Golf von Suez: Die SS Turkia. Monument der Hoffnung

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18.06.2013 15:50
Kategorie: Reise

Ein neues Wrack im Roten Meer? Nein – weder neu noch neu entdeckt. Anders als so mancher Bericht und mancher Reiseveranstalter glauben machen will, ist die Position der Turkia schon lange bekannt. Was aber nichts daran ändert, dass sie unter den ägyptischen Schiffsruinen derzeit eine Ausnahmestellung inne hat.

Bericht von Linus Geschke

Leise plätschern die Wellen gegen die Bordwand. Das Meer ist ruhig heute, fast so, als hätte es jemand mit Öl überzogen. Direkt unter der Seawolf Soul, in maximal 24 Meter Tiefe, liegt die SS Turkia, das Wrack eines britischen Versorgungsfrachters aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Taucher sind bereit, ein letzter Blick noch, vor dem Sprung ins Blau: Die Küste ist nicht weit entfernt, man sieht die Häuser eines kleinen Ortes, den Leuchtturm von Zafarana. Ansonsten gibt es in dieser entlegenen Region Ägyptens nicht viel; keine Hotels, keine Tauchbasen, keine bedeutenden Kulturdenkmäler. Die Einheimischen leben vom Fischfang und den wenigen Jobs, die sie auf den Bohrinseln im Golf von Suez, einem nordwestlichen Ausläufer des Roten Meeres, bekommen.

Ein letztes Überprüfen der Ausrüstung, dann der große Schritt nach vorne. Schon beim Abstieg erkennen die Taucher die Konturen des Wracks, trotz der mittelmäßigen Sicht, die maximal 15 Meter beträgt. Die Turkia steht vor ihnen auf ebenem Kiel, aufrecht wie ein stählernes Monument. Sie ist eine Arche Noah des Lebens, eingebettet in eine endlos erscheinende Wüste aus Wasser und Sand. Abertausende junger Barrakudas ziehen über die gut 91 Meter lange und knapp 13 Meter breite Schiffsruine hinweg, ergießen sich in die offenen Laderäume und teilen sich vor den Aufbauten, um sich dahinter wieder zu einer Wolke zu verdichten. Stellenweise ist das so viel Fisch, dass man das Wrack kaum noch sieht und es einem schwindelig wird, wenn man sich inmitten dieser Masse aus silbrig glänzenden Leibern befindet.


Seit dem 14.05.1941 liegt die Turkia hier, nachdem in ihrem dritten Laderaum ein Feuer ausbrach und Teile der Munition explodierten. Das 1671 Tonnen schwere Dampfschiff war auf der Fahrt von New York nach Piräus, randvoll beladen mit Reifen, Kabeln und Munition, gedacht zur Unterstützung der griechischen Truppen im Kampf gegen die deutschen Soldaten auf ihrem Balkanfeldzug.

Viele der Stahlteile sind mittlerweile von einem Kokon aus Hart- und Weichkorallen umhüllt und erst der Schein der Taucherlampen zeigt ihre ganze Pracht. Es ist eine einzige Farbexplosion unter Wasser, die angeführt wird von Rot, Gelb und Purpur. Die Natur hat aus dem Frachter mit seinem militärischen Hintergrund in mehr als sieben Jahrzehnten ein künstliches Riff werden lassen, auf dessen Reling jetzt feinverästelte Gorgonien wachsen und Weichkorallen wie überreife Weintrauben in Bündeln herabhängen.


Plötzlich verdunkelt sich das Wrack. Der Blick geht nach oben und endet an einer Wand von Streifenfüsilieren. Pulsierend wie ein einziger zusammenhängender Organismus ziehen sie nach links und nach rechts, nach oben und nach unten, als ob sie durch einen zentralen Befehl gesteuert würden. Sind es zehntausend Fische, zwanzigtausend? Ab und zu stoßen jagende Makrelen durch den Schwarm, rasenden Torpedos gleich, während auf dem Schiffsdeck Rotfeuerfische auf Beute lauern. Ob Muränen, Anemonenfische oder Torpedorochen: Jeder Meter, den die Taucher unter Wasser zurücklegen, bringt auf der Turkia eine neue Entdeckung.

