Haifütterungen und ihre Folgen

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06.07.2023 14:26
Kategorie: Biologie

Versuch einer Erklärung

Nach den gruseligen Videoszenen des Haiunfalls vor Hurghada ging dieser Tage wieder eine Schreckensmeldung um die Welt. An dem berühmten Tauchplatz Embudu Express, vor der gleichnamigen Malediveninsel, wurde letzte Woche eine Frau beim Schnorcheln durch einen Ammenhai verletzt. und schon kocht die Gerüchteküche. Wie bei dem Haiunfall in Hurghada sollen direkte oder indirekte Haifütterungen die Ursache sein. So wird zumindest hinter vorgehaltener Hand gemunkelt.

Bericht von Gerhard Wegner

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Sind Haifütterungen wirklich der Grund für all diese Haiangriffe?
Höchste Zeit, die Folgen von Haifütterungen einmal zu analysieren bzw. den Versuch einer objektiven Analyse zu unternehmen. Die Einschränkungen kommen von einem der bekanntesten Haiforscher.  Dr. Samuel Gruber hat es in einem Gespräch mit mir einmal auf den Punkt gebracht. Er sagte: Kein Haiunfall dieser Welt ist zu erklären. Die Gründe: Es gibt einfach zu wenig Unfälle und viel zu viele Einflussfaktoren.

Da hat er sicherlich recht, aber wir Menschen und vor allem die Medien brauchen Erklärungen. Möglichst einfache und überschaubare. Das ist das, was aktuell gerade passiert. Durch Futter angelockte Killerhaie oder wegen Überfischung ausgehungerte Haie sind eine einfache Erklärung. Ebenso ist die öffentlich kommunizierte Jagd auf den Mörderhai und die Zurschaustellung des erlegten Tieres eine einfache Lösung für die Touristen vor Ort.

Einfach - aber nicht unbedingt wahr. Und hier sind wir mitten im Problem. Wie soll man einen Haiunfall erklären, wenn man es laut Doc Gruber gar nicht kann?

Vor dem Problem standen Christine Gstöttner und ich, als wir uns daranmachten, mit BLIND DATES (Download Link Kapitel 6 (30MB)) ein Buch über Haibegegnungen und die Gründe für Haiunfälle zu schreiben. Unsere Motivation für das Buch war der Gleiche, wie für diesen Artikel. Bei der Erklärung von Haiunfälle geht es nämlich im Grunde um den Schutz der Haie. Der Grund: Niemand schützt einen Killer. Die Aufgabe, die ich mir schon mit der Gründung von SHARKPROJECT gesetzt hatte, war damit klar: Das Bild des Hais in der Öffentlichkeit geraderücken. Anders gesagt, aus einem menschenfressenden Killer ein ganz normales Raubtier zu machen.

Nicht einfach, wenn Haiunfälle mit Todesfolgen dagegenstehen. Umso wichtiger, die Gründe der seltenen Unfälle irgendwie zu verstehen. Klar war, dass wir uns dabei nicht auf Wissenschaft berufen konnten. Also machten wir das, was die Menschheit schon seit Urzeiten mit großem Erfolg macht, wenn sie mit Unbekanntem konfrontiert ist. Welche Tiere und Situationen für uns gefährlich sind und welche Pflanzen und Beeren giftig oder genießbar sind, lernen unsere Vorfahren nicht durch Wissenschaft, sondern durch Erfahrung. Learning by doing – wie es die Engländer sagen.

Nur war es zwar so, dass Christine und ich jede Menge Hai-Know how mit einbrachten (über 4.000 Tauchgänge bei mir, darunter 1.500 nur mit oder wegen der Haie und Christine mit einer vergleichbaren Anzahl), aber das machte uns noch nicht zu Hai-Gurus, die alles wissen, oder glauben es zu wissen... Davon gibt es leider viel zu viele. Für das Buch war es wichtig, eine breite Wissensbasis zu haben, um nicht in die Ecke der selbsternannten Gurus abgeschoben zu werden. Für dieses Projekt haben wir 25 internationale Haiexperten (Tauchguides, Wissenschaftler, Forscher, Fotografen und Filmer) mit an Bord geholt. Aus den Erfahrungen der gemeinsamen über 35.000 Haibegegnungen haben wir dann versucht, in dem Buch BLIND DATES schlüssige Begründungen für Haiunfälle zu finden.

