Gefahrengemeinschaft bei Tauchgruppen - Jeden mitnehmen?

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14.07.2017 16:48
Kategorie: Diverses

Anmerkungen zur Gefahrengemeinschaft innerhalb der Tauchgruppe bei Tauchunfall im Ausland

 

Bericht von Dr. Ulrich Böttger, LL.M.Univ. of Texas

 

„Die Tauchsafari im Roten Meer endet tödlich“ – unter dieser Überschrift berichtete die Stuttgarter Zeitung in ihrer Online-Ausgabe vom 12.03.2017 über eine Hauptverhandlung vor der Strafrichterin beim Amtsgericht Leonberg. Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs gegen einen zum Zeitpunkt der Verhandlung 60-jährigen Chef einer Firma, so der Artikel, sei gewesen, dass der Angeklagte entgegen einer Verpflichtung einen anderen Taucher aus Brandenburg nicht zum Boot zurück begleitet habe. Der Brandenburger habe in der Folge einen Schwächeanfall erlitten, woran er schließlich verstorben sei. Deswegen habe sich der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung verantworten müssen.

Der Angeklagte sei im November 2010 mit seiner damaligen Ehefrau, der Tochter und dem später verunglückten Mann aus Brandenburg auf einer Tauchsafari im Roten Meer in Ägypten gewesen. Schon kurze Zeit nach Beginn des Tauchgangs sei der Brandenburger zurück zum Boot des Veranstalters getaucht. Doch trotz der dem Angeklagten bekannten Verpflichtung, den Taucher bis zum Boot zu begleiten, hätten die drei Familienangehörigen ihren Tauchgang fortgesetzt.

Der Angeklagte bestritt in der Hauptverhandlung vor dem Leonberger Amtsgericht jegliche Verantwortung für den Tod des Brandenburgers. Bei einem Briefing vor dem Tauchgang sei der Brandenburger nicht dabei gewesen. Erst, als sich die Familie schon im Wasser befunden habe, habe der Tauchlehrer gemeint, die Familie solle den Brandenburger mitnehmen. Kurz nach dem Abtauchen habe der Brandenburger der Ex-Frau des Angeklagten signalisiert, er fühle sich nicht gut und kehre zum Boot zurück – die Familie solle weiterschwimmen. Verantwortlich sei der Angeklagte für den Taucher aus Brandenburg nicht gewesen, denn „schon sein eigener Tauchschein habe dies gar nicht zugelassen“.

Die Staatsanwaltschaft, so der Artikel weiter, habe in der Hauptverhandlung vehement vertreten, dass zwischen dem Angeklagten und dem Taucher aus Brandenburg eine Gefahrengemeinschaft und somit Verantwortlichkeit füreinander bestanden habe. Dennoch habe die Staatsanwaltschaft eine vorläufige Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage – wohl richtigerweise nach § 153a Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) – angeregt, um einen Freispruch wegen der „dünnen Beweislage“ – so der Artikel – zu vermeiden. Die vorläufige Einstellung des Verfahrens durch das Gericht sei dann unter Auflage der Zahlung eines Geldbetrages von 3.500 Euro erfolgt. Eine Verurteilung des Angeklagten erfolgte jedenfalls in der Hauptverhandlung, über die die Stuttgarter Zeitung berichtete, nicht.

Auch wenn die Presseberichterstattung über Hauptverhandlungen in Strafsachen generell mit Vorsicht zu genießen ist – selten wird aus juristischer Sicht präzise und vollständig wiedergegeben, was passiert ist – wirft der Artikel einige rechtliche Fragestellungen auf, die jede Taucherin und jeden Taucher bewegen müssen, so sie oder er denn im Ausland an organisierten Tauchaktivitäten wie eben einer Tauchsafari teilnimmt.

1. Strafbarkeit nach deutschem Recht für Verhalten im Ausland?

Deutsche Staatsangehörige müssen sich, wenn sie Straftaten im Ausland begehen, in verschiedenen Konstellationen auch vor deutschen Gerichten nach deutschem Strafrecht verantworten, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Geregelt sind diese in den §§ 5 ff. des Strafgesetzbuches (StGB). Für die beim Tauchen häufig auftretenden Risiken von Taten der fahrlässigen Körperverletzung nach § 229 StGB oder eben – wie hier – der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB in Form von Tauchunfällen greift besonders § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 1 StGB. § 7 Abs. 1 StGB regelt, dass das deutsche Strafrecht Anwendung findet, wenn Opfer der Tat ein Deutscher ist und die Tat am Tatort selbst mit Strafe bedroht ist bzw. der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Deutsches Strafrecht findet nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch dann Anwendung, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist bzw. der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war.

