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Sauerstoffsättigung Hämoglobin

Hallo zusammen
Hoffe, dass hier jemand anwesend ist, der meine vielleicht nicht ganz einfache Frage beantworten kann.
Die Sauerstoffsättigungskurve von Hb zeigt ja einen sigmoiden Verlauf, bei der das Sättigungsplateau bei ca. 80 mmHg pO2 erreicht ist. -> http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:O2-Bindungskurve.png&filetimestamp=20060528163211

pO2 in den Kapillaren fällt stark ab, damit Hb sein O2 überhaupt abgeben kann, wodurch dann Hb in den Venen nur noch zu ca. 75% gesättigt ist.

Beim Tauchen erhöht sich der pO2 offensichtlich markant. Bsp. Pressluft, 30m: pO2=640mmHg
D.h. man befindet sich weit im Sättigungsplateau. Klar steigt auch der pO2 in den Kapillaren und in den Venen. Damit Hb weiterhin sein O2 ans Gewebe abgeben kann, müsste folglich eine gewaltige Rechtsverschiebung der O2-Sättigungskurve erfolgen. Dies kann durch 4 Faktoren bewirkt werden: Erhöhung von pCO2, Temp., 2-3BPG (Stoffwechselprodukt der Erythrozyten) oder Erniedrigung von pH.
Keiner dieser Faktoren scheint mir geeignet, eine so grosse Verschiebung zu bewirken (am ehesten noch pCO2). Wie also kommt es zustande, dass Hb unter so veränderten Druckbedingungen trotzdem noch O2 ans Gewebe abgeben kann, und nicht einfach immer zu (fast) 100% gesättigt ist?
Hoffe mir kann da jemand weiterhelfen oder schlichtweg meinen Denkfehler aufzeigen...
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12.01.2012 00:25
Hallo apeb,
Die O2-Abgabe von Sauerstoff im Kapillarbereich beruht, wie du ja schon geschrieben hast, auf dem Abfall des pO2 dort. Schließlich wird im Gewebe ja der Sauerstoff verbraucht. Die Faktoren, die du genannt hast (Temperatur, pCO2, 2,3-BPG usw.) helfen bei der Regulation. Dadurch wird dem Gewebe unter normalen Bedingungen in der Regel immer ausreichend Sauerstoff geliefert (kurzzeitige Effekte wie Sauerstoffschuld usw. natürlich ausgeblendet, ist jetzt aber auch nicht relevant).
Der Punkt ist nun, dass der pO2 im Gewebe durch den erhöhten Umgebungsdruck nicht so stark ansteigt, wie man es vielleicht erwarten würde, wenn man den 3-, 4- oder sogar 5-fach erhöhten pO2 einatmet. Denn das "Haupttransportmittel" Hämoglobin ist ja schon bei Umgebungsdruck fast zu 100% gesättig. Das bedeutet, dass fast nur der relativ kleine Anteil an physikalisch im Blut gelösten Sauerstoff erhöht wird. Das schlägt aber nun nicht so stark ins Gewicht, als dass der pO2 im Kapillarbereich nun so sehr in die Höhe klettern würde. Genaue Werte kann ich dir nicht nennen. Es würde mich selbst mal interessieren, ob man beim Presslufttauchen in sagen wir 20 bis 30 Meter Tiefe eine nennenswerte pO2-Erhöhung im Gewebe feststellen können. Wie gesagt, wirklich viel kann das nicht sein (anders siehts natürlich aus, wenn man Druckkammerfahrten mit 100% Sauerstoff in beträchtliche "Tiefe" macht).
Und aus einem anderen Blickwinkel betrachtet: Wenn der pO2 im Gewebe tatsächlich deutlich steigen würde, dann bräuchte das Hb den Sauerstoff ja auch gar nicht mehr in dem Maße abzugeben. Schließlich ist die Abgabe ja kein Selbstzweck, sondern dient gerade der Aufrechterhaltung eines gewissen pO2 im Gewebe. Wenn der dort sowieso schon deutlich höher wäre (was ich sowieso nicht glaube), brauchen wir dort den Sauerstoff, den das Hämoglobin anschafft, ohnehin nicht mehr so dringend.
Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig weiterhelfen, wenn noch Fragen sind, freue ich mich auf die Diskussion
12.01.2012 01:13
Hey, super, vielen Dank!
Hab ich erstens Mal das Problem aus der falschen Perspektive angeschaut (vom Hb anstatt vom Gewebe) und zweitens Unterscheidung physikalisch/chemisch gelöste Gase vergessen...
Es stellt sich mir noch eine kleine Folgefrage: Wieso genau löst sich denn eigentlich O2 physikalisch soviel schlechter als N2 im Blut und hat damit keinen Beitrag zur Entstehung einer Deko-Krankheit? Klar, der Löslichkeitskoeffizient, aber es ist für mich irgendwie schwer vorzustellen, dass bei zwei Gasen, die von der Atommasse her so nahe beieinander liegen, so grosse Unterschiede in der Löslichkeit entstehen. Und polar oder so ist ja auch weder das Eine noch das Andere.

