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Stickstoff Desaturation

Geändert von freilufthans,

Hallo zusammen,

Wie der Titel schon sagt habe ich eine Frage zur Entsättigung: Ich habe im TC (habe den Mares Smart Air, wird aber bei anderen TC ähnlich/genauso sein) zum einen eine Stickstoffanzeige, die sich während des Tauchgangs füllt, ist sie komplett voll dann ist meine No Deco Time rum und ich müsste Deko-Stopps einlegen. Zurück an der Oberfläche baut sich diese Anzeige während meines Surface Intervals ab ( = mein Gewebe entsättigt sich, ich atme den Stickstoff ab) und ich kann weitertauchen. Soweit alles easy.

Jetzt gibt es eine zweite Anzeige, die bei mir DESAT, also desaturation time = Entsättigungszeit heißt, und die eine deutlich länger Zeit bis zur Entsättigung anzeigt als die andere Stickstoff-Anzeige (mehrere, viele Stunden, bspw. 12h). Ich verstehe denke ich auch, dass das die akkumulierte Stickstoff-Gewebssättigung ist, die der TC bei wiederholten Tauchgängen berechnet.

Wo ich jetzt das Denk-/Verständnisproblem habe ist, diese beiden Anzeigen zusammenzubringen... Die eine sagt quasi, dass ich nach - sagen wir 1,5h Surface Interval - wieder fresh/ohne Stickstoff bin, während die andere sagt, dass dasnoch 12h dauert...

Kann mir das jemand erklären?

Danke

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03.05.2022 22:09
hm...

erstmal: den smart air kenn ich nicht persönlich.
aber: die von dir als erstes erwähnte anzeige zeigt (wahrscheinlich) die vom rechenmodell "erlaubte" sättigung innerhalb der du in der nullzeit bist, oder auch nicht mehr.
die desat-anzeige zeigt (falls es nicht nur ein timer wie bei der no-fly ist) die tatsächliche rechnerische entsättigung (natürlich bezogen auf die theoretischen gewebe des rechenmodells).
FerrisBuler PADI AOWD + CMAS**
03.05.2022 22:34
Was genau meinst du mit Stickstoffanzeige? Ich kann im Handbuch des Computers nichts dazu finden. Meinst du vielleicht CNS??
03.05.2022 23:15
Ich hab mal die entsprechenden Stellen inkl dem passenden Bild aus dem Handbuch rauskopiert. Das zweite Bild zeigt genau den Fall den ich beschrieben habe: nach einem Surface Interval von 1:18h hat sich die Balken-Stickstoffanzeige auf nur einen der 5 Segmente reduziert. Würden wir noch 30 min oder ne Stunde warten, wären alle Segemente weg und wir damit "stickstoff-frei". Gleichzeitig zeigt aber die DESAT-Anzeige noch 11h bis zu "Stickstoff-Freiheit" an...

@gr3yw0lf: Danke, klingt erstmal logisch, den knoten in meinem kopf hat es aber noch nicht gelöst...

@FerrisBuler: Nein, CNS ist ja die Anzeige für die längerfristigen Wirkungen der Sauerstofftoxizität, nicht für die Stickstoffsättigung. Trotzdem danke

04.05.2022 00:05
Steht doch im Text, einmal die Sättigung im führenden Gewebekompartiment und einmal die komplette Entsättigung.
12 Stunden Timer minus der Oberflächenpause sind doch gerundet 11 Stunden.
04.05.2022 02:55Geändert von gr3yw0lf,
04.05.2022 02:55
stimmt - die beschreibungen stehen ganz eindeutig dabei.
spannend, daß das flugverbot ein "in der tauchbranche festgelegter wert" ist.
gottseidank wissen das heinrichsweikamp und shearwater offensichtlich nicht....
joebarbrevetiert
04.05.2022 08:47
Ich lese dass so, dass die Anzeigen eigentlich das gleiche zeigen. Die Balkenanzeige ist lediglich viel grösser eingeteilt mit fünf Balken.
Wenn der letzte Balken verschunden ist, hat das Leitgewebe immer noch knapp unter 20% des M-Wertes (der erlaubten Übersättigung) und es kann durchaus noch mehrere Stunden daueren bis alle Kompartimente auf "Null" sind.
04.05.2022 17:09
Danke euch
jetzt stellt sich (zumindest mir) aber die nächste frage, wie sich "führendes" gewebe definiert und wie es sich vom restlichen gewebe unterscheidet?

