Das gute Ende einer Tauchlehrerkarriere

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27.10.2017 09:03
Kategorie: Medizin

Schwerer Dekompressionsunfall - doch warum?

Der deutsche Tauchlehrer Matthias U. war im September 2015 zum Tauchurlaub in Safaga am Roten Meer. Es war eigentlich ein perfekter Start in einen vermeintlich perfekten Urlaub. Nachdem Matthias am  Vortag bereits zwei wunderbare Tauchgänge in 29°C warmem Wasser genießen konnte, war der 47-Jährige auch am heutigen Vormittag von bestem Wetter zur etwa 1,5-stündigen Ausfahrt von Safaga zur Salem Express begrüßt worden.

Die Sicht während dieses Tauchganges ist fantastisch. Matthias bleibt fast während des gesamten ca. 45-minütigen Tauchganges auf 20 Meter und macht Fotos und Videos. „Lust, die auf 30 Meter liegende Schiffsschraube zu betauchen, hatte ich an dem Tag nicht“, erinnert sich Matthias.

Als erfahrener Taucher mit inzwischen weit über 700 Tauchgängen ist es für ihn auch selbstverständlich, während des Sicherheitsstopps auf 5 Meter zu warten, bis alle anderen Taucher auf dem Tauchboot sind. Nach dem über fünfminütigen Sicherheitsstopp will Matthias selbst an Bord. Aufgrund des Wellenganges muss er sich an der Leiter festhalten.

Als er seine Flossen ausziehen will, merkt er plötzlich, dass ihm die Kraft im rechten Arm fehlt. Nur mit Mühe schafft es Matthias, sich von seinen Flossen zu befreien und auf das Boot zu klettern. Zusätzlich verspürt er plötzlich ein Kribbeln im linken Arm und beiden Beinen, begleitet von einer zunehmenden Kraftlosigkeit aller Extremitäten.

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Nachdem ihm von der Bootscrew gleich die Flasche abgenommen wurde, gelingt es ihm nur mit Hilfe, sich aus seinem BCD und dem Neoprenanzug zu befreien. „Beim Ausziehen des Anzuges habe ich gemerkt, hier läuft was nicht richtig. Ein weiterer Gast fragte mich, ob er mir helfen kann und stellte sich auf meinen Anzug und ich habe mich irgendwie da raus gequält. Mir war klar, mit mir stimmt was nicht, ich hatte unglaubliche Angst“, erinnert sich Matthias heute. Matthias kann beide Arme und Beine nicht mehr bewegen und verliert jegliches Gefühl darin. Angst und Panik steigen in Matthias auf. Er denkt sofort an einen Dekompressionsunfall. Aber wie kann das möglich sein?

Matthias ist ein gesunder und fitter 47 Jahre alter Taucher. Er geht regelmäßig ins Fitnessstudio, trinkt keinen Alkohol und hat vor drei Jahren das Rauchen aufgegeben. Nichts lässt darauf schließen, dass die Symptome vom letzten Tauchgang stammen könnten, da dieser unauffällig verlaufen ist. Die beiden Tauchgänge am Vortag waren mit 19 und 28 Metern Maximaltiefe ebenfalls unauffällig und sind mit einer ausreichenden Oberflächenpause von über zwei Stunden durchgeführt worden. Auch während des gerade durchgeführten Tauchganges hielt sich Matthias an alle Regeln für einen sicheren Tauchgang. Zusätzlich hatte er heute sogar eine 30er Nitrox-Mischung verwendet.

Nun geht alles ganz schnell: Matthias wird Sauerstoff über eine Maske verabreicht, neben zwei Aspirin gibt ihm der Tauchguide und Freund Hans, auf dem knapp einstündigen Weg zurück zum Hafen, einen Liter Wasser zu trinken. „Da habe ich gemerkt, dass Teile meines Körpers gelähmt sind und die Crew versucht hat mich zu beruhigen, ein furchtbares Gefühl. Immer wieder stellte ich mir die Frage: Was ist mir passiert? Was habe ich falsch gemacht? Ich habe nur gehofft, dass alles wieder gut wird“, so Matthias. Gleichzeitig aktiviert Hans die Rettungskette: Er informiert den diensthabenden aqua med Arzt über die Notrufhotline und die nächstgelegene Druckkammer in Safaga.

Dank der sofort geleisteten Ersten Hilfe geht es Matthias bereits an Bord deutlich besser, als das Schiff in den Hafen einläuft. Das Gefühl kehrt langsam in seine Extremitäten zurück und er kann sofort in die Druckkammer gebracht werden.

