Abenteuer Baikalsee. Wild Wild East

Teile:
08.03.2015 09:10
Kategorie: Reise



Schier endlose Weite, tiefes, blauschwarzes, kristallklares Wasser, verschneite Berge und eine Expedition, die noch kaum jemand vor uns gemacht hat. Wir betauchen den Baikalsee, den tiefsten See der Erde!

Bericht von Sabine Huber

Ich stehe an der Reeling der Valeria, sehe etwas wehmütig auf die Weiten des Baikalsee zurück, tunke langsam meinen Ringfinger in das wohlgefüllte Wodkaglas und schnippe einen Tropfen ins Wasser: "Danke Burchan, dass du uns wohl gesonnen warst". Ich wende mich zur Seite, tunke wiederum und schnippe den Tropfen diesmal auf das Schiff, "für die sicheren und großartigen Tauchgänge". Dann drehe ich mich weiter um die eigene Achse und wiederhole die Prozedur noch zweimal, "das gute Wetter und die einzigartigen Beobachtungen von Flora und Fauna über wie unter Wasser!". Einen kleinen Schuss Wodka leere ich in das blaue, eiskalte Wasser unter mir, den Rest trinke ich in einem Schluck aus. Er brennt in meiner Kehle und ich atme die frische Luft des Baikal tief ein.

Jeden Tag haben wir, wie uns Gennady der Betreiber des Schiffes, geraten hat, mit "Burchan" dem Gott des Baikalsees, getrunken, gesprochen und ihm geopfert; für gutes Wetter und sichere Tauchgänge. An den beiden Tagen, an denen ich am Vorabend vergessen hatte mit Bruchan zu trinken und ihm zu opfern, war das Wetter schlecht. Sie denken ich bin abergläubisch? Normalerweise würde ich sagen, nein... doch hier am See, könnte man es fast werden! Dem Gott des Baikal muss geopfert werden. Wer nicht daran glaubt, wird selbst sehen was er davon hat.

Nach zwei Wochen hier am Baikal wird man fast wehmütig, wenn man ihn wieder verlassen muss. Der Zauber des Sees hat uns voll und ganz in seinen Bann gezogen. Die vielen Schamanengeschichten verleihen dem See etwas Mystisches und in der scheinbar ewig langen blauen Stunde, erzählen die Felsen im Sonnenuntergang ihre Geschichte.

Kristallklares Wasser, schier endlose Steilwände


Vor dem ersten Tauchgang haben wir bereits zwei Tage in Irkutsk und einen Tag in Listwjanka verbracht. Irkutsk wurde dort erbaut, wo der Fluss Angara – ein Abfluss des Baikalsee - nicht zufriert. Das "warme" Wasser des Baikal sorgt dafür, dass der Fluss an manchen Stellen eisfrei bleibt; so konnte in den strengen Wintern schon immer gefischt werden und auch Wasser war trotz tiefer Minusgrade immer vorhanden. Was ein Sibirier unter WARM versteht, klingt für den durchschnittlichen Mitteleuropäer nach Gefrierschrank. Der Baikalsee ist 1.642 Meter tief; ab einer Tiefe von zirka 15 Metern bleibt er das ganze Jahr über in seiner Temperatur von vier Grad beständig kalt, oder warm, je nach Betrachtungsweise. Für einen Einheimischen, der von November bis März mit Temperaturen von -25°C konfrontiert ist, sind vier Grad plus wohl wirklich warm!

Als wir das erste Mal in das von der Oberfläche kristallklar aussehende Wasser springen, ist uns bewusst, dass es kalt sein wird: Drei bis vier Grad Wassertemperatur erwarten uns. Wir beginnen mit unserer Safari-Tour südlich von Listvjanka und wollen in den Norden nach Olchon, der Insel der Schamanen, sowie nach Uschkani – Insel der Nerpas (Baikalrobbe) und an die Ufer des Lena-Naturreservats, wo die Landschaft noch völlig unberührt ist.