Gibt's da eine allgemeine Definition? Oder ist das abhängig von z.B. der Tiefe, ... Oder kann man sich das als am besten durchblutetste und damit am schnellsten Stickstoff entsättigende Gewebe vorstellen (also in erster Linie Organe wie Hirn, Lunge, vielleicht große Musekln, ...)
joebarbrevetiert
04.05.2022 18:19
Das führende Gewebe oder besser Kompartiment (das ist Deko THEORIE, das hat erstmal nichts mit realen Geweben zu tun) ist dasjenige welches die grösste Sättigung hat.
Das ändert sich immer wieder im Lauf des Tauchganges. So kann es am Anfang des Tauchganges ein schnelles Kompartiment sein und wenn du höher gehst entsättigt sich das schnelle, während ein langsames sich immer noch aufsättigt und dabei das schnelle überholt.

Es gibt Programme welche die Sättigung der einzelnen Kompartimente während eines TGs als Balken darstellen. Da kannst du das schön beobachten. Vielleicht Subsurface?

Disclaimer: Alles was ich geschrieben habe bezieht sich auf die Bühlmann Programme. Ich habe nicht nachgesehen ob dein Computer mit diesem Modell rechnet.
04.05.2022 18:22
https://www.heinrichsweikamp.net/downloads/OSTC_infoheft_GF_web.pdf
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
04.05.2022 19:13Geändert von Ciccione,
04.05.2022 19:14
Bei den Shearwater Computern kann man sich die Sättigung der 16 Bühlmann-Gewebe auch live anzeigen lassen. Ob die HWs das auch haben weiß ich nicht
04.05.2022 19:59Geändert von Ky10,
04.05.2022 20:43
Hi.
Ich weiss jetzt nicht, ob ich hier jetzt Dinge sage, die eh jedem klar sind.
Dennoch hier die Antwort auf ein paar im Thread gestellte Fragen:
Das führende und im Prinzip einzig wirklich relevante Kompartiment ist dein Blut. Alle anderen Kompartimente (oder grob gesagt Organsysteme) sind im Verhältnis relativ irrelevant.
Je tiefer du tauchst, um so höher der Umgebungsdruck. Je höher der Umgebungsdruck, umso mehr Stickstoff löst sich darin. Bei Normaldruck ist eine Stickstoffübersättigung nur bei absurden Szenarien möglich.
Die Anzeige deines TC ist natürlich dementsprechend abhängig von Tauchtiefe und Dauer, je tiefer und länger du tauchst, umso mehr Stickstoff wird in das Flüssigkeitsvolumen (gleichbleibend) deines Blutes "hereingepresst". Wenn du mit dem Stickstoff dann schnell auftauchst, dann geht der gelöste Stickstoff in den natürlichen, gasförmigen Aggregatzustand über, es bilden sich Blasen wie beim Öffnen einer Mineralwasserflasche und dann kleine Embolien, Bingo... Dekompressionskrankheit.
Die Berechnungen der TC sind immer nur Näherungen, die ausgelegt sind, auf Nummer sicher zu gehen und dies in jedem Fall zu vermeiden. Mit den real erforderlichen Zeiten hat dies nichts zu tun, genaue Bestimmungen wären hier nur über wiederholte, zeitnahe Blutgasanalysen deines arteriellen Blutes möglich, sowas ist aber beim Tauchen ziemlich wenig praktikabel.
Dementsprechend ist die Pause vor dem Fliegen nur ein Sicherheitspuffer, bei dem man davon ausgehen kann, dass sämtliche überschüssigen Gase wieder abgeatmet wurden.
04.05.2022 20:01
Da haben sich schon Anzeigefehler gezeigt, daher hab ichs mal direkt gepostet...
04.05.2022 20:05
Deswegen rechnet man ja mit 16 Kompartimenten im Dekomodell, weil 15 irrelevant sind und man nur eines braucht ( mit einer Halbwertszeit von wenigen Minuten....)
kopfpatsch
04.05.2022 20:09Geändert von Ky10,
04.05.2022 20:42
@ Schoko Ich bin ziemlich sicher das der Stickstoffpartialdruck in allen anderen Geweben als im Blut sehr konstant ist und das vor allem rasche Änderungen nicht zu relevanten Schädigungen führen. Nenn mit doch mal bitte das Resultat des schnellen Auftauchens in einer Skelettmuskelzelle!!
04.05.2022 20:40Geändert von Ky10,
04.05.2022 20:42
Ps.... Ich hoffe sehr für dich, dass dein Blut keine "Halbwertszeit" von wenigen Minuten hat......

