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Ökosystem der Spanischen Salzwasserlagune Mar Menor bekommt besonderen Schutz
Die Salzwasserlagune Mar Menor an der spanischen Mittelmeer-Küste in der Region Murcia ist seit Jahren durch Wirtschaft und Tourismus belastet. Umweltschützer feiern nun einen Erfolg: Das Mar Menor ist damit das erste Ökosystem Europas, das diesen Status erhält; inklusive einklagbarer Rechte.
Der Senat in Madrid hat diesen großen Schritt mit großer Mehrheit beschlossen. Schon im April hatte das Abgeordnetenhaus dem Vorhaben zugestimmt.
Schutz als Ökosystem
Mit dem Abschluss des Gesetzgebungsverfahren und der Veröffentlichung im Gesetzesblatt können Bürger und Bürgerinnen – auch wenn sie nicht selbst betroffen sind – die Justiz wegen einer vermuteten Verletzung von Rechten der größten Salzwasserlagune Europas anrufen. Dabei geht es um den Schutz der Lagune als Ökosystem. Ein Komitee aus sechs Vertretern und Vertreterinnen der Behörden und sieben der Gesellschaft soll den Schutz, den Erhalt und die Gesundung der Lagune überwachen.
Der Beschluss geht auf ein in der spanischen Verfassung verankertes Bürgerrecht auf Auslösung eines Gesetzgebungsverfahrens zurück. Dazu müssen mindestens 500.000 Unterschriften gesammelt werden. Für die Initiative hatten mehr als 640.000 Menschen unterschrieben.
Jetzt darf jeder Bürger, auch wenn er nicht selbst betroffen ist, klagen, wenn er die Rechte des Mar Menor verletzt sieht. Wer der Lagune schadet, kann vor Gericht gebracht und zu einer Geldstrafe verurteilt werden.
Vielfache Gründe führen zur starken Belastung
Das flache Mar Menor (spanisch für "Kleineres Meer") wird seit Jahrzehnten vor allem durch intensive Landwirtschaft, aber auch Minenbetriebe und überbordenden Tourismus gefährdet. Dazu kommen Einleitung von großen Mengen Süßwassers aufgrund der gigantischen Landwirtschaftsbetriebe in der regenarmen Region – das Wasser wird aus Zentralspanien über große Kanalsysteme in den Süden gebracht. Die Kombination aus Überdüngung und der Süßwassereinleitung fördert das Algenwachstum. Starker Sauerstoffmangel wird dann durch die extrem heißen Sommer weiter gefördert und es kommt zu einem Massensterben von Fischen und anderen Wassertieren.
Seepferdchen gab es vor nicht allzu langer Zeit in großen Mengen im Mar Menor. Das kristallklare Wasser, der besondere Salzgehalt, etwas höher als der des Mittelmeers, von dem die Lagune nur eine schmale Landzunge trennt: Die Lebensbedingungen waren ideal für diese bezaubernden Meeresbewohner. Bald könnten die Seepferdchen im Mar Menor allerdings vollständig ausgerottet sein. Fast die gesamte Population des Langschnäuzigen Seepferdchens (Hippocampus guttulatus) hat die Lagune in den vergangenen zehn Jahren verloren, warnt der Verein Asociación Hippocampus. Auf 200 000 Exemplare kam eine Schätzung im Jahr 2012 noch, im Dezember 2020 wurden noch 1350 Tiere gezählt. Dann kam der Sommer 2021 und die Population wurde nahezu gesamtheitlich ausgelöscht.
Gut über 15 Tonnen Fische, Krustentiere und Algen sind im heißen Katastrophenjahr 2021 in der Salzwasserlagune verendet. Hunderttausende Seepferdchen, kleine Fische, Muscheln und Krebse sind im Wasser der Lagune erstickt und wurden an die Ufer gespült. Schuld daran ist nach Einschätzung von Meeresbiologen der Mensch: Politisches Versagen im Zusammenspiel mit der überbordenden Agrarproduktion in der Region Murcia haben zum kompletten Kollaps des ehemaligen Naturparadieses geführt.
“Revolution des Wirtschaftssystems“
Im August 2021 ist das Wasser der Lagune komplett gekippt, als nach Tagen mit Lufttemperaturen von 40 Grad tonnenweise tote Tiere aus dem Wasser geholt wurden. Der Umwelt eigene, einklagbare Rechte zuzuerkennen sei eine „Revolution, die dem derzeitigen Wirtschaftssystem, das den Planeten zerstört, Grenzen setzen wird“, sagte die Philosophieprofessorin der Universität Murcia, Teresa Vicente, im April.
Während des auch sehr heißen Sommers 2022 in Spanien und weiten Teilen Europas war die Wassertemperatur im Mar Menor im August abermals extrem gestiegen: mehr als 31 Grad wurden gemessen. Umweltschützer und Fischer holten in diesem Jahr mehr als 14.000 Tonnen Biomasse aus der Lagune.
Das neue Gesetz gibt der belasteten Lagune das Recht, "als Ökosystem zu existieren und sich auf natürliche Weise zu entwickeln". Ein Komitee, das aus Vertretern der Behörden und der Gesellschaft besteht, soll fortan über den Schutz, den Erhalt und die Renaturierung des Mar Menor wachen.
Mit dem neuen Gesetz soll die Zukunft der Lagune nun auch auf rechtlicher Ebene gesichert werden. Ein bisher einzigartiger Vorgang in Europa. Ecuador ist momentan das einzige Land auf der Welt, dass die Natur in seiner Verfassung zum Rechtssubjekt erhoben hat. 2017 wurde der Fluss Whanganui in Neuseeland erstmals mit den gleichen Rechten wie ein lebender Mensch ausgestattet. Initiativen die vielleicht eine Chance für unsere Umwelt bedeuten?