Orcas im Nordpolarmeer

Teile:
21.09.2022 16:18
Kategorie: Reise

Der norwegische Sardine Run

Orcas in ihrem Element erleben, mit ihnen zu schwimmen und sie zu fotografieren, ist ein Abenteuer. Es wird tiefe Spuren hinterlassen. Vor Tromvik, in der Polarregion Norwegens ist es möglich, den Tieren ins Auge zu schauen.

Gallery 1 here

Text und Fotos Sibylle Gerlinger und Gerald Nowak

Karges Fjordland, scharfer Wind. Berge, Inseln und Meer sind hart gezeichnet. Tromvik hat etwa 200 Einwohner aber es einen Ort zu nennen, erscheint übertrieben. Es gibt keine einzige Kneipe, noch nicht einmal einen Bäcker. Polarlichter krönen den Winterhimmel, wenn der Tag nur aus Nacht besteht. Der Sommer kennt dafür keine Dunkelheit. Darum kommen die Menschen hierher, darum gibt es in Tromvik zwar kein Brot zu kaufen aber ausreichend Unterkünfte. Die Natur rund um Tromvik ist wuchtig und pur. So pur wie Aquavit. Es sind die Extreme, die auch uns anziehen, denn im November treibt es ungeheure Heringsschwärme in die verzweigten Inselwelten Nordnorwegens. Das hat sich herumgesprochen bei Buckelwalen und bei Orcas. Sie kommen aus der Arktis und fressen sich satt am norwegischen Sardine Run. Man kann die Meeressäuger von Land aus beobachten. Oder man wagt sich mit ihnen ins Wasser.

Unser Reisetermin fällt auf Anfang November, was Vor- und Nachteile hat. Es ist erst der Beginn der Walsaison und niemand weiß, wie viele der großen Meeressäuger bereits angekommen sind. Aber sechs Stunden Tageslicht sind immerhin drei Stunden mehr, als wir später im Monat haben würden. Ab Ende November zeigt sich die Sonne dann gar nicht mehr und die Polarnacht beginnt.

Licht und Wetter sind Freud und Leid jedes Naturfotografen und leider sehr unzuverlässige Wegbegleiter. Auch diesmal lassen sie uns zunächst im Stich, die ersten Tage sind trostlos. Wind peitscht den Regen über das Land und wühlt sich durch das bleigraue Meer. Die Zeit vergeht langsam mit so viel Dunkelheit. Am dritten Tag kehrt mit der Sonne endlich die Hoffnung zurück. Etliche Schwertwale wurden bereits im Fjord gesichtet. Die Zuversicht auf eine Begegnung im Wasser steigt. Dieses Glück ist nicht selbstverständlich, wenn man die lange Reise nach Tromsö und weiter nach Tromvik unternimmt. Die Erfahrung mussten schon viele Fotografen machen.

Ein unglaubliches Gefühl

Und es gehört mehr dazu, als nur gute Wetterbedingungen zur richtigen Jahreszeit. Man braucht auch jemanden, der sich auskennt. Marco Schulenburg ist so jemand. Er ist einer der erfahrensten Walbeobachter und führt seit vielen Jahren Wissenschaftler, Filmteams und Fotografen auf seinem Boot zu den Walen hinaus. Marco kennt das Verhalten der Tiere genau und weiß, wie man sich in ihrer Gesellschaft zu verhalten hat, wann man ins Wasser geht und wann nicht. 
Wir fahren mit Marco in den Fjord hinaus und machen uns auf die Suche. Als wir das erste Mal Schwertwale direkt vor uns haben, kommt die Gruppe näher und umzingelt uns. Wir spüren sofort das unglaubliche Gefühl, das viel intensiver ist, als die Tiere nur aus der Ferne von Land aus zu beobachten. Unmittelbar, nah, einfach bewegend. Ein Bulle taucht direkt neben dem Boot auf und bläst lautstark und kräftig aus. Mir stockt der Atem. Ich fühle Demut und Glück über diesen Tag mit seinen perfekten Bedingungen.

Gallery 2 here

Die Tiere scheinen Langschläfer zu sein, denn meistens werden sie erst nachmittags aktiv. Leider bedeutet das für mich, dass mein Zeitfenster bis zum Einbruch der Dunkelheit sehr klein ist. Aber wir erhalten Hilfe von zuverlässiger Seite. Möwen sind gute Indikatoren. Wo sie jagen, gibt es Heringe. Und wo die Heringe sind, da sind auch die Orcas meist nicht weit.