Und noch eine (sich eigentlich erübrigende) Frage: Deine Aussage "anders siehts natürlich aus, wenn man Druckkammerfahrten mit 100% Sauerstoff in beträchtliche "Tiefe" macht" war nur zur Veranschaulichung gedacht oder? Ab einem pO2 von über 1.6 bar ist man ja ziemlich schnell mal Flöte oder?

Aber nochmals vielen Dank, war mir ein grosses Aha!!
Steffen25Adv.TX
12.01.2012 08:30
Hallo Apeb,

keine Ahnung wie man "Flöte" ist ... Die Realität der Sauerstofftoxizität weicht schon etwas vom Lehrbuch Nitrox-I ab.
Bei Druckkammerfahrten sprechen wir schon mal von PPO2 > 3bar und die Break`s sind um die Aufnahmefähigkeit der Lungen zu erhalten, nicht weil der Patient sonst krampft. Natürlich ist die Krampfneigung über Wasser geringer. Und wenn - wärend du unter Wasser sicher ertrinkst, ist es über Wasser nach ein paar Minutern überstanden (bzw. der Onkel Doktor mit der Injection schneller).
Auch unter Wasser ist nicht Alles schwarz/weiss. Jeder technische Kreisler hat schon mal eine 2.xx im Display gesehen ... (ob er es nun erzählt, oder nicht). Es ist eine Funktion der Zeit - und die sollte man dann schon kurz halten!
Anbei mal der Link zu einem Tauchunfall: http://www.divinggroup.de/wbb2/thread.php?threadid=4932&sid=1f189824ea386c91d11efbfeed484449
Der entscheidende Punkt - der Krampfanfall trat erst nach fast einer Stunde bei ~ 3.0 ppO2 auf.
12.01.2012 12:19
@abep

"Wieso ... O2 ... hat damit keinen Beitrag zur Entstehung einer Deko-Krankheit?"

Dekokrankeit kann nur durch Inertgase entstehen, d.h., solche, die nicht am Stoffwechsel beteiligt sind wie N2 oder Helium.
O2 dagegen kann sich nicht im Gewebe aufsättigen weil er zu rasch im Stoffwechsel verbraucht wird. Er erreicht also unter Bedinungen, in denen ein Mensch leben kann (=Stoffwechsel treibt), nie einen maximalen kritischen Konzentrationswert, so dass bei einer Druckminderung dann die Löslichkeit überschritten würde. Mehr noch, er wird bei Dekoerkrankung ja zur Therapie, d.h. zur Verdrängung der Inertgase in der Atemluft und damit z.B. zur effizienten pN2-Senkung im kranken Gewebe benutzt.
Ob man das bei einer extrem tiefen Druckkammerfahrt mit 100% O2 erreiche könnte ist jenseits aller Realität, da die Toxizität des O2 dann den Stoffwechsel ganz schnell zum erliegen brächte...
12.01.2012 12:30
Ergänzung: Löslichkeit des O2 meint nur die im flüssigen Gewebeanteil/Serum, denn das Hb-gebundene O2 kann nicht an den