DAN Europe: Neue Studien zur Physiologie des Tieftauchens mit Rebreather

Teile:
19.07.2022 22:08
Kategorie: News

Aqua Incognita - Tauchphysiologie beim Rebreathertauchen in größeren Tiefen

Tieftauchen mit Rebreathern ermöglicht nicht nur die Erkundung neuer und selten besuchter Tauchplätze. Auch in Sachen Tauchphysiologie erschließen diese Tauchgänge Neuland. Zwei aktuelle wissenschaftlich Studien, mit verfasst von Costantino Balestra (DAN Europe), beginnen mit dem Aufbau einer Datengrundlage.

Gallery 1 here

Für gewöhnlich sind Taucher bei der Wahl ihres Atemgases darauf beschränkt, was sie in ihren Flaschen mit sich tragen. Mit einem Kreislaufgerät (Rebreather oder CCR für closed circuit rebreather) ist dies anders: Taucher mit Rebreathern kontrollieren ihr Gasgemisch während des Tauchgangs. Dies versetzt sie in die Lage, jederzeit mit einem optimalen Sauerstoff-Partialdruck (PO2) zu tauchen, die Belastung durch Inertgase zu minimieren und Dekompressionszeiten zu verkürzen.

Darüber hinaus reduziert die Verwendung eines Rebreathers den Verbrauch an Atemgas drastisch – ein nicht unbedeutender Faktor, wenn man die logistischen Schwierigkeiten und Kosten der Beschaffung von Helium in vielen Teilen der Welt in Betracht zieht. Diese und andere Umstände tragen dazu bei, dass der Wechsel von offenem Gerät zu Rebreathern in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem wichtigen Trend im technischen Tauchen geworden ist. Neue Rebreather und elektronischen Steuerungen sind auf den Markt gekommen, die CCR-Technik ist gereift und zuverlässiger geworden, und Tieftauchgänge mit Rebreathern wurden häufiger.

Dabei gibt es allerdings einen Haken: Unser Wissen über Dekompression und andere physiologische Aspekte des Tauchens beruht auf der Auswertung einer sehr großen Anzahl Tauchgänge auf überwiegend recht geringe Tiefen. Bis auf eine Tiefe von etwa 50 Meter können wir recht genau sagen, was für die meisten Menschen funktioniert und was nicht. Bei größeren Tiefen jedoch werden die Daten rarer. Aus dem Bereich Berufstauchen gibt es zwar umfassende Forschungen zu Sättigungstauchgängen auf sehr große Tiefen, bei denen die Taucher oft tagelang unter Wasser bleiben. Die Bedingungen, unter denen diese Tauchgänge ablaufen, unterscheiden sich aber deutlich von den relativ kurzen Tauchgängen von Tech-Tauchern, so dass Forschungsergebnisse aus dem Berufstauchen für Tech-Tauchgänge nur sehr eingeschränkt aussagekräftig sind.

Die Dekompressionsverfahren für Tieftauchgänge von Tech- und CCR-Tauchern haben daher eine spekulative Komponente, da die Deko-Algorithmen, die diese Taucher verwenden, lediglich für geringere Tiefen wissenschaftlich validiert sind.

Dehydrierung, reduzierte Lungenfunktion, unberechenbare Bläschen

Zwei im vergangenen Jahr veröffentlichte Studien haben sich das Ziel gesetzt, diese unbefriedigende Situation zu verbessern und mit dem Aufbau einer Datengrundlage zu beginnen. Die erste Studie fand im Rahmen einer Expedition nach Tahiti statt, deren hauptsächliches Ziel es war, Proben von kürzlich entdeckten Korallenriffen in der mesophotischen Zone auf Tiefen zwischen 90 und 120 Metern zu sammeln. Die Taucher waren körperlich gut trainierte und taucherisch sehr erfahrene Männer, die meisten in ihren 30ern. Insgesamt wurden 16 Tauchgänge durchgeführt. Die Forscher nahmen Messungen verschiedener physiologischer Daten vor, unter anderem Spirometrie (Lungenfunktion), Körpermasse (als Indikator für Dehydrierung), Hämatokrit, Kurzzeit-Variabilität der Herzfrequenz, sowie die Flimmerverschmelzungsfrequenz des Auges (FVF) als möglicher Indikator für kognitive Beeinträchtigung.

Zu den wichtigsten Befunden der Forscher zählen der beträchtliche Verlust an Körpermasse durch Dehydrierung – im Mittel (stat. Median) 3,5 kg, von 73,5 auf 70 kg – sowie eine deutliche Einschränkung der Lungenfunktion unmittelbar nach dem Tauchgang, von der sich die Taucher dann allmählich wieder erholten. Während der Nutzen der FVF als Indikator der kognitiven Leistungsfähigkeit derzeit noch evaluiert wird, entspricht der Umstand, dass keine Veränderungen der FVF festgestellt wurden, den Erwartungen hinsichtlich des Einsatzes von Helium zur Reduzierung der Gasnarkose sowie der anregenden Wirkung von Sauerstoff unter Druck.

