10.12.2012 08:19
Kategorie: Reise
Kategorie: Reise
Auf den Spuren von Charles Darwin: zu Besuch auf den Galapagos-Inseln. 12 Tagen war Fritz Koller auf Tour durch den Archipel der "verwunschenen Inseln" (Las Islas Encantadas) und berichtet von seinen Erlebnissen.
Bericht von Fritz Koller
Ich träume von dem Mann mit dem weißen Rauschebart und der hohen Stirn, der in seinen jungen Jahren mit der Formulierung der Evolutionstheorie die komplette Weltanschauung seiner Zeit in Frage gestellt hat. Die grundlegenden Beobachtungen die hierzu führten, machte Charles Darwin im Jahre 1835 auf den Galapagos Inseln. Hier bemerkte er, dass Finken über Generationen entsprechend ihrer Lebensweise auf der jeweiligen Insel ihre Schnabelform angepasst haben. Spitze, kurze Schnäbel für kleine Beute in Felsspalten; dicke, starke Schnäbel zum Knacken von Kernen, feine lange für Blumen. Vampirfinken picken blutende Wunden in Ihre Opfer, Spechtfinken nutzen sogar Werkzeuge - mit kleinen Stöckchen suchen sie in Baumlöchern nach Insektenlarven. Evolution im Gegensatz zur Schöpfung, Zufall im Gegensatz zur göttlichen Vorsehung - Darwin´s Werk "die Entstehung der Arten" im Gegensatz zur heiligen Bibel....
Das Geräusch des ausfahrenden Fahrwerkes unseres Fliegers im Landeanflug auf den Flughafen von San Cristobal reißt mich aus meinem Traum. Hier, auf der östlichsten Insel des Galapagos-Archipels, gehe ich an Bord des Tauchkreuzfahrtschiffes "MY ALBATROS", welches für die nächsten 12 Tage mein Heim sein wird...
Die Route führt uns von hier über Santa Cruz und Santiago zu den nördlichsten Inseln, Wolf und Darwin, zurück über Fernandina und Isabela zum Ausganspunkt. Während dieser Tour sehen wir die unterschiedlichen Landschaften der geologisch gesehen älteren Inseln im Osten im Vergleich zu den jüngeren Inseln im Westen mit zum Teil noch aktiven Vulkanen. Wir tauchen in verschiedenen Meeresströmungen, die aus allen Himmelsrichtungen Nährstoffe hierher bringen und die Grundlage der atemberaubenden Vielfalt an Meereslebewesen bilden. Wir queren zweimal den Äquator und sehen eine Vielzahl von Kreaturen, die man ausschließlich hier in freier Wildbahn finden kann.
Ich freue mich auf das hautnahe Zusammentreffen mit einzigartigen Wesen. Darauf, eine vorwiegend noch intakte Natur zu erleben, luxuriös untergebracht und versorgt wie in einem 5-Sterne-Hotel.
Lonesome George
Bei allen euphorischen Worten der Einleitung muss jedoch klar sein, dass auch in diesem entlegenen Archipel mitten im Pazifik der Einfluss des Menschen überall bemerkbar ist. Schon im 16. Jahrhundert haben sich Seefahrer an den nur hier vorkommenden, bis zu über 300kg schweren Riesenschildkröten als Vorrat bedient. Einfach einzufangen und ohne Wasser viele Monate lebens- und damit auch lagerfähig waren diese Reptilien beliebte Frischfleischlieferanten auf hoher See. So wurden im Laufe der Jahrhunderte von den ursprünglich vorhandenen 15 Arten bereits 4 gänzlich ausgerottet, von einer der verbleibenden Art gab es bis vor kurzem nur mehr ein einziges Exemplar, ein Männchen namens "Lonesome George", der mehrere Jahren in der Charles Darwin Forschungsstation gehalten wurde. Hier wurden ihm laufend Weibchen von nahe verwandten Arten ins Gehege gesetzt, mit denen er sich paaren sollte um für den Fortbestand seiner Gene zu sorgen – leider waren diese Bemühungen erfolglos, George ist im Juni 2012 gestorben. Ihn noch lebendig gesehen zu haben, tröstet nicht über die Tatsache hinweg, dass nun wieder eine Art mehr unwiederbringlich von unserem Planeten verschwunden ist!
