Schwärme. Synchronschwimmen in Perfektion

Teile:
01.07.2012 23:27
Kategorie: Biologie


Das silbrige Gebilde pulsiert und bewegt sich wie ein Organismus. Es scheint zu atmen. Die Choreographie ist perfekt. Doch besteht es aus tausenden einzelnen Fischen, die sich zu einem Schwarm zusammengefunden haben. Doch wer führt einen Schwarm an? Wer gibt die Befehle? Wo lernen die Fische das?

Bericht von Harald Mathä

"Der Schwarm" ist ein Ökothriller, den trotz seiner teils lähmenden Überlänge wahrscheinlich die meisten von uns Tauchern gelesen haben. Autor Frank Schätzing zeigt darin auf, was passiert, wenn die Weltmeere von uns Menschen irgendwann die Schnauze gestrichen voll haben und sich organisieren. Das erste Opfer im Buch verschwindet unter einem riesigen Fischschwarm und in Massen auftretende Meeresbewohner sollen im Buch noch mehrfach für Chaos und Entsetzen sorgen ...

In einem Schwarm sind alle Fische gleich. Es gibt keinen Anführer, keine Vorgesetzten und keine Untergebenen. Keiner gibt Befehle, keiner muss sie befolgen. Es gibt keine Hierarchie und keine Hackordnung. Es gibt keinen fixen oder zugeteilten Platz. Keinen sicheren Platz ganz innen und keinen mit schönem Ausblick ins Freiwasser außen. Es gibt keinen Verteidiger und keinen Mittelstürmer. Jeder Fisch muss jede Position besetzen können, keiner ist Spezialist.

Je nach Blickwinkel oder politischer Anschauung ist ein Schwarm die ideale Anarchie oder aber Demokratie. Wie schaffen die doofen Fische das, woran wir Menschen scheitern? Taucht man in einen Schwarm Fische hinein, so ist dies jedes Mal wieder eine einzigartige Erfahrung. Die Wand aus Fischen öffnet sich vor den Tauchern und schließt sich hinter ihnen wieder lautlos. Die Fische scheinen Taucher nicht zu fürchten, denn sonst würden sie flüchten. Sie halten nur respektvoll Abstand zu den blubbernden Wesen aus einer anderen Welt.

Der Schwarmtrieb


Der Schwarm ist also kein zufälliges Zusammentreffen der Fische. Sie folgen ihrem angeborenen Schwarmtrieb. Im Schwarm zu schwimmen muss also weder erlernt werden, noch müssen die Fische es üben. "Haaabt Acht! Reeechts um! Im Schwaaarm marsch!" ... so ist also nicht. Auch muss Mama Fisch ihrem Fischli nicht tagtäglich einbläuen: "Und immer schön aufpassen und im Schwarm bleiben, sonst kommt der große Schnapp und frisst dich! Hast du mir zugehört? Was habe ich eben zu dir gesagt?!"

Wie funktioniert ein Schwarm? Der Wissenschaftler Craig Reynolds suchte nach mathematischen Modellen, um Schwärme am Computer zu simulieren. Er entdeckte dabei drei Regeln, denen jegliche Schwarmbildung folgt:


Schwarmbildung


1. Kohäsion
Bewege dich in Richtung des Mittelpunkts derer, die du in deinem Umfeld siehst.
2. Separation
Bewege dich weg, sobald dir jemand zu nahe kommt.
3. Alignment
Bewege dich in etwa in dieselbe Richtung wie deine Nachbarn.



Vor- und Nachteile


Ein Schwarm ist die fast perfekte Methode zu überleben. Ein Raubfisch wird es in der sich ständig verändernden Masse nicht schaffen, sich auf ein Individuum zu konzentrieren und gezielt danach zu schnappen. Erwischt werden als erstes die Fische, die den schützenden Schwarm verlassen haben oder dessen komplexen Bewegungen nicht folgen konnten. Für Räuber sind sie dann eine leichte Beute. Auch kann ein Räuber nur eine begrenzte Anzahl an Fischen fressen. Die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Schwarmfisches steigt dadurch statistisch. Auch muss ein einzelner Fisch immer wachsam sein und nach Räubern Ausschau halten. Diese Zeit kann er nicht zum Fressen nutzen. Die vielen Augen in einem Schwarm sind effektiver und geben mehr Zeit zum Fressen. Diese Rechnung geht natürlich nur dann auf, wenn genügend Nahrung für den Schwarm vorhanden ist.

