Walhunger gut fürs Klima

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15.11.2021 16:55
Kategorie: News

Marine Stoffkreisläufe noch abhängiger von Walen als bisher vermutet

Bartenwale fressen deutlich mehr als bisher angenommen, geht aus einer Studie hervor. Die Rolle der Meeresriesen für die marinen Stoffkreisläufe wurde ebenfalls deutlich unterschätzt, geht aus den Berechnungen der Forscher hervor. Die deutlich höheren Fressmengen sind aber nicht schädlich für die Ozeane – im Gegenteil!

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Durch ihren nährstoffreichen Kot fördern die Bartenwale das Wachstum des Phytoplanktons erheblich; die deutlich höheren Fressmengen sind hierbei kein Problem denn die Wachstumsförderung ist deutlich größer. Die Reduktion von Walpopulationen durch den Walfang haben die marinen Ökosysteme vermutlich stark verändert, lässt sich durch diese Studie ableiten. Eine Erholung der Bestände könnte somit die Produktivität und Kohlenstoffaufnahme der Ozeane spürbar verbessern, sagen die Wissenschaftler.

Deutlich unterschätzte Fressmengen bei Bartenwalen

Buckelwal, Finnwal… und der Super-Gigant: der Blauwal: Die bis zu 33 Meter langen und 200 Tonnen schweren Meeressäuger sind die größten Tiere, die jemals auf unserem Planeten gelebt haben. Die gigantische Größe der Bartenwale ermöglicht dabei eine ausgesprochen effektive Ernährungsweise: Sie schwimmen in Schwärme von kleinen Beutetieren wie Krill hinein und saugen sie in ihren gigantischen Kehlsack. Anschließend drückt das Tier den Inhalt durch seine Barten, die wie ein Sieb die Nahrung aus dem Wasser filtern.

Der Blauwal mit der Länge einer Boeing 737 der ersten Generation, einem Herz so groß wie ein Kleinwagen und einer Zunge mit dem Gewicht eines Elefanten ist ein höchst beeindruckendes Lebewesen. Aufgrund seiner Größe ist der Riese auch eine wahre Fressmaschine. Pro Tag kann er zum Beispiel im östlichen Nordpazifik 16 Tonnen Krill fressen. Das sind schätzungsweise mehr als 120 Millionen der zwei Zentimeter großen Kleinkrebse. Einschätzungen zum Nahrungsbedarf von Bartenwalen basierten bisher auf eher schwachen Datengrundlagen, die nicht experimentell untermauert waren.

Um genauere Informationen zu gewinnen, haben die Forscher um Matthew Savoca von der Stanford University zwischen 2010 und 2019 Daten von 321 Bartenwalen aus sieben Arten gesammelt, die im Atlantik, Pazifik und südlichen Ozean leben. Dazu wurden die Tiere mit GPS-Sendern und Messgeräten ausgerüstet, die Rückschlüsse auf ihr Fressverhalten ermöglichten. Außerdem fuhren die Wissenschaftler mit kleinen Booten zu den Stellen, an denen die Wale fraßen, und erfassten die Bereiche durch Echolot. Dadurch konnten sie Größe und Dichte von Krillschwärmen und anderen Beutetieren erkennen und beurteilen. Anhand der gewonnenen Daten und den jeweiligen Körpergrößen der Wale entwickelten die Meeresbiologen dann die neuen Einschätzungen ihrer Nahrungsaufnahme.

Als Ergebnis der Studien haben die Forsch folgende Nahrungsmengen für verschiedene Walarten errechnet: ein ausgewachsener Blauwal benötigt etwa 16 Tonnen Krill pro Tag, ein Nordatlantischer Glattwal frisst täglich fünf Tonnen Zooplankton und ein Grönlandwal fängt rund sechs Tonnen Nahrung. Allein die Populationen der Blau-, Finn- und Buckelwale im Ökosystem des nördlichen Pazifiks fressen jeweils mehr als zwei Millionen Tonnen Futter pro Jahr, ergaben die Berechnungen. Vor allem beim Krill zeichnet sich eine doppelte bis zu dreimal höhere Nahrungsaufnahme ab als bisher vermutet, berichten die Wissenschaftler.

