Kategorie: Diverses
Es gibt viele Berichte über traumhafte Riffe und schöne Hotels. Über Haie, Mantas und Schildkröten. Was es in Taucherkreisen kaum noch gibt, sind Abenteuer. Damit diese entstehen können, braucht es passende Ziele – und Menschen wie Rene Heese.
Bericht von Linus Geschke
Die Welt der Meere hat ihre weißen Flecken verloren. Kaum noch Rätsel, kaum noch Orte, die noch nicht erkundet sind. Ganz besonders gilt dies für Wracks, die in für Sporttaucher erreichbaren Tiefen liegen. Die Siebziger, die Achtziger, vielleicht sogar noch die frühen Neunziger – das waren die Jahrzehnte der Entdeckungen. Doch die Zeit der Abenteurer ist vorbei, wurde ersetzt durch die Zeit der Kärtchensammler, bei denen "Diving is fun" und Sicherheit ganz oben steht. Wäre "Wracktaucher" ein an der Börse notiertes Markenzeichen, befänden sich die Aktien im Sturzflug.
Vielleicht ist Rene Heese einfach zu spät geboren. Und hat, anfangs des Millenniums, erst viel zu spät seinen Tauchschein gemacht. Für jemanden, der so "wrackverrückt" ist wie er, muss das neue Jahrtausend grausam sein: Alles ist entdeckt und egal, wie viele Wracks er bislang schon betaucht und auf DVD gebannt hat – an keinem war er der Erste. Trotzdem hat der 49-Jährige, der im Taucher.Net unter dem Namen "diverhans" bekannt ist, nicht aufgegeben. Träumt noch immer seinen Traum, irgendwann ein Wrack zu berühren, dass noch niemand vor ihm berührt hat. Ein Wrack wie die TS "Shillong" (siehe Bild links oben) vielleicht, von der man weiß, dass sie am 22. Oktober 1957 nach einer Kollision mit dem Frachtschiff MT "Purfina Congo" (siehe Bild links unterhalb) im Golf von Suez gesunken ist. Der 159 Meter lange Koloss, da ist sich Rene Heese sicher, muss irgendwo in der Trennlinie liegen, die die Schifffahrtswege derer, die nach Norden fahren und jener, die aus Norden kommen, auseinanderhält. Dicht bei den Bohrinseln, von denen es in dieser Region so viele gibt.
Sechs Monate lang hat er sich bestens vorbereitet, Unsummen investiert, Equipment angeschafft, ein Schiff gechartert. Er hat alles geplant und berechnet, die Independence 1 und das mitgeführte Zodiak mit Fishfindern ausgerüstet und Leute zusammengetrommelt, mit denen er das Abenteuer seines Lebens teilen will. Seine Freundin Astrid beispielsweise, die er liebevoll Dax nennt. Den Unterwasserfilmer Matthias Harendt. Oder Jörg Steer, der mit seiner echt Berliner Schnauze für die gute Stimmung an Bord sorgen soll. Sie alle wollten dabei sein, wenn die Jagd auf die TS "Shillong" beginnt und nebenbei Wracks wie die Attiki, die Elliot oder die Scalaria betauchen, an denen bislang nur wenige waren.
Bis zu drei Tage wurden für die Suche eingeplant, ein Suchgebiet abgesteckt, ein Gitternetzsuchmuster berechnet. Der Plan sah vor, dass Rene Heese die Suche von Bord des Safarischiffes aus leitet, während Wienand "Vinnie" Magner, ein ehemaliger Phantom- und Tornadopilot der Bundeswehr, das parallel zum Schiff fahrende Zodiak steuern soll.
Es war fast unheimlich, wie gut alles von Anfang an funktionierte. Wie perfekt die Fishfinder direkt im ersten Anlauf arbeiteten, wie deutlich sie die Rosalie Moller angezeigt hatten, die als letzter Probelauf auf der Liste stand. Keiner an Bord, der nicht vom möglichen Erfolg der Mission überzeugt war – inklusive Markus Ebert, dem Eigner der Independence 1, die sich in der Woche als perfekter "Kommandostand" entpuppte. Was an Vorbereitung möglich war, hatte Rene Heese gemacht. Alles war angerichtet. Das Einzige, was jetzt noch mitspielen musste, war das Wrack. Das Wrack und das Wetter.
Der Feind
Nachdem die Indepence 1 nach etwas rauerer Überfahrt ihr Zielgebiet erreicht hatte, stand der erste Tauchgang an.
Zwei Wracks, die teilweise über die Wasseroberfläche hinausragen. Und so unspektakulär die Beiden für sich betrachtet auch sind – sie vermittelten eine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, die ersten Menschen zu sein, die ihre Hand an ein Stück versunkenen Schiffsstahl legen können.
Beide Wracks liegen in einer geschützten Bucht auf der Sinaiseite des Golfs von Suez; anders als die eigentlichen Ziele, die sich alle auf der Festlandseite befinden – und genau da wartete der Feind.
Mitten im August, in einer der eigentlich ruhigsten Zeiten des Jahres, frischte der Wind auf. Er blies von Nordosten kommend genau auf die Festlandseite, stellenweise fast in Sturmstärke. Keine Chance, dort geschützt zu ankern. Keine Chance, quer zur Welle in Ruhe nach der Shillong zu suchen. Vier Stunden lang, beginnend am frühen Morgen, noch in völliger Dunkelheit um das Zeitfenster mit wenig Wind auszunutzen, durchkämmte die Independence 1 rund ein Viertel des Suchgebietes nahe Ras Gharib, dann musste abgebrochen werden. Der Rückweg angetreten werden auf die Sinaiseite, wo man die Nacht verbringen wollte. An Bord: Lange Gesichter. Enttäuschung. Ging es wirklich nicht weiter oder war der Kapitän nur zu vorsichtig? An ihm lag es nicht. Er musste kapitulieren vor einem Feind, der unerwartet auftauchte und stärker war, als man ihn zuvor erwarten konnte.
