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Von Apnoe auf Atemregler Unterwasser

Geändert von illo47,

Hallo zusammen, ich habe gerade auf Netflix den Film Sous Emprise gesehen über einen Unfall beim Apnoe Tauchen. Dabei kam mir folgende Frage auf:

Was passiert wenn Apnoe Taucher in extremer Tiefe z.B. 170m auf den Oktopus von den Sicherrungstauchen zurück greifen würden? Könnte man dann einfach zusammen mit den Sicherungstauchern und verschiedenen Atemgasen und Dekostopps langsam mit auftauchen? Oder ist es gar nicht erst möglich so tief Unterwasser dann plötzlich doch auf Pressluft (bzw. Helium oder was auch immer dort geatmet wird) zu gehen?

Was passiert da mit dem Körper?

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MonofläschlerIANTD CCR TMX
01.10.2022 05:27Geändert von Monofläschler,
01.10.2022 05:28
Sicher kannst du auf das Gas der Sicherungstaucher wechseln. Du wirst bei der genannten Tiefe vermutlich von den Sicherheitstauchern weitergereicht werden, weil deine Dekoverpflichtung aufgrund des kurzen Aufenthalts geringer sein wird.
SolosigiPADI DM, RAB/VDST/CMAS CCR Tec, Poseidon SE7EN CCR
01.10.2022 08:53Geändert von Solosigi,
01.10.2022 08:54
Vorweg, ich bin kein Apnoe Taucher...
Ich könnte mir aber vorstellen, dass das gar nicht so einfach sein muss.
Warum?
Als Apnoe Taucher atme ich an der Oberfläche tief ein. Dann gehe ich auf Tiefe. Dabei wird die Luft in der Lunge komprimiert, eventuell bis zum minimal möglichen Volumen (Residial Volumen).
Bin ich jetzt sehr tief und nehme einen (normalen) Automaten in den Mund und ziehe an, dann kommt Luft/Gas in die Lunge.
Könnte dabei durch diesen plötzlichen Luftschwall nicht möglicherweise die Lunge(nbläschen) geschädigt werden?
Was passiert, wenn dann in weiterer Folge durch den hohen Druckunterschied Innertgas in das Gewebe diffundiert?

Wie schon gesagt, ich bin kein Apnoe Taucher. Daher ist meine Ausführung nur eine Vermutung meinerseits...
Aber auch beim Gerätetauchen sollte ja eine gewisse Abstieggeschwindigkeit nicht überschritten werden...
Vielleicht kann ja jemand aus dieser Fraktion darauf aufschlüssig Antwort geben...

PS: Bezieht sich natürlich auf "größere" Tiefen, was immer das auch ist...

Gruss
Solosigi
Dominik_Emind is like parachute
01.10.2022 14:32
Also letzten Endes, in verzweifelter Lage würde man es wohl probieren. Die Dekopflicht wäre gigantisch kleiner als die der Sicherungstaucher (170m...da werden Minuten schnell Stunden), also müsste man vermutlich weiterreichen von Sicherungstaucher zu Sicherungstaucher, wie Monofläschler sagt.

Die interessantere Frage ist tatsächlich die die Sigi aufbringt. Es ist nicht ganz klar, was in extremer Tiefe mit der Lunge eines Apnoe-Tauchers passiert. Sie ist sehr stark komprimiert. Das schlagartige Entfalten kann möglicher Weise zu Rissen führen. Es ist nichtmal sicher auszuschliessen, dass es reversible Ödeme gibt. Probiert hat das meines Wissens niemals jemand. Und es wäre auch kein Versuch den ich jemals verantworten wollen würde. In absolut verzweifelter Lage? Würde man probieren müssen, das Überleben der Aktion halte ich für ziemlich ungewiss...
01.10.2022 22:11
Reine Theorie: Es geht um die Geschwindigkeit, mit der der Umgebungsdruck sich beim Auftauchen des Apnoetauchers erhöht und sich damit die Lunge entfaltet. Die Druckdifferenz zwischen Umgebungsdruck und Atemgasdruck ist ja auch da unten minimalst. Wie schnell taucht ein Apnoe-Tieftaucher maximal auf? Gibt es Adhäsionskräfte in dem Lungengewebe, die plötzlich das Gewebe schädigen? Oder kann man das analog sehen zum ersten Atemzug eines Neugeborenen, wo ja die Lunge ebenfalls maximal "kollabiert" ist? Ich sehe keinen Ansatzpunkt, was auf eine Gefährdung hindeutet - aber freiwillig und ohne Not würde ich das nicht so tief probieren.
Dominik_Emind is like parachute
01.10.2022 23:32
Also, ich weiss es ja auch nicht wirklich! Aber beim Neugeborenen waren die Lungen nie gasgefüllt, keine nennenswerte Druckdifferenz beim Apnoe dagegen wirkt ein großer relativer Unterdruck und presst sie zusammen. Bin nicht sicher ob das vergleichbar ist...?
02.10.2022 00:10
Theoretiker unter sich?

