Tauchen an der HMS Stubborn. Im Dienste ihrer Majestät

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06.01.2013 19:22
Kategorie: Reise


Vor der Küste Maltas liegen ganze Wrackwelten und kaum ein Relikt ist so spannend wie die HMS Stubborn, ein englisches U-Boot aus dem Zweiten Weltkrieg. Mit maximal 57 Meter Tiefe liegt es eigentlich außerhalb der Reichweite von Sporttauchern – aber man hat ja ein Auge, das man zudrücken kann...

Bericht von Linus Geschke

Alles hat er unter Wasser schon gesehen: Haie und Delfine, Frachter und Kriegsschiffe, Mantas und Schildkröten. Aber noch nie ein U-Boot – und schon gar keines aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Holger Scherrer, ein 47-jähriger IT-Spezialist, ist eine Woche nach Malta geflogen, um ausschließlich Wracks zu betauchen: Und ein U-Boot soll das Sahnehäubchen werden.

Drei Meilen vor der Küste ist Scherrer diesem Traum nun ganz nah gekommen. Ein Sprung vom Boot noch, dann schlägt das Wasser klatschend über ihm und den anderen Tauchern zusammen. Auf den ersten zehn Metern sammeln sie sich, auf dreißig Meter Tiefe ist der Druck des Wassers schon doppelt so groß wie der Druck in einem Autoreifen. Der Blick der Gruppe fällt suchend nach unten: Langsam zeichnet sich auf dem 57 Meter tiefen Sandgrund ein dunkler, zigarrenförmiger Körper ab.

Kurz darauf haben sie ihr Ziel erreicht. Der scharf geschnittene Bug der 'HMS Stubborn' ragt wie ein stählerner Monolith vor den Tauchern empor. Immer noch wirkt das Unterseeboot bedrohlich und düster, man spürt förmlich die Gefahr, die einst von ihm ausging. "Es ist nicht so, dass ein U-Boot ein wirklich schöner Tauchplatz ist", wird Holger Scherrer später sagen. "Aber der morbiden Faszination, die dieses Kriegsgerät ausstrahlt, kann man sich nur schwerlich entziehen."



Bevor er zu ihr abtauchte, hat sich Scherrer intensiv mit der Historie der Stubborn auseinander gesetzt: Ein britisches U-Boot der Seraph-Klasse aus dem Zweiten Weltkrieg; 66 Meter lang, 48 Mann Besatzung, einst eingesetzt in der Biskaya, der Nordsee und in Südostasien. Dazu ein unfreiwilliger Rekordhalter: Kein anderes Boot der 'S-Klasse' ist jemals aus einer größeren Tiefe wieder zurück an die Oberfläche gekommen.

Nachdem die Stubborn am 13.Februar 1944 erfolglos einen deutschen Geleitzug angriff, wurde sie verfolgt, mit Wasserbomben belegt und schwer beschädigt. Das Boot verlor seine Trimmung und sackte bis in 165 Meter Tiefe ab, bevor die Besatzung es wieder abfangen konnte. Wie knapp man damals einer Katastrophe entgangen war, bewies ein unbemannter Test, den die Royal Navy vier Jahre später mit der baugleichen 'HMS Stoic' durchführte: Deren Druckkörper wurde in 183 Metern Tiefe durch den Wasserdruck förmlich zerfetzt.

Wenig Zeit


Doch dies sind nur Zahlen und Fakten; nicht zu vergleichen mit dem Anblick, der sich dem erfahrenen Sporttaucher nun bietet. Da sind die Torpedorohre, deren Inhalt feindlichen Schiffen einst Zerstörung und Vernichtung brachte. Die vorderen Tiefenruder, die vom Rumpf der Stubborn wie kleine Flügel abstehen. Oder die Öffnungen in der Bootshülle, in die vor sieben Jahrzehnten Wasser strömte, wenn das U-Boot auf Tauchfahrt ging – und in die sich heute kleine Barsche schmiegen.

Viel Zeit hat Holger Scherrer nicht für diese Details. Langsam gleitet er die stählerne Silhouette entlang, hin zu dem Turm, der sich in der Mitte des Bootes allmählich aus dem Blau schält. Kein Laut stört dabei seine Konzentration, nur das Blubb des Atemreglers wirkt wie ein regelmäßiger Taktgeber – der hörbare Herzschlag eines jeden Tauchers.