Der Pulsschlag steigt

Ein großer Schwarm Möwen kreist über dem Wasser, einige Schwertwale schwimmen umher. Plötzlich brodelt das Wasser. Jemand treibt die Heringe an die Oberfläche. Die Vögel stürzen sich aus allen Richtungen auf die leichte Beute, die Orcas stoßen in den schäumenden Pulk. Das Boot ist mittendrin und ich weiß nicht, wohin ich zuerst schauen soll.   Marcos Blick ist auf das Geschehen gerichtet und nach einigen Minuten gibt er endlich den Befehl zum Fertigmachen. Die Jagd sei stabil, meint er, ich könne es probieren. Der langersehnte Moment ist gekommen. Mein Pulsschlag steigt.
 Im Wasser schwimme ich ruhig auf den Heringsschwarm zu und unter mir sehe ich die schwarz-weißen Umrisse der Orcas. Doch ist muss näher ran, um brauchbare Aufnahmen zu erhalten. Plötzlich sehe ich den ersten Buckelwal. Was sonst eine ebenso glückselige Begegnung ist, bedeutet hier das Ende der Jagd. Und so ist der Moment genauso schnell vorüber, wie er begonnen hatte. Für gute Fotos hat es nicht gereicht. Die kommenden Tage verlaufen ebenso enttäuschend aber wir geben noch nicht auf.

Es ist ein Samstag, als wir in der Nähe der Insel Vengsoy eine große Gruppe Schwertwale entdecken, die scheinbar entspannt ihre Runden zieht und sich immer wieder unserem Boot nähert. Wie aus dem Nichts beginnen sie mit ihrer Jagd. Souverän und ohne Hektik. Zielsicher schwimmen sie unter die Heringsmasse und jagen sie an die Oberfläche. Immer wieder lassen sie von der Beute ab, um diese kurz darauf erneut nach oben zu treiben. Die ganze Zeit über betreiben sie ihr Spiel in der Nähe des Bootes. Für mich ist es nicht möglich, die Situation einzuschätzen aber Marco gibt das „Go!“. Vorsichtig gleite ich ins Wasser und schwimme auf den Heringsschwarm zu. Die Luftblasen der Orcas steigen durch die Fischmasse hindurch nach oben und ich bin mittendrin. Wieder verschwinden die Schwertwale urplötzlich wie auf ein geheimes Kommando und sind kurze Zeit später auf einmal wieder zur Stelle. Eineinhalb Stunden bin ich im sechs Grad kalten Wasser. Die Kälte spüre ich erst spät. Adrenalin und Glückshormone halten mich warm.
 Nach einem solchen Erlebnis gibt es nur eins: den „afterglow“ mit einem kühlen Bier im heißen Whirlpool genießen, das Kopfkino angeschaltet und den Tag Revue passieren lassen. Es ist eine kurze Ruhe vor der aufregenden arktischen Nacht, in der die Kamera nicht zur Ruhe kommt. Aurora Borealis heißt das Polarlicht, sein Zauber ist geheimnisvoll, seine Erscheinung schwer in Worte zu fassen und nicht leicht zu fotografieren.

Gallery 3 here


Drei hungrige Buckelwale tauchen auf

Am nächsten Tag versuchen wir unser Glück erneut an der Insel Vengsoy und entdecken schon vor der Bucht eine Gruppe Schwertwale, die gerade mit der Jagd beginnt. Wieder sind die Bedingungen eigentlich perfekt, wenn auch die Sicht unter Wasser schlechter ist, als erwartet. Als drei hungrige Buckelwale auftauchen, wird der Heringsschwarm hektisch. Die Wale schießen mit weit geöffnetem Maul aus dem Wasser und mir wird ihre Kraft und schiere Größe bewusst. Ich fühle mich in dieser Situation nicht wohl, doch sie ziehen weiter und beachten mich nicht mehr.  Es folgen weitere aufregende Begegnungen mit Killerwalen in den nächsten Tagen, trotz sehr wechselhafter Bedingungen und schlechter Sicht. Wind und Wellengang zeigen uns, wie hart die Gesetze der Natur manchmal sein können. Orcas sind soziale Tiere und intelligente Räuber. Wie alle Prädatoren müssen sie die Jagd schon von klein auf trainieren. Wir beobachten ein Jungtier, das sich spielerisch einen Austernfischer schnappt, ihn unter Wasser zieht, mit der Fluke in die Luft schleudert und immer wieder ausspuckt. Doch der junge Schwertwal frisst den toten Vogel nicht. Er bringt ihn uns als Geschenk ans Boot.

Wir haben unsere Reise den Orcas gewidmet, es bleibt lediglich Zeit für einen einzigen Nachttauchgang, um die Unterwasserwelt kennenzulernen. Zu wenig, wie wir feststellen. Die faszinierenden Felsenriffe und ihre Bewohner, die Fischotter und Seeadler, die reizvollen Landschaften Tromviks, wir haben sie vernachlässigt. Es gibt viel nachzuholen beim nächsten Besuch. Ob es wieder Tromvik wird, ist nicht sicher. Die Heringsmasse ist in Bewegung und wird inzwischen weiter nördlich bei Skiervoy gesichtet. Norwegen bleibt also in jedem Fall ein spannendes Ziel mit vielen Unbekannten.

Wer das Naturspektakel mit Killerwalen in Norwegen erleben möchte, findet noch Plätze für 2022 bei www.waterworld.at:

https://www.waterworld.at/specials/2021-2022-2022-schiffssafari/viking-sea-orcas-2022/

Oder 2025 im Warmwasser in Kombination mit Mobulas in der Sea of Cortez/Mexiko:

https://www.waterworld.at/specials/2025/mobulas-und-orcas-1/
https://www.waterworld.at/specials/2025/mobulas-und-orcas-2/