Das Risiko taucht mit

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05.10.2017 08:39
Kategorie: Medizin

Tauchunfall mit Folgen

Kuredu Island im nördlichen Teil des Lhaviyani-Atolls (Malediven), bekannt für seine traumhaften Tauchspots. In ca. 40 Minuten erreicht man die 150 km vom Flughafen Male entfernte Insel. Doch an diesem Tag gab es keine erfreulichen Nachrichten aus dem Paradies...

Marion B., eine erfahrene 54-jährige Taucherin aus der Nähe von Wiesbaden mit über 200 Tauchgängen, und ihr Ehemann genießen ihren Urlaub zusammen mit einem befreundeten Ehepaar. Vier Tage auf der Insel Biyadoo, bevor es für 10 Tage auf ein Safari-Boot gehen soll.

Marion unternimmt zusammen mit der Safariboot-Gruppe um die 3 Tauchgänge pro Tag. Doch Marion fühlt sich nach und nach zunehmend müde und entdeckt seltsame Flecken auf ihrem Körper, denen sie aber keine große Beachtung beimisst. „Ich dachte, das wäre eine Sonnenallergie oder so was“, sagt Marion heute. Ohne die bekannten „Taucherflöhe“ erkennt Marion die ersten Warnzeichen nicht.

Am dritten Tag und nach dem dritten Tauchgang (auf ca. 30 Meter Tiefe mit Nitrox) passiert es: als Marion nach dem Tauchgang mit dem Dhoni wieder zurück zum Safari-Boot fährt, bekommt sie plötzlich einen starken Krampfanfall und wird bewusstlos. Marions Bekannte sowie die Crew leisten sofort Erste Hilfe und verabreichen Sauerstoff. Keiner weiß was passiert ist, denn es scheint ein unauffälliger Tauchgang ohne besondere Vorkommnisse gewesen zu sein. Das Boot macht sich umgehend auf den Weg zur Insel Kuredu, wo Marion erneut einen Krampfanfall erleidet. Die Situation ist ernst...

Der Anruf auf der aqua med Notrufhotline geht durch den behandelnden Arzt von Kuredu Island ein. Er berichtet dem aqua med Arzt, die Patientin sei in einem sehr schlechten Zustand, sodass er eine weitere Behandlung vor Ort nicht vertreten könne. Marion ist nur bei eingeschränktem Bewusstsein, hat kaum Orientierung und weist schlechte Vital-Parameter vor. Mit dem letzten Wasserflugzeug des Tages wird Marion in das kleine Inselhospital auf die Insel Male gebracht, wo eine Hirnblutung mittels CT ausgeschlossen werden soll. Doch auch hier sind keine optimalen Voraussetzungen für Marions weitere Behandlung gegeben. Gemeinsam wird entschieden, Marion unter anästhesiologischer Begleitung und Sedierung zusammen mit ihrem Mann umgehend zur Behandlung in die Druckkammer nach Bandos zu bringen. Die Entscheidung fällt auf eine Behandlung nach Tabelle 6 (ca. 5 Std. mit einer maximalen Behandlungstiefe von 18 Metern) mit Verlängerung auf insgesamt 8 Stunden. Zu dieser Zeit arbeitet ein erfahrener Druckkammerarzt aus Deutschland in dem Krankenhaus; der Austausch und die Behandlungen erfolgen reibungslos.

Doch Marions Zustand verbessert sich nicht wie erhofft. Die Haut zeigt deutliche Anzeichen einer DCS (Cutis marmorata = fleckige, marmoriert aussehende Haut), was einen Tauchunfall immer wahrscheinlicher erscheinen lässt. Marions rechte Körperhälfte ist gelähmt, sodass auch ein Schlaganfall nicht komplett ausgeschlossen werden kann. Als der behandelnde Arzt vor Ort Marions Ehemann auf das Schlimmste vorbereitet und ihm berichtet, dass seine Frau höchstwahrscheinlich eine bleibende Behinderung (Sprachverlust und eine halbseitige Lähmung) davontragen wird, ist dies ein riesiger Schock!

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Marion wird per Boot in die ca. 20 Minuten entfernte internationale Klinik nach Male transportiert, in der sie auf die Intensivstation verlegt wird. Da Marions Ehemann kein Englisch spricht, übernimmt der aqua med Arzt an der Hotline alle weiteren Abstimmungen mit den behandelnden Ärzten vor Ort.

Neben der akuten Behandlung gilt es jetzt, den Rücktransport nach Deutschland zu planen und die bereits angefallenen hohen Kosten zu begleichen. Die aqua med Hotline ist auf Hochbetrieb, das Office in Bremen wird hinzugeschaltet und alle Hebel in Bewegung gesetzt – das Notfallmanagement ist in vollem Gange. Ein Ambulanzflieger von Male mit dem Ziel Frankfurt am Main wird organisiert und Marion unter ärztlicher Begleitung auf den Heimtransport vorbereitet.