Nach einer Untersuchung durch den Druckkammerarzt vor Ort findet sich Matthias auch schon in der Druckkammer wieder und es wird eine Behandlung gemäß der US Navy Table 6 durchgeführt. Zwar ist es in der Kammer eng und sehr warm, aber unter der fünfstündigen Therapie bessern sich die Symptome weiter.
Am nächsten Tag wird Matthias nochmal in die Kammer müssen, da er noch über Restsymptome, wie Schwindel und Unwohlsein klagt. Nachdem sich Matthias Zustand weiter stabilisiert hat, muss die Druckkammertherapie erst mal nicht fortgesetzt werden.

Zunächst scheint der Fall klar, die Diagnose lautet auf schweren Dekompressionsunfall. Als Ursache wird eine Dehydratation vermutet. Unter einer Dehydratation versteht man einen übermäßigen Flüssigkeitsverlust des Körpers, bedingt durch z.B. sehr warme Umgebungstemperaturen wie in Ägypten und eine zu geringe Trinkmenge. Matthias ist sich sicher, nicht zu wenig Wasser zu sich genommen zu haben. Matthias erinnert sich: „Ich habe dann am nächsten Morgen bei aqua med auf der Hotline angerufen und alles direkt besprochen, was mir ein sehr beruhigendes Gefühl gegeben hat. Abends hat sich der aqua med Doc dann nochmal nach meinem Befinden erkundigt, was ich sehr aufmerksam fand“.

Nach der Rückreise nach Deutschland stellt sich Matthias sofort im Druckkammerzentrum Heidelberg vor. Hier hofft er endgültig Gewissheit zu erhalten, was der Grund für seinen Tauchunfall war. Doc Chris, aqua med Arzt und ärztlicher Leiter des Heidelberger Druckkammerzentrums, untersucht den 47-Jährigen und stellt schnell fest, das Matthias weitere Kammertherapien braucht: Der Tauchlehrer berichtet über Kribbelempfindungen in seinen Händen und im Gesicht, zudem würde er vermehrt schwitzen und sich einfach nicht wohl fühlen. Nachdem es ihm in Ägypten bereits deutlich besser ging, ist diese Symptomatik im Rahmen des Rückfluges nach Deutschland wieder verstärkt aufgetreten. Dies ist nichts Ungewöhnliches, da der Kabinendruck in Verkehrsflugzeugen gegenüber dem regulären Luftdruck leicht verringert ist.

Während Matthias in der Heidelberger Druckkammer behandelt wird, veranlasst Doc Chris weitere Untersuchungen. Zunächst muss ein persistierendes Foramen ovale (PFO) ausgeschlossen werden, weswegen Matthias zu einer Doppler-Untersuchung geschickt wird. Nicht weniger wichtig ist eine Untersuchung beim Facharzt für Neurologie, einschließlich eines MRTs des Gehirns. Dies ist deswegen entscheidend, da Matthias nach dem Unfall ähnliche Symptome wie ein Patient nach einem Schlaganfall oder einer Gehirnblutung gezeigt hatte. Daher muss ein solches Geschehen zwingend von einem Neurologen mit beurteilt werden. Die Untersuchungen waren unauffällig: Die Dopplerdiagnostik ergab keinen Hinweis auf ein PFO, der Neurologe konnte sowohl einen Schlaganfall, wie auch eine Gehirnblutung ausschließen. Warum aber hatte Matthias einen so schweren Tauchunfall erlitten? Er war augenscheinlich gesund, sportlich und vermeidet im Rahmen seines konservativen Tauchverhaltens Risiken schon lange.

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Den entscheidenden Hinweis brachte das von Doc Chris im Rahmen der Untersuchungen veranlasste Feinschicht-Computertomogramm der Lunge: Hier fiel ein sogenanntes bullöses Lungenemphysem auf. Darunter versteht man kleinste, feinwandige und sehr verletzliche Bläschen im Lungengewebe. Diese Bläschen sind luftgefüllt und können auch ohne Veränderung des Luftdrucks leicht platzen. Das Blut ist nach jedem Tauchgang mit kleinen Stickstoffbläschen aufgesättigt, die von einer gesunden Lunge problemlos abgeatmet werden können. Finden sich aber Bullae in der Lunge, treten diese Stickstoffbläschen beim Platzen einer Bulla vom venösen Gefäßsystem direkt in den arteriellen Kreislauf über. Man spricht dann von einer arteriellen Gasembolie (AGE).

