Fangschreckenkrebse. Von Schmetterern und Speerern

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25.11.2010 09:47
Kategorie: Biologie



Sie schlagen mit einer Wucht zu, die dem Geschoss einer kleinkalibrigen Schusswaffe entspricht. Mit gleicher Gewalt spießen sie ihre Beute auf. Sie sehen aus, als entstammten sie einem Science-Fiction-Film oder einem Alptraum. Für einen Krebs sind sie erstaunlich clever. Ihre hochentwickelten Augen sehen, was wir Menschen uns nicht einmal vorstellen können. Sind sie also die ultimativen Jäger am Meeresgrund?

Bericht von Harald Mathä und Timmy Grohrock (www.fangschreckenkrebse.de)


Von Schmetterern und Speerern


Fangschrecken, wie die Gottesanbeterin, leben an Land. Namensgebend sind die unter ihrem Kopf gefalteten Fangbeine. Von ihnen leitet sich der Name Fangschreckenkrebse ab. Sie haben zwei höchst erfolgreiche Taktiken entwickelt: Speerer spießen ihre mit langen Stacheln bewehrten Fangbeine (Dactyle) in die Beute. Das klappt bei Garnelen oder Fischen mit weichem Bauch vorzüglich. Dick gepanzerten Krebse oder Schnecken muss man aber mit Gewalt knacken. Dazu dienen den Schmetterern dicke Verkalkungen am Ende der Dactyle, die wie eine Dampframme auf die Beute einschlagen.

Weltrekord im Boxen


Die Publikation in der Zeitschrift "Nature" vom April 2004 machte es offiziell: Fangschreckenkrebse sind die schnellsten Schläger der Welt. In nur 2,7 Millisekunden beschleunigte das Dactyl (Schmetterarm) auf eine Geschwindigkeit von 23 m/s. Das sind 82 km/h – gegen den Widerstand von Wasser, wohlgemerkt!

Die Kraft, die beim Schlag frei wird, entspricht dem Geschoss eines kleinkalibrigen Gewehrs. Bis 1.500 Newton (N) werden beim Hauptschlag durch das Dactyl frei, die Kavitationsschläge danach bringen es auf 500 N. Kein Wunder, dass selbst die dicksten und härtesten Panzer von Krebsen im Nu geknackt sind.

Durch die hohe Geschwindigkeit entsteht im Wasser hinter dem Dactyl ein extremer Druckunterschied. Luftbläschen fallen in sich zusammen. Durch diese Kavitation entstehen weitere Schläge auf die Beute, die immerhin noch fast halb so stark wie der Hauptschlag sind. Diese Kavitationsknalle sind auch unter Wasser deutlich zu hören.

Vermenschlicht sieht das etwa so aus: Wir halten einen schweren Hammer fest in der Faust. Mit dem Bizeps heben wir den Unterarm samt Hammer zur Schulter und fixieren ihn dort. Der Trizeps wird jetzt auf eine Art und Weise angespannt, von der selbst die besten Bodybuilder nicht einmal träumen können. Arm, Hand und Hammer sind noch immer fixiert. Nun ist das Ziel anvisiert. Jetzt gibt das Gehirn den Befehl: FEUER! Der Hammer schlägt jetzt mit einer unvorstellbaren Wucht zu. Wir können so theoretisch eine dicke Betonmauer durchschlagen. In der Praxis aber halten unsere Knochen und Muskeln einer solchen Belastung nicht Stand und wären dabei zu blutigem Matsch geworden, der jetzt unappetitlich auf der kaputten Mauer klebt. Wie die Schmetterer diese Beanspruchung aushalten, ist noch nicht erforscht. Sie erneuern jedoch ihre Fangbeine bei jeder Häutung.


 

Augen: Die beste Optik der Meere?


Ist die Geschwindigkeit, mit der diese Tiere nach ihrer Beute schlagen, schon Weltrekord, so sind es auch ihre Augen. Gegen die Optik der Fangschreckenkrebse sind unsere Augen schlichtweg primitiv! Jedes an einem Stiel sitzende Auge besteht aus bis zu 10.000 Einzelaugen (Omatidien) und ist für sich in allen Richtungen beweglich.

Die Augen der Schmetter sind rund, die der Speerer nierenförmig und in eine obere und untere Hemisphäre durch ein auffälliges Mittelband geteilt. Dieser optische Sensor aus sechs Omatidienreihen ist einer der kompliziertesten Sensoren im Tierreich, der nicht nur mehr als 100.000 Farben, sondern auch ultraviolettes und polarisiertes Licht analysiert.

Das Tier ist mit dieser einzigartigen Konstruktion in der Lage, schon mit nur einem Auge dreidimensional zu sehen. Die hochentwickelten Augen dienen auch noch zu einem anderen Zweck: Fangschreckenkrebse kommunizieren mit fluoreszierendem und polarisiertem Licht und signalisieren so Paarungsbereitschaft, ebenso wie Drohungen gegenüber Artgenossen.


