Ausbildung: Tauchgangsplanung „Backward-Planning“

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22.02.2016 15:56
Kategorie: Ausbildung

„Plan your dive and dive your plan”

Dieses Statement hat wohl jeder Taucher in seiner Ausbildung schon einmal gehört. Wie sieht jedoch die Realität im Tauchalltag aus? Planung mit Tabellen, die Errechnung des benötigten Gasvorrates sowie Umkehrpunkte für ein Tauchvorhaben werden nur für Prüfungen gebüffelt, das Handwerkzeug anschließend schnell weggepackt und selten wieder hervorgeholt.

Die überwiegenden Tauchgänge sind Multi-Level Tauchgänge, die lassen sich sowieso nicht mit Tabellen planen und außerdem taucht doch jeder heute mit Tauchcomputer“ sind die vorherrschenden Argumente. Dass man trotzdem nicht auf eine Tauchgangsplanung verzichten muss und was man unter „Backward-Planning“ versteht, zeigt DiveInside.

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Bericht von Hans „Shuttle“ Schach

Ein Tauchgang am Wrack der „Jura“ im Bodensee auf 36m - 39m Tiefe. Tauchgangsplanung? Kein Problem. Die „Deco 2000“ gezückt: 20 Minuten Grundzeit zeigt uns hier Stoppzeiten auf 9m - 1min, auf 6m - 5min, auf 3m - 9min, ergo eine Gesamtdekozeit von 15 Minuten Zuzüglich Aufstiegszeit sind wir nach diesem Plan und so wie wir es in der Ausbildung gelernt haben, nach rund 40 Minuten  wieder an der Oberfläche. Mit einem AMV1 von 20l gerechnet, benötigen wir rund 2.600l Luft. Hierfür empfiehlt sich eine Doppel-10 aufwärts.

Nur: bei diesem Szenario, dem klassischen Rechtecktauchgang, enden die meisten Schulungen. Und in der Praxis?

Szenenwechsel: Bodensee, Tauchgang von Land aus zur Überlinger Steilwand, die rund 100m vom Tauchereinstieg entfernt bei ca. 30 Metern beginnt. Also hin, die Wand hinunter und entlang, zurück. Das war es dann mit der klassischen Rechteckplanung. Oder wir befinden uns auf einer Tauchsafari in Ägypten zu den „Brothers“. Werden vom Boot aus, welches am Süd-Ost Plateau ankert, mit dem Zodiak zur Nord-West-Spitze gebracht, über dem Wrack der „Numidia“ „abgeworfen“, tauchen auf eine Tiefe von bis zu 40m und/oder mehr ab und anschließend an der Riffwand aus, bzw. idealer Weise zum Boot zurück. Multi Level Tauchgänge also.  Auf die man nur bewaffnet mit dem Handwerkszeug der „klassischen“ Ausbildungen nicht vorbereitet ist.

Tauchprofile aus der Praxis

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Eigentlich gibt es gar nicht so viele unterschiedliche Tauchgänge: Es sind im Wesentlichen die bekannten, klassischen Rechteckprofile. Dann Bootstauchgänge mit Abtauchen zum tiefsten Punkt und oftmals auf halber Tiefe und /oder flacheren Austauchprofilen zurück; sowie Tauchgänge, bei denen man sich mehr oder weniger flach zum Zielpunkt begibt, abtaucht und anschließend wieder flach zurücktaucht (klassische Tauchgänge vom Land aus).

Während man bei den Rechteckprofilen eine Dekoverpflichtung aus den Tabellen ablesen kann, ist diese bei den zwei anderen Tauchprofilen nicht ohne weiteres „klassisch“ planbar. Insbesondere dann nicht, wenn die Tauchgangparameter nicht vollumfänglich bekannt sind, man bei einem Briefing erstmalig die Karte sieht und 10 Minuten später im Wasser ist. Planung fällt meist aus, man vertraut dem Tauchcomputer am Arm oder dem Guide, dem man hinterher taucht.

"Plan your dive und dive your plan"?

Keine Chance?  Man könnte im Prinzip eine Tabelle aller möglichen (bereits erfolgreich durchgeführten) Tauchgänge und der jeweiligen erfolgreichen Austauchprofile erstellen. In Workshops, die der Autor zum Thema Tauchgangsplanung durchführte, analysierten Teilnehmer in Gemeinschaftsarbeit vom Tauchcomputer ausgelesene Tauchgänge, clusterten diese nach Art der Tauchgänge, verglichen erfolgreiche Austauchprofile und versuchten die Parameter so zu bestimmen, dass diese Profile reproduziert werden konnten. Diese wurden dann mit einer Planungssoftware (z.B. GAP, V-Planner, I-Deco etc.) validiert.