In der zweiten Studie begleiteten Forscher eine Expedition zu Wracks im Roten Meer mit Tauchtiefen von 64, 97 und 123 Metern. Wie bei der ersten Expedition waren alle Taucher männlich, jedoch mit einer größeren Diversität hinsichtlich Alter, Körperbau und Fitness. Der Schwerpunkt dieser Studie lag auf Dekompressionsstress. Gemessen wurden venöse Gasemboli (VGE, Bläschen) mittels Dopplerechografie am Herzen und unter dem Schüsselbein, 30 und 60 Minuten nach dem Auftauchen.

Costantino “Tino” Balestra ist Professor für Physiologie an der Haute École de Bruxelles-Brabant sowie VP of Research and Education bei DAN Europe. Er war an beiden Studien beteiligt und hat sich freundlicherweise für ein Interview mit Alert Diver zur Verfügung gestellt.

Eines der Dinge, die uns aufgefallen sind, ist, wie schwierig es ist, die VGE-Belastung eines Tauchers auf Grundlage von Sättigung und Entsättigung (d.h. dem Tauchprofil) vorherzusagen, selbst wenn man Faktoren wie Alter, Fitness, und BMI in Betracht zieht,” erklärt Balestra. “Bei manchen Leuten sehen wir Bläschen, obwohl wir keine erwarten würden. Bei anderen sehen wir keine, trotz relative aggressiver Tauchprofile. Individuelle Faktoren scheinen eine große Rolle zu spielen.”

Mit Bezug auf die Studie in Tahiti fügte er hinzu: “Unsere wichtigsten Befunde hier waren die temporäre Reduktion der Atemfunktion und die Dehydrierung nach sehr tiefen Tauchgängen. Wir können annehmen, dass solche Tauchgänge eine erhebliche körperliche Belastung darstellen.”

Forschung am Menschen und ethische Fragen

Die wissenschaftliche Erforschung von Tieftauchgängen mit Rebreathern bringt einige Herausforderungen mit sich. “Solche Tauchgänge sind nicht gerade häufig und finden gemeinhin nicht in der Nähe von Forschungslaboren statt. Gelegenheiten zur Forschung sind selten; wir betreten hier Neuland,” sagt Balestra. “Es gibt noch weitere Einschränkungen. Als Forscher kann ich beobachten und messen, aber ich kann den Leuten nicht vorschreiben, wie sie zu tauchen haben. Tieftauchgänge mit CCRs sind riskant. Die Leute riskieren ihre Gesundheit, und das muss zu hundert Prozent ihre eigene Entscheidung bleiben.

Ausblick in die Zukunft, und ein Ratschlag

Es besteht ein deutlicher Trend zum verstärkten Einsatz von Rebreathern für Tieftauchgänge, und Balestra meint, dass dieser Trend dauerhaft ist. “Es gibt so viel Interessantes zu sehen, und die Technik hat ihre eigene Faszination.” Auf die Frage, welche Ratschläge er Tauchern geben würde, die mit dem Gedanken spielen, sich mit dieser Spielart des Tauchens auseinanderzusetzen, rät er jedoch zur Zurückhaltung: “Als erstes sollte man sich fragen, wie viele Tauchgänge pro Jahr man realistisch durchführen kann. CCRs sind deutlich komplexer als Tauchgeräte mit offenem Kreislauf, und die Aufrechterhaltung der taucherischen Fertigkeiten allein verlangt einiges Training. Darüber hinaus ist ein Rebreather eine ziemlich teure Maschine. Für Menschen, die weniger als fünfzig Tauchgänge im Jahr durchführen, lohnt es sich meiner Meinung nach nicht, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf die Risiken.”

Und wenn man sich doch dafür entscheidet?

Vom tauchmedizinischen Standpunkt aus betrachtet: Seien Sie sich nicht so sicher, dass Ihre Dekompressionsverfahren allein Sie von DCS schützen. Es gibt weitere Faktoren. Ihr Lebensstil und sogar Ihre Aktivitäten direkt vor dem Tauchgang können eine ebenso große Rolle spielen wie die Wahl der Gradient Faktoren. Es gibt interessante neue Forschungen in diese Richtung, und deren Ergebnisse gelten nicht nur für Leute, die auf 120 Meter tauchen. Bewegen Sie sich. Sport ist wichtig. Hier bei DAN Europe haben wir neuerdings eine Zunahme der Inzidenz von DCS festgestellt, die wir dem Bewegungsmangel während der Pandemie zuschreiben.

Weitere Informationen zu DAN Europe
https://www.daneurope.org/de/home