Kategorie: Reise
Fetzenfische, Seepferdchen und spanische Tänzerinnen stehen hoch in der Gunst vieler Taucher. Aber mal ehrlich: Für richtig aufregende Tauchgänge ist das nette Kleinzeug eher ungeeignet. Ab und an braucht es etwas Adrenalin. Reichlich davon gibt es, wenn sich ein riesiger Topräuber bis auf wenige Zentimeter nähert. Was für "Normalbürger" der blanke Horror ist, sorgt bei Tauchern für den großen Kick ...
Bericht von Andreas Wackenrohr
Einen echten Topspot für hautnahe Begegnungen mit sehr großen Raubfischen gibt es auf den Bahamas. Schon der Name "Tiger Beach" verrät , was einem hier vor die Maske schwimmen kann. Mit Beach hat dieser Platz allerdings wenig zu tun, denn dieser Teil der Little Bahama Banks ist eine riesige, nur ein paar Meter unter der Oberfläche liegende Sandbank. Das Korallenwachstum ist eher spärlich. Trotzdem warten hier neben zahlreichen großen Haien sogar noch andere Highlights auf abenteuersüchtige Taucher.
Zweiter Tag am Tiger Beach
Die Nachricht, dass der erste Tigerhai nun da unten seine Kreise zieht, hat alle Gäste vom Mittagstisch aufgescheucht. Jetzt wird es hektisch auf dem Tauchdeck der "Dolphin Dream", denn dies ist der Moment, auf den alle Gäste gewartet haben. Neugierig steht die Taucherschar auf der Plattform und lässt die Blicke schweifen. Nur die Silhouetten der Zitronenhaie sind deutlich zu erkennen. Zwanzig oder ein paar mehr dürften es jetzt wohl sein, denn angelockt von der Duftspur der Köder werden es stündlich mehr.
Schon beim letzten Tauchgang nach dem Frühstück bildete sich ein richtiges Knäuel aus Haileibern um die durchlöcherte Köderbox. Die darin befindlichen Fischreste sind für die Räuber nicht erreichbar und so schwimmen sie in großen Kreisen aufgeregt umher, immer den Duft in der Nase. Mit etwa drei Meter Länge sind die "Lemonsharks" eine recht stattliche Erscheinung. Wer das erste Mal mit ihnen taucht, dem dürfte schon etwas unbehaglich werden, denn so etwas wie einen Sicherheitsabstand kennen diese Haie nicht. Teilweise patrouillieren sie in Armeslänge an den Tauchern vorbei. Nach ein paar Tauchgängen stellt sich dann so eine Art Gewöhnfaktor ein und man nimmt die häufigen, fast aufdringlichen Begegnungen etwas gelassener. Bei leichter Strömung ist am Ende der Tauchgänge die Bootsleiter schnell erreicht, denn der sandige Grund liegt nur bei ungefähr sechs Metern.
Da auch hier meistens etliche Zitronenhaie um den Ausstieg kreisen, gilt es noch die Vorfahrtsfrage mit ihnen zu klären. So bedarf es auch für diesen Teil einer gewissen Gewöhnung ...
Der Tigerhai
Seinen Namen verdankt der Tigerhai der ausgeprägten getigerten Musterung, die mit zunehmendem Alter verblasst. Tigerhaie können sehr groß werden. Etwa vier bis fünf Meter misst ein ausgewachsenes Exemplar. "Manchmal tauchen hier am Tiger Beach noch wesentliche größere Exemplare auf." berichtet Scott Smith, Eigner und Kapitän auf der "Dolphin Dream". Im Verlauf der Evolution hat sich der Tigerhai perfekt an die Bedingungen im Meer angepasst und gilt als einer der erfolgreichsten Räuber. Was sicherlich auch mit seinem Gebiss zusammenhängt, denn Haiforscher sprechen vom perfektesten Gebiss aller Haiarten. Die Zahnreihen im Ober- und Unterkiefer sind nahezu identisch. Jeder einzelne Zahn ist ein perfektes Kombinationswerkzeug, mit dem er jede Art von Zerteilen wie sägen, schneiden, abscheren mühelos bewältigt. In Verbindung mit einer ungeheuren Beißkraft knackt er damit sogar den dicksten Schildkrötenpanzer, deren Träger auch auf seiner Speisekarte stehen.