Die Forscher dieser Station kümmern sich auch um die Nach- und Aufzucht der anderen Schildkrötenarten, die in ihrem natürlichen Lebensraum durch eingeschleppte Spezies wie Ratten und Katzen stark gefährdet sind. Erst mit einer bestimmten Körpergröße werden die Reptilien dann wieder auf ihren angestammten Inseln ausgesetzt. Für uns ist es ein besonderes Erlebnis, dutzende frei lebende Exemplare auf einer privaten Farm auf der Insel Santa Cruz beobachten zu können. Völlig unbeeindruckt von den menschlichen Besuchern machen die riesigen Echsen was sie sonst auch tun: Gras fressen, gemächlich ihres Weges gehen, im Schlamm suhlen oder vor sich hin dösen. Damit sich die Tiere über die gesamte Insel ohne Hindernisse frei bewegen können, müssen alle Zäune einen gewissen Mindestabstand zum Boden aufweisen. Vor der Zeit der Seefahrer gab es ca. 200.000 Individuen, heute schätzt man die Gesamtzahl auf 15.000, der Fortbestand scheint aber dank der weitgreifenden Schutzmaßnahmen gewährleistet zu sein.
Leguane und Seelöwen
Eine andere Reptilienart, die nur auf Galapagos anzutreffen ist, ist der Meeresleguan. Auf der Insel Fernandina treffen wir auf Hundertschaften dieser Tiere, die Charles Darwin als "hässliche Wesen von schmutzigschwarzer Färbung, dumm und träge in ihren Bewegungen" beschrieb. Trotz des unvorteilhaften Äußeren üben diese Kreaturen eine große Faszination auf den Besucher aus.
Wie bei den meisten anderen Geschöpfe des Galapagos-Archipels fehlt an Land jeder Fluchtinstinkt, da natürliche Feinde hier nicht vorkommen. Man muß aufpassen, um nicht versehentlich auf einen dieser Drachen zu treten. Die wechselwarmen Tiere müssen solange in der Sonne ruhen, bis ihre Körpertemperatur hoch genug ist um zum nächsten Tauchgang in die mit manchmal nur 12°C recht kühlen Fluten aufzubrechen. Nur hier unter der Wasseroberfläche finden sie Ihre Nahrung, die aus Algen und Tangen besteht. Selbst die Begegnung mit uns Tauchern stört die Tiere bei Ihren Mahlzeiten überhaupt nicht, sie haben aber auch keine Zeit zu verlieren: Nach ca. 30 Minuten müssen die Echsen wieder in die Sonne, wo ihre schwarze Körperfärbung hilft, sich schnellstmöglich wieder aufzuwärmen.
Hier erleben wir ein "Schneuzkonzert": Hunderte Tiere blasen das mit der Nahrung aufgenommene, überflüssige Salz durch die Nasenlöcher wieder heraus, ein weltweit einzigartiges Verhalten. Eine Familie kalifornischer Seelöwen beobachtet die ihnen schon wohlbekannte Szenerie ganz gelassen. Sie lebt hier friedlich neben einer Kolonie Galapagosseelöwen. Frisch gesäugte, fast kugelrunde Babies liegen neben anderen, die dünn und ausgemergelt wirken und nach ihren Müttern schreien, die hoffentlich bald vom Fischen zurückkehren um die Kleinen mit der extrem fetthaltigen Milch wieder aufzupäppeln . Obwohl all diese Tiere wahrscheinlich noch nie einen Menschen zu Gesicht bekommen haben (die Insel war die letzten 12 Jahre für Besucher gesperrt), reagieren sie uns gegenüber absolut gleichgültig.
Ganz im Gegensatz zu Ihrem Verhalten an Land müsste man Seelöwen unter der Meeresoberfläche als Clowns bezeichnen: sie schleichen sich von unten an uns Taucher an, umrunden uns neugierig, verstecken sich hinter einem Stein, um dann wieder direkt auf uns zuzuschießen, fingerbreit vor dem Gesicht abrupt abzubremsen und bellend einen Schwall Luftblasen auszustoßen, auftauchen um zu atmen, und das Spiel beginnt von Neuem.
Unterwasser
Unser Guide Jaime achtet zu jeder Zeit darauf, dass niemand aktiv den Tieren zu nahe kommt und sie berührt - wenn eine Interaktion stattfindet so muss diese vom Tier ausgehen. In seiner über 30-jährigen Laufbahn als Nationalparkranger und Tauchguide erlebte er viele Dinge, von denen so mancher Naturforscher nur träumen kann. Die Frage nach seinem bisher schönsten Erlebnis beantwortet er mit dem Beobachten der Geburt eines Walhaies während eines Tauchganges vor der Insel Darwin. Dieses Ereignis wurde noch nie dokumentiert und auch Jaime hatte seine Kamera leider nicht dabei!