Durch die Druckkammerbehandlung ist der Stickstoff weitestgehend aus Marions Körper verschwunden, auch wenn sie sowohl sensorisch als auch motorisch noch extrem stark eingeschränkt ist. Doch bereits auf dem Flug hat sich die Lähmung des rechten Armes gebessert und Marion kann bereits eine Wasserflasche öffnen – ein großer Erfolg!

Der Weitertransport vom Flughafen in die Klinik wird ebenso organisiert wie die Übermittlung der notwendigen medizinischen Berichte zur Weiterbehandlung in der deutschen Klinik. Gleich nach der Landung wird Marion in eine neurologische Fachklinik gebracht.

Nach 12 Tagen kann sie das Krankenhaus verlassen. In der folgenden Reha-Behandlung übt Marion wieder zu gehen und muss auch Dinge des alltäglichen Lebens von Neuem erlernen. Die Ärzte bescheinigen Marion große Fortschritte, sie kämpft sich buchstäblich zurück ins Leben. Dass die Genesung so gut vorangeht grenzt nahezu an ein Wunder, denn die Ärzte im Krankenhaus stellen bei Marion in der bildgebenden Diagnostik über 50 sogenannte „weiße Läsionen“ sowie ein „PFO“ (persistierendes Foramen ovale) fest.

Nach 5 Wochen wird Marion aus der Reha entlassen und kann wieder nach Hause. In der anschließenden ambulanten Rehabilitationsbehandlung macht Marion weiter gute Fortschritte. Das PFO wird mit einem Schirmchen operativ verschlossen (siehe auch: PFO, Diagnostik und Therapie). Marion macht den ersten Tauchgang nach ihrem Unfall in Begleitung eines aqua med Arztes im Tauchturm Siegburg. Dieser führt bei ihr auch eine Tauchtauglichkeitsuntersuchung durch und kann Marion eine eingeschränkte Tauchtauglichkeit (nach Maßgaben des Low-Bubble-Divings) attestieren.

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Dass Marion am Ende großes Glück hatte, weiß sie. „Ich hatte aber zu keinem Zeitpunkt Angst, dass es nicht wieder werden wird. Auch nicht auf den Malediven. Ich habe mir nur gedacht, das schaffe ich schon wieder!
Heute geht es Marion wieder relativ gut und im Herbst wird sie nach Ägypten reisen, aber „meinem Mann zuliebe werde ich mich mit wenigen Tauchgängen zufrieden geben“, sagt Marion lächelnd.

Interview

In einem Interview erzählt uns Marion: „Mein Unfall und der ganze Ablauf danach haben mir gezeigt, dass aqua med viel mehr bietet als Versicherungsleistungen. Ich möchte sie gar nicht mit einer Versicherung vergleichen. Eine Versicherung hätte wohl erst mal nach einem Grund gesucht, meine Kosten nicht zu bezahlen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, den Unfall bei meiner Auslandskrankenschutz-Versicherung zu melden. Bei der Erstmeldung muss man das Glück haben auf einen Kollegen mit Mitarbeiterberechtigung zu treffen, was in meinem Fall ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre.

Doch der wichtigste Gesichtspunkt bei aqua med ist der menschliche Aspekt. Die persönlichen Kontakte mit den Mitarbeitern und Ärzten war für mich ein unbeschreiblich schönes Gefühl! Das war und ist für mich eine große Motivation, die mich auf meinem langen Weg der Genesung positiv begleitet hat. Mit dieser Betreuung und Unterstützung nach dem Unfall habe ich wirklich nicht gerechnet. Wie das ganze ohne aqua med gelaufen wäre, möchte ich mir nicht vorstellen. Ich bin stolz, dass die dive card von aqua med zu meinen wichtigsten Utensilien des Tauch-Equipments gehört.

Mein Mann Günter hat bei diesem Unfall einen gewaltigen Schock erlitten. Er hat zwar gemerkt, dass ich in den besten Händen war, jedoch war er mit der Situation mehr als nur überfordert. Da konnten ihm Telefonate mit unseren Freunden und der Familie nur wenig helfen. Wenn wir die professionelle und menschliche Hilfe sowie den seelischen Beistand von aqua med nicht gehabt hätten, sähe die Situation heute ganz anders aus. Vielen Dank nochmals an dieser Stelle für alles!

