Das Wrack der "Baron Gautsch"

Teile:
14.01.2009 18:21
Kategorie: Diverses

Ein Tauchgang in die österreichische Geschichte

Langsam beginnt sich etwas unter uns aus dem Blaugrün des Meeres zu schälen. Etwas Riesiges. Der Tiefenmesser zeigt 20 Meter an. Mit jedem Meter, den wir nun tiefer tauchen, werden die Schemen immer klarer strukturiert. Wir sind besonders penibel an der Bojenleine abgetaucht. Gestern erst wurden Taucher eines anderen Tauchbootes von der starken Strömung abgetrieben. Sie hatten die Leine als Orientierungshilfe verloren und wurden mehr zufällig eine halbe Seemeile entfernt gefunden.

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Bericht von Harald Mathä

Neben mir sehe und höre ich meinen Tauchkameraden Helmut. Wir tauchen tiefer. In der dunklen Tiefe konkretisiert sich die riesige Struktur weiter. Aus vagen Umrissen erkennt man in 25 Metern Tiefe nun bereits klar die Abschnitte des Schiffswracks. Nur mehr wenige Meter befinden wir uns über der "Baron Gautsch". Oberdeck und Rumpf sind klar zu erkennen. Rechts neben uns ragt ein Davit ins Leere. Wurde von hier ein Rettungsboot erfolgreich zu Wasser gelassen und konnten sich Menschen retten? Oder wurde er nur bei der gewaltigen Explosion aus seinen Halterungen gerissen und das Rettungsboot schleuderte ins Meer, wo es nutzlos versank?

Rückblick 1914

Österreich-Ungarn war zu dieser Zeit eine riesige Monarchie die sich von Zentraleuropa weit nach Süden und Osten ausdehnte. Auch weite Teile des heutigen Kroatien gehörten zu diesem riesigen Reich.

Nach den tödlichen Schüssen auf den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo erklärte Österreich-Ungarn den Serben den Krieg. Dieses Attentat war der Funke, der ein Pulverfass zünden sollte. Aus den innen- und außenpolitischen Spannungen Europas sollte sich der 1. Weltkrieg entwickeln. Doch war aber der Flächenbrand für die Bevölkerung nicht als solches erkennbar. Im Gegenteil! Im ersten Kriegsjahr herrschte eine wahre Kriegseuphorie. Junge Männer zogen mit Blumen an Stock und Hut zu den Stellungskommissionen. Jeder wollte unbedingt dabei sein, wenn das Heer der kuk Monarchie einen schnellen Sieg erfocht. Am Straßenrand jubelten die Menschen, wenn die jungen Rekruten im zackigen Gleichschritt aus den Kasernen zu den Bahnhöfen marschierten. Viele- sehr viele - sollten ihre Heimat nie wieder sehen.

Die "Baron Gautsch" war gegen Mittag jenes verhängnisvollen 13. August 1914 von Lussin Grande (heute Veli Losinj) aus nach Triest unterwegs. Die Ankunft in Triest war für 18 Uhr geplant. Das Schiff sollte sein Ziel aber nie erreichen. Ein heiterer, friedlicher Tag. Wahrscheinlich schien an jenem Augusttag die Sonne. Kinder liefen vergnügt die breiten Gängen entlang und spielten Fangen. Im Speisesaal wird eben das Mittagessen aufgetragen.

Informationen zur Baron Gautsch

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Namensgeber: Baron Paul Gautsch von Frankenthurn (k.u.k. Innenminister)
Stapellauf: 1907
Gesunken: 13. August 1914
Ursache: Seemine
Typ: Passagierschiff
Indienststellung: 1908
Werft: Gourlay Bros& Co. Ltd. Dundee
Eigner: Österreichischer Lloyd, Triest
Schwesterschiffe: Prinz Hohenlohe und Baron Bruck
Länge: 85 Meter
Breite: 12 Meter
Verdrängung: 2100 BRT
Tiefe: 28 bis 40 Meter
Position: Einige Seemeilen vor der Küste zwischen Rovinj und Pula
GPS: 44° 56' 25" N, 13° 34' 40" E

Kapitän Winter übergab am frühen Nachmittag das Kommando an seinen I. Offizier Luppis und ging auf ein Mittagsschläfchen in seine Kabine. Luppis wiederum delegierte das Kommando unerlaubt an den II. Offizier Tenze. Gegen 13:45 verlies Luppis die Brücke, um mit den Gästen der 1. Klasse zu speisen. Eben erst war man an der Südspitze der Halbinsel Istrien vorbeigefahren und hatte den kuk Kriegshafen von Pola (heute Pula) passiert. Ein Kriegshafen, der gegen feindliche Eindringlinge erst vermint worden war. Knapp unter der Wasserfläche lauerten unzählige dieser kugelrunden Höllendinger. Nach allen Seiten ragten wie Seeigelstachel ihre Zünder, welche die Minen sofort explodieren ließen, sobald sie nur fest genug angestoßen würden.

