Sea&Sea DX-1G - Leid und Elend
Ich fotografiere schon ein paar Jahre mit Sea&Sea-Kameras. Nach einer MX-10 und zwei vollgelaufenen MMII EX (dank Batteriefachdichtung) kam MMII EX Nummer 3 ins Haus. Leider ist im digitalen Zeitalter der Einkauf geeigneten Filmmaterials immer schwieriger geworden. Läden wie Saturn haben 400er Filme nur vor der Urlaubszeit, wenn überhaupt. Also mußte die angepriesene digitale DX-1G her.
Bundesweit fand ich im Sommer 2008 den Preis von 879.- €, ein klarer Fall fürs Bundes-kartellamt. Dafür erhält man eine umgelabelte bereits ältere Ricoh Capelio GX-100 (gibts seit April 2007, Handelspreis derzeit ca. 300.- €) als ´Sea&Sea 1G´ mit eigener Firmware und ein passendes Kunststoffgehäuse, Suchersonnenblende, 1 Li-Ionen Akku, Ladegerät, O-Ring, Anleitungen Kamera/Gehäuse/O-Ringe, Kleinkrams.
Auszug aktueller Werbetext bei Aqualung:
Die außergewöhliche Bildqualität mit über 10 Millionen Pixel, das hochfunktionale und stilvolle Gehäuse und darüber hinaus die innovativen, speziell auf die Unterwasser-Umgebung abgestimmten Funktionen, bilden die Welt der DX-1G.
Im ersten Taucheinsatz November 2008 in der Karibik sieht es dann so aus
Kamera
Etliche Tasten, Drehringe, Hebel, Schieber sind verstreuselt. Kaum eine Ecke ohne was zum Drücken oder Hebeln. Als Akku gehen auch 2 AAA, was mal aus der Patsche helfen könnte.
Speicherkarte ist SD/SDHC. Ich habe eine Transcend SDHC, 4 GB, Class 6, für ca. 8 €, drin. Vom Speicherplatz reicht es aus, außer evtl. beim RAW-Modus und sehr vielen Fotos (RAW-Foto ist schon mal 20 MB groß). Schreibgeschwindigkeit ist bei 3648x2736 (Fein) Auflösung ok. Dauert geschätze 1 Sek. bis die 3.5 MB geschrieben sind und der Monitor das Bild wieder anzeigt. An der Stelle für Notebookbesitzer die Empfehlung den Kartenleser auf SDHC testen. Im Internet gibts Updates z.B. für Enecardreader, die bei älteren Geräten helfen können.
Die deutsche Anleitung zur Kamera umfaßt 202 Seiten und ist äußerst unübersichtlich. Wer die vielen Funktionen im Trocken-kurs auswendig lernen will, soll sich eine ruhige Woche aus-suchen (Anleitung ist per Internet runterladbar). Der Scene-Modus ´Sea&Sea´ für die eigentlichen Unterwasseraufnahmen wird nicht näher erläutert. Toll.
Das Menü der Kamera ist zweigeteilt, aber übersichtlich. Man kann eigene Einstellungen abspeichern und manchen Hebeln und Drehringen Funktionen zuweisen. Willkommen als Sea&Sea-Programmierer.
Der Blitz ist mittels Schieber zu aktivieren, klappt dann hoch und ist winzig. In der Stellung wird übrigens die Kamera in das Gehäuse geschoben. Nachträglich den Schieber zu betätigen geht nicht. Strom wird dabei noch nicht verbraucht. Der Objektivdeckel ist abzunehmen, da nach Einschalten das Objektiv ausfährt.
Per Objektiv sind 24mm Weitwinkel vorgesehen, mit Nahbereich auf Direktkontakt- entfernung. Als Tele sind 72mm maximal möglich, danach kommt das unnötige Digital-Zoom.
Von Installation anderer (evtl. neuerer) Ricoh GX-100 Firmware wird in der Sea&Sea- Anleitung abgeraten.
Gehäuse
Entsprechend den vielen Hebeln etc. besitzt das Gehäuse den gleichen Wust, teils mit kleinen Pictogrammen damit die Übersicht bleibt. Die Klappe des Gehäuses ist mit einem großen O-Ring abgedichtet, sonst gibt es nichts zu klappen. Laut dünnem beigelegten Heftchen soll ein Silicabeutelchen unter die Kamera, falls Feuchtigkeit auftaucht. Es tauchen allerdings eher Tränen der Enttäuschung unter Wasser auf.