Obwohl man es an einigen Stellen könnte, dringt Scherrer nicht in das Wrack ein. Der Einstieg über das offen stehende Turmluk ist sehr eng und im Inneren wartet nichts als Sediment, Rohrleitungen und unzählige Handräder – das Risiko, daran hängenzubleiben oder durch das aufgewirbelte Sediment die Orientierung zu verlieren, wäre unkalkulierbar groß. Zumindest mit der Standardausrüstung: Englische U-Boote haben ein besonders kleines Turmluk – mit der großen 15er auf dem Rücken und einem Dekogas unter dem Arm wird das nichts.

Um den Turm herum toben Schwärme kleinerer Fische, unter die sich ab und zu eine größere Makrele mischt. Doch dafür haben die Taucher keinen Blick übrig. Sie ziehen weiter in Richtung des Hecks, während ihre Lampen über den völlig intakten Druckkörper des Bootes gleiten. Die hinteren Tiefenruder, die Steuerruder, die beiden Propeller – alles wirkt so, als bräuchte es nur ein wenig Farbe und Öl, um wieder zu funktionieren.

"Man kann hier gar nicht tauchen, ohne im Kopf die Titelmelodie des Films 'Das Boot' zu hören", sagt Holger Scherrer später. "Das Ganze wirkt manchmal eher wie das Bild aus einem Computerspiel; fast schon unwirklich."


 

Hüter der Wracks


Wenige Kilometer vom Tauchplatz entfernt arbeitet ein Mann, der mehr über die HMS Stubborn weiß, als jeder andere auf Malta. Martin Vella leitet die Marine Foundation, eine in Valletta beheimatete Organisation, die eng mit der maltesischen Regierung zusammenarbeitet. Bei ihr laufen alle Informationen über gesunkene Schiffe in maltesischen Gewässern zusammen. Auf Malta ist Martin Vella der Hüter der Wracks.

"Die Stubborn ist einmalig", sagt er. "Eines der großen Sehnsuchtsziele für Wracktaucher weltweit. Sie hat sämtliche Kriegsgefechte nahezu unbeschadet überstanden und wurde 1946 von der Royal Navy als Ziel für künftige Sonarübungen versenkt, was auch ihren guten Zustand erklärt. In Frankreich, da gibt es noch die 'Rubis', die auch ganz gut erhalten ist, aber sonst? Ein Großteil der gesunkenen Unterseeboote ist doch völlig zerstört oder liegt in Tiefen, die außerhalb der Reichweite von Tauchern sind."

Genau genommen gilt dies auch für die Stubborn. Die meisten Sporttauchverbände empfehlen eine maximale Tiefe von 40 Metern, die Stubborn liegt nochmals 17 Meter darunter. "Aber sehr erfahrene Taucher", weiß Vella, "können auch diese Tiefe mit Pressluft bewältigen – sofern sie diszipliniert genug sind." Auf Malta gibt es keine restriktiven Regeln und wenn, werden sie von den Basen vor Ort gemacht – der Archipel im Mittelmeer ist eines der letzten Rückzugsgebiete für erfahrene Taucher, die mit anspruchsvollen Dekompressionstauchgängen ihre Erfahrungen gemacht haben.

Sehr diszipliniert ist auch Holger Scherrer: Immer wieder schaut er auf den Tauchcomputer und das Finimeter. Rund fünf Minuten dauert der reine Aufstieg vom Wrack bis an die Oberfläche, dazu kommen noch mal Dekompressionszeiten von weiteren 17 Minuten im Freiwasser: Wenig spannend, aber halt der Preis, den man für so einen Abstieg bezahlen muss.


Weiterführende Infos:


Tauchplatzinfos 'HMS Stubborn'

Malta - generelle Informationen

Ein letzter Blick zurück zur Stubborn und auf jenes Kriegsgerät, welches wie kein anderes ein Sinnbild für die dunkelste Epoche Europas ist – und dessen Erkundung heute so friedlich verläuft. Dann beginnt Holger Scherrer mit dem Aufstieg. 15 Minuten war er am Wrack, 15 Minuten nur. Aber manches Mal genügt auch diese Zeitspanne, um sich einen elf Jahre währenden Traum zu erfüllen.