Bereits der erste Tauchgang verschlägt uns den Atem. Die grünen Schwämme, von denen wir schon gehört haben, wachsen bereits auf einer Tiefe von nur wenigen Metern. Es gibt hier kaum Tauchplätze an denen es sanft in die Tiefe geht. Steilwände, große Abbruchkanten und riesige Felsen erwarten uns unter Wasser. Der Blick in die unendliche Tiefe, in die das Licht von der Oberfläche noch klar und deutlich durchdringt, lässt einen erahnen, wie tief die Nerpas wohl tauchen können bzw. müssen, um an ihren geliebten Baikal-Ölfisch, den Omul, zu gelangen.



Steilwände und die grünen Schwämme sorgen für eine unglaubliche Atmosphäre unter Wasser.


Das Faszinierende am Baikalsee sind wohl die Steilwände, die unglaublichen Felsformationen und die "neongrünen" Schwämme. Der Fischreichtum des Sees bleibt unseren Taucheraugen verschlossen, denn durch die Oberflächenkälte bleiben die Fische bis zum Hochsommer (Juli & August) in Tiefen um die 50 Meter. Erst im August wird der See an manchen Stellen des Südostufers, wo die großen Flussdeltas in den Baikal münden, so um die 15 bis 20 Grad erreichen. Allerdings wirklich nur an manchen, besonders seichten Stellen und dort nicht länger als ein bis zwei Wochen.

Wunderbare Makrowelt


Bei der Wahl der Optik für die Unterwasserkamera hat man es im Baikal wahrlich schwer. So ist für die meisten Tauchplätze, mit den unglaublichen Steilwänden und Felsformationen, wohl das Weitwinkel die einzig perfekte Lösung. Doch sieht man genauer hin, entdeckt man an den grünen Schwämmen unzählige kleine Lebewesen und ärgert sich im selben Moment, dass man das Makro nicht mitgenommen hat.

Besonders speziell sind die im Baikal lebenden Gammarus fossarum, auf Deutsch auch Bachflohkrebse genannt. Diese gibt es in unzähligen Farben und unterschiedlichen Arten im See. Interessant dabei ist, dass die unterschiedlichen Spezies sich nur an bestimmten Stellen des Sees befinden, im Baikal selbst endemisch sind und sich scheinbar auch nicht über den ganzen See ausbreiten.

An einigen Tauchplätzen im Süden finden wir besonders prächtig gelb gefärbte Exemplare und nur wenige Kilometer weiter nördlich nur noch eine weiße Art mit braunen Flecken. Besonders schön zu fotografieren sind auch die rot und violett gefärbten Flohkrebse. Nur durch Zufall entdeckt einer unserer Mitreisenden ein solch violettes Individuum. Als er einen Stein hoch hebt, schwimmt plötzlich dieser lila Gammarus vor seine Linse. Nach dieser großartigen Entdeckung beginnen auch wir einige Steine umzudrehen und siehe da, plötzlich tauchen die lila Gammarus überall auf!



Bachflohkrebse (Gammarus fossarum) erreichen im Baikalsee eine Größe bis zu 10 cm.


Ampiphoden werden im Baikal um einiges größer als man es sonst im Meer oder in den Flüssen gewohnt ist. So erreichen einige Arten eine Größe von bis zu zehn Zentimeter. An die 300 Arten dieser Gammarus besiedeln nach wissenschaftlicher Auffassung den See. Diese extreme Vielfalt der Krebse ist einzigartig im Süßwasser.

Insel der Schamanen


Nach fünf intensiven Tauchtagen erreichen wir mit unserem Schiff, der Valeria, Olchon. Wir legen einen Tag Tauchpause ein und erkunden diese großartige Insel zu Fuß und mit dem Auto. Hier in dieser abgelegenen Gegend Russlands findet man neben orthodoxen Kirchen viele heilige Stätten der Schamanen; auch der Buddhismus ist in dieser Gegend sehr verbreitet. Da Religion lange politisch unterdrückt wurde, wird sie heute umso freier und unkomplizierter gelebt.

