Moostierchen. Kleine Strudler in Meer und See

Teile:
12.11.2014 20:04
Kategorie: Biologie

Für Sven G. ist es nach wie vor nicht mehr als "der Schleim auf den Ästen". Mehr als zehn Jahre Aufklärungsarbeit blieben wohl vergebens - und auch wenn es Bryozoen schon seit 500 Millionen Jahren auf der Erde gibt: Der nicht mehr ganz junge Mann wird sich wohl nie für unsere heimischen Moostierchen interessieren. Aber was sind diese Moostierchen eigentlich?

Bericht von Harald Mathä

Den grazilen Neptunsschleier Sertella septentrionalis werden die meisten Mittelmeertaucher unter uns sicher schon an schattigen Stellen entdeckt - und für hübsch befunden zu haben. Tauchpionier Hans Hass widmete ihm sogar seine Doktorarbeit. Die Trugkoralle oder ein Strauchmoostierchen hat mancher sicher schon entdeckt, aber vielleicht nicht als Moostierchen erkannt. Auch in tropischen Meeren gibt es Moostierchen; doch dort werden sie ganz einfach wegen der Pracht der Korallen übersehen.

Moostierchen: Segen, Fluch oder egal?


Ein einzelnes Moostierchen ist winzig und recht schutzlos, daher bilden eigentlich alle bekannten Arten Kolonien. Die können wir dann auch ohne Lupe vor der Tauchermaske sehen.

Im Meer können sie mit ihrem Kalkskelett einer Koralle ähneln oder im Süßwasser wie Palmkätzchen auf Ästen kriechen. Dann gibt es Arten wie Lophopus crystallinus, die beinahe wie ein Edelstein funkeln. Da es keinen deutschen Namen zu geben scheint, erlaube ich mir, es "Kristall- Moostierchen" zu taufen. Bryozoen können sich wie etwas Glitschiges auf Steinen und Ästen anfühlen und auch so aussehen. Gell, Sven?!

Andere Moostierchenkolonien wie das schwabbelige "water brain" Pectinatella magnifica, auch Schwammartiges Moostierchen genannt (siehe Bild rechts oberhalb), werden so groß wie eine Wassermelone und verstopfen mühelos Wasser- und Abwasserleitungen. Diese Neozoa (Einwanderer) breiten sich in den letzten Jahren stetig in Europa aus und dürften über Belgien und Frankreich inzwischen Deutschland erreicht haben. Moostierchen haben bei Teichbetreibern, Fischzüchtern und Kraftwerksbetreibern generell einen schlechten Ruf. Regelmäßig müssen sogar Kernreaktoren gedrosselt werden, weil riesige Mengen an Bryozoen irgendwelche Kühlwassersysteme verstopfen.


Infobox Moostierchen


Etwa 5600 Arten weltweit, davon 11 bei uns im Süßwasser

Englisch: Moss animals
Lat: Bryozoa
Größe: um 1 mm, Kolonien einige cm bis gar dm
Aussehen: Von korallenähnlich bis zur quabbelig oder schlitzigen Masse ist alles möglich
Lebensraum: meist bis 10 Meter Tiefe
Verbreitung: weltweit im Salz und Süßwasser
Verwechslungsmöglichkeit: Im Meer Korallen - im Süßwasser Palmkätzchen, Schleimalgen oder evtl. Invasoren vom Planten Zempff
Buchtipp: Moostiere von Dr. Emmy Wöss



Gallertartige Moostierchen


Cristatella mucedo sind die prominentesten Bryozoen bei uns. Daran bin ich nicht ganz unschuldig, denn schon vor über einem Jahrzehnt erschien im alten Onlinemagazin von Taucher.Net einer der ersten Berichte im Internet über diese faszinierenden Tierchen.

Im Spätsommer und im Herbst entdeckt man diese Palmkätzchen ähnlichen, Kolonien in geringer Tiefe in Seen, die im Sommer Badetemperaturen erreichen. Meist muss man etwas genauer auf Wasserpflanzen und Äste gucken um sie zu entdecken. Vor der Taucherbrille offenbart sich dann etwas Wundervolles: Hunderte bis tausende Tierchen sind zu einer Kolonie vereint und agieren wie ein einziger Organismus.

Schaut man genau, so erkennt man die einzelnen Tentakelkränze, mit denen jedes einzelne Moostierchen Nahrung aus dem Wasser strudelt. Gemeinsam haben sie eine Kriechsole ausgebildet, aus der sie sich mit der Geschwindigkeit eines sehr, sehr langsamen Tauchers fortbewegen können. Ganz im Ernst: Nicht einmal Klaus A. (mein Lieblingsbuddy), wurde beim Tauchen von einer Moostierchenkolonie überholt - beim Aufrödeln hätten die Kolonien aber eindeutig die Nase vorne!

Im Winter


verschwinden die Moostierchenkolonien. Doch die einzelnen Tierchen sind nicht gestorben! Jedes hat sich in eine kleine Überlebenskapsel zurückgezogen und den Stoffwechsel gegen Null reduziert. So überstehen sie den Winter und können sogar im Eis einfrieren. Werden die Tage dann wieder länger und das Wasser wärmer so erwachen sie aus ihrem "Winterschlaf", recken und strecken sich, gähnen ordentlich und werden nach dem Frühstück wieder zu Moostierchen...

In ihrer Phase der "Winterstarre" zeigen die Statoplasten keinerlei Zeichen von Leben. Sind sie etwa tot? Und man stellt sich wieder einmal mehr die Frage, was mit Statoplasten passiert, aus denen sich keine Moostierchen mehr entwickeln. Sind sie gestorben, während sie tot sind? Eine zu tiefst philosophische Frage, die bei den Bärtierchen schon besser erforscht ist.

Andere Quellen beschreiben diese Statoplasten wiederum eher als "Samen" wie bei einer Pflanze, was das Ganze aber viel weniger mystisch macht! Die Statoplasten unterscheidet man in Piptoplasten, Sessoblasten, Flottoblasten und Leptoblasten. Das muss man sich nicht unbedingt merken, macht aber nach einem schönen Tauchgang mit Moostierchenbeobachtungen mächtig Eindruck bei den Mittauchern!




Zusammenfassung



Interessante Links:


Hydra, Süßwasserpolyp
Gallertartige Moostierchen
Die Bärtierchen


Im heimischen Süßwasser leben etwa elf Arten von Moostierchen. Das prominenteste und hübscheste ist wahrscheinlich das Gallertartige Moostierchen, welches vom Sommer bis in den Spätherbst in eigentlich jedem See zu finden ist. Seltener zu entdecken ist das schöne Kristallmoostierchen, da es recht klein ist und meist im Dreck steckt.

Die meisten anderen unserer Bryozoen sind zugegebenermaßen wenig attraktiv und nur schwer von glitschigen Algen oder "irgendetwas Schleimigen" zu unterscheiden.