Im Gegensatz zu anderen Arten wie beispielsweise dem weißen Hai, der sich überwiegend auf Robben spezialisiert hat, sind Tigerhaie keine Nahrungsspezialisten. Alles was irgendwie fressbar erscheint, landet auch in ihren Mägen. Das kann auch mal ein Autoreifen, Konservendosen oder Plastikmüll sein. Als "Allesfresser" kann er so in fast allen Gebieten überleben. Aber diese Eigenschaft in Verbindung mit einer großen Neugier macht den Tigerhai auch gefährlich. Tauchern nähert er sich bis auf wenige Zentimeter. Dabei zeigt er keinerlei Aggressivität. Gemächlich, ja fast vorsichtig wirken seine Bewegungen. Seine Instinkte verleiten ihn aber dazu, alles zu untersuchen. Und hat etwas sein Interesse geweckt, verfolgt er es sehr konsequent. Dazu öffnet er auch schon mal sein großes Maul für einen Probebiss. Aus diesem Grund sollte man bei diesen Tauchgängen entweder einen massiven Abwehrstab oder ein stabiles Kameragehäuse mit sich führen, um solche "Tiger-Tests" abzuwehren. Tigerhaie tauchen oft völlig unerwartet und besonders gern von hinten auf. Deshalb sollte die ganze Gruppe nicht nur das Geschehen an der Futterbox im Auge haben, sondern eine 360-Grad-Kontrolle sicherstellen. Diese wird umso wichtiger, je mehr der großen Räuber sich am Tiger Beach einfinden.
Trotzdem oder gerade deshalb gehört eine hautnahe Begegnung mit einem Tigerhai zum aufregendsten, was man als Taucher erleben kann, denn beim großen Weißen Hai sitzen alle Teilnehmer in der Regel in einem sicheren Käfig. Ein großer Vorteil dieses Tauchplatzes ist die geringe Tiefe. Damit kann man sich praktisch beliebig lange dort aufhalten. Lästige Dekozeiten und Sicherheitsstopps entfallen. An vielen Tauchplätzen, an denen mit großen Haien getaucht wird, kommt es immer wieder zu kritischen Situationen, weil plötzlich weitere Haie aus der Tiefe emporgeschossen kommen können. In solchen Momenten kann das Spektakel außer Kontrolle geraten und zu einem unkalkulierbaren Unterfangen werden. Hier ist so etwas aufgrund der Topografie völlig ausgeschlossen. Aus diesem Grund ist der Tiger Beach "Diver´s first choice for Tigersharks".
Die Sicherheitsregeln beim Haitauchen sollten unbedingt eingehalten werden. Diese und eine Haftungsausschlusserklärung muss jeder Gast vor Tourbeginn unterschreiben. Darin wird u.a. dazu geraten, eine Tauchausrüstung mit gedeckten Farben zu verwenden. So sind beispielsweise gelbe Flossen tabu. Die Zitronenhaie am Tiger Beach gelten nicht als aggressiv, sorgen aber aufgrund ihrer Anzahl und Größe für noch ein bisschen mehr Action und Nervenkitzel. Hin und wieder kann auch mal ein großer Hammerhai im Freiwasser auftauchen, der aber leider auch genauso schnell wieder verschwunden ist. Wohl dem, der genau in diesem Moment seinen Blick dorthin gerichtet hat.
Wie aus dem Nichts taucht er auf
Langsam gleiten die Gäste in die noch nassen Anzüge. Den Blick immer mal wieder nach unten gerichtet. Vom Tiger keine Spur. Die erste Begegnung mit dem Tigerhai war natürlich das Thema an Bord, seit das Schiff in West Palm Beach ausgelaufen ist. Jetzt, so kurz vor dem großen Sprung, ist allen schon ein bisschen mulmig. Die innere Anspannung kann man förmlich spüren. Anders als sonst beim Anlegen der Ausrüstung sagt kaum jemand ein Wort und auch das Lächeln auf den Gesichtern ist verschwunden. Dann heißt es abtauchen, direkt zum Grund. Die Strömung hat etwas zugelegt und trägt jede Menge Schwebeteilchen mit sich. Damit hat sich die Sicht deutlich verschlechtert.
