Seegraswiesen. Grüne Lungen der Meere

Teile:
23.09.2013 10:51
Kategorie: Biologie



Setzt man eine Gruppe Taucher über einer großen Seegraswiese ab, dann wird man nicht lange warten müssen, bis die ersten wieder schimpfend auftauchen. "Stinklangweiliger Tauchgang!", "Nix zu sehen außer Gras" und "So eine Sch...e, Orientierung verloren!" wird man hören. Aber: sind Seegraswiesen wirklich nur stinklangweilig? Und: Kann man eigentlich Seegras rauchen?

Das Seegras wachsen hören mit Harald Mathä

Zostera und Posidonia


"Seegras" als solches ist keine korrekte Namensgebung. Man unterscheidet zwischen echten Seegräsern (Zosteraceae) und Neptungsgräsern (Posidoniaceae). Erstere findet man an den Küsten von Europa, Nordamerika, Afrika, Ostasien und Australien. Posidonia gibt es nur im Mittelmeer und in Südaustralien. Die optische Unterscheidung ist nicht leicht und schlussendlich auch nicht sonderlich wichtig, da fürs Logbuch "Seegras" reicht. Weltweit gibt es 42 Arten.

Seegräser waren ursprünglich Landbewohner und wanderten in der späten Kreidezeit, vor etwa 65 Millionen Jahren, ins Meer. Wahrscheinlich führte ihr Weg die Gräser nicht schnurstracks von der Blumenwiese ins Salzwasser, sondern sie kamen als "Wasserpflanzen" über Flüsse ins Brackwasser und breiteten sich dann langsam bis ins Meer aus. An "Grünzeug" gab’s da zuvor nur Algen. Die gibt es auch heute noch in mannigfacher Form.

Ins Meer zurückgewandert sind auch die Meeressäuger. So wie diese Lungen haben und auftauchen müssen um zu atmen, haben die Seegräser ebenfalls etwas mitgebracht, das sie unter Wasser einzigartig macht. Sie blühen! Doch wer jetzt meint, seiner Liebsten mit einem Strauß Seegras eine Freude zu machen, wird enttäuscht. Die Blüten sind winzig, grün und an der Unterseite. Zudem duften sie nicht und blühen auch erst im Herbst, wenn die letzten Ferienflieger schon abgeflogen sind.


 

Unglaublich produktiv!


Eine Seegraswiese von einem Quadratmeter Fläche hat etwa 7000 Blätter mit einer Blattfläche von 100 m². Dies entspricht 3,5 kg Biomasse. Das ist doppelt so viel wie die Menge eines vergleichbaren heimischen Waldgebietes! Die besiedelbare Grasfläche und die anfallenden Nährstoffe erklären auch warum Seegraswiesen ein beliebter Lebensraum sind. Pro Quadratmeter werden jeden Tag bis zu 14 Liter Sauerstoff produziert und ein Vielfaches an Kohlendioxid gebunden. Mit so viel sauerstoffreichem Wasser füllen sich die Fische natürlich gerne ihre Kiemen!

Lebensraum Seegraswiese


Auf den Blättern findet man fragile Strukturen, die Leitern ähnlich sehen. Es sind winzige Kolonien von Moostierchen (siehe Bild rechts), die sich ihre Nahrung aus dem Wasser strudeln.

Kühe fressen Gras und so kommen wir zum prominentesten und größten Besucher von Seegraswiesen. Doogie, die Seekuh, steht auf saftiges Gras und so kann man Manatees oder Dugongs antreffen. Natürlich nicht im Mittelmeer, aber in Florida oder bei Marsa Alam beispielsweise. Die anderen Bewohner der Seegraswiesen sind nur weniger spektakulär: Zwischen den Blättern lauert eine Sepia. Sie hat dieselbe Färbung wie die Pflanze angenommen und ist fast unsichtbar. Auch kann man riesige Muscheln entdecken. Senkrecht wie die Wolkenkratzer in Dubai ragen sie aus den Wiesen. Steckmuscheln können bis über einen Meter groß werden!