Doch auch Schwärme werden aufgerieben. Beim "Sardine-run" in Südafrika (siehe zweites Video am Ende des Berichts) warten die großen Jäger jedes Jahr auf die Sardinen, die an der Küste entlang ziehen. Mit weit aufgerissenen Mäulern schwimmen Haie mit hoher Geschwindigkeit in die Fischleiber. Immer und immer stoßen sie in den Schwarm hinein. Ein paar Fische erwischen sie immer, aber ihr Ziel ist es, den kompakten Schwarm zu deorganisieren und seine Struktur zu zerstören. Einzelne Fische oder kleine Gruppen sind dann eine leichte Beute. Nicht anders ist es um Galapagos, wo Haie, Delfine und Seevögel scheinbar zusammenarbeiten, um sich einen Schwarm einzuverleiben. Wohl die meisten kennen die faszinierenden Filmaufnahmen, bei denen am Höhepunkt des Gemetzels dann noch ein riesiger Bartenwal mit weit aufgerissenem Maul in den Schwarm stößt. Von wegen Planktonfresser! Wie man sieht, ziehen große Schwärme auch viele Räuber an.

Der klassische Schwarmfisch... ist wohl die Sardine. Aber auch Heringe oder Sardellen bilden riesige Schwärme. Etwa 5.000 Arten sollen Schwärme bilden. Doch nicht nur friedfertige Planktonmümmler organisieren sich auf diese Weise, auch ausgesprochene Raubfische tun das. Barrakudas bilden Schwärme, die tausende Exemplare umfassen können. Da spricht man dann allerdings von "Schulen", aber wo ist der Lehrer? Auch die Hammerhaie vor Cocos Island im Ostpazifik schwimmen in Schwärmen – Entschuldigung, Schulen herum Anderswo sind Hammerhaie ausgesprochene Einzelgänger. Fürchten sie sich alleine?

Nicht nur im Meer, auch an Land bilden Tiere große Gruppen, weil sie im Kollektiv sicherer sind als ein Individuum. Bei Säugetieren nennt man sie nicht Schwärme oder Schulen, sondern Herden. Bei Insekten und Vögeln wiederum schon. Da kenn sich noch einer aus!

Wo bleibt der Sex?


Zeit, zum beliebtesten Teil der Bio-Berichte in DiveInside zu kommen: dem Sex der Meeresbewohner! Natürlich sind Schwärme auch ein besserer Ort, einen Partner zu finden und sich fortzupflanzen als bei räumlich weit entfernten Einzelgängern. Mit einem marinen Gang-Bang hat das Ganze aber wenig zu tun! Das können Stachelhäuter, Korallen und Schwämme besser, wie der geneigte Leser aus den vergangenen Ausgaben schon weiß.

Zu guter(?) Letzt


Der Mensch hat gelernt, Schwärme ebenso als Nahrungsquelle zu nutzen wie Herden. "Machet euch die Erde Untertan" wurde konsequent umgesetzt. Im 19. Jahrhundert rotteten die Cowboys in Nordamerika riesige Herden der Bisons aus. Die scheinbar unendlichen Heringsschwärme in Nord- und Ostsee sind heute längst Geschichte. Kurzfristiges Gewinnstreben war und ist die Ursache dafür. Großer Schwarm ist gleich hoher Profit. Den Fischern, die auf ihren Schiffen ihre Arbeit tun, kann man für die Überfischung der Weltmeere nicht wirklich Vorwürfe machen. Wohl aber den Großunternehmern und Lobbyisten die in ihrem grenzenlosen Gewinnstreben Menschen und Umwelt ohne jegliche Rücksicht ausbeuten. Als nächstes sind wohl die nur scheinbar unermesslichen Krillschwärme in den Polarmeeren dran. Wetten wir? Wobei wir wieder bei Frank Schätzing, seinen Krilltellern und Krillpartys wären. Aber das steht in einem anderen Buch.



Videos zum Thema:



Ein Schwarm junger Barrakudas am Crocodile Rock in Gozo (Malta).



Sardine-Run in Südafrika. Einige Sequenzen zeigen deutlich das Schwarmverhalten bei Angriffen.