In Halbkreisformation wird nun Stellung um die am Grund liegende Köderbox bezogen. Eine stattliche Zahl "Lemons" kreist um die Box und zwischen den Tauchern hin und her. Von einem Tigerhai ist allerdings immer noch nichts zu sehen. Connor, Diveguide der "Dolphin Dream" schwimmt zur Futterbox und öffnet sie für einen kurzen Augenblick. Einige kleine Brocken werden von der Strömung fortgetragen. Sofort kommt Bewegung in das Rudel. Durch die schnellen Bewegungen dicht über dem Grund wird viel Sediment aufgewirbelt, was die Sicht noch weiter verschlechtert. Er öffnet den Korb ein weiteres Mal und gibt wieder ein paar Häppchen zum Verzehr frei.
Dann ist er da. Wie aus dem Nichts ist er aufgetaucht: Langsam, ja fast gelassen und ohne jede Hektik schwimmt der Tigerhai zwischen den Zitronenhaien Richtung Köderbox, ganz dicht an Connor vorbei. Er ist groß, wirklich respekteinflößend groß. Die Augen der Taucher sind nur noch auf ihn fixiert. Nach ein paar Runden um die Köderbox schwimmt er in voller Länge direkt an der Gruppe vorbei. Die typische Musterung an seinen Flanken ist schon etwas verblichen, aber gerade noch als solche zu erkennen. Wieder nimmt er Kurs auf die Köderbox. Connor holt einen großen Fischkopf her vor. Ohne seine Geschwindigkeit zu verändern nimmt der Tiger Kurs auf den Appetithappen. Ein Zitronenhai nutzt seine Chance, ist etwas schneller und schnappt sich den Fischkopf. Der Tiger versetzt ihm einem mächtigen Rempler und will nach dem Konkurrenten schnappen. Sofort lässt dieser den Köder fallen. Damit ist unmissverständlich klar, wer sich hier an der Tafel bedienen darf.
Connor treibt das Spiel mit den Häppchen noch eine Zeit lang. Der mächtige Hai zieht ein paar größere Kreise und ist manchmal aufgrund der schlechten Sicht kaum noch zu sehen. Plötzlich taucht er aber wieder auf. Er mustert die blubbernden Wesen genau, dabei verringert sich sein Abstand immer weiter. Keine 20 Zentimeter trennen den Tigerhai nun vom ersten Taucher der Gruppe. Bei ihm erreicht der Adrenalinspiegel jetzt sicherlich einen Spitzenwert. Langsam zieht der Koloss weiter. Direkt über einige Köpfe der Gruppe hinweg. Als er fast außer Sichtweite ist, deutet die Gestik der Taucher an, was sich in den Köpfen der "Tigersharkdiver" abspielt. Später, wieder wohlbehalten an Bord zurück, als der Adrenalinspiegel langsam den Normallevel erreicht, kann man in überaus glückliche Gesichter blicken.
Eindrucksvolle Jagd der Fleckendelfine
Nach ein paar nicht minder spektakulären Tauchgängen, es waren bis zu drei der großen Räuber anwesend, lichtet die "Dolphin Dream" am nächsten Tag den Anker. Ziel ist der nördliche Teil der Little Bahama Banks, in dem sich eine größere Population Fleckendelfine aufhält. Schon bei der Ankunft begleiten sie das Schiff und einige nutzen die Bugwelle, um darin zu surfen. Wenn die flinken Meeressäuger dazu aufgelegt sind, kann man hier minutenlang mit ihnen schnorcheln.
Leider gelingt dies nicht immer und sie verlieren schnell das Interesse. So bleibt es dann bei einer kurzen Begegnung, bevor sie in der blauen Weite der Lagune verschwunden sind. Helfen kann dann nur noch der Scooter. Damit drehen die Crewmitglieder ein paar Runden, ganz in der Hoffnung, das Interesse dieser wundervollen Tiere zu wecken. Manchmal gelingt dies auch recht gut und sie imitieren die kunstvollen Pirouetten des gelben Flitzers.