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                                                                       Download Link Kapitel 6 (30MB)

Anfangs wussten Christine und ich nicht, ob das Projekt gelingt, aber schon bald packte uns die Begeisterung, als wir merkten, wie sich die verschiedenen Erfahrungen ergänzten und miteinander verzahnten und klare, eindeutige Erfahrungswerte hervorbrachten.

Schon in einer früher Phase waren wir uns alle einig, dass Futter im Wasser – direktes oder indirektes Futter – ein Schlüsselfaktor bei Haiunfällen ist.

Erkenntnis 1: Als Raubtiere sind Haie vorwiegend futterorientiert. Wenn sie nicht gerade dem anderen Geschlecht hinterherhecheln, sind sie auf der Suche nach Futter. Egal ob es sich nur um den Geruch nach Futter handelt, um Geräusche, die nach Futter klingen oder um einen leckeren Happen im Wasser – all das lockt sie über weiter Entfernungen an, macht aus einem eher scheuen Tier ein sehr neugieriges und es verändert sowohl das Verhalten einzelner Haie als auch die Gruppendynamik.

Erkenntnis 2: Im Verhalten gibt es jedoch klare Unterschiede zwischen offenem und geschlossenem Futter. Was ich damit meine, belegen eindrucksvoll die folgenden Bilder.

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Eine Haifütterung mit einem Köderkorb, gefüllt mit Fischstücken. Eine beliebte Methode bei Haifütterungen. Der Geruch lockt Haie magisch an. Trotzdem entsteht keine Hektik. Neugierig umkreisen sie den Korb und bleiben auf vorsichtigem Abstand zu den Tauchern.

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Die gleiche Situation, wenige Minuten später. Der Guide wollte den Tauchern „Action“ bieten und kippte den Korb aus. Die Fischstücke verteilten sich im Wasser und schlagartig veränderte sich das Verhalte der anwesenden Haie. Hektik brach aus, kreuz und quer schossen sie durchs Wasser, rempelten sich gegenseitig und Taucher an, die sich zu nahe heranwagten. Die Situation wurde unberechenbar.

 

Drei Arten von Haifütterungen
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Sind Haifütterungen also jetzt der Auslöser für Haiunfälle?
Ein klares Nein. Futter im Wasser, auch offenes Futter ist zwar eine zentrale Stimulanz, erhöht aber nur das Risiko einer nahen Haibegegnung. Erst wenn zusätzliche Faktoren hinzukommen, wird es gefährlich.

Diese weiteren Unfallfaktoren sind:

Die Art des Hais
Es gibt über 500 Haiarten und nur wenige können aufgrund ihrer Größe, ihrer Zähne und ihres Verhaltens einem Menschen überhaupt gefährlich werden. Tigerhaie, Bullenhaie, Weiße Haie jagen zum Beispiel normalerweise in flachen Ufergewässern, sie sind groß und haben Messerzähne. Kein Wunder, dass diese drei Haiarten auch an den meisten Unfällen beteiligt sind.

Irritationen der Sinne
Das umfasst alles, was seine Sinne beeinträchtigt, also schlechte Sicht, viele Geräusche im Wasser, viele unterschiedliche Gerüche oder elektrische Spannungen, wie zum Beispiel bei einem Gewitter.

Konkurrenz
Einzelne Haie verhalten sich anders, als eine Gruppe von Haien. Der Konkurrenzfaktor, also wem gehört das Futter ist hier ein wesentlicher Faktor, um Scheu und Vorsicht zu verlieren.

Persönlichkeit des Tieres
Wer selbst Haustiere hat, weiß, dass Hunde nicht gleich Hunde sein, Katzen nicht gleich Katzen, selbst Kanarienvögel haben unterschiedliche Charaktere. Manche Tiere sind neugieriger als andere und manche sind sogar richtige Raufbolde. Das gilt genauso für Haie.

Konditionierung
Damit ist gemeint, dass sich Haie auch an Menschen gewöhnen können und damit ihre ursprüngliche Scheu sogar verlieren. Das geschieht unter anderem in Gebieten, in denen sich Menschen und Haie regelmäßig begegnen, also zum Beispiel in Jagdgebieten der Haie, die sie sich mit Strandbesuchern oder Wassersportlern teilen.