Im Bereich der Aufbauten findet man dann neben farbenfrohen Nacktschnecken auch Ausrüstungsgegenstände, die von der Besatzung stammen. Weinflaschen. Stiefel. Eine Rettungsweste mit dem Namen des Schiffes. Wer noch genauer hinsieht, stößt auf im Sediment verborgenes Geschirr, Besteck und Marmeladengläser – ein sicheres Indiz dafür, dass die Turkia bislang vor größeren Plünderungen geschützt war. Ebenso der Maschinenraum: Mit seinen vielen noch vorhandenen Details gleicht er einem Unterwassermuseum über die Zeiten der industriellen Revolution.

Infos zur Turkia Safari

Anreise: Hurghada wird von vielen deutschen Flughäfen aus mit Charterfluggesellschaften wie Condor oder Air Berlin in gut vier Stunden direkt angeflogen. Zur Einreise genügt der Reisepass oder ein Personalausweis mit Ausweiskopie. Das Touristenvisum bekommt man am Flughafen.
Tauchen: Tauchsafaris setzen mindestens 30 Tauchgänge Erfahrung voraus. Das Tauchen an der Turkia ist jedoch verhältnismäßig einfach. Die Wassertemperaturen liegen das Jahr über zwischen 18 und 29 Grad.
Anbieter: Seawolf Safari bietet 2013 noch weitere Touren zum Wrack an. Daten und mehr Infos unter: Seawolf Safari
Kosten: Die einwöchige Wracktour kostet ca. 750 Euro, zuzüglich Flug und Nebenkosten.

Ein Wrack gegen die Krise?

Obwohl die Position der Turkia bereits seit mehreren Jahren bekannt ist, gab es bislang nur wenige kommerzielle Touren, die das Wrack zum Ziel hatten. Alleine schon die vierzehnstündige Anfahrt kann mühselig werden. Sie führt von der Touristenregion Hurghada strikt nach Norden und gegen die zumeist aus dieser Richtung kommenden Wellen.

Bei schlechtem Wetter ist das ein einziges Stampfen und Kämpfen, immer mit Blick auf den in dichtem Abstand vorbeiführenden Schiffsverkehr. Dafür werden die Taucher vor Ort mit Tauchgängen belohnt, wie es sie weltweit in wärmeren Gewässern nur noch selten gibt. Die große Zeit der spektakulären Wrackentdeckungen, sie ist vorbei und die interessanten Relikte, die allgemein bekannt sind, sind oftmals zu bedeutenden Wirtschaftsfaktoren geworden – gerade in Ägypten.

Das merkt man auch am Verhalten vieler Veranstalter. Der eine versucht, in Interviews und Stellungnahmen den Eindruck zu erwecken, er hätte das Wrack gefunden und sei somit der Einzige, der die Position kenne. Andere springen wie wild auf den gerade anfahrenden Zug auf, in der Hoffnung, ihr Stückchen vom Kuchen abzubekommen. Dabei hat der britische Wrackexperte Peter Collings das Schiff längst in einem E-Book beschrieben, kostenlos downloadbar für jedermann (Anm.Redaktion: Zusatzinfo Dez 2015: Die Seite ist aktuell nicht verfügbar, einen Ersatz konnten wir bisher nicht finden).


Dass sich an der 1909 als "Livorno" vom Stapel gelaufenen Turkia wiederholt, was an anderen Schiffswracks passierte, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Anders als die Thistlegorm ist sie aufgrund der langen Anfahrt nur mittels einer mehrtägigen Tauchsafari erreichbar. Sonst würde ihr wohl das gleiche Schicksal drohen, wie dem viel bekannteren Frachter am Sinai: Heimgesucht von Tauchermassen, die vernichten, was sie anfangs liebten.

Titelbild und Unterwasserbilder SS Turkia von Sven Peks