Expedition Goðafoss

Teile:
04.03.2016 09:44
Kategorie: Diverses

Ungelöstes Rätsel vor Island

10. November 1944: Islands "Stolz der Insel", sein größter Passagierfrachter Goðafoss, befindet sich kurz vor Reykjavík und wird vom deutschen U-Boot U 3001 torpediert. Der Einschlag reißt ein scheunentorgroßes Loch in das Schiff. Innerhalb von sieben Minuten sinkt es und wird für 24 Menschen ein eisiges, nordatlantisches Grab. Ein Stück deutsch – isländischer Geschichte, die ein Expeditionsteam nun zu einem würdigen Ende bringen möchte.

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Düsseldorf, Messe BOOT 2016, Halle 3, Taucher.Net Stand: Briefing und Detailplanung des Expeditionsteams Goðafoss, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, im Sommer 2016 nach nunmehr vierjährigen Recherchen und Vorbereitungen das Wrack zu lokalisieren, zu betauchen und zusammen mit isländischen Behörden sowie Hinterbliebenen mit einer Zeremonie eine Geschichte würdevoll zu beenden, die vor rund 72 Jahren begann. DiveInside hatte die Gelegenheit, Planungsdetails aus erster Hand zu erfahren.

Bericht von Hans „Shuttle“ Schach

Unverhohlene Begeisterung bei Thomas Weyer, dem Projektleiter der Expedition: Die Geschichte der Goðafoss beschäftigt ihn seit rund vier Jahren. „Ich will sie finden, ich werde sie finden!” Es geht ihm nicht nur darum, ein neues Ziel für Wracktaucher zu entdecken. „Die Torpedierung” dieses zivilen, neutralen Schiffes, ausschließlich mit Zivilisten und unverfänglicher Fracht an Bord, war ein Versehen. Da es an der Spitze eines alliierten Geleitzuges fuhr und darüber hinaus noch mit Tarnfarbe bemalt war, hatte das deutsche Unterseeboot U 300 keine Möglichkeit, die Goðafoss als neutrales Schiff zu identifizieren. Die isländischen Behörden haben ein großes Interesse daran, das Wrack zu lokalisieren, sind überaus hilfsbereit und wir werden hier einen wertvollen Beitrag zur deutsch-isländischen Beziehung leisten“ Auch für Expeditionsmitglied Sabine Kerkau, die bislang weltweit mehr als 100 Wracks auf Tiefen bis zu 120 Metern betauchte, ist dieses Vorhaben mehr als „übliches Wracktauchen“. „Das Buch2 über den Untergang hat mich fasziniert, direkt in seinen Bann gezogen. Wir müssen das Schiff finden, und wenn es nur Wrackteile sind“ so Sabine zu DiveInside.

Zielgebiet und Suchfenster

Thomas erläutert, wie er im Zielgebiet mit Hilfe eines strukturierten Layerverfahrens3 ein relativ kleines, überschaubares Suchfenster bestimmt. Grundlage bilden jeweils Schifffahrtskarten aus den 40er Jahren mit für die damalige Zeit gültiger Schiffsroutenführung. Darüber werden nun einzelne Layer gelegt, die sich auf Aussagen der Goðafoss Besatzung stützen, sowie auf Angaben von Zeugen, die den Untergang von Land aus beobachteten; außerdem werden Logbucheinträge beteiligter Schiffe und letztlich von der ICG (isländischen Küstenwache) bereitgestellte Suchergebnisse aus den Jahren 2002 – 2009 verwendet. Kombiniert mit Auswertungen bathymetrischer4 Daten nebst  Strömungsverhältnissen ergeben diese Layer übereinander gelegt und bildlich dargestellt ein Suchquadrat von ca. sechs Quadratseemeilen: „Dieses Quadrat werden wir mit modernster Sonartechnik in kurzer Zeit absuchen und bei Identifizierung von Objekten abtauchen können.

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Widrigkeiten eingeplant!

Im Juli 2016, dem Monat, in dem mit einigermaßen stabilen Wetterverhältnissen gerechnet werden kann, startet die Expedition. Oliver Perschke und Heike Fäustel, die das Team vervollständigen, werden mit PKW und  Equipment via Dänemark und entsprechender Fährverbindung anreisen und mit Sabine und Thomas im eigens angemieteten Appartement auf Island zusammentreffen. Isländische Freunde sorgen für Oberflächensupport, Logistik an Land und zur See sowie für die Verbindungen zu öffentlichen Stellen und Pressemedien.