Kein Respekt
Der Unterschied zwischen dem gefährlichen Aussehen von Haien und ihrer Ungefährlichkeit für Menschen hat in vielen Gebieten zu einem richtiggehenden Haitourismus geführt. Leichtsinn und unverantwortliche Haifütterungen sind leider üblich.

Einfache Schlussfolgerung: Je mehr Unfallfaktoren sich addieren, umso höher ist das Risiko einer Verwechslung, eines Haiunfalls.
Mit dieser These könnte man theoretisch die meisten Haiunfälle irgendwie erklären und auch das Risiko einer Haifütterung einschätzen. Klar ist, dass Futter im Wasser der stärkste Reiz ist und alle anderen Faktoren verstärkt. Aber warum kommt es dann bei einigen Unfällen nur zu Rempeleien mit einem möglichen Testbiss und bei anderen sind mehrfache, ernsthafte Bisse dokumentiert?

Das Geheimnis liegt in der Motivation des Hais, einen Menschen anzugreifen. Unsere Experten sprechen hier von drei bis vier Szenarien. Entsprechend dem Modus, in dem sich der Hai befindet, unterscheidet sich die Art und Schwere des Haiunfalls.

Der Hai jagt.
Charakteristisch dabei ist ein schneller, harter Angriff mit heftigen Bissen, um die Beute zu schwächen. Das ist die seltenste Art eines Haiangriffs auf einen Menschen. Und dabei handelt es sich immer um eine Verwechslung. Die Auslöser sind vor hier vor allem typische Stimulanzien, die den Jagdtrieb eines Hais wecken, wie offenes Futter im Wasser oder hektische Bewegungen, die den Hai einen verletzten Fisch vortäuschen.

Der Hai sondiert
Auch hier ist wieder Futter im Spiel. Gerüche oder Geräusche, die dem Hai Futter versprechen, ohne den Jagdtrieb zu wecken. Der Hai ist neugierig, wird aber sehr vorsichtig und verhalten agieren, da er nicht weiß, was ihn am Ende des Geruchs erwartet. Die These der addierten Unfallfaktoren passt hier perfekt. Jeder weitere Unfallfaktor wird ihn noch neugieriger machen. Er kann rempeln oder sogar einen Testbiss ansetzen. Das klingt schlimmer als es ist. Ein Testbiss ist kein wirklicher Biss.

Da ein Hai keine Hände hat, wird er zunächst mit allen Sinnen versuchen, sich über das unbekannte Objekt klar zu werden. Am Schluss einer solchen Untersuchung steht Anrempeln und erst, wenn er sich danach immer noch unsicher ist, kommt es zu einem Test- oder Gaumenbiss. Dabei drückt er die Ober- und Unterkiefer an das Objekt, ohne dabei wirklich zuzubeißen. Hier kommen seine Geschmacksknospen im Gaumen zum Einsatz. Ein neugieriger Hai, der sondiert, ist die häufigste Unfallursache. Dabei kommt es aber nur in selten Fällen zu echten Bissen. In 99,9% aller Fälle dreht der Hai vorher ab.

Der Hai ist im Stress
Ein solches Szenarium entsteht, wenn andere Haie mit im Spiel sind. Durch den Konkurrenzdruck sind die Haie aufgeregt und schießen durchs Wasser auf der Suche nach Beute. Dabei kann es aus lauter Stress zu Rempeleien und Bissen kommen. Fehlender Respekt vor den Tieren und mangelnde Vorsichtsmaßnahmen sind hier die vom Menschen selbst verschuldeten Risiken.

Der Hai wehrt sich
Schläge und Tritte wehren einen Hai nicht unbedingt ab. Auch das Wegschieben und Wegdrücken können Haie als Angriff auffassen und wehren sich mit Bissen.

Können wir mit all dem Wissen den Haiunfall vor Hurghada jetzt erklären?
Sortieren wir mal, was wir alles wissen. Dank dem Know how unserer Experten wissen wir doch eine ganze Menge über das Verhalten von Haien. Und die Details? Vom Unfall vor Hurghada gibt es sogar einen Film und mehrere Augenzeugenberichte. Wir wissen die Art des beteiligten Hais und ein wenig die Vorgeschichte. Mehr Fakten gibt es bei fast keinem anderen Haiunfall. Versuchen wir es also einmal.