Inzwischen werden diese heiligen Stätten, um die sich viele alte Geschichten ranken, auch von Touristen besucht. Für die Einheimischen, die Einsamkeit gewohnten Sibirier, bereits zu viele. So kommen im Sommer an die 20.000 Touristen – Russen, Mongolen, Chinesen und vereinzelt auch Europäer – auf die Insel Olchon, um die landschaftlichen Schönheiten zu bewundern und die Schamanenplätze zu besuchen! Um die Zahl der Touristen zu begrenzen und die Ursprünglichkeit dieser Natur zu erhalten wird pro Person eine Nationalparkgebühr von 45 Euro erhoben. Bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 300 Euro, bedeutet dies ein kleines Vermögen!



Impressionen aus Olchon.


So werden auch die Straßen, die über die Insel führen, nicht erneuert. Durch den Permafrostboden wäre dies sowieso ein schwieriges und teures Unterfangen und schließlich will man die Straßen ja auch nicht in Autobahnen verwandeln. Die Rechnung geht auf: Die großen Mengen an Touristen bleiben dadurch fern. "So bleibt alles beim Alten" erzählt uns unser Führer. "Die Schotterpisten mit ihren riesigen Schlaglöchern sind dabei noch die am besten zu befahrenden 'Straßen'; bei den extremen Temperaturschwankungen Sibiriens und in den Wäldern fährt man, ist der offizielle Weg zu schlecht, matschig oder weggespült, einfach um den nächsten Baum herum!"


Reisetipps:


ACHTUNG Russland ist VISA pflichtig für D, A, CH !Flug mit AEROFLOT über Moskau nach Irkutsk (fliegt von allen großen Flughäfen).Hotel Courtyard Marriott in Irkutsk (Einziges internationales Hotel; österreichisches Management, Essen/Service und Zimmer sind nach internationalem Standard und sehr zu empfehlen!)
Reiseveranstalter:
Waterworld – Werner Thiele KG - www.waterworld.at
Waterworld Sonderreise 2015:
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Lena im Frühling, Nerpas auf Uschkani


Es ist Juni und die Pflanzen scheinen um die Wette zu blühen. Der Frühling und der Sommer sind kurz in Sibirien. So blühen jetzt alle Blumen in den schillerndsten Farben und die Tiere haben bereits ihren Nachwuchs dabei.

Wir sind nun in der Nähe des Nationalparks Lena angelangt; das Wasser hier ist nun noch klarer als im Süden. Man hat das Gefühl durch Glas zu tauchen, so kristallklar ist das Wasser. Die Sichtweiten betragen teilweise bis zu 40 Meter. Es ist beinahe unvorstellbar, dass ein See solche Sichtweiten haben kann.

Ich lasse mich auf dem Rücken liegend an der mit wunderschönen grünen Schwämmen bewachsenen Steilwand entlang absinken. Der Blick nach oben ist unglaublich... unter mir das bloße Nichts! Ich sehe noch immer das Schiff, kristallklar und die Berge dahinter. Ein Blick auf meinen Computer verrät mir, dass ich bereits auf 25 Meter Tiefe angelangt bin. Langsam drehe ich mich um, sehe in die Tiefe: Immer noch ewig weit hinunter, so hell ist es. Es ist einfach unglaublich, es wirkt völlig unwirklich! Auf dreißig Meter drehe ich mich noch einmal um, blicke zum Schiff. Es liegt klar und deutlich "vor mir"; die Sonne scheint über den Bergen des Baikalsees, was für ein faszinierender Ausblick!