Noch höher werden rote Geweihschwämme, eine wohltuende Abwechslung für das Auge nach all dem Grün und Braun! Natürlich findet man in den Wiesen ebenso Seesterne, Seeigel, Seegurken, die kobaltblauen Jungtiere der Mönchsfische und noch vieles mehr.

Und die zweitbeliebtesten Besucher der Seegrasenwiesen: Seepferdchen! Sie fühlen sich in ihnen wohl. Gelbe Exemplare haben wohl die falsche Tarnung erwischt und sind leicht zu entdecken. Nicht so die braunen Exemplare, die schwer zu erkennen sind. Aber hat man einmal eines gefunden, dann wird man es immer in seinem kleinen Reich finden, denn sie sind recht standorttreu.


 

Gefährdeter Lebensraum


Seegrasenwiesen wachsen sehr langsam, sind weltweit gefährdet und die Flächen rückgängig. Da sie sich nahe der Küste in flachem, sonnendurchflutetem Wasser wohlfühlen, sind sie vielfachen Gefahren ausgesetzt. In romantischen Buchten wird gerne geankert. Dabei wird das Seegras gleich büschelweise samt den Wurzeln aus dem Boden gerissen. Kann man den Freizeitkapitänen deshalb Vorwürfe machen? Nein, denn sie ahnen nicht, was sie dabei anrichten...

Schlimmer ist Fischerei mit Schleppnetzen. Dabei wird der Meeresboden durch Grundgewichte umgepflügt und zurück bleibt eine trostlose Wüste.

Eine andere Gefahr ist Müll, der einfach ins Meer geschüttet wird und die Wiesen erstickt. Oder ungeklärte Abwässer, welche die Pflanzen überdüngen oder vergiften. Zu schaffen macht dem Seegras auch die zunehmend industrielle Ernte als "grünes" Dämmmaterial für den Hausbau.

Die "Killeralgen" Caulerpa racemosa (siehe Bild links) und Caulerpa taxifolia überwucherten Seegraswiesen im Mittelmeer und nahmen ihnen das Licht. Zurzeit sind diese beiden Algenarten recht kleinlaut. Warum oder wie lange noch weiß jedoch kein Mensch!

Kann man Seegras rauchen?


Die Redaktion von Taucher.Net hat keine Mühen gescheut, diese bei Shisha, Dekobier, am Taucherstammtisch und in Internetforen gestellte Frage zu beantworten. Auf Nachfrage antwortete uns der amtsbekannte Fachmann für Öfen und Geräte, Joe Koppens aus seiner Wahlheimat Jamaika: "Nachhaltiges Dämmmaterial schreibst du? Ja, da kann ich nur zustimmen. Das Zeug macht nachhaltig dicht! Aber im Ernst: Natürlich kann man Seegras nicht rauchen. Wächst ja im Wasser, du Taucher. Getrocknet? Dazu will ich nichts sagen, sonst hab ich bei der nächsten Einreise nach D wieder Probleme. Hey Mann! Wir haben die coolsten Korallenriffe hier mit unglaublich bunten Fischen. Überall hier am Strand, und du wirst dabei nicht mal nass! Komm doch einfach zum Erntedankfest vorbei und überzeug dich!"


 

Zusammenfassung


Ganz so langweilig, wie es auf den ersten Blick schien, sind Seegraswiesen also doch nicht. Eine Woche Tauchurlaub mit Seegras ist sicher nicht der Kracher, aber der eine oder andere Tauchgang mit Zostera oder Posidonia kann spannender sein, als man denkt. Nicht nur wenn eine Seekuh oder Schildkröte darin zu finden ist!



Video zum Thema:

 


Zwei Seegras Geisterfische, perfekt getarnt in ihrem Lebensraum: dem Seegras.