Druckdiffererenz haben wir da unten auch nicht.
SpaetberufenerMaster Scuba Diver
02.10.2022 00:16
Meines Wissens inhaliert man durch die zweite Stufe Luft mit dem Umgebungsdruck, auf 170m mithin 18 bar. Bei einem Neugeborenen treffen die kollabierte Lungen auf inhalierte Luft mit 1 bar. Beim Apnoetaucher auf 18 bar. Ich glaube mit meinem tauchphysiologischen Halbwissen nicht, dass das gewebeverträglich ist. Wenn schon, dann müsste man den Regler abblasen lassen und diese Luft wie bei der klassischen Übung "auffangen", damit sie nicht im massiven Schwall in die Alveolen strömt. In geringeren Tiefen ist die Lunge weniger kollabiert und die Druck- und Volumendifferenz geringer.

Mache ich einen Denkfehler?
Dominik_Emind is like parachute
02.10.2022 10:14
Klaus, beim Abtauchen, und das ist die Zeit in der beim Apnoeisten die Lunge kollabiert, gibt es natürlich eine Druckdifferenz. Druckdifferenzen bedeuteten resultierende Kräfte. Die Lunge des Apnoeisten wird also unvermeidlich mit großer Kraft komprimiert. Sobald er unten ist, und wenn er dort verbliebe, stellt sich ein Druckgleichgewicht ein und damit verschwindet die resultierende Kraft dann. Aber der Prozess über den die kompakte Lunge entsteht ist ein anderer als der biologische Aufbau im druckfreien hydrostatischen Gleichgewicht beim Fötus. Noch anders gesagt, beim Apnoeisten passiert ein blood shift, beim Fötus aber nicht...

Spaetberufener, sobald auf 170m steht das Lungengewebe ja auch unter 18bar Druck. Dann, beim fiktiven ersten Zug aus dem Regler, merkt die Lunge wohl nicht, dass es 18bar Gasdruck sind. Die Frage die ich stelle ist, kann die Lunge nach dem ihr vorher zugedachten Gewaltakt so schnell entfalten, insbesondere kann die Lunge das umverteilte Blut so schnell loswerden wie ein Mensch einatmet?

Ich finde die Frage ist sehr ähnlich der, ob es eine maximale Auftauchgeschwindigkeit gibt wenn die Lunge nur so viel Gas enthält wie ihrem Volumen bei 1bar Druck entspricht. Denn schliesslich muss ja für katastrophle Konsequenzen nicht die Lunge als Ganzes überdehnt werden. Es "reicht", wenn lokal Gewebe zerrissen wird. Genau das ist doch der Mechanismus der meisten Embolien beim Gerätetauchen. Die Leute sind ja nicht doof und versuchen mit aller Gewalt Luft anzuhalten beim Auftauchen. Das ist Folklore, das erzählen Taucher sich nur. Meistens haben sie einfach Pech weil lokal vorgeschädigtes Gewebe nicht schnell genug entlüftet, während die Atemwege insgesamt schön offen sind und die Lunge als Ganzes gar kein Problem haben müsste...
02.10.2022 10:16
Luft mit 18 bar einatmen, von mir aus. Aber dann sollte der Apnoe Taucher nicht denken, dass er Apnoe-Taucher-mäßig damit auftauchen kann, oder?
Dominik_Emind is like parachute
02.10.2022 10:33
Das wird jemand der 170m apnoe macht auch nicht denken, da bin ich echt sicher. Das ist eine andere Welt als unsere. Das ist realer Extremsport, und die vielleicht Hand voll Menschen die das können haben sicherlich viele Jahre Training hinter sich...

