Streit um Flugstornos nach Ägypten

Teile:
12.09.2013 11:40
Kategorie: News

Airlines stornieren, Juristen monieren..

Condor

Patric Phillipp Ziller ist Taucher. Und Patric war auf dem Sprung nach Ägypten. Am 19. September sollte es mit  Condor Flug DE4014 von Frankfurt nach Hurghada gehen. Das wird nun nichts, denn wie von Taucher.Net schon berichtet, hat Condor alle Flüge nach Ägypten bis zum 29. September storniert. Auch den Flug von Patric. Erst war er sauer, denn er fand in dem Storno von Condor keine für ihn nachvollziehbare Begründung. Im Schreiben der Airline an den Fluggast hieß es:

"...kündigen wir Ihnen hiermit mit sofortiger Wirkung aufgrund höherer Gewalt den Beförderungsvertrag. Damit passt Condor ihr Vorgehen an das ihrer Muttergesellschaft Thomas Cook AG und weiteren großen deutschen Reiseveranstalter an".

"Höhere Gewalt? Hab ich da was verpasst?" fragte sich Patric, denn er wusste, dass es zwar seitens des Auswärtigen Amtes eine Empfehlung gab, die von Reisen nach Ägypten abriet, aber keine explizite Reisewarnung für die touristischen Zentren Ägyptens. Nachdem sich die erste Verärgerung gelegt hatte machte sich Patric an die Arbeit und suchte nach Alternativen. Und die fand er auch recht zügig: Flüge mit Egypt Air für 380 € und damit sogar noch um 59 € billiger als sein stornierter Flug mit Condor gewesen wäre. Dazu noch 50 gesparte Euro für das Tauchgepäck, denn Egyptair transportiert inzwischen – anders als Condor – zweimal 23 Kilogramm plus acht Kilogramm Handgepäck. Kostenfrei! Und in diesen zwei Gepäckstücken darf sich bei Egyptair auch die Sportausrüstung befinden (mehr Infos hier)!

Egypt Air

Also alles Paletti? Für Patric keineswegs, denn er war mit dem Vorgehen von Condor nicht einverstanden und postete auf seiner und der Condor-Facebookseite folgenden Text:

Hallo ihr liebes Condorteam, ich möchte mich ganz herzlich bei euch dafür bedanken, dass ihr meinen Hurghadaflug storniert habt. So bekomme ich nicht nur 439,- € von Euch zurück und fliege nun für 380,-€ nach Hurghada - Nein! Mit eurer Kündigung habt ihr mir nun sogar noch 600,- € Entschädigung nach EU-Fluggastrechteverodnung verholfen! Denn Eure Begründung "wir kündigen wegen höherer Gewalt" liest sich zwar gut - ist aber völliger Bullshit! - das wisst ihr zwar, aber versuch macht klug... Höhere Gewalt wäre eine ReiseWARNUNG des Auswärtigen Amtes (AA).
- Dumm nur dass es diese NICHT GIBT im Gegenteil! Laut AA sind die Flughäfen und Urlaubsgebiete SICHER!. HIER NACH ZU LESEN FÜR EURE STRATEGEN.“ http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/AegyptenSicherheit.html.


Und genau hier beginnt die Geschichte kompliziert zu werden! Die EU-Fluggastrechteverordnung wurde 2004 verabschiedet und regelt seither Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Grund dieser Verordnung war es, in Europa agierende Airlines zu einheitlichen Standards hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Flüge zu zwingen. (Wer sich die Verordnung anschauen möchte, hier der Text der EU-Fluggastrechteverordnung).

Viele Ägyptenflüge finden aufgrund der Reiseempfehlung des AA und des daraus resultierenden Reisestopps der großen deutschen Touristikunternehmen und Airlines bis Ende September nicht mehr statt. Immer wieder wurde uns von Usern die Frage gestellt, ob denn dies rechtmäßig sei.

Flughafen Hurghada - ziemlich leer dieser Tage
Flughafen Hurghada - ziemlich ausgestorben im Moment

Spontan konnten auch wir die Argumentation von Patric nachvollziehen, denn Vertrag ist Vertrag und eine "höhere Gewalt" liegt oberflächlich betrachtet nicht vor. Und im Detail betrachtet wissen wir von unseren Freunden, Partnern, Kunden und Usern, dass es in den Touristenregionen an der ägyptischen Rotmeer-Küste ruhig, leider inzwischen viel zu ruhig ist (siehe auch News Meldung mit Berichten vor Ort vom 20.8.13). Denn wie gemeldet machen die ersten Hotels und Tauchbasen mangels Besuchern zu, die ägyptische Bevölkerung beginnt unter der kompletten Kappung ihrer jahrzehntelangen Lebensgrundlage, des Tourismus, zu leiden (siehe auch Meinung vom 5.9.13).