Im Laufe der Jahre scheint Jaime gelernt zu haben, aus den jeweiligen Situationen zu lesen, was in den nächsten Sekunden passieren wird. Unterwasser, irgendwo im Nirgendwo deutet er seiner Gruppe, sich in der doch recht starken Strömung an den Felsen festzuhalten und zu warten.
Plötzlich beginnt das "Hai-light" jeder Tauchreise zu den Galapagos-Inseln: Die Konturen dutzender Bogenstirn-Hammerhaie schälen sich am Rande des Sichtfeldes aus dem trüben Blau. Die Tiere sind recht scheu, die ausgeatmete Luft der Taucher scheint sie zu erschrecken und sie drehen wieder ab. Jaime zeigt an, ruhig zu bleiben und zu verharren. Kurz darauf kommt das Geschwader zurück, diesmal sind es hunderte Individuen, die sich nun weder von den Luftblasen, noch von den zuckenden Blitzen an unseren Unterwasserkameras abschrecken lassen. Der Traum jedes Tauchers wird wahr, wir befinden uns jetzt in der Mitte dieser majestätischen Tiere. Wohin man blickt sieht man nur mehr Hammerhaie.
Warum sich hier so riesige Schulen meist großer Weibchen bilden, ist nicht erforscht. Mithilfe von Sendern, die man an einzelnen Exemplaren angebracht hatte, konnte man bisher lediglich feststellen, dass diese Haie große Wanderungen unternehmen. Die Signale von ein- und demselben Tier wurden sowohl vor Galapagos, als auch vor der zu Costa Rica gehörenden Cocos-Insel, und der kolumbianischen Insel Malpelo aufgezeichnet. Zwischen den jeweiligen Inseln liegen Entfernungen von immerhin 600 bzw. 800 Kilometer!
An manchen Weibchen sieht man Verletzungen an den Flanken, welche von dem recht ruppigen Paarungsverhalten kommen - das Männchen "verbeisst" sich nämlich in der Nähe der Kiemen seiner Partnerin, um sie dann mit einem seiner beiden Geschlechtsorgane, genannt Klasper, zu begatten. Nach einer Tragzeit von 9 bis 10 Monaten bringt das Weibchen dann 13 bis 38 Junge zur Welt, jedes von Ihnen ca. 50 cm groß.
Diese Probleme haben die Hammerhaie vor Galapagos zwar nicht, jedoch stehen auch sie unter steigendem Druck: Immer mehr Chinesen können sich die traditionelle und recht teure Haifischflossensuppe leisten. Immer mehr Haie müssen deswegen gefangen werden, und die Jagd wird immer schonungsloser: Den gefangenen Tieren werden bei lebendigem Leibe die Flossen abgeschnitten und die geschundenen Körper danach ins Meer zurückgeworfen, wo sie langsam zu Boden sinken und einen qualvollen Tod sterben. Wertvoller Frachtraum an Bord der Fischerboote wird auf diese Art am effizientesten genutzt, immerhin sind die Preisspannen höher als im Drogengeschäft. Kein Wunder also, dass sich die Fischer herzlich wenig um Einhaltung von Schutzzonen kümmern. Angeblich ist auch so mancher Politiker am hohen Profit beteiligt, also wird erst gar nicht gegen die Gesetzesbrecher vorgegangen. Leider ist es auch keine Seltenheit, als Tourist an Bord der "MY ALBATROS" Fischtrawler zu beobachten, die völlig unbekümmert ihre Langleinen inmitten der Hammerhaischulen auslegen.
Exkurs "Jungfernzeugung"
Durch Zufall wurde jetzt entdeckt, dass Hammerhaie sich auch ohne Sex fortpflanzen können. In einem Aquarium bekam eine Haidame, die selbst als Baby gefangen wurde und nie Kontakt zu einem Männchen hatte, plötzlich Nachwuchs. Die Genetiker sprechen von Jungfernzeugung - das Mittel der letzten Wahl wenn Weibchen kein Männchen finden können. Weil die Erbanlagen eines Vaters fehlen, ist jedoch die genetische Vielfalt des Nachwuchses eingeschränkt und damit auch die Fähigkeit zur eigenen Vermehrung.
Alles, was Flügel hat...
