Buch: Geisterschiffe

Wrackbuch für Liebhaber von Carl Douglas und Jonas Dahm

Andauernd kommen neue Tauchbücher heraus, neue Bildbände. Die meisten sind nichts Außergewöhnliches und beinhalten Fotos, die man so oder so ähnlich auch schon kostenlos auf Facebook oder Instagram gesehen hat. Geisterschiffe hingegen ist anders. Ein Meisterwerk. Nie zuvor waren solche Bilder zu sehen und nie zuvor konnte ein Buch besser die Stimmung wiedergeben, die mit solchen Wracktauchgängen einher geht.

Buchbesprechung von Linus Geschke

Wenn man ans Wracktauchen denkt, fallen einem die unterschiedlichsten Regionen ein. Das Rote Meer vielleicht, weil es die meisten kennen, oder legendäre Plätze wie Truk Lagoon und Scapa Flow. Man denkt an die Wracks der Karibik, mit Schwämmen bewachsen, oder an die des Mittelmeers, im glasklaren Wasser liegend.

An die Ostsee denkt man seltener, obwohl die Dichte an Wracks hier von allen Meeren mit am größten ist. Das liegt zum einen daran, dass die Ostsee kein klassisches Ziel für Urlaubstaucher ist. Zu kalt ist es hier, es gibt nur wenige Farben und noch weniger große Fische. Dazu ist dieses Binnenmeer auch noch mit Sichtweiten gesegnet, die häufig nur einige Meter weit reichen. Was hier liegt, ist schwierig zu fotografieren – der Grünstich des Wassers und der hohe Anteil an Schwebeteilchen können jedem Fotografen die besten Aufnahmen versauen.

Aber wir sind Taucherinnen und Taucher, nicht wahr? Abenteurersuchende, die an dem interessiert sind, was unter der Oberfläche liegt. Es ist der Reiz des Neuen und des Unbekannten, der uns anzieht und der einst dafür sorgte, dass wir uns diesem Hobby verschrieben haben. Wir wollen sehen, was den meisten Menschen verborgen bleibt, erleben und fühlen. Das ist es, was das Tauchen in erster Linie ausmacht, und das ist es auch, dem sich Jonas Dahm und Carl Douglas nicht entziehen können. Gemeinsam haben sie in vierzehn Jahren mehr als 3500 Tauchgänge in der Ostsee unternommen, um deren Wracks wieder zum Leben zu erwecken – in Bildern und Texten, die einem den Atem rauben.

Man sieht Schiffe, so reich an Ladung, dass es jedem Wrackplünderer in den Fingern jucken müsste. Untergegangene Giganten, Kreuzfahrtschiffe, Kriegsgerät. Gesunkene Großsegler und U-Boote. Von manchen dieser Schiffe sind nur hölzerne Gerippe übriggeblieben; andere wirken, als ob sie sich jederzeit wieder vom Meeresgrund erheben könnten, um auf große Fahrt zu gehen.  Der größte Verdienst, den man Dahm und Douglas dabei zuschreiben kann – neben den faszinierenden und bislang nie gesehenen Fotos und kenntnisreichen Texten – ist der Umstand, dass sie sich den größten Nachteil der Ostsee zum Vorteil gemacht haben: Erst in dieser Kulisse, inmitten eines geisterhaften Grüns, kommt die Faszination des Wracktauchens in voller Brillanz zum Vorschein.

Die Expertin

Wenn man über die Ostsee spricht und über das Wracktauchen allgemein, kommt man an Sabine Kerkau nicht vorbei. Die gebürtige Nordheimerin ist Deutschlands bekannteste und vielleicht auch beste Wracktaucherin. Gemeinsam mit dem US-Amerikaner Richie Kohler war sie an der Britannic, dem in 120 Metern Tiefe vor der griechischen Insel Kea gelegenem Schwesterschiff der Titanic. Sie hat unzählige Wracks erkundet, mehr als zweitausend technische Tauchgänge absolviert und ist Mitbegründerin des Baltic Sea Heritage Rescue Project, bei dem ein Schwerpunkt auf den in der Ostsee ruhenden Wracks liegt. Wenn jemand etwas zu dem Thema zu sagen hat, dann sie.

„Ich kenne die beiden Autoren sicher schon seit zehn Jahren“, sagt sie. „Jonas ist ein Taucher durch und durch, ein hervorragender Fotograf, und Carl hat mit seiner Firma Deep Sea Productions schon viele Beiträge für das schwedische Fernsehen erstellt. Die beiden wissen, was sie tun, und wahrscheinlich kennt niemand die Ostsee und ihre Wracks besser als sie. Das sieht man auch an der Auswahl der Schiffe, die in dem Buch vorkommen: Bei den meisten Wracks sind die beiden bis heute die einzigen, die die genauen Positionen kennen.“

Überhaupt das Buch: „Für mich ist Geisterschiffe das beste Wrackbuch, das ich jemals in Händen hielt“, meint Kerkau. „Perfekte Bilder und wunderbar eingefangene Stimmungen. Ich gebe es ganz offen zu: Ich bin ein großer Fan dieses Projekts!“

Wer nach den Autoren und gar nach Fotos der Wracks im Internet sucht, wird nur schwer fündig werden. Douglas und Dahms scheuen das Licht der Öffentlichkeit, sie leben für ihre Bücher. Selbstdarstellungen auf Social Media-Plattformen sind ihnen fremd. Während die deutschsprachige Ausgabe von Geisterschiffe gerade erst im Handel erschienen ist, arbeiten sie bereits an ihrem nächsten Werk. Man muss kein Prophet sein, um zu mutmaßen, dass es dabei wahrscheinlich wieder um Wracks gehen wird. Um die Ostsee. Schließlich liegen mehr als einhunderttausend Schiffe auf dem Grund des Binnenmeers – da dürfte den beiden Skandinaviern die Auswahl schwer fallen.