und somit in einer Wechselwirkung stehen. Diese enge Verbindung zwischen Körper und Verhalten zeigt, wie komplexe evolutionäre Prozesse ablaufen können: Sie sind nicht nur das Ergebnis einzelner Gene, sondern entwickeln sich durch ein Zusammenspiel verschiedener biologischer Faktoren, die sich gegenseitig verstärken und anpassen.

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Fazit: Ein komplexes Zusammenspiel aus Genetik und Verhalten

Die Studie von Axel Meyer und seinem Team beweist, dass die asymmetrische Kopfform des Buntbarschs nicht durch ein einzelnes Merkmal erklärt werden kann. Stattdessen basiert sie auf einer Vielzahl von genetischen Regionen, die gemeinsam eine komplexe Anlage bilden. Gleichzeitig beeinflusst das Verhalten – also die Präferenz beim Angreifen – die Entwicklung dieser Körperform. Beide Aspekte sind eng miteinander verbunden: Gene bestimmen, wie das Gehirn arbeitet und wie der Körper gebaut wird, während Verhaltensweisen die Morphologie prägen. Damit liefert die Forschung ein faszinierendes Beispiel für die vielfältigen Wege, auf denen biologisches Gleichgewicht und Anpassung in der Natur funktionieren.

Insgesamt zeigt dieses Beispiel, wie evolutionäre Prozesse auf eng verwobenen genetischen und verhaltensbasierten Faktoren beruhen. Es ist ein Beweis dafür, dass Körper und Verhalten in einem dynamischen Austausch stehen, der Tieren hilft, sich an ihre Umwelt anzupassen und Überlebenschancen zu maximieren. Der schiefe Fischkopf des Perissodus microlepis ist somit mehr als nur eine ungewöhnliche optische Erscheinung – er ist ein Fenster in die komplexe Welt der evolutionären Entwicklung und der genetischen Wechselwirkungen.