Letztendlich liefert auch die traditionelle Dekotabelle genau dies: eine Zusammenfassung erfolgreicher Dekoprofile (mehr oder weniger validiert). Eine Variante dieser Idee stellt „Deco on the fly" oder „Ratio Deco und Minimum Deco" dar: Eine Memotechnik,  die eine Tabelle von erfolgreichen Austauchprofilen für übliche Tauchgänge (zum auswendig lernen) liefert. Diese wiederum von verschiedenen Verbänden (meist aus dem Lager der technischen Taucher) überwiegend ebenfalls nur für Rechteckprofile entwickelt. (Mit "Ratio" ist ein lineares Verhältnis [ratio] zwischen Grundzeit und Dekozeit beschrieben). Dennoch können diese Austauchmuster u.U. durchaus auch für manche Multi-Level-Profile verwendet werden.

Backward-Planung

Bei Rechtecktauchgängen ist die Grundzeit auf einer bestimmten Tiefe und somit eine eintretende Dekoverpflichtung vorhersehbar. Bei Multi-Level Profilen ist eine eventuelle Dekoverpflichtung unbekannt. Also zäumt man das Pferd von hinten auf und trifft Annahmen für einen Tauchgang: Zunächst einmal die maximale Tiefe und ein „schonendes, bewährtes“ Austauchmuster, sogenannte „ascent pattern“ (ASP2), welches eine maximal einzugehende Dekoverpflichtung abdeckt.

Kennt der Taucher seinen Luftbedarf aus der gewählten maximalen Tiefe für ein oder mehrere definierte Austauchmuster, die auf jeden Fall (z.B. validiert durch Planungssoftware) in das Raster einer maximalen Stoppverpflichtung „passen“, so kennt er auch seinen Umkehrdruck. Sein Tauchcomputer dient ihm dann nur noch als Backup zur Kontrolle

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Beispiel: Wir legen (willkürlich) eine maximal Tiefe von 40 Metern fest und ein Austauchprofil von 1min. auf 12m, 2min. auf 9m, 4min auf 6m und ein 8 minütiges Austauchen auf 3m. Stoppzeiten also von 15 Minuten, zuzüglich einer langsamen Auftauchzeit von 5 Minuten, ergo ein „TTS“3 (time to surface) von rund 20 Minuten für ein ausgiebiges Austauchen mit einem Luftbedarf von etwa 720 Litern (entspricht bei einer Urlaubs-80-Cuft-Flasche rund 65 bar:  720l Verbrauch / 11,1 l Volumen). Als sicheren Umkehrdruck könnte man jetzt für eine 80 cuft Flasche 130 bar festlegen (2 x 65 bar), für eine 15 liter Flasche 100 bar ( 720l Verbrauch / 15l Volumen x 2). Nun gilt es zu schauen, für welche Art Tauchgänge dieses Austauchmuster passt.

Multi-Level: Praxisbeispiel - und es geht!
Maximale Tiefe 40 Meter, Druckumkehrpunkt bei einer 15l Flasche, 100 bar. Aufstiegszeit insgesamt rund 20 Minuten. Diese 20 Minuten, nicht direkt nach oben sondern horizontal gesehen entsprechen beim durchschnittlichen, gemütlichen Tauchen einer Wegstrecke von rund 300 Metern.

Nehmen wir einen Tauchgang an den Brothers zum Wrack der Numidia (Praxisbeispiel):

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Wir lassen uns mit dem Zodiak über dem Wrack der Numida absetzen, tauchen rasch ab, gehen bei etwa 18 Meter in das Wrack, welches nahezu senkrecht an der Riffwand lehnt. Wie in einem Aufzug geht es nach unten. Bei rund 40 Metern verlassen wir es durch eine der offenen Ladeluken. Nach einem Blick auf den imposanten Masten der aus der Tiefe empor ragt und auf mehrere Grau- und einen Hammerhai, tauchen wir im Strömungsschatten am Wrack langsam höher und an der Wand entlang innerhalb unseres Austauchprofils Richtung Boot, welches wir gemütlich nach rund 60 Minuten erreichen.