Für den im Artikel der Stuttgarter Zeitung beschriebenen Fall ist die Anwendung deutschen Strafrechts sowohl nach § 7 Abs. 1 StGB als auch nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB zulässig. Sowohl der Angeklagte als auch der verstorbene Taucher waren deutsche Staatsangehörige. Fahrlässige Tötung steht ebenso wie fahrlässige Körperverletzung auch in Ägypten unter Strafe. Insgesamt kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bei Tauchunfällen im Ausland, bei denen es zu Verletzungen oder Todesfällen kommt, deutsches Strafrecht anwendbar ist, wenn der jeweilige Verursacher selbst deutscher Staatsangehöriger ist, unabhängig davon, ob die Justiz des jeweiligen Gastlandes tätig wird oder nicht. Aus dem Gastland ausgereist zu sein, ohne dort der strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein, ist damit kein Schutz vor strafrechtlicher Inanspruchnahme in Deutschland.

2. Strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund Gefahrengemeinschaft?

Beinahe nach jedem Tauchunfall wird in Internet-Foren die Frage diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen Tauchpartner bei Tauchunfällen unter dem Gesichtspunkt einer bestehenden Gefahrengemeinschaft und daraus entstehender Garantenstellung strafrechtlich verantwortlich zu machen sind, wenn der nicht verunfallte Tauchpartner gerade keine Hilfe leistet. Gefahrengemeinschaften entstehen dann, wenn sich mehrere bewusst miteinander in eventuell gefährliche Situationen begeben. Bei Eintritt von Gefahren sollen sich die Mitglieder der Gefahrengemeinschaft dann in der Abwehr von Gefahren im Sinne einer Garantenstellung, also einer strafrechtlich sanktionierten Pflicht zum Handeln, gegenseitig beistehen.

Ob und wann zwischen Taucherinnen und Tauchern solche Gefahrengemeinschaften entstehen, ist in der strafrechtlichen Rechtsprechung bislang in den Einzelheiten nicht geklärt.

Unstreitig dürfte sein, dass der gemeinsame Tauchgang mit einer Tauchpartnerin oder einem Tauchpartner – umgangssprachlich Buddy – eine entsprechende Gefahrengemeinschaft auslöst, wenn wissentlich, willentlich und aufgrund Absprachen in der Vorbesprechung des Tauchgangs gemeinsam erhöhte Risiken gegenüber dem Aufenthalt an Land eingegangen werden. Das Landgericht Darmstadt, Urteil vom 29.01.1999, Az. 14 Js 35155/95 (VersR 1999, 1116), verstand die Begründung einer Gefahrengemeinschaft als Folge des Grundsatzes „Tauche nie allein“, da schon diese Regel eine gegenseitige Hilfe zwischen Tauchern gewährleisten solle. Bei aller modernen Technik bliebe das Sporttauchen eine gefährliche Sportart, bei der schon kleinste Fehler schwere Konsequenzen haben könnten. Durch die Anwesenheit eines zweiten Tauchers werde solchen kritischen Situationen vorgebeugt. In Notfällen könne schnell geholfen werden. In der konkreten Situation, über die das Gericht zu entscheiden hatte, sei sogar das ausdrückliche Einverständnis der später verunfallten Tauchpartnerin mit einer Trennung vom weit erfahreneren und besser ausgebildeten Tauchpartner unwirksam gewesen. Die Gefahrengemeinschaft und damit die Garantenstellung habe weiter bestanden.

Ob diese Gefahrengemeinschaft auch über die unmittelbare Tauchpartnerin bzw. den unmittelbaren Tauchpartner hinaus für Mitglieder größerer Tauchgruppen außerhalb von Ausbildung gilt, ist bislang – soweit ersichtlich – nicht gerichtlich entschieden. Die bloße zufällige Zuordnung zu einer größeren Gruppe über das eigene Buddy-Team hinaus ohne konkrete Absprachen untereinander dürfte dazu jedenfalls. m. E. nicht ausreichen. So würde der einzelnen Taucher oder dem einzelnen Tauchpartner ein für sie oder ihn nicht mehr überschaubares Risiko der anderen Mitglieder der Tauchgruppe über den eigenen Tauchpartner hinaus aufgebürdet, denen sich die Taucherin oder der Taucher nicht entziehen könnte. Gleichzeitig würden Handlungspflichten bei der Hilfe, die derzeit zu allererst dem eigenen Tauchpartner gelten, uferlos ausgedehnt. Dieses Argument muss erst recht gelten, wenn – wie im Beitrag der Stuttgarter Zeitung geschildert – eine vorherige gemeinsame Tauchvorbereitung (Briefing) der Gruppe insgesamt nicht stattgefunden hat und die Zuweisung eines vierten Tauchers durch einen Vertreter des Safariveranstalters erst im Wasser, wenn auch an der Oberfläche, erfolgte. Dem uferlosen Risiko könnten Taucherinnen und Taucher dann nur noch begegnen, indem sie sich an Tauchgängen in größeren Tauchgruppen nicht mehr beteiligen und die Zuweisung von Mittauchern konsequent ablehnen. Soweit der Artikel der Stuttgarter Zeitung den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft mit den Worten „Buddy-Regel hin oder her, Sie waren eine Gefahrengemeinschaft und somit für einander verantwortlich“ zitiert, dürfte dies rechtlich kaum haltbar sein.