Infobox Fangschreckenkrebse


Ordnung: Stomatopoda
Englisch: Mantis shrimp
Etwa 400 Arten in 19 Familien und über 100 Gattungen
Größe: Bis 35 Zentimeter
Aussehen: Von getarnt bis bunt gemustert
Lebensraum: Boden- und Riffbewohner, meist in Höhlen lauernd
Tiefe: Meist Flachwasser bis 20 Meter
Verbreitung: Tropische und temperierte Meere
Verwechslungsmöglichkeit: Bei flüchtigem Hinsehen mit Garnelen



Aus dem Hinterhalt: Jagdverhalten


Speerer lauern meist in ihrer U-förmigen Höhle auf Beute. Nur Augen und Fühler sind zu sehen. Kommt ein leckerer Fisch oder eine Garnele in Reichweite, geht alles ganz schnell. Der Krebs schießt der Beute entgegen und rammt von unten seine Fangbeine in den Bauch der Beute. Das sieht man aber nur mit Hochgeschwindigkeitskameras. Danach wird die Beute in die Wohnhöhle gezerrt und dort gefressen. Ungenießbares fliegt, gefolgt von einem deutlichen Rülpser, in hohem Bogen aus dem Bau.



Schmetter hingegen schleichen sich wie eine Katze an die Beute. Dann folgt der Überfall. Reichen die ersten Schläge nicht aus, um die Beute zu töten, so folgen gezielte Schläge, um die Beine des Opfers abzufetzen. Bewegungs- und verteidigungsunfähig geschossen, hat der Jäger nun Zeit, den Panzer aufzuknacken, um an das leckere Krebsfleisch zu kommen.


Revierkämpfe


Dringt ein fremder Fangschreckenkrebs in das Revier ein, kommt es zum Kampf. Würden die Gegner mit voller Kraft zuschlagen, so wäre einer oder beide Kontrahenten schwer verletzt oder tot. Das führt auf Dauer zum Aussterben einer Art, daher fallen die Schläge verhältnismäßig sanft aus. Auch versucht der Angegriffene, die Attacke auf dem Rücken liegend mit seinem Schwanz abzufedern. Der Kampf folgt strikten Regeln: Es wird immer abwechselnd zugeschlagen. Streicheleinheiten werden trotzdem nicht daraus: Der Angegriffene fliegt teils im so hohen Bogen durch das Riff wie einst Cowboys bei einer Schlägerei im Saloon.


Fortpflanzung


Kurz vor der Häutung signalisiert das Weibchen mit für Menschen unsichtbaren Lichtsignalen ihre Paarungsbereitschaft. Reagieren darauf mehrere willige Männchen, wird gekämpft, bis ein Sieger feststeht. Das kurze Kennenlernspiel besteht aus einigen Hieben, dann kommt es zum eigentlichen Akt in Missionarsstellung. Danach wird Romeo von der gar nicht zum Kuscheln und Schmusen aufgelegten Julia mit einigen Schlägen aus der Höhle geboxt.

Die befruchteten Eier (siehe Bild rechts) werden vom Weibchen zu einem Eipaket zusammengeklebt und bis zum Schlüpfen unter der Brust getragen. Durch ständiges Wenden wird das Eipaket belüftet und vor Verpilzung geschützt. Nach dem Schlüpfen verbringen die Larven zuerst eine Woche bei der Mutter in der Höhle, bevor sie phototrop (lichtempfindlich) werden und ins Plankton schwimmen. Nach einigen Wochen kommen sie ins postlarvale Stadium und lassen sich an einem geeigneten Ort nieder.

Finger weg!


Kein Gerücht: Größere Fangschreckenkrebsarten (z.B. Odontodactylus scyllarus) können tatsächlich dünnere Aquarienscheiben zerschmettern. Das nötigt Respekt ab: So sollte man nie versuchen, mit einem Fangschreckenkrebs zu "spielen", ihn anzufassen oder mit dem Finger für ein Foto in Position zu schupsen. Das Tier wird das als Bedrohung sehen und sich mit allen Kräften verteidigen.

Eine üble Verletzung an der Hand ist dann sicher. Experte Timmy Grohrock schildert seine Verletzung durch einen 14 Zentimeter großen Fangschreckenkrebs so: "Stellen sie sich vor, sie schlagen sich einen Hammer mit voller Wucht auf den Finger. Zehnmal stärker war dieser Schmerz!" Tauchen fällt dann sicher für einige Tage aus. Infiziert sich die Wunde, was bei Verletzungen in tropischen Meeren gerne mal vorkommt, dann bereut man seine Dummheit noch länger.



Video zum Thema:

 


Ein Fangschreckenkrebs und seine Jagdmethoden in Nahaufnahme. Danke an Timmy Grohrock für die anschauliche Dokumentation.



Fazit


Fangschreckenkrebse gehören zu den effizientesten Jägern am Meeresgrund. Vor 200 Millionen Jahren trennten sie sich von den Krebsen und entwickelten sich höchst erfolgreich weiter.

Für ihre Größe entwickeln sie eine unvorstellbare Kraft beim Zuschlagen. Ihre hochentwickelten Augen machen fast jede Tarnung nutzlos. Einmal in Reichweite eines Fangschreckenkrebses ist die Beute praktisch tot. Nur gut, dass sie nicht größer sind!