Die Frage ist halt wirklich nur theoretisch relevant. So jemand kommt ja nicht auf 100++ Metern an und sagt "Äh Jungs ich hab mich mit der Luft verschätzt ich brauch einen Zug...". Wenn da ein Problem ist, dann ist es ja nicht selten größer, und die Bewusstlosigkeit nicht weit weg. Aber die Frage habe ich mir halt auch schon manchmal gestellt, aus rein physiologischem Interesse. Könnte jemand apnoe 50m, 100m, oder 150m tief in ein dort vorher aufgebautes Habitat hinein tauchen, oder würde er einfach jämmerlich ersticken weil sich so die Lungen nicht funktional füllen lassen?
02.10.2022 11:21
Vielleicht reicht es, wenn er die Luft durch einen Strohhalm einatmet?
02.10.2022 11:24Geändert von kwolf1406,
02.10.2022 11:30
Den Kreislaufshift sehe ich auch als goßes Problem an. Eine Ohnmacht beim kräftigen Atemzug halte ich für sehr wahrscheinlich, denn der Füllungsdruck auf den Vorhof bricht sicherlich für einige Sekunden zusammen. Mit Sekundärfolge ggf. komplexer Rhythmusstörung?
Dominik_Emind is like parachute
02.10.2022 11:41
Sagen wir aber mal so, 170m ist ja momentan deutlich im no-limits Bereich. Das schafft noch niemand ohne Gewichte und Aufstiegshilfe so weit ich weiss. Mir scheint, die Leute die das machen limitieren ihre Aufstiegsgeschwindigkeit in der Praxis wenn dann aus Bedenken vor DCS, nicht wegen der Lunge. Andererseits ist die Unfallrate ja auch nicht grade klein. Im Gegensatz zum Gerätetauchen ein echter Extremsport, sagte ich ja schon...

Denke mal die 170m spielen konkret auf den Unfall von Audrey Mestre an, oder? Da war doch das Problem, dass die Flasche für den Ballon zum Wiederaufstieg nicht gefüllt war, oder? Und dadurch kam sie bei weitem nicht schnell genug nach oben, ein Mensch ist in den Tiefen ja wegen der komprimierten Lunge negativ, und wurde bewusstlos und ertrank? Da könnte man tatsächlich die Frage stellen ob der technische "Defekt" überlebbar gewesen wäre, wenn sie von einem Support-Taucher Gas bekommen hätte, und dann eben mit entsprechenden Dekostops an die Oberfläche transportiert worden wäre.

Die Vorstellung bei der Narkose mit Luft auf 170m einen Mechanismus bedienen zu müssen an dem unmittelbar das Leben hängt zeigt denke ich schon deutlich, ein wie kleiner Kreis aus 8 Milliarden Menschen sowas je machen können wird...
02.10.2022 16:01
@Dominik_E: genau das war der Gedankengang. Ich dachte bei solchen extrem Versuchen gibt es evtl. eine zweite Sicherungsplatform falls die erste nicht funktioniert. Als Alternative halt Luft von den Sicherungstauchern atmen und dann entspannt zusammen mit denen und den entsprechenden Deko Stops auftauchen.
Dominik_Emind is like parachute
02.10.2022 16:15
Wie gesagt, ich bin nicht absolut sicher, dass das bei solchen Extrem-Aktionen das Leben rettet. Der "Preis" dafür, diese Option zur Verfügung zu stellen ist halt auch gigantisch. Ein Geräte-TG auf diese Tiefen -- 170m -- ist mit ebenfalls großen Risiken, gewaltigen Kosten, und sehr viel Zeitaufwand verbunden.
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