Weniger bejagt, aber trotzdem selten sind die Bestände der nur hier vorkommenden Vogelarten. Der Galapagos-Pinguin ist sogar die seltenste Pinguinart weltweit, und die einzige, die auch nördlich des Äquators vorkommt. Wir sehen nur vereinzelte Exemplare an Land - eine Unterwasserbegegnung mit den im Verbund nach Fischen jagenden Vögel bleibt uns leider verwehrt. Dafür erleben wir während eines Tauchgangs bei der Insel Fernandina eine andere Überraschung, als wir gerade von einem Schwarm unzähliger Salemas (einer - wie könnte es anders sein - nur hier vorkommende, der Goldstrieme ähnlichen Fischart) umgeben sind, wird es plötzlich hektisch: ein Galapagos-Kormoran taucht herab und schnappt gierig nach seiner Beute, diesmal leider ohne Erfolg, die Fische sind schneller.
Die Besonderheit dieser Kormoran-Art ist, dass sich im Laufe der Evolution die Flügel zurückgebildet haben und diese Vögel nicht mehr fliegen können. Diese Fähigkeit war hier nicht lebensnotwendig, weil natürlich Feinde, vor denen man flüchten müsste, an Land nicht existierten. Wer nicht fliegt, braucht auch nicht unbedingt einen leichten Körper - so sind die Galapagos-Kormorane etwa doppelt so schwer wie ihre fliegenden Verwandten! In einem schwereren, größeren Körper findet eine größere Lunge Platz, mehr Blut kann mehr Sauerstoff speichern, mehr Fett isoliert besser im kalten Wasser. All das ermöglicht dem Vogel längere Tauchgänge und damit eine ausgiebigere Jagd nach Beutefischen, ein Vorteil gegenüber konkurrierenden Arten im täglichen Kampf ums Überleben. Bei diesem Tauchgang habe ich einmal mehr das Gefühl, Evolution "live" zu erleben!
Weiterführende Information:
Galapagos-Infos auf Taucher.Net
Tauchvideos aus der Region
Bildergalerie Galapagos
Tourismus
In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts fand man 15.000 Besucher per Jahr als ernstzunehmende Bedrohung. Heute bewegen sich diese Zahlen schon im sechsstelligen Bereich, Tendenz weiter steigend. Mehr Touristen bringen mehr Arbeitsplätze. Das zieht wieder mehr Menschen vom ecuadorianischen Festland an, die dem Lockruf der goldenen Provinz Galapagos folgen - hier sind die Löhne landesweit am höchsten. Mit jedem Zuwanderer steigt der Bedarf an Ressourcen, Weideflächen, steigt die Menge an Abfall und Abwasser.
Immer häufiger kommen große Kreuzfahrtschiffe, deren Passagiere dann zu Hunderten die einst einsamen Rückzugsplätze der seltenen Arten besuchen. Die kitschigen Lichter dieser schwimmenden Hotels ziehen Insekten an, die dann von Insel zu Insel befördert werden. Der durch Mücken übertragbare West Nile Virus oder Malaria könnten auf diesem Wege hier bald auftauchen. Fliegende Einwanderer von anderen Orten breiten sich ohne natürliche Feinde aus und bedrohen die ansässigen Arten. Die vom Menschen hervorgerufenen Veränderungen passieren zu schnell für eine natürliche Anpassung der Bestände. Ich bin einer von Ihnen, und auch ich hinterlasse hier meine Spuren. Ich rechtfertige mich damit, dass es keinen einzigen Punkt unserer Erdoberfläche und keinen Tropfen Wasser in unseren Gewässern gibt, der unberührt, ohne Auswirkung unserer Existenz und unseres Wirkens ist. Und man kann doch auch nur eine Natur schützen, die man kennt - aber es sollte Individual- und nicht Massentourismus betrieben werden!
Resümee
Der letzte Tauchgang ist absolviert, wir befinden uns auf der Überfahrt nach San Cristobal. Vom Oberdeck sehen wir die Finnen von Minkwalen, seltene Mondfische knapp unter der Oberfläche und aus dem Wasser springende Mantarochen. Ein Fregattvogel landet direkt neben mir und macht es sich auf der Reling gemütlich, während immer wieder grüne Meeresschildkröten auftauchen um zu atmen, und ich bemerke, dass mir sonst einzigartige Ereignisse mittlerweile "normal" erscheinen, hier schon fast zur Gewohnheit werden!
Nach 12 Tagen an Bord geht meine Reise durch den Archipel der "verwunschenen Inseln" nun zu Ende. Es war die aufwändigste und teuerste Reise meines bisherigen Lebens, macht mich aber aufgrund der einzigartigen, überwältigenden Eindrücke zum Schluss unendlich reicher als zuvor!
Video zum Thema:
Weitere Videos von Galapagos auf Taucher.Net