Besuchen Sie Ägypten – solange es noch geht!. Augenblicke

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10.12.2012 07:30
Kategorie: Diverses


Es ist was los im Land am Nil: Die Muslimbrüder wollen eine an der Scharia orientierte Gesetzgebung, Hunderttausende von Liberalen demonstrieren am Tahrir-Platz, die obersten Verfassungsrichter verweigern sich, weil sie von islamistischen Kreisen bedroht werden – und im Land mehren sich die Stimmen, die meinen, dass unter Mubarak ja doch nicht alles schlecht war.

von Linus Geschke

Machen wir uns nichts vor: Seit dem arabischen Frühling geht es mit dem Land bergab. Die Hotels haben mehr leere als volle Zimmer, die Tauchbasen nur noch 50 Prozent der ehemaligen Auslastung, die Sonnenanbeter unter den Touristen finden oftmals verwaiste Strände vor. Mit der Kraftstoffversorgung geht es bergab, man sieht lange Schlangen an den Tankstellen, die Spritpreise steigen ebenso wie die für Nahrungsmittel. Wer in diesen Tagen versucht, einen kompetenten Ansprechpartner für Touristikfragen zu finden, ist aufgeschmissen: Die Minister und Zuständigen wechseln bald im Wochentakt, niemand trifft mehr Entscheidungen, langfristige Planungen gibt es schon lange nicht mehr.

Und in dieser Situation eskaliert die Lage in Ägypten noch weiter: Hunderttausende demonstrieren jetzt gerade gegen den Präsidenten, den sie kurz zuvor gewählt haben. Optimisten, die bislang vielleicht noch an einen gemäßigten Kurs der neuen Regierung geglaubt haben, haben diese Hoffnung spätestens in dem Moment verloren, als die „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ die Scharia zur obersten Gesetzgebung erklärt haben, nach der die neue Verfassung ausgerichtet ist. Dass Präsident Mursi zeitgleich ein Gesetz erlässt, dass ihn de facto bald diktatorische Vollmachten verleiht, ist da nur noch ein weiterer Tropfen im „Fass Ägypten“, das erneut überzulaufen droht. Und dennoch verschließen viele Basen und Reiseveranstalter weiterhin die Augen vor einer Entwicklung, die auch politisch weniger Interessierten kaum verborgen bleiben kann – sie sitzen ohnmächtig da wie das Kaninchen von der Schlange, beseelt von der Hoffnung, dass diese aus irgendeinem Grund schon nicht zubeißen wird.

Unersetzliche Tauchdestination


Dieses Festhalten an Ägypten hat einen ebenso offensichtlichen wie nachvollziehbaren Grund: Es ist als Tauchdestination einfach unersetzlich! Kein anderes Land der Welt kann in der Summe auffangen, was durch Ägypten verloren gehen würde: Ein subtropisches Meer, nur gut vier Stunden Flugzeit entfernt. Tauchspots mit Weltniveau, buchbar zum Schnäppchenpreis. Eine auf Taucher ausgelegte Infrastruktur, getragen von durch und durch professionell arbeitenden Tauchbasen. Eine Flotte aus Safaribooten, die weltweit ihres Gleichen sucht. Wracks, Großfische, Korallengärten. Wenn es Ägypten nicht schon gäbe, man müsste es erfinden.

Ich will hier nicht die Unke spielen, die alles durch und durch schwarz sieht. Ich weigere mich aber, die Augen vor dem zu verschließen, was doch so offensichtlich ist: Bislang ist in Ägypten nach der Revolution nur wenig besser, dafür aber vieles schlimmer geworden. Wenn es so weiter geht, wird der arabische Frühling für dieses Land zu einem lang andauernden und trüben Winter werden; wird die „Generation facebook“ von der „Generation Steinzeit“ abgelöst. Und wir Europäer, vor allem die, die das Land kennen und schätzen, stehen ohnmächtig außen vor. Ägypten wollte den Regimewechsel, jetzt hat es ihn. Ägypten wollte Demokratie und muss jetzt zusehen, dass diese nicht in eine islamische Diktatur umschlägt. Ägypten hat über 80 Millionen Einwohner – und in deren Händen liegt nun ihr Schicksal. Wir können uns nur für oder gegen eine Buchung entscheiden und darauf hoffen, dass die Lage nicht eskaliert. Das Land am Roten Meer steht an einem Scheideweg, den wir aufmerksam verfolgen, jedoch nur wenig beeinflussen können und der, gerade für Reiseveranstalter und Tauchbasen, existenzentscheidend sein kann.

Ich persönlich habe Ägypten viel zu verdanken. Viele Berichte, tolle Tage auf Safaribooten, meine allerschönsten Tauchgänge. Das Abwenden von dem Land am Nil würde mir wehtun und es wäre ein Moment, den ich solange hinausschieben würde, wie es geht. Für den Mai 2013 habe ich noch eine Tauchsafari gebucht: Elf Tage durch das Rote Meer, von den Wracks im Norden bis zu den Fuchshaien an Brother Island. Ich freue mich darauf – und würde mir wünschen, dass die Vorfreude bis zum Reisebeginn anhält. Es würde mich schmerzen, wenn auch in diesem Fall der alte Spruch seine Gültigkeit behielt, dass die Revolution manchmal ihre Kinder frisst.