Das nur in schwarz erhältliche Gehäuse der bejubelten Unterwasserrevolution ist erheblich zerklüfteter als z.B. bei der MMII EX. Nicht allein die Hebelchen und Stellräder sind auf der Suche nach getrockneten Salzkristallen. Zusätzlich hat offenbar der Feng Shui - Beauftragte heimlich an den Bauplänen rum-gekrakelt. Einige Ecken zum Salzsammeln siehe auf nachfolgendem Foto
- Bild1
Was dieses kleine getönte Fenster (nächstes Bild) soll ist ebenfalls fraglich. Man sieht darunter nämlich...nichts, mangels Licht. Rechts davon im Bild ist ein Drehknopf der den Moduswahlschalter darunter dreht. Und zwar recht leicht aus dem gewünschten Modus in einen anderen. Einmal habe ich unfreiwillig einen Film gedreht und einmal war plötzlich
Blendenpriorität eingestellt. Auf manchen Tauchbooten gibt es einen Eimer für alle Kameras. Was glauben Sie was sich darin vor und nach dem Tauchen bei 16 Tauchern abspielen kann? Die Kameraentwickler waren anscheinend nie tauchen.
- Bild2
Den Vogel schießt jedoch das Sucherfenster ab. Dunkel getönt und spiegelnd verhindert es trotz verordneter Gummisonnen-blende und kameraseitig voll aktivierter Sucherhelligkeit den Blick auf das Motiv, die Beurteilung ob überhaupt Schärfe vorliegt und selbst die Bildkontrolle macht keinen Spaß. Dem Konstrukteur kann man absoluten Hirntod bescheinigen was dieses unnötig getönte Fenster angeht. Die Öffnungen für Blitz und Kamerasensoren sind gleichfalls im rauchgrauen Ton. Bravo.
Selbst Überwasser macht normales Tageslicht das Motiv auf dem Gehäusefenster unsichtbar, trotz Sonnenblende. Eigentlich sollte man meinen der Kontrast des Motivs ist besser. Fehlanzeige. Ein Iguana den ich vorm Tauchcenter im Gras gesehen habe war so gut wie un- sichtbar. Mit 3-4 Aufnahmen in die geschätzte Richtung ist ein Bild was geworden.
- Bild3
Die Bildkontrolle im Schatten einer nahen Hütte war auf dem Fenster des Gehäuses un- möglich. Die Tönung stellt ein absolutes Elend dar bei diesem fast 900.- € Gerät von einem angeblichen Spezialhersteller.
Übrigens sind frühere Sea&Sea-Blitzgeräte wie z.B. mein YS-60 nicht an der DX-1G verwendbar. Neue Blitzgeräte werden fiberoptisch mit dem Gehäuse verbunden. Für alte gibt es keine Adapter. So kann man die gleichen Geräte mit geringen Änderungen den gleichen Kunden nochmal verkaufen. Ein passendes YS-110 kostet derzeit 699.- €. Bravo und erneut Leid und Elend. Erste Sea&Sea-Blitzgeräte scheinen nach Internet-einträgen Ausetzer zu haben. Das wäre wenigstens stimmig mit den Hirnleistungen der Konstrukteure.
Fotoaufnahmen
Wer jetzt glaubt das wars, sollte dennoch ein zweites Silica-beutelchen für Tränen bereithalten. Unterwasserfotos ohne externen Blitz sind teilweise dokumentarisch schön, aber der interne Blitz taugt den Schuß Pulver nicht. Selbst auf nächste Entfernung sieht man eine Blitzwirkung erst, wenn die Koralle schon über die Kamera an die Maske des Fotografen klopft. Und dann liegt der Blitz irgendwo neben / über dem Motiv.
- Bild4
Also Blitz weglassen ist die nächste Entscheidung. Macht in dunklen Korallenhöhlen nur Schwebteilchen im Vordergrund sichtbar. Die drehbare Blitzstreuscheibe im Gehäuse bringt ebenfalls nichts Brauchbares.
- Bild5
Sea&Sea hat noch Überraschungen parat. In dem nicht näher erläuterten Sea&Sea Scene-Modus und auch sonst bringt die Kamera gnadenlos helle Lichter raus. Siehe im Foto auf dem Tank.
- Bild6
Dies wurde schon durch das Digitalkamera-Magazin ´dkamera´ zu der Ricoh Capelio GX-100 moniert. Siehe hier
http://www.dkamera.de/testbericht/ricoh/caplio-gx100/fazit
Die Belichtungsmessung und mit oder ohne Blitz ist egal. Da hilft auch keine Spotmessung, es bleibt eine Schrottmessung. Am 3.Tag mit der Kamerarevolution hab ich probeweise -1.3 Stufen unterbelichtet. Und siehe da, es wird besser. Das kann bei dem Preis aber nicht die Lösung sein.Vergleiche Fotos
- Bild7 und
- Bild8
Was bei der Suche nach dem heiligen Gral der exakten Belichtung unangenehm auffällt sind die Gadget-Einstellungen der Kamera. Da gibts diverse Weißabgleiche, ISO-Gefummel,
AF- und Belichtungsgetümmel, eine angebliche Verwackelungs-korrektur, verschiedene Programme, Blitzeinstellungen Auto/Rote-Augen-Reduz./Soft-Blitz/immer Blitz/Blitz aus usw. etc. pp. Von den Einstellungen braucht es unter Wasser geschätzte 2%.