Auch nach den Anschlägen in Ägypten in 2006 und 2009 lief der Reiseverkehr sehr schnell wieder "normal" und in den letzten turbulenten Wochen in Ägypten hat es keinerlei Übergriffe oder Anschläge in touristischen Regionen gegeben. Eine Fehleinschätzung des Auswärtigen Amtes? Eine völlig überzogene Reaktion der Touristikbranche? Oder nur angesagte und nachvollziehbare Sicherheitsmaßnahmen? Die Wahrheit liegt wohl mittendrin, denn wie sich die Lage entwickelt und was passiert oder nicht, vermag niemand vorauszusagen.

Die Touristikunternehmen und Airlines jedenfalls haben Sicherheitsbedenken und haben sich deshalb zum Reisestopp entschlossen. Denn man muss auch wissen, dass im Falle von ernsten Zwischenfällen die Reiseveranstalter und Fluglinien weitreichenden Haftungen unterliegen. Und Condor zum Beispiel hat als Airline alle Flüge storniert, erstattet die gezahlten Tickets und fliegt aber trotzdem leer nach Ägypten um die noch vor Ort verbliebenen Touristen zurück zu holen. Das sieht nicht nach Wirtschaftlichkeit aus, weshalb immer wieder vorgebrachte Mutmaßungen, dass die deutschen Touristikunternehmen nur aus wirtschaftlichen Erwägungen umsatz- und renditestärkere Destinationen bevorzugen würden, eher unbegründet scheinen.

Was sagen die Fachjuristen?

Rechtsparagraph

Haben nun Taucher und Reisende, denen der Flug in den verdienten Urlaub storniert wurde, einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen auf Basis der in der EU-FluggastrechteVO gesteckten Rahmen?
Wir fragten die Fachjuristen zweier großer Internetportale, die die Rechte von geschädigten Fluggästen wahrnehmen. Und heraus kam wenig Erfreuliches für Patric und viele andere "stornierte Fluggäste".

Christian Geltenpoth ist Geschäftsführer und verantwortlich für das Portal fluggastrecht.de. Das Portal hat Fachjuristen, die die Interessen von geschädigten Fluggästen vertreten. Und: Anders, als beim Besuch eines normalen Anwalts kann man seine Probleme schildern und bekommt hier eine Einschätzung, ob ein Anspruch aus der EU-Fluggastrechteverordnung vorliegen kann und Aussicht auf Erfolg hat, online und kostenfrei. Gegen Beteiligung an den erstrittenen Ausgleichszahlungen vertreten die Nürnberger Juristen geschädigte Fluggäste. "Schon mehr als 50 Mandate haben wir aus den jüngsten Entwicklungen im Ägyptentourismus", sagt Geltenpoth, der nicht den Eindruck machte, als werde hier nach dem Motto: 'Erst mal draufschlagen und schauen was dabei herauskommt', agiert. Im Gegenteil: "Die Gerichte sind sich der Dimensionen ihrer Entscheidungen bewusst, denn aus der konkreten Situation können sich weit reichende Folgen ergeben", sagt der Jurist und führt weiter aus, dass die Richter zunehmend auch den "Geist" der Verordnung heranziehen, der vor knapp zehn Jahren darin bestand, die Airlines zu mehr Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit zu bewegen.

Die Frage, ob eine Airline zu "Ausgleichszahlungen" in Höhe von mehreren hundert Euro verurteilt werden sollte, wenn sie die Beförderung nicht aus Nachlässigkeit, Schlamperei oder anderen von ihr zu vertretenden Gründen ablehnt, sondern vielmehr aufgrund von ernsten Bedenken hinsichtlich der Sicherheitslage in der Zieldestination, hat viele Antworten. Klar ist, dass zum Beispiel Condor durch die stornierten Flüge erhebliche Kosten entstehen. Klar ist aber auch, dass es nicht zu verstehen ist, dass deutsche Ferienflieger die ruhigen Touristendestinationen am Roten Meer meiden, die großen Linienairlines wie zum Beispiel Lufthansa aber Kairo, das Zentrum der Proteste und gewalttätigen Auseinandersetzungen, weiterhin täglich anfliegen...

Basis für die weitgehend einheitliche Beurteilung der Situation in Ägypten durch die Airlines und Touristikunternehmen sind offenbar die Aussagen und die Reiseempfehlungen des Auswärtigen Amtes. Und die sind in der Tat sehr schwammig, teilweise mehrdeutig.