Der Versuch einer Erklärung
Ein Tigerhai nähert sich auf seiner normalen Futterpatrouille einem Badestrand. Die Strandwache bemerkt die Flosse und gibt Haialarm. In heller Panik verlassen die Badegäste das Wasser. Die hektischen Geräusche ihrer Flucht machen den Hai neugierig und er schwimmt zum Strand. Im Wasser ist nur noch ein Schwimmer. Der Alarm und die entsetzten Schreie der anderen Badegäste versetzen auch jetzt ihn in Panik. So schnell er kann, versucht er das Ufer zu erreichen. Seine hektischen Fluchtbewegungen sind ein weiterer Reiz für den Tigerhai. Bewegungen unter Wasser erzeugen für Haie Geräusche und das panische Schwimmen erzeugt genau die gleichen Frequenzen wie verletzte Fische. Dazu kommt die Flucht. Ein weiteres Indiz für mögliche Beute. Aber er ist noch unentschlossen, umkreist den Schwimmer stößt ihn an, hebt ihn sogar kurz aus dem Wasser. Panisch tritt der Schwimmer jetzt um sich. Im Jagd- und/oder Abwehr-Modus beißt der Hai mehrfach zu und verletzt dabei eine Schlagader. Als kurz darauf die Küstenwache eintrifft, kann sie nur noch die Leiche des Schwimmers bergen.

So oder ähnlich könnte es sich zugetragen haben. Oder auch nicht! Vielleicht war es ganz anders.

Jetzt bin ich nämlich in meine selbstgestellte Falle getreten und habe mich mit meinem Halbwissen in einen Guru-Zustand versetzt und versucht, etwas logisch zu erklären, von dessen Hintergründen ich viel zu wenig weiß.

Und damit sollten wir es genug sein lassen. Bei durchschnittlich weltweit nur 60-80 sogenannter Haiattacken mit 6-10 Toten pro Jahr ist im Grunde jede Erklärung sowieso überflüssig. Fest steht, Menschen gehören nicht ins Nahrungsspektrum der Haie und bei den wenigen Attacken pro Jahr handelt es sich um extrem seltene Unfälle.

Benimmregeln bei einer Haibegegnung.
Vor allen Dingen ruhig bleiben. Keine hektischen Bewegungen, keine panische Flucht – das wird den Hai sonst anlocken.

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Möglichst mit anderen Schwimmern oder Badegästen zu einer Gruppe zusammenschließen, eine Gruppe hält den Hai auf Abstand.

Respekt behalten und nicht leichtsinnig werden, weil so wenig passiert. Der Hai könnte dir deinen Leichtsinn sehr übelnehmen.

Wenn es geht, eine senkrechte Position einnehmen. Das verwirrt den Hai, weil er im Meer nur horizontale Lebewesen kennt. Das setzt jedoch eine ziemliche Kaltblütigkeit voraus, dem Hai seine Beine entgegenzustrecken.

Das Tier im Blick behalten. Sollte der Hai kreisen, mit ihm drehen. Unser Tipp: Beim Schwimmen in Gewässern, in denen Haie vorkommen, benutze eine Schwimmbrille oder Tauchermaske. Die Erfahrung zeigt, dass eine Haiannäherung meist nur erfolgt, wenn sich das Tier unbemerkt fühlt.

Wenn das Tier trotzdem zu dicht auf die Pelle rückt, notfalls von oben auf die Schnauze drücken und nach unten wegschieben oder hinter den Kiemen anfassen und kräftig wegdrücken.

Auf keinen Fall den Respekt verlieren und nach dem Hai schlagen oder treten.

 

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Die Teilnahme an einer Haifütterung ist immer ein Risiko, besonders, wenn einige Unfallfaktoren zusammenkommen.

Sicherheits-Check bei Hai-Fütterungen
O     Teilnahme nur als erfahrener Taucher
O     Sicherheits-Taucher mit im Wasser
O     Ausführliche Sicherheits- und Notfall-Besprechung vor dem Tauchgang
O     Interaktions-Schulung vor dem Tauchgang
O    Strömung beachten. Nicht im Geruchskorridor aufhalten
O    Die Gruppe nicht verlassen
O    Immer Respekt bewahren