Arktischer Ozean bedeckt von Schelfeis und voller Süßwasser

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05.02.2021 11:54
Kategorie: News

Die Geschichte des Nordpolarmeeres

Wie der europäische Kontinent während der Eiszeit aussah, darüber wissen Klimahistoriker eigentlich recht gut Bescheid. Die Eisschilde hinterlassen Kratzspuren und Einkerbungen an der Erdoberfläche. Anders ist das mit dem Meereis. Schmelzwasser hinterlässt keine Spuren.

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Forscher des Alfred-Wegener-Instituts und des MARUM haben jetzt neue Erkenntnisse über die Vergangenheit des Arktischen Ozeans veröffentlicht: Seit den letzten 150.000 Jahren soll er mindestens zweimal flächendeckend von mehr als 900 Meter dickem Schelfeis bedeckt- und in der letzten Eiszeit vollständig mit Süßwasser befüllt gewesen sein. Die langjährige geowissenschaftliche Untersuchung, mit diesen Erkenntnissen, ist in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Nature zu lesen.

Walter Geibert, Geochemiker am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, hat mit seinem Team Untersuchungen durchgeführt, die die These eines mit Süßwasser gefüllten Nordozeans erhärteten.

Verbindungen zum Nordatlantik sowie dem Pazifik gibt es heutzutage freilich. Und damit auch einen stetigen Wasseraustausch. Damals lag der Meeresspiegel rund 130 Meter tiefer, das sogenannte ‚Mittelmeer des Nordens‘ war vollständig isoliert und offenbar mit Süßwasser befüllt.“ erläutert Walter Geibert

Etwas entscheidendes fehlt

Geologische Analysen von zehn Sedimentkernen aus verschiedenen Gebieten des Arktischen Ozeans und dem Europäischen Nordmeer haben ergeben, dass die übereinandergeschichteten Sediment-Ablagerungen, die arktische Klimageschichte der zurückliegenden Eiszeiten abbildet. Als die Kerne jedoch Schicht für Schicht untersucht wurden, fehlte etwas entscheidendes.

Im salzhaltigen Meerwasser entsteht durch den Zerfall von natürlichem Uran immer das Isotop Thorium-230. Es lagert sich am Meeresboden ab und ist dort wegen seiner Halbwertzeit von 75.000 Jahren auch für sehr lange Zeit nachweisbar“, erläutert Walter Geibert.

Das Isotop entsteht im salzhaltigen Meerwasser durch den Zerfall von Uran und lagert sich in Sedimenten ab. In der Wissenschaft wird es wegen seiner Halbwertzeit von 75.000 Jahren als Zeitmesser benutzt. „Die einzig plausible Erklärung für das Fehlen des Isotops, ist unseres Wissens nach, dass der Arktische Ozean zweimal in seiner jüngeren Geschichte nur mit Süßwasser gefüllt war – in flüssiger und in gefrorener Form“, erläutert Co-Autorin und AWI-Mikropaläontologin Dr. Jutta Wollenburg.

Das bedeutet, dass es damals kein Salzwasser im Arktischen Ozean gab, denn nur darin bildet sich das Isotop – im Gegensatz zu Süßwasser.

Ein solches Szenario ist denkbar, wenn wir davon ausgehen, dass der globale Meeresspiegel während der Eiszeiten bis zu 130 Meter tiefer lag als heute und die Schelfeise auf dem Arktischen Ozean den Austausch der Wassermassen bremsten“, erklärt Co-Autor und AWI-Geologe Prof. Dr. Rüdiger Stein, der auch am MARUM Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen arbeitet.

Während die sommerliche Eisschmelze und nach Norden verlaufende Flüsse mindestens 1200 Kubikkilometer Süßwasser pro Jahr in den Arktischen Ozean eintrugen, verhinderten flache Meerengen wie die Beringstraße oder Sunde im kanadischen Archipel, die damals trockengefallen sind, den Einfluss. Im Europäischen Nordmeer blockierten vermutlich Eisberge oder Gletscherzungen den Abfluss.

Süßwasser-Pulse aus dem Arktischen Ozean könnten außerdem eine Erklärung für Klimaschwankungen während der letzten Eiszeit sein. Die Temperatur über Grönland veränderte sich mehrere Male innerhalb weniger Jahre um 8 bis 10 Grad Celsius. „Wir sehen hier, dass es auch in der jüngeren Erdgeschichte entscheidende Kipppunkte des Erdsystems rund um die Arktis gab. Unsere Aufgabe ist es jetzt, diese Zusammenhänge genauer zu untersuchen und zu überprüfen, ob unsere neue Vorstellung vom Arktischen Ozean hilft, weitere Wissenslücken zu schließen, gerade auch in Bezug auf die Risiken des menschengemachten Klimawandels“, so Walter Geibert.