Welcher Fisch wartet auf Hebel 1 und Drehring 2 bloß weil Sea&Sea mit Ricoh zusammen Kegeln war. Einfach oder praktisch ist was anderes. Eine Zeitpriorität zur Erhöhung der Schärfe bzw. Vermeidung von Verwacklern fehlt. Blendenpriorität/Programmautomatik /Vollautomatik/Manuell sind dafür vorhanden. Ich greife mal wieder zum Silica-beutelchen.
Und es geht munter weiter. Was den ungeblitzten Fotos so abgeht ist die endgültige Schärfe. Hier in der Karibik ist das Wasser klar, der Sand hell, meist Sonne und so im Bereich 18m eigentlich alles sichtbar. Auf dem Elend-Sucherfenster sieht man die Schärfe des - hilflosen - Autofokus nicht ausreichend. Wie schlimm wird es dann erst wenn mehr Schwebteilchen im Wasser sind (Indischer Ozean, Rotes Meer), das Wasser trüber oder weniger Sonne auch weniger Kontrast liefert?
Auf den Philippinen hatte ein Ami mit dieser Kamera ständig Probleme, da durch Taifun, Brandung und Ufernähe etliches im Wasser rumschwebte, sich genau dort aber Anglerfische,
Geisterfische, Seepferchen, Prachtsepien etc. aufhalten. Der manuelle Fokus wäre evtl. die Lösung falls es nicht eilt. Da hat Sea&Sea jedoch das getönte Fenster.....achja erwähnte ich schon. Leider hatte ich damals gedacht, die Umstände wären eine Ausnahmesituation.
Fazit nach 16 Tauchgängen
Ich wollte eine Unterwasserkamera, gerne Kamera und Gehäuse in einem Stück. Erhalten habe ich eine überfrachtete Überwasserkamera, die mit unbrauchbarem Unterwasser-
modus, nutzlosem Verwacklungsschutz und hilflosem Autofokus gnadenlos Lichter überzeichnet. Das obendrein in einem fummeligen Gehäuse, in dem eine getönte Sucherscheibe gnädig die schlechten Aufnahmen verbirgt. Beim Tauchen erfordern andere Dinge (Tiefe, Luft, Strömung, Buddy, Tauchgruppe, versagende Ausrüstung...) die Aufmerksamkeit. Eine Unterwasserkamera muß daher so einfach wie möglich sein.
Kann sein, daß andere für ihre 879.- € voller Dank auf die (unnötigen Überwasser-) Funktionen der Kamera blicken, das Gehäuse gerne mit Q-Tips bis in die letzten Winkel reinigen und nochmal begeistert - nach Wegwerfen alter Sea&Sea Blitzgeräte in den gelben Sack - mindestens 699.- € in YS-110, optisches Kabel, neue Blitzschiene und neuen Blitzgriff investieren. Gerne auch mehr. Schon mal nachgesehen was so ein Plastikstreuteil namens Sea&Sea Makro Diffusor kostet? 69,70 €. Hier
http://www.tauchversandhaus.de/Kameras/Sea-Sea-Makro-Diffuser-fuer-DX-1G::425.html
ansehen und die Schlichtheit nach Feng Shui bewundern.
Ich halte das Ganze für eine bodenlose Frechheit bei dem was Käufer sich mit ihrem vielen Geld einhandeln. Sea&Sea zeigt eindrucksvoll wie man langjährige Erfahrungen (MX-5, MX-10, MM, MMII EX, DX-750, DX-860, DX-3100, DX-5000, DX-8000) über Bord wirft. Kundenmeinungen sind der Firma Sea&Sea völlig egal sind, sonst hätte man das unsäglich dunkle Sucher-fenster schon aus der Serie rausgeworfen.
Das es anders geht zeigt die Sealife Reefmaster DC 800 Pro, die wesentlich praktischer gestaltet ist und zusammen mit Blitz 679.- € (Internetpreis) kostet. Es mag sein, daß es der Fa. Sealife an Erfahrung fehlt. Ist jedoch kein Problem, denn in Wurfweite vor den Fenstern von Sea&Sea liegt deren gesamte Erfahrung.
Achtung! Mit Datum vom 06.11.08 wird eine Sea&Sea DX-1200 beworben. Zu haben bei einem Händler mit Blitz YS-17 für 779.- €. Man reagiert also eher auf die Sealife DC 800 anstatt schon vorher auf Kundenwünsche. Bitte die Werbung zur DX-1200 lesen, weil die genau meine Erfahrungen bestätigt
http://www.seaundsea.de/
Ich jedenfalls hätte gern mein Geld wieder und als Entschädigung für entgangene Unterwasserlebensfreude zehn 400er Farbnegativfilme.