Impressionen der Tauchgänge an den beiden unbekannten Wracks im Zielgebiet
Am schlimmsten traf dies Rene Heese. Er hatte viel Geld und viel Engagement in diese Woche gesteckt und jetzt musste er tatenlos zusehen, wie ihm die Zeit wie durch eine Eieruhr zerrann. Gefesselt an die Seite des Golfs von Suez, an der er nicht sein wollte. Wo sich seine Träume nicht erfüllen konnten. Alle Schiffe – die bekannten und die unentdeckten – die er sich vorgenommen hatte, lagen dort drüben: Da, wo ihn der Wind nicht mehr hinließ. Die Shillong, dieser 159 Meter lange und 8.934 Tonnen schwere Gigant (zum Vergleich: Die Thistlegorm brachte es lediglich auf 4.898 Tonnen, die Rosalie Moller gar nur auf eine Tonnage von 3.960) war so nah und doch so unerreichbar fern – keine Chance, die von ihm errechnete Wrackposition in dieser Woche noch bestimmen zu können.
Rene Heese
Der Wracktaucher und Unterwasserfilmer Rene Heese, 49 Jahre, aus Schwerin taucht seit knapp 15 Jahren bevorzugt an und in Wracks. Er hat sich dabei auf das Mittelmeer und das Rote Meer spezialisiert und kennt den Großteil des betauchbaren Altmetalls der Küstenlinien.
Im Jahr 2011 veröffentlichte Rene die DVD Edition "Malta Wracks" aus seinem Blickwinkel und beeindruckt mit stimmungsvollen Aufnahmen der Außenbereiche sowie dem Innenleben der Wracks. Die Filmreihe eignet sich gut als Ergänzung zur Tauchgangsplanung am und im Wrack. Die dargestellten Tauchgänge sind chronologisch in den Abläufen. Teilweise sind Orientierungshilfen in die Filmsequenzen eingearbeitet.
Im Jahr 2013 startete Rene eine dreiwöchige Expedition im nördlichen Roten Meer, um acht im Vorfeld geplante und in der Taucherwelt einschlägig bekannte Schiffswracks auf Film zu dokumentieren. Die DVD Reihe zeigt 16 Wracks in Tiefen von null bis 105 Metern. Zu jedem Spot wird eingangs ein kurzer Abriss zur Schiffshistorie eingeblendet. Informative Einblendungen und der sparsam eingesetzte Filmschnitt dienen zur Orientierung und zur Planung der eigenen Tauchgänge an den Zeitzeugen im Roten Meer.
DVD Reihe Wracks im Roten Meer
DVD Reihe Malta Wracks
Das Ende
Irgendwann musste der Rückweg angetreten werden. Hin zu Zielen wie der Rosalie Moller oder den Wracks von Abu Nuhas: Massenware, tausendfach betaucht und nichts, wofür "diverhans" nach Ägypten gekommen war.
Dass die Stimmung an Bord dennoch nicht brach, dass trotz der bei vielen noch dazukommenden Erkältung die positiven Eindrücke immer noch überwogen, war dem Pragmatismus geschuldet, dass man manche Gegner nicht bezwingen kann.
Dass die Fehler nicht in der Planung, in der Technik oder bei den Teilnehmern zu suchen waren, sondern bei einem Wetter, mit dem keiner gerechnet hatte und welches sich vorher nicht absehen ließ.
Zurück zum Ausgangspunkt: Wahrscheinlich gibt es weltweit kaum ein Gebiet, in dem sich die Hoffnung, bislang unentdeckte und in für Sporttaucher geeigneten Tiefen liegende Wracks zu entdecken, so gut verwirklichen lässt, wie im Norden Ägyptens. Hier besteht die beste Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen – hin zu einer Epoche, als solche Expeditionen noch die Regel waren. Und auch, wenn keines der anvisierten Ziele erreicht wurde: Alleine die Tatsache, dass es jemand mit viel Leidenschaft und privatem Engagement versucht hatte, machte ihn zum Gewinner.
Die Tauchgänge nach Abbruch der Expedition an den Wracks von Abu Nuhas.
Tolle Wracks, aber kein wirklicher Trost für die Expeditionsteilnehmern.
Es gibt eine Stelle in einem Rocky-Film, in dem Rocky Balboa sinngemäß sagt, dass es nicht darauf ankommt, wie oft man getroffen wird und stürzt, sondern darauf, wie oft man danach wieder aufsteht. Und Rene Heese wird wieder aufstehen, soviel ist klar: Kaum im Hafen angekommen, plant er schon die zweite Expedition. Wieder hin zur Shillong, wieder rein in den Golf von Suez. Ob das Wrack wirklich da liegt, wo Heese es vermutet, kann heute noch niemand sagen. Aber er wird es herausfinden, irgendwann – so viel ist sicher.
Nachtrag:
Der Bericht zur zweiten Expedition (aus dem Dezember 2014) ist online: Und ewig lockt das Wrack
Video zum Thema:
Das Video zeigt einen Tauchgang am "Trostpreis" des Unternehmens. Der Versorger 'Hvide Marine', gesunken in der Nähe einiger Bohrinseln im Golf von Suez.