Nährstoffreiche Exkremente als Schlüssel

Bis vor fast 60 Jahren konnten Blauwale noch gejagt werden, sodass ihre Population dadurch von geschätzten 350.000 Individuen auf 1.000 bis 2.000 sank. Erst ein Verbot im Jahr 1966 durch die Internationale Walfangkommission trug zum Schutz der Tiere bei. Inzwischen gehen Fachleute davon aus, dass sich die Population wieder etwas erholt hat. Dennoch stehen sie weiterhin auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten.

Die tägliche Beutemenge bei Bartenwalen entspricht zwischen fünf und 30 Prozent der gesamten Körpermasse. "Das Gute daran ist", sagt Victor Smetacek, emeritierter Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, der in Nature die Bedeutung der neuen Ergebnisse kommentiert hat, "je mehr Krill sie fressen, umso mehr Kot scheiden sie aus und düngen dadurch das Meer mit lebenswichtigen Nährstoffen. Erst dadurch können Kieselalgen richtig wachsen und gedeihen, was wiederum die Nahrung des Krills ist."

Durch ihre nährstoffreichen Exkremente tragen die Wale dazu bei, dass dem CO2-absorbierenden Phytoplankton wachstumsfördernde Düngestoffe zugeführt werden. Besonders wichtig ist dabei Eisen. Ohne die Wale sinkt dieses Mangelelement leichter auf den Meeresboden, was die Produktivität in bestimmten Teilen des Ozeans einschränken kann, erklären die Forscher. Anhand früherer Messungen der durchschnittlichen Eisenkonzentration in Walfäkalien errechneten sie in Kombination mit ihren neuen Daten, dass die Tiere allein im Südpolarmeer jedes Jahr etwa 1.200 Tonnen Eisen recyceln. Folglich muss die Düngung ursprünglich durch die einst weit größeren Bestände noch viel intensiver gewesen sein.

Mehr Wale, mehr Krill?

Welche Futtermassen die Bartenwale im Südpolarmeer vor der Ära des industriellen Walfangs umgesetzt haben war eine zentrale Fragestellung der Forscher. So führten sie Recherchen zu den einstigen Beständen durch. Vor der Abschlachtung gab es demnach dort etwa eine Million mehr Bartenwale als heute. Den Berechnungen zufolge müssten diese Bestände zu Beginn des 20. Jahrhunderts jährlich etwa 430 Millionen Tonnen Krill im Südpolarmeer verspeist haben. Dabei handelt es sich um eine Zahl, die zunächst erstaunlich wirkt. Denn diese Menge ist doppelt so hoch wie die geschätzte Krillmenge in der Region heutzutage. Paradoxerweise gab es also zu einer Zeit mit erheblich mehr Walen deutlich größere Bestände an Krill…

Wie die Forscher erklären, überwog damals offenbar der fördernde Effekt der Wale auf das marine Ökosystem ihre Rolle als Krill-Fresser. Dies spiegelt sich in ihren Berechnungen über die Rolle der Wale als Eisen-Lieferanten auch plausibel wider: Vor den Verlusten durch den Walfang düngten die Tiere das Oberflächenwasser im Südlichen Ozean demnach mit jährlich etwa 12.000 Tonnen Eisen – der zehnfachen Menge von heute. Dies könnte das Algenwachstum entscheidend gefördert haben: die Grundlage der biologischen Produktivität und damit auch mit einer hohen Kohlenstoffbindung verbunden.

Die Wissenschaftler sehen in diesen Ergebnissen nun ein weiteres Argument für den Schutz der noch immer von der Ära des Walfangs stark beeinträchtigten Bestände der Meeresriesen. "Mit der Erwärmung des Planeten nehmen die Ozeane mehr Wärme auf und werden sauer, was das Überleben der Nahrungsquellen für die Wale bedroht", sagt Smetacek. "Wenn wir die Walpopulation auf das Niveau vor dem Walfang zu Beginn des 20. Jahrhunderts bringen könnten, würden wir einen großen Teil der verlorenen Funktionen der Meeresökosysteme wiederherstellen."

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Beitrag der Wale zur globalen Produktivität und zum Kohlenstoffabbau von der Größenordnung her wahrscheinlich mit den Waldökosystemen ganzer Kontinente vergleichbar war", sagt Studien Co-Autor Nicholas Pyenson vom National Museum of Natural History in Washington DC. „Dieses System ist immer noch vorhanden und wenn man den Walen hilft, sich zu erholen, könnte man die verlorenen Ökosystemfunktionen wiederherstellen und dadurch auch einen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels leisten“, so der Wissenschaftler.

Weitere Informationen:
Nature.com: nature.com/articles/s41586-021-03991-5