Dabei sind die Highlights des Tages noch lange nicht zu Ende: Wir erreichen die Insel Uschkani. Die Insel der Nerpas. Zugegeben, Nerpas gibt es beinahe überall hier, doch auf Uschkani ist eine der größten Kolonien; auch Ranger befinden sich auf der Insel. Als wir das Schiff, wie üblich, einfach in einer Bucht ans Ufer stellen, kommen sie bereits auf uns zu. Sie freuen sich endlich wieder einmal Gesellschaft zu haben. Unser Kapitän Sergej und seine Mannschaft bringen auch kleine "Geschenke" mit. Diese werden uns helfen, die strengen Vorschriften für den Besuch der Insel etwas zu lockern.

Nach einem kurzen Briefing wie wir uns den Robben am besten nähern – auf allen Vieren bis zur Felskante über den Waldboden kriechen, durch die Ameisen und Käfer hindurch und schön leise sein – pirschen wir über die dicht bewachsene Insel. Der Wald ist wunderschön, die Vögel zwitschern, die Sonne scheint und wir erreichen das nördliche Ufer von Uschkani. Auf allen Vieren kriechen nun 16 Touristen mit ihren Kameras durch das Gebüsch. Es herrscht absolutes Schweigen. Hin und wieder knackt ein Ast, doch wir sind wirklich beinahe unsichtbar. Langsam erreiche ich die Felskante. Das Wasser glitzert vor mir in der Sonne, nur noch ein kleines Stück und dann kann ich über die Felskante blicken! Da liegen sie, Nerpa über Nerpa. Mit ihren unglaublich großen Augen blicken sie gebannt in unsere Richtung. Entweder haben sie uns bereits im Wind oder wir haben in der sibirischen Stille doch zu viel Lärm verursacht. Sie sind zwar etwas nervös, aber sie bleiben; nur fünfzehn Meter von uns entfernt. Die Kameras klicken und klicken. Da ich ohne Kamera unterwegs bin genieße ich einfach den Anblick. Zücke mein Fernglas und sehe mir die possierlichen Robben im Großformat an. Manch eine hat bereits ein trockenes, seidig glänzendes Fell, andere streiten noch um den besten Platz an der Sonne. Eine dieser Robben – sie können 300 Meter tief tauchen - mal im Wasser zu erleben... Doch leider sind sie besonders scheu. Die Baikalrobbe ist die einzige ausschließlich im Süßwasser lebende Robbenart und ernährt sich von Omul. Die Russen sind so stolz auf ihre endemischen Tieftaucher, dass sie sogar eine U-Boot-Klasse nach ihnen benannt haben.


Der Tag vergeht wie im Flug und erst am späten Nachmittag kommen wir alle wieder zurück an Bord. Normalerweise darf man nur eine Stunde auf der Insel bleiben. Doch frisches Obst, Milch und etwas Wodka für die Ranger ermöglichen uns, dass wir fast den ganzen Tag bleiben dürfen. Bevor wir ablegen, erhalten wir unsererseits ein kleines Gastgeschenk: ein Wäschekorb von frisch gefangener Äschen. Wir bedanken uns herzlich, trinken noch gemeinsam ein Glas Wodka und fahren hinaus auf den See.

Dieser Teil Russlands ist für mitteleuropäische Taucher noch ein wohl gehütetes Geheimnis. Nur ein bis zwei kleine Gruppen kamen bisher jedes Jahr mit Olga Kamenskaya, einer russischen Unterwasserfotografin, an den Baikalsee: Der wilde Osten Russlands ist bisher nur wenig bekannt. Doch ist man einmal hier, in dieser freien, ursprünglichen Landschaft und erlebt man den Baikalsee über und unter Wasser mit seinen faszinierenden Naturschauspielen, dann weiß man vor allem eines: Man kommt bald wieder - hierher in den wilden abenteuerlichen, noch fast unberührten Osten!



Video zum Thema:

 


Einen faszinierenden Einblick in die Unterwasserwelt des Baikalsees zeigt uns Eugene Tempel in dem Video aus dem Jahr 2001. Weitere Videos zum Baikalsee sind in unserer Videothek, Bereich Russland zu sehen.