Der tiefste Dekostopp, den unsere Tauchcomputer während des Tauchgangs anzeigten, lag bei 6 Meter; die längste Dekoverpflichtung bei 10 Minuten. Wir begannen mit rund 140 bar nach etwa 15 Minuten das Austauchen. Zu jeder Zeit lagen wir innerhalb des geplanten Profiles. Ein höheres AMV1 gegenüber der Planung? Beim geplanten Umkehrdruck beginnt das Austauchen. Genauso, wenn sich der Tauchcomputer in Punkto angezeigter Dekotiefe und –Zeit den Grenzen des geplanten Profils nähert.

Multi-Level: Hin - Runter - Hoch - Zurück

Schauplatz Bodensee. Geplant ist ein Landtauchgang zur Überlinger Steilwand in Dreiergruppe. Unsere Probandin Silke, die als Lerneinheit einen geplanten Tauchgang unternehmen und führen soll, ist ein wenig nervös. Ihre Doppel 8,5 ist gerichtet, fehlt nur noch der Plan. Wir zeigen ihr die Tauchkarte des ihr bislang unbekannten Tauchplatzes.

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Sie überlegt kurz und binnen 5 Minuten präsentiert sie ihren Plan: „Wir steigen ein, tauchen gemütlich schräg Richtung Kante, so etwa 10 Minuten. Dann gehen wir die Steilwand hinunter auf 35 Meter, tiefer möchte ich heute nicht. Wir folgen der Wand wieder für maximal 10 Minuten auf dieser Tiefe, beginnen das Austauchen also nach 20 Minuten oder wenn der Erste von uns 120 bar oder eine TTS3 von max. 10 Minuten auf seinem Computer hat. Je nachdem, was zuerst eintritt. Dann langsam hoch, über die Kante der Halde entlang schräg Richtung Ufer zurück. Austauchprofil: 2min auf 12m, 3min auf 9m, 6min auf 6m. Stopps schwimmend parallel zum Ufer. Dann müssten wir in der Nähe des Ausstieges sein. Austauchen im Bereich 5 bis 3m, bis wir die Gleise, die den Ausgang markieren, sehen und solange wir noch Luft haben. Mit diesem Austauchprofil sind wir bezüglich der Deko auf der sicheren Seite, die Luft reicht gut. Bei Problemen können wir zu jeder Zeit gemütlich direkt nach oben. Alles klar?"

Für uns als Begleiter hört sich das gut an. Wir lassen uns führen und sind nach einem schönen, entspannten Tauchgang nach 50 Minuten wieder am Einstieg. Wir werden den Tauchgang bei einem gemütlichen Essen auswerten, analysieren und gegen den „Schnellrezept-Plan“ spiegeln.

Fazit

Es geht in diesem Artikel nicht darum, ein fertiges Rezept oder gar Muster-Austauchprofile zum Nachmachen zu präsentieren. Er soll anregen, sich auch für Tauchgänge im Multilevel Bereich schonende Austauchpläne für unterschiedliche Höchsttiefen und Tauchprofile zurechtzulegen, die sich an einer maximal vorstellbaren Dekompressionsverpflichtung und an ausreichendem Luftvorrat orientieren. Ausbilder sollen motiviert werden, zusätzlich zu klassischen Schulrechtecktauchgängen Pläne mit ihren Probanden zu erarbeiten, die sich an realen, in der Praxis tausendfach  erprobten Tauchgängen orientieren.

Einen Tauchgang vor Durchführung zu antizipieren, d.h. gedanklich vorwegzunehmen, schafft Handlungssicherheit; der Taucher löst sich vom sklavischen Blick auf Tauchcomputer und Guide. Fällt der Tauchcomputer einmal aus (so wie es dem Autor einmal an der „Duchess of York“ im türkischen Kaș auf rund 50 Metern Tiefe erging), taucht man mit müdem Lächeln seinen Plan aus.

Erläuterungen
1 „AMV“ : Atemminutenvolumen = Volumen an Atemluft in Liter, das pro Zeiteinheit (hier in einer Minute) ein- und wieder ausgeatmet wird. Das AMV wird jeweils für die Oberfläche angegeben.
2 „ASP “ : Ascent – Pattern = Austauchmuster. Beispiel: 2min 12m, 3min 9m usw.
3  „TTS “: Time to surface = Zeit bis zur Oberfläche mit Stops. Die meisten Tauchcomputer geben diese Information nach Erreichen einer Dekoverpflichtung