Das Team geht noch einmal denkbare Widrigkeiten durch: Neben den oftmals schwierigen Wetterbedingungen in diesem nordatlantischen, an die Polarregion grenzenden Seegebiet, sorgt ein immenser Gezeitenhub für extreme Strömungsverhältnisse im Zielquadrat. „Die Küstenwache rät zu Tauchen im angeleinten Käfig“ erzählt Thomas. Oliver und Sabine lächeln: „Wir werden die Gezeitentabellen beachten und auch maximale Tauchzeiten festlegen. Unnötige Risiken gehen wir nicht ein. Und ein Oberflächensupport, der uns im Bedarfsfall aufsammelt, wird organisiert.“ Weitere besprochene Themen sind die (dem Team bekannten) Besitzverhältnisse des Schiffes, das Thema Rechtssicherheit für den Fall der Bergung diverser Gegenstände und die Öffentlichkeitsarbeit im Erfolgsfall.

Auch wenn aus verständlichen Gründen von Seiten der Redaktion keine weiteren internen Daten zum heutigen Zeitpunkt genannt werden können: Das Redaktionsteam von DiveInside ist beindruckt von der Professionalität der Recherchen, Vorbereitungen, Auswahl des zum Einsatz kommenden Equipments, drückt alle Daumen und freut sich im Erfolgsfall bereits heute auf eine Berichtserstattung aus erster Hand!

Das Projektteam

Thomas Weyer: Taucht seit 1979. Technischer Taucher (OC) seit Anfang 2000. Mittlerweile kann er auf die Erfahrung aus mehreren hundert Tauchgängen im Bereich zwischen 50 und 100 Metern zurückgreifen. Seine Vorliebe: Wrack- & Tieftauchen.

Sabine Kerkau: Taucht seit 1987. Technische Taucherin (OC) seit 2001, 2006 folgte der Rebreather. Nahm in den letzten Jahren jährlich mehrmals an weltweiten Wrackexpeditionen teil. Inzwischen betauchte Sabine mehr als 100 Wracks auf Tiefen bis zu 120 Metern. Ferner hält sie Vorträge über technisches Tauchen rund um den Globus.

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Oliver Perschke: Oliver Perschke ist Sabines zuverlässiger Tauchpartner seit 2002. Taucht seit 1993, Technischer Taucher (OC) 2002, seit 2012 Rebreather. Weltweites Wracktauchen und die Vorliebe für tiefe Tauchgänge sind seine Passion. Er betauchte als einer der ersten das erst 2008 entdeckte in 120 Meter Tiefe liegende U-Boot Wrack der U 455 vor der ligurischen Küste.

Gunnar A. Birgisson: Gunnar ist Isländer, zuständig für Informationsbeschaffung, Übersetzungen und Kontaktmann zu öffentlichen Stellen. Er verfügt über Kontakte zu Augenzeugen befasst sich seit Jahren mit der Goðafoss. Desweiteren verfügt Gunnar über jahrelange Taucherfahrung in den rauen isländischen Gewässern.

Schiffsdaten Goðafoss

- Nationalität: Island
- Typ: Frachtschiff
- Antrieb: Dampf
- Erbaut: 1921
- Erbauer: Frederikshavn Værft & Flydedok A /  S, Frederikshavn
- Tonnage: 1.542 BRT
- Abmessungen: 70,1 x 10,7 x 6,1 m
- Material: Stahl
- Motor: 3-fache Expansionsmaschine, ein Propeller
- Leistung: 168 n.h.p.
- Geschwindigkeit: 11,5 Knoten

Erläuterung, Infos und Links:

1 U 300: Deutsches U-Boot des Typs VII C. Kommando: Oberleutnant zur See Fritz Hein. Auf zweiter Einsatzfahrt südlich von Island hat es am 10. November 1944 den isländischen Frachter Goðafoss (1542 BRT) sowie den britischen Tanker Shirvan (6017 BRT) aus dem Geleitzug UR-142 versenkt.
2 Buch: Der Untergang der Goðafoss, Ottar Sveinsson (Hrsg.), Stefan Krücke, Ankerherz Verlag
3 Layerverfahren: Schichtenmodell. Einzelne Aspekte werden konzeptionell einer Schicht (engl. tier oder layer) zugeordnet und/oder übereinandergelegt.
4 Bathymetrie: hergeleitet von griech. βαθύς bathýs „tief“ und μέτρον métron „Maß“. Vermessung  topographischer Gestalt von (u.A.) Meeresböden. Eine bathymetrische Karte des Meeresbodens zeigt i.d.R. Tiefenzahlen, Tiefenlinien und evtl. farbige Tiefenschichten.

Expeditionsseite: www.expedition-godafoss.ava-info.de
Sabine Kerkau: sabine-kerkau.com
DVD „The lost ship”: www.amazon.co.uk/The-Lost-Ship-Arasin-Godafoss