Definitionen

PFO: patentes oder persistierendes Foramen ovale
patent / persistierend: fortbestehend
foramen: Loch / Öffnung
ovale: oval

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Ein persistierendes Foramen ovale ist demnach ein – aus der Embryonalzeit – fortbestehendes ovales Loch. Es ist im Herz zwischen dem rechten und dem linken Vorhof lokalisiert. Bei ca. einem Viertel der Menschen (20-30 %) erfolgt der Verschluss im ersten Lebensjahr nur unvollständig und bleibt offen – etwa so wie eine angelehnte Tür: das PFO. Kleinste Mikroembolien gelangen durch das „offene Loch“ vom rechten Herzen in die linke Herzhälfte (Shunt) und somit in die arterielle Blutbahn. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Vorhandensein eines PFO die Ursache der Tauchzwischenfällen wie einer DCS ist, sondern eher, dass es ein potentielles Risiko darstellt. Die Ursachen sind immer Stickstoffblasen! Deshalb ist low bubble diving sinnvoll.

Low bubble diving

Bei jedem Tauchgang tiefer als 10 Meter treten kleinste Stickstoffbläschen auf, die normalerweise über die Lunge abgeatmet werden. Durch Anpassung des Tauchprofils und empfohlene Verhaltensmaßnahmen an Land versucht man einerseits die Bildung von diesen Mikroblasen (Microbubbles) beim Tauchen so weit wie möglich zu verringern und andererseits das Risiko eines Übertritts von der venösen auf die arterielle Seite durch Shunts (Kurzschlussverbindungen) zu verringern. Ziel ist es damit das Risiko einer DCS so gering wie möglich zu halten. Die Schweizer Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (SUHMS) hat hierfür eindeutige Regeln und Richtlinien für das low bubble diving aufgestellt.

Weiße Läsionen

Als weiße Läsionen werden bestimmte Veränderungen im Gehirngewebe bezeichnet, die sich in der bildgebenden Diagnostik (CT oder MRT) zeigen. Es sind Schädigungen oder Narben, die bildmorphologisch einem Schlaganfall entsprechen, aber zu keinen erkennbaren Symptomen geführt haben. Stumme Hirninfarkte sind 5x häufiger als offensichtliche Schlaganfälle. Der Patient weiß also nicht, dass er einen „kleinen Schlaganfall“ durchgemacht hat. Stumm bleiben solche Infarkte meist, weil sie Hirnregionen betreffen, in denen die Schädigung zu keinen offensichtlichen Symptomen führt. Bei Tauchern interpretiert man die Läsionen als Zeichen von statt gehabten Mikroembolien durch Gasbläschen.

Unfallanalyse

Generell sollte beim Tauchen eine konservative Planung und Durchführung der Tauchgänge praktiziert werden. Die Richtlinien des low bubble diving sind auch für den normalen Sporttaucher eine gute Maßgabe um immer sicher und konservativ zu tauchen.

Was hätte Marion anders machen können?

Neben dem PFO als ein Risikofaktor, der im Vorfeld nicht bekannt gewesen ist, hätte sie trotzdem ein paar Dinge anders machen können:

1.Beim Auftreten von Symptomen, auch wenn sie anfangs sehr gering sein können (leichter Juckreiz, Flecken), sollte auch bei entspannten Tauchgängen an eine DCS gedacht werden. Taucht man trotz leichter Symptome weiter, können diese und die Areale der Minderdurchblutung durch die weitere Stickstoffbelastung potenziert werden.

2. Jeder Körper hat ein unterschiedliches Entsättigungsverhalten von Stickstoff. Der Tauchcomputer kann einem einen guten Anhaltspunkt dafür geben, allerdings berücksichtigt er weder Alter, Gewebedurchblutung noch äußere Umwelteinflüsse. Schon bei wenigen Wiederholungstauchgängen unterscheiden sich Tauchcomputer erheblich in ihrer Nullzeitberechnung, sodass man trotz nicht angezeigter Dekopflicht diese vielleicht schon erreicht hat.

3. Auf den Malediven herrschen tropische Verhältnisse, sodass man auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten muss. Dies fällt gerade Taucherinnen meist sehr schwer. Marion war sicherlich dehydriert, was die Entsättigungskinetik weiterhin erheblich verschlechtern kann.

4. Die Tauchgangsplanung war trotz Nitrox eher suboptimal. 3 Tauchgänge um die 30 m sättigen den Körper mit Stickstoff auf. Macht man Wiederholungstauchgänge im Rahmen einer Safari sollte man Sicherheiten einplanen. Mit dem tiefsten Tauchgang beginnen, längere Oberflächenpausen machen und von Tauchgang zu Tauchgang die Tauchtiefe verringern.
Bei Tauchsafaris kann es sinnvoll sein auch mal einen Ruhetag einzulegen. Es ist schon klar, dass dies bei der begrenzten Zeit einer Safari viel Disziplin erfordert, auch im Hinblick auf einen nicht zu unterschätzenden Gruppendruck. In diesem Falle sind auch die Tauchguides auf Safaris gefragt.


Siehe auch: DiveInside Bericht: Herzenssache: Persistierendes Foramen Ovale