Dolphin Dream
Die "Dolphin Dream" ist ein umgebauter Trawler (etwa 27 Meter lang und 8 Meter breit) , der vom Hafen in West Palm Beach regelmäßig in Richtung Little Bahama Banks in See sticht. Der Eigner des Schiffes, Kapitän Scott Smith, war dort schon in den Achtzigerjahren unterwegs. Zunächst galt sein Interesse ein paar alten Wracks, die sich am Rande der Banks befinden, und den dort lebenden Fleckendelfinen. So begann er sich sehr intensiv mit den Delfinen zu beschäftigen und hat sogar ein Buch mit wahren Geschichten über sie veröffentlicht. Erst ein paar Jahre später kam dann das Tauchen mit den Haien hinzu.
Aktuell gibt es neben der "Dolphin Dream" von Scott nur noch ein weiteres Schiff (die etwa 19 Meter lange "Shear Water" von Jim Abernethy), welches regelmäßige Törns zu den Haien vom Tiger Beach anbietet. Paradoxerweise gibt es auf den Bahamas kein Schiff, welches diesen Topspot regelmäßig anläuft. So muss man also den Umweg über Florida in Kauf nehmen. Die Überfahrt dauert etwa acht Stunden. Da Scott meist am späten Abend ausläuft, kann man ausgeschlafen am nächsten Morgen bereits auf den Bahamas frühstücken. Währenddessen erledigt die Crew die Einreiseformalitäten. Schon zwei bis drei Stunden später startet dann der erste Tauchgang am Tiger Beach. Neben reinen Haitouren werden auch Kombitouren zu den Fleckendelfinen angeboten.
Weiterführende Information:
Infos 'Tigerbeach'
Bildergalerie Tigerhaie
Tauchvideos Bahamas
Meist bietet sich dann auch die Möglichkeit, ein paar Tauchgänge an den fischreichen Außenriffkanten der Little Bahama Banks mit vielen karibischen Riffhaien, Ammenhaien, kapitalen Barrakudas und reichlich Schwarmfisch zu machen. Wenn noch etwas Köderfisch übrig ist, lohnt es sich, auch hier eine Duftspur zu legen. Innerhalb kurzer Zeit kreisen dutzende Riffhaie unter dem Boot. (Wehmütig fühlt man sich angesichts dieses Spektakels an beste Maledivenzeiten erinnert, als es auch dort an den bekannten Plätzen noch dutzende Haie gab).
Auch der eine oder andere neugierige, kapitale Zackenbarsch zeigt sich hier den Tauchern und weiß sich zwischen den vielen Haien zu behaupten. Fans alter Wracks können das im Flachwasser liegende Gerippe des "Sugar Wreck" erkunden.
So bietet eine Kombitour ein gutes Kontrastprogramm zu den erlebnisreichen Tauchgängen mit den großen Räubern.
Weitere Infos: www.sharkexpedition.com
Wenn auch diese Maßnahme nicht von Erfolg gekrönt ist, hat Kapitän Scott Smith noch ein letztes Mittel, um ein ausgiebiges Schnorcheln mit den Fleckendelfinen zu ermöglichen: Bei Dunkelheit fährt er das Schiff in tiefes Wasser und hängt zwei starke Scheinwerfer ins Wasser. Schon nach kurzer Zeit wimmelt es im Lampenschein von kleinen Fischen. Dann sind auch die "Spotted Dolphins" zur Stelle, um sich an dem reichlich gedeckten Tisch zu bedienen...
Wer hier mit Maske und Schnorchel zu ihnen ins Wasser steigt, erlebt ein unglaubliches Jagdspektakel. Gelingt es den Delfinen, einen Fisch aus dem Gewimmel zu isolieren, ist sein Schicksal innerhalb weniger Sekunden besiegelt. Dabei gehen die schnellen Jäger so geschickt vor, dass es einem fast den Atem verschlägt. Einige Fischlein suchen Schutz vor den schnellen Räubern bei den Schnorchlern, denen sie dann nicht mehr von der Pelle weichen. In solchen Momenten schießen die Delfine so dicht vorbei, dass man den von ihnen erzeugten Schwall auf der Haut spürt. Durch die Dunkelheit bekommen solche Aktionen schon fast den Stellenwert eines Tauchgangs am Tiger Beach.
Video Haitauchen auf den Bahamas...