CiccioneAdvanced Technical Mermaid
04.05.2022 20:47
Ky10: der Stickstoff Partialdruck ist nur eine der relevanten Großen. Für die Geschwindigkeit des Ein- bzw Ausgaben sind die jeweiligen Geschwindigkeitskonstanten wesentlich, die jeweils mit der Affinität zwischen N2 und Gewebe zusammenhängen. Streng genommen ist das dann auch Ken N2 Partialdruck mehr sondern die gelöste Konzentration.
Die zugrundeliegende Kinetik ist Recht simpel. Kinetik einer Gleichgewichtsreaktion (pseudo) 1. Ordnung. Ist Physik/Chemie Grundstudium
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
04.05.2022 20:49
PS: Halbwertszeit gibt es streng genommen bei Gleichgewichtsreaktionen nicht da sich immer ein GG zwischen eingeatmeter Luft und Gewebesättigung einstellt. Du hast selbst an der Oberfläche eine gewisse N2-Sättigung
04.05.2022 20:58
Ich würde jetzt mal gelöste Konzentration und Partialdruck als Synonym bezeichnen

Ja die Halbwertszeit steht ja in Anführungszeichen.... Läge diese bei wenigen Minuten wäre das entsprechende Individuum bei 2x "wenigen Minuten" tot. Einen Verlust von 75 % seines Blutvolumens in kurzer Zeit überlebt man nicht.
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
04.05.2022 21:14
Drück wird in Pa (Bar ist keine SI Einheit) gemessen, Konzentrationen typischerweise in mol/l oder dgl.

Wenn dann sind beide Proportional zueinander
04.05.2022 21:32
I rest my case....kissing

Wir Mediziner verwenden den Partialdruck zur Beschreibung von Konzentrationen gelöster Gase in Flüssigkeiten.

Sollen wir uns darauf einigen, dass das den Sachverhalt einigermaßen brauchbar beschreibt?
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
04.05.2022 21:40
Danke für's Küsschen.

Ja, man verwendet den Partialdruck, da es ja kaum möglich ist, die Konzentration zu messen (welche Molmasse hat Gewebe?).
Ich wollte nur darauf hinaus, dass die kon und koff Rates sehr von der Affinität des Gewebes zu N2 abhängt. Un die unterscheidet sich je nach Gewebeart (polar/unpolar) und natürlich auch von der durchblutung (der Stickstoff muss ja irgendwie dort hin bzw wieder weg kommen).

Da man all das kaum Messen kann, sind die 16 Bühlmann-Gewebe ja auch nur theoretische Gewebe
04.05.2022 21:58
@ciccione

ja, die hw haben so eine anzeige auch live - und mein sh und hw sind sich da ziemlich einig....
04.05.2022 21:58Geändert von kwolf1406,
04.05.2022 22:12
Der Partialdruck eines gelösten Gases ist der Druckanteil, der in einer Blase in der Flüssigkeit herrschen würde. Das ist ein Kunstgriff, denn Gase lösen sich unabhängig von anderen vorhandenen Gasen. Anders, als in gasförmiger Umgebung, wo die Gesamtsumme der Anteile nie mehr als 1 sein kann.
04.05.2022 22:05
Ich wollte eigentlich einen Smiley, welches einen Hut zieht, das konnte ich leider nicht finden.

Schön und einfach wäre es, wenn die einzelnen Gewebetypen (Zellverbände) ihre Stickstoffaufnahme rein über Affinität regeln würden. Die gewünschten Partialdrücke in den Zellen werden sehr genau und aktiv über Ionentransportkanäle und ähnliche mechanismen in der Zellwand geregeln. Dabei sind die Zellen zu erstaunlichen Leistungen einer Homöostase fähig. Daher sind die meisten Gewebe auch in der Lage, länger ihren Stickstoffpartialdruck aufrechtzuerhalten.
Ganz nebenbei sind die Folgen einer Deko Erkrankung im Blut meist schneller tödlich als in den meisten anderen Organen.

Das Blut kann dies übrigens nicht, hier wird tatsächlich das meiste über den Gasaustausch in der Lunge, den Umgebungsdruck und verschiedene Puffersysteme reguliert. Die greifen jedoch v.a. In den Kohlendioxidhaushalt ein. Insofern ist es auch das erste betroffene Kompartiment, welches dann i.d.R sekundär die anderen Gewebe beeinflusst.

Es ist ganz schön anstrengend, so etwas mit laufender rechtschreibekorrektur aud einem Amazon Fire HD zu tippen yes
04.05.2022 22:11
Ky10, "Das führende und im Prinzip einzig wirklich relevante Kompartiment ist dein Blut."
In dieser groben Vereinfachung ist das gefährlich falsch. DCS kann auch andere Gewebe betreffen bis hin zu Knorpel und Knochen. Allgemein gesprochen: Die langsameren Gewebe. Das ist auch für Sporttaucher relevant, die vermeintlich immer in " Nullzeit" tauchen, aber z.B. auf Safaris dem Non-Limit-Unsinn frönen, was besonders über mehrere Wiederholungstauchgänge hinweg die mittleren und langsamen Gewebe belasten. Bends kommen nicht vom Blut!
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