Aufgrund anatomischer Gegebenheiten schießen die Bläschen über die Halsschlagader häufig direkt in das Gehirn. Dort verstopfen diese Stickstoffbläschen, wie es Blutgerinnsel bei einem Schlaganfall tun, die das Gehirn versorgenden Blutgefäße. In der Folge sind die entsprechenden Abschnitte des Gehirns nicht mehr mit Sauerstoff versorgt und sterben in kurzer Zeit ab. Mediziner nennen diese Erkrankung cerebrale arterielle Gasembolie (CAGE).

Wie bei einem Schlaganfall sind Lähmungserscheinungen häufig das erste Symptom. Reagiert man nicht schnellstens, sind bleibende Schäden oder sogar der Tod die Folge.

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Bullae können im Rahmen einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) entstehen. Langjähriger Tabakkonsum ist einer der Hauptgründe für eine COPD. Matthias hatte zwar schon vor drei Jahren das Rauchen aufgegeben, davor aber weit länger als 20 Jahre geraucht. In dieser Zeit hat sich bei Matthias ein bullöses Lungenemphysem, bestehend aus vielen kleinen Bullae, ausgebildet.

Die vermehrte Kraftanstrengung beim Flossen ausziehen nach dem Tauchgang hat, durch die damit verbundene Druckerhöhung im Brustkorb, ausgereicht, einige dieser kleinen Bläschen platzen zu lassen. Im Anschluss verstopften winzige Stickstoffbläschen wichtige Blutgefäße in Matthias Gehirn. Nur dank der sofort aktivierten und gut funktionierenden Rettungskette, sowie der professionellen Zusammenarbeit alle Beteiligten, wurde Matthias vor einem Leben im Rollstuhl oder Schlimmerem bewahrt. Durch die sofortige Gabe von Sauerstoff wurde die Abgabe von Stickstoff im Körper beschleunigt. Mit dem Wasser, das Hans Matthias zu trinken gab, wurden zudem die Flüssigkeitsreserven wieder voll aufgefüllt, was die Stickstoffabgabe zusätzlich erleichterte. In der Druckkammer wurden die noch vorhandenen Stickstoffbläschen gemäß dem Gasgesetz von Boyle-Mariotte, verkleinert. Entscheidend war aber, dass durch den erhöhten Partialdruck des Sauerstoffs in der Druckkammer die O2-Versorgung des Gehirns aufrecht erhalten und so bleibende Schäden verhindert wurden.

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Matthias hatte Glück im Unglück: Der 47-Jährige wird zwar nicht mehr tauchen oder als Tauchlehrer arbeiten können, denn aufgrund des bullösen Lungenemphysems kann sich dieser Unfall jederzeit wiederholen und weitere Bullae könnten platzen. Dennoch hat der Hesse seine positive Lebenseinstellung nicht verloren und überlegt bereits, mit einem neuen Wassersport zu beginnen: „Ich liebe das Wasser und kann nicht ohne. Kitesurfen soll eine tolle Sache sein, ich werde mir das mal näher ansehen“, so Matthias.

Immer gut Luft

Für uns Taucher ist die Lunge natürlich mit das wichtigste Organ. Daher sollte mit der ersten Tauchtauglichkeit die Lunge eines Tauchers eingehend überprüft werden. Dies erfolgt im Regelfall durch eine ausführliche Anamnese, eine gründliche körperliche Untersuchung und die Durchführung eines Lungenfunktionstests. Fallen hierbei Besonderheiten auf, ist eine weitere Abklärung erforderlich. Dies geschieht durch eine bildgebende Diagnostik wie z. B. die Anfertigung eines Röntgenbildes oder besser noch eines Feinschicht-CTs. Da diese Untersuchungen mit einer nicht unerheblichen Strahlenbelastung verbunden sind, ist es nicht empfehlenswert, diese ohne Verdacht auf das Vorliegen einer Lungenerkrankung durchzuführen.

Was versteht man unter einer COPD?

Die Abkürzung COPD steht für den englischen Begriff chronic obstructive pulmonary disease. Übersetzt ins Deutsche bedeutet dies „chronisch obstruktive Lungenerkrankung“. Eine COPD beschreibt eine dauerhafte Lungenerkrankung an der weltweit etwa 14 Prozent aller Menschen erkrankt sind. Typische Anzeichen einer COPD sind Atembeschwerden, häufiges Husten, Auswurf und eine eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit.