Kurz vor 3 Uhr Nachmittag beendet eine gewaltige Explosion jäh den Frieden an Bord. Die "Baron Gautsch" war direkt in das Sperrminenfeld gefahren! Das Schiff wird hochgeworfen. Flammen und Gischt steigen hoch. Menschen und Gegenstände werden durcheinander geworfen. Dem ohrenbetäubenden Lärm folgt unheimliche Stille. Diese wird von einer weiteren Explosion Augenblicke später abrupt beendet. Ein Dampfkessel war geplatzt. Heißer Dampf hüllt nun das Schiff ein, das immer weitere Schräglage einnimmt. Tankwagenladungen an Wasser strömen nun jede Minute durch das in das Schiff gesprengte Loch ein. Besatzung und Passagiere strömen an Deck. 306 Menschen versuchen sich verzweifelt zu retten! Augenzeugen berichteten von unglaublichem Chaos und einer Mannschaft, die nur ihre eigene Rettung vor Augen hatte. Nur noch sieben Minuten soll sich die "Baron Gautsch" an der Wasseroberfläche halten, bevor sie sinkt.

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Ein neuer Lebensraum in der Tiefe

Nach einem weiteren OK setzen wir unseren Tauchgang fort. Vor uns erhebt sich das stählerne Skelett der Brücke. Die einstigen Verkleidungen aus Holz sind heute längst verrottet. Statt blankgeschrubbte Deckplanken, die in der Sonne glänzen blickt man heute auf grau-grün bewachsene Stahlstreben. Erst im Licht der Tauchlampe erblickt man plötzlich Farben. Viele Farben! Rot, Gelb-, Grün- und Orangetöne. Moostierchen, Schwämme und Muscheln haben das Wrack längst für sich als neuen Lebensraum entdeckt und seit Jahrzehnten besiedelt.

Das Licht aus Helmuts Tauchlampe blendet mich kurz von der Seite. Er will mich auf etwas hinweisen. Er deutet ins Schiffsinnere. Im Licht der Lampen blitzt es dort immer wieder auf. Ein Schwarm von Meerbarben. Sie finden hier im Wrack Schutz vor den Netzen der Fischer. Abgerissene Fischernetze finden sich auch am Wrack. Uralte, bewachsene, aber auch solche jüngeren Datums. Diese stellen für Taucher eine Gefahr dar. Gerät man in ein solches, verheddert sich die Ausrüstung darin und man hängt darin fest, fast wie eine Fliege in einem Spinnennetz. Mit jeder Bewegung wird der Klammergriff fester. Zwar lauert hier keine Spinne, aber eine solche Situation kann schnell gefährlich werden.

Vorsichtig tauchen wir an den Netzen vorbei zur verabredeten Stelle, an der man tief in den Bauch des Schiffes eindringen kann. Der einstige Abgang in die Mannschaftsquartiere ist heute nur mehr ein schwarzes Loch. Die Treppe ist längst verrottet. Vorsichtig dringt Helmut als erster in diese unheimliche Öffnung ein. Ich folge ihm. Ohne starke Unterwasserlampen würde man hier, im ewigen Dunkel, absolut nichts sehen. Jeder Flossenschlag muss sehr behutsam erfolgen, um kein Sediment aufzuwirbeln, das die Sicht in Sekunden auf Null einschränken würde. In einem engen Gang in fast 40 Meter unter der Wasseroberfläche könnte dies rasch fatal enden! Nach wenigen Metern erreichen wir eine Tür. Der Lichtstrahl des Scheinwerfers erhellt das Dunkel der Kajüte. Licht und Schatten flackern unheimlich. Außer einigen Trümmern am Boden ist hier wenig zu entdecken. So auch in den folgenden Kajüten. Eine bewachsene Bassena (Waschbecken) am Gang erinnert an Wiener Zinshäuser zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Hier schliefen die einfachen Matrosen und die niederen Mannschaftsklassen. Ein Stück weiter ist schon mehr zu erkennen. Eine alte Badewanne. Wer mag in dieser gebadet haben? Sicherlich ein Offizier, wenn nicht sogar der Kapitän selbst. Helmut entdeckt in einer Ecke etwas und fotografiert es. Ich kann den Gegenstand nicht identifizieren. Erst zurück am Tauchboot erkenne auch ich dass es sich um einen alten Stiefel handelt. Wem gehörte dieser Stiefel? War er zurückgelassen worden? Oder ist er der letzte Überrest eines Menschen, der mit dem Schiff unterging?