Reisehinweis, Teilreisewarnung Auswärtiges Amt Deutschland
Text AA Deutschland (pdf) Klick zum Vergrößern

Der Eingangssatz der Empfehlung sagt kurz, knapp und klar: "Aufgrund der aktuellen Lage und der Unvorhersehbarkeit der Entwicklungen wird von Reisen nach Ägypten derzeit abgeraten."  (siehe pdf-link rechts).

Das ist eine Empfehlung und keine Reisewarnung! Eine Reisewarnung sähe eher so aus: "Von Reisen nach Kairo, in die Touristenzentren in Oberägypten (Luxor, Assuan, Nilkreuzfahrten) und in das Nildelta wird dringend abgeraten". Und konkret ausgesprochen wurde eine Reisewarnung nur für den Nord-Sinai und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet. In den weiteren Ausführungen des AA heißt es dann aber: "Auf dem gesamten Sinai ist die Sicherheitslage weiterhin sehr angespannt". Das Gesamtpaket des Auswärtigen Amtes wird dann eine "Teilreisewarnung" genannt. Wer soll da noch verstehen, was konkret gemeint ist und vor allem wie es zu bewerten ist?

Solche Einschätzungen und Publikationen werden besonders von den vor Ort arbeitenden Mitarbeitern von Tauchbasen und Hotels nicht verstanden. Von den Ägyptern sowieso nicht. Sind nun also die veröffentlichten Bewertungen des Auswärtigen Amtes Grund und Anlass genug, die Situation als gefährlich einzustufen und gebuchte Reisen zu stornieren? Condor hatte ihre Flüge mit dem Hinweis auf "höhere Gewalt" storniert. Und ob ein solcher Fall von "höherer Gewalt" vorliegt ist nun Streitgegenstand bei Politikern und Juristen.

Die Reisejuristen des Fluggastportals flightright.de sehen die Lage auch als sehr komplex an, vertreten aber die Auffassung, dass die Einschätzung des Auswärtigen Amtes alleine nicht maßgeblich sei für die Bewertung der Situation.

Höhere Gewalt?

Justitia

Nach Ansicht von Prof. Dr. Ronald Schmid, Reiserechtsexperte und Partneranwalt von flightright, sei speziell die Einstufung durch das Auswärtige Amt kein Kriterium, um das Vorliegen von "höherer Gewalt" im Sinne des deutschen Reiserechts zu begründen:

"Die Frage, ob ein Fall „höherer Gewalt“ vorliegt, muss also vom Reisenden wie vom Reiseveranstalter allein anhand der Kriterien des § 651f BGB im Lichte seriöser Medienberichte bestimmt werden, nicht aber anhand der Einschätzungen des Auswärtigen Amtes. Dessen Bewertungen einer Lage sind allenfalls ein Indiz für das Vorliegen höherer Gewalt."

Schmid bezieht sich hier zwar nur auf deutsches Reiserecht, die Rechtsabteilung von flightright geht aber davon aus, dass man dies auf die Fluggastrechteverordnung übertragen kann. Nach dem Erwägungsgrund 14 zur VO (EG) Nr. 261/2004 wird als Beispielsfall für außergewöhnliche Umstände ausdrücklich "politische Instabilität" erwähnt. Politische Unruhen, Bürgerkriege etc. können also nach Ansicht der Juristen von flightright.de durchaus außergewöhnliche Umstände im Sinne der Verordnung darstellen und im Einzelfall einen Anspruch auf Ausgleichsleistung entfallen lassen. Man werde, so hieß es von flightright, letztendlich in jedem Einzelfall genau prüfen müssen, ob die politischen Unruhen eine Annullierung des Fluges rechtfertigen. Hier sei grundsätzlich auch die Fluggesellschaft in der Beweislast. Die Einstufung durch das Auswärtige Amt als explizite "Reisewarnung" oder bloße Empfehlung, nicht zu reisen, sei juristisch gesehen aber irrelevant und könne lediglich als Indiz herangezogen werden, so die Fachanwälte von flightright gegenüber Taucher.Net (hier der Link zu den weiteren Ausführungen von Prof. Dr. Ronald Schmid).

Was heißt das nun alles für Patric und all die anderen Flug- und Reise-Verstoßenen? Vermutlich nur geringe Aussicht auf Ersatzleistungen nach der EU-Fluggastrechteverordnung, und eine noch undurchsichtigere Auslegung, wann es nun gefährlich ist und wann nicht. Wenn der Professor ausführt, dass die Bewertung nicht anhand der Empfehlungen des AA vorzunehmen sei, sondern nach deutschem Reiserecht und dem BGB "im Lichte seriöser Medienberichte", dann kann er damit nicht die große deutsche Boulevardpresse gemeint haben, sondern die um sachliche, unverfälschte Informationen bemühte Berichterstattung von Taucher.Net. Soviel Eigenlob sei uns vergönnt!