3. Muss die Zuweisung einer Tauchpartnerin oder eines Tauchpartners akzeptiert werden?

Es geschieht oft, dass auf Tagesausflügen oder Tauchsafaris einzelnen Taucherinnen und Tauchern bzw. Buddy-Teams durch die jeweils auf dem Boot Verantwortlichen, meist den Tauchguides, weitere Mittaucher zugewiesen werden. Gerade höher brevetierten Taucherinnen und Tauchern kann es so im Urlaub passieren, dass die Aufsicht und Führung über weniger erfahrene Taucherinnen und Taucher übernehmen sollen. Unter Berücksichtigung der im Artikel der Stuttgarter Zeitung geschilderten Geschehnisse stellt sich die Frage, ob eine solche Zuweisung, oft in Form freundlicher Fragen, ob man noch schnell diesen oder jenen mitnehmen könne, akzeptiert werden muss.

Grundlage der Beantwortung dieser Frage ist das vertragliche Verhältnis zwischen der einzelnen Taucherin, dem einzelnen Taucher und dem den Tagesausflug bzw. die entsprechende Safari durchführenden Vertragspartner. Je nachdem, wo und mit wem entsprechende vertragliche Leistungen vereinbart wurden, kann dies ein lokaler Veranstalter auf der gesetzlichen Grundlage des Ziellandes sein. Viel häufiger – gerade bei Safaris – ist aber, dass ein in Deutschland ansässiger Veranstalter Anbieter ist, der sich unter grundlegender Geltung deutschen Rechts im Zielland entsprechender Dienstleister bedient, um seine Safari-Leistungen – Bootstour, Übernachtungen, Verpflegung, Tauchgänge etc. – durchzuführen.

Bei führenden deutschen Veranstaltern für Tauchreisen finden sich in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) für das Verhältnis zwischen Tauchern und durchführendem Unternehmen vor Ort keine genauen Regelungen. Gelegentlich findet sich der folgende Satz: „Während der Sport- und Tauchprogramme ist den Anweisungen der Lehrer und Betreuer Folge zu leisten. Im Fall von Zuwiderhandlungen ist der Lehrer oder Betreuer zum sofortigen Ausschluss des Reiseteilnehmers berechtigt.“ Diese Klausel dürfte inhaltlich so unklar sein, dass sie, wenn deutsches Vertragsrecht zur Anwendung kommt, kaum Bestand haben dürfte. Dasselbe dürfte auch für eine Regelung gelten, mit der sich die Taucherin oder der Taucher verpflichtet, die Tauchsicherheits-Regeln am Reiseziel einzuhalten, wobei bei Nichtbeachtung ein sofortiger Ausschluss vom Tauchprogramm drohen soll. Da diese Tauchsicherheitsregeln lokal sehr unterschiedlich ausfallen, dürften sie bei Abschluss des Vertragsverhältnisses mit dem Veranstalter kaum vollständig und verbindlich bekannt sein. Deswegen können sie kaum wirksamer Bestandteil des  jeweiligen Vertragsverhältnisses sein.

Beide Regelungen – Befolgen von Anweisungen bzw. der Tauchsicherheits-Regeln – können jedenfalls nicht so verstanden werden, dass sich Taucherinnen oder Taucher von Anfang an damit einverstanden erklären, erhebliche rechtliche Risiken bei der Aufnahme weiterer Mittaucher in größere Tauchgruppen zu übernehmen. Hier sollte man, so man sich einer solchen Verantwortung und der dazugehörigen Risiken nicht stellen will, höflich aber bestimmt ablehnen. Die Zuweisung eines weiteren Mittauchers erst im Wasser ohne Teilnahme am vorherigen Briefing dürfte ihrerseits ein Verstoß gegen Sicherheitsregeln beim Tauchen darstellen. Dass in dem beim Amtsgericht Leonberg verhandelten Fall noch nicht einmal klar auszumachen war, wer eigentlich Buddy des später verunfallten Brandenburgers wurde, verdeutlicht dies hinreichend.

4. Fazit

Auch beim Tauchen im Ausland besteht eine nach deutschem Recht zu beurteilende strafrechtliche Verantwortung, so es denn zu Tauchunfällen mit Verletzungs- oder sogar Todesfällen kommt. Das Risiko einer solchen strafrechtlichen Verantwortung dafür lässt sich minimieren, wenn man im Team mit einem bekannten Buddy und außerhalb großer Tauchgruppen, in denen Verantwortlichkeiten nicht klar verabredet sind, taucht. Kurzfristige Zuweisungen weiterer unbekannter Mittaucher, erst recht ohne gemeinsame Teilnahme am Briefing, sollte man unter Hinweis auf die damit entstehenden, schwer abzuschätzenden Verantwortlichkeiten ablehnen.

 

Weitere Informationen - Diskussionen in den Taucher.Net Foren:

Gefahrengemeinschaft bei Tauchgruppen

Haftung bei Tauchunfällen