Man unterteilt die COPD in vier Schweregrade. Während die Stadien I und II der Erkrankung noch gut behandelbar und reversibel sind, ist ab einem Stadium III aufgrund ausgeprägter Lungenveränderungen nicht mehr mit einer Regeneration des Lungengewebes zu rechnen. Eine Tauchtauglichkeit besteht dann im Regelfall nicht mehr.

Wie entsteht eine COPD oder ein Lungenemphysem?

Die Gründe, warum jemand an einer COPD oder einem bullösen Lungenemphysem erkrankt, sind vielfältig. Verantwortlich ist in der Regel eine langanhaltende Schadstoffbelastung, z. B. langjähriges Einatmen von Schadstoffen (Tabakrauch, Silikate, Fein- und Quarzstaub).

Eine COPD könnte also auch begünstigt werden, wenn man als Kind viele Jahre neben einem Kohlekraftwerk ohne Filter gelebt hat. Der größte Risikofaktor an einer COPD zu erkranken bleibt aber das Rauchen: Der Tabakgenuss wird für bis zu 90 Prozent aller Fälle verantwortlich gemacht und etwa jeder zweite ältere Raucher entwickelt eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung. Das Risiko steigt mit der Menge des Tabakkonsums, auch Passivraucher haben ein deutlich erhöhtes Erkrankungsrisiko. Ebenso können eine seit langem bestehende Asthmaerkrankung oder Virusinfektionen im Verlauf zur Entwicklung einer COPD führen. Ein weitaus seltener Auslöser ist ein bestimmter Gendefekt, der sogenannte Alpha-1-Antitrypsinmangel.

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Durch die verschiedenen Schadstoffe oder körpereigene Enzyme (beim Alpha-1-Antitrypsin-Mangel) kommt es im Verlauf zu entzündlichen Veränderungen des Lungengewebes. Die darauffolgende Ansammlung von weißen Blutkörperchen setzt weitere Enzyme frei. Es kommt zu einer Auflösung der feinwandigen Alveolen. Verschmelzen im weiteren Verlauf mehrere kleine Alveolarbläschen zu einer großen Blase, spricht man von einer Emphysemblase. Diese Blasen können zusätzlichen Druck auf die Bronchiolen (kleine Bronchien) ausüben, die dann während der Ausatemphase kollabieren. Die Luft kann nicht mehr aus den Alveolen entweichen und man spricht von „gefangener Luft“ (im Englischen "trapped air“).

Beim nächsten Einatmen kann es aufgrund der gefangenen Luft zu einer Überdehnung der Alveolen und Bronchiolen kommen. Diese Überdehnung hat zur Folge, dass die Alveolen zerstört werden und sich große, für den Gasaustausch untaugliche Emphysembläschen bilden. Im Extremfall werden aus vorher funktionstüchtigen Lungenbläschen große funktionslose „Emphysemblasen“ und man spricht von einem bullösen Lungenemphysem.

Weiterhin inaktivieren Sauerstoffradikale das sogenannte Alpha-1-Antitrypsin, das normalerweise die schädigenden Enzyme inaktiviert. Diese Enzyme schädigen sukzessive das Lungengewebe, was einen Verlust von Blutgefäßen und dadurch einen gestörten Gasaustausch zur Folge hat. Letztendlich verliert die Lunge ihre Elastizität und die enthaltene Luft kann nicht mehr vollständig entweichen, es kommt zu einer chronischen Überblähung der Lunge. Beim Vorliegen einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung sind dann auch die größeren Bronchien dauerhaft verengt.

Emphysemblasen entstehen vor allem in den oberen Lungenabschnitten. Klinisch ist ein bullöses Lungenemphysem häufig inapparent. Als erstes Symptom bemerken manche Menschen zunächst nur eine Belastungsdyspnoe (man bekommt z. B. beim Sport oder beim Treppensteigen nicht mehr ausreichend Luft), ein spontaner Pneumothorax (Lungenriss) kann Folge dieser Erkrankung sein.


Ein Lungenemphysem entsteht in der Regel also auf Basis einer COPD und kann auch als Sonderform einer fortgeschrittenen COPD verstanden werden. Erstes Anzeichen für eine COPD ist häufig eine einfache chronische Bronchitis. Hierbei steht Husten mit Auswurf im Vordergrund. Eine körperliche Leistungseinschränkung finden wir in diesem Stadium häufig noch nicht, da die Lungenbronchien noch nicht verengt sind. Dieses Stadium ist noch reversibel, wenn man die auslösenden Giftstoffe konsequent meidet. Kommt es im weiteren Verlauf zu einer Verengung der Bronchien sind diese Veränderungen aber häufig von Dauer.