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Verschluckt von der grünblauen Adria

Die Baron Gautsch sank innerhalb von nur sieben Minuten. Für ein zu Wasser lassen der Rettungsboote war also nur wenig- oder zu wenig Zeit. Augenzeugen berichteten vom Chaos an Bord. Für die Seeleute, die sich bei den Kesseln oder Maschinen befanden, war die Explosion der Mine Mittschiffs wahrscheinlich sofort tödlich. Wer sich verletzt nicht selber retten konnte, wurde vom Wasser ertränkt, das durch das riesige Loch im Rumpf des Schiffes eindrang und pro Minute um mehr als einen Meter stieg. Nur etwas mehr als eine Zigarettenlänge nach der Explosion war die Baron Gautsch von der grünblauen Adria verschluckt worden.

An der Oberfläche trieben Trümmer. Menschen versuchten sich verzweifelt an ihnen festzuklammern. Manch einen verließ die Kraft und auch er folgte dem Schiff ins nasse Grab. Obwohl zwei in der Nähe befindliche österreichische Kreuzer sofort Fahrt aufnahmen und mit Volldampf zur Unglücksstelle eilten, forderte das Unglück 147 Menschenleben. Österreicher und Ungarn. Kroaten und Serben. Italiener und Böhmen. Soldaten und Zivilisten. Männer, Frauen und Kinder. Reiche und Arme. Aus einer unbeschwerten Fahrt wurde fast schon in Sichtweite des Reiseziels innerhalb von Sekunden eine gewaltige Katastrophe. In Österreich-Ungarn wurde die Tragödie vertuscht. Die Kriegseuphorie sollte nicht getrübt werden. Nur in Zeitungen in Triest und Pola fanden sich Informationen darüber sowie Vermisstenlisten. Weitere zivile Tragödien zur See durch Minen sollten ebenso folgen, wie ganz Europa in den Abgrund eines schrecklichen Krieges gerissen werden sollte. Aber davon hat man im Sommer 1914 noch nichts geahnt.

Im Sommer 1994 gedachten Veteranenverbände gemeinsam an dieses Unglück. Kränze wurden dem Wasser übergeben und Taucher brachten am Wrack eine Plakette an, die künftig die Besucher an dieses Unglück erinnern soll.

Durch einen weiteren Gang gelangen wir in einen weiten Raum, in den nun auch von oben durch Löcher Licht einfällt. Nach einer scheinbaren Ewigkeit im Dunkeln ist dies wie eine Waldlichtung für uns. Doch der Blick auf den Tauchcomputer verrät: Wir waren nur weniger als 15 Minuten im finsteren Bauch des Schiffes unterwegs gewesen.

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Der Raum hier war der Speisesaal 1. Klasse. Hier speiste der I. Offizier mit den Gästen, als das Unglück geschah. Wer konnte sich von hier retten? Was mag sich hier abgespielt haben, als die Mine explodierte? Viele Fragen gehen einem bei so einem Tauchgang durch den Kopf. Dennoch darf nie der Blick auf das Finimeter fehlen. Dessen Nadel nähert sich schon bedenklich der 100 bar Marke. Diese verbleibende Reserve soll Notfällen vorbehalten bleiben. So tauchen wir durch eine der Öffnungen hinaus aus dem Wrack in das grüne Freiwasser. Nach wenigen Flossenschlägen sehen wir am Wrack eine Muschelverkrustete Plakette. Jemand hat einen kleinen Strauss an Plastikblumen zwischen die Tafel und den Stahlträger gesteckt. Ein kurzes Innehalten. Am Bug steigen wir am weißen Bojenseil entlang mit vielen Eindrücken wieder langsam ins Licht, zur Wasseroberfläche auf.

Die Mine, durch die das Schiff versenkt wurde, war eine österreichische Mine. Der Kapitän schlief in seiner Kabine. Sein I. Offizier speiste mit den Gästen. Diese beiden Männer waren vor der Fahrt mündlich über die genaue Lage des Minenfelds informiert worden. Schriftliche Aufzeichnungen darüber waren aus Geheimhaltungsgründen verboten. Der am Steuer stehende II. Offizier war offenbar heillos überfordert. Seine Leiche wurde Tage später an die Küste geschwemmt. Mit einer Kugel im Kopf. Er dürfte sich noch auf dem untergehenden Schiff erschossen haben. Kapitän Winter und sein 1. Offizier Luppis überlebten das Unglück. Die Gerichtsverhandlung fand 1917 statt. Trotz fahrlässigen Verhaltens standen aber beide Männer nach dem Krieg wieder auf den Gehaltslisten der Lloyd Adriatico.

Zusammenfassung

Das österreichische (eigentlich k.u.k.) Passagierschiff "Baron Gautsch" sank 1914 vor der Ostküste von Istrien (Kroatien). Untergangsursache war eine Mine, auf die das Schiff liegt. Heute liegt das Wrack auf ebenen Kiel in 40 Metern Tiefe. Die "Baron Gautsch" gilt als "schönstes" und interessantestes Wrack der Region. Dieser Beurteilung können wir nur zustimmen.

Weitere Informationen:
Tauchplatz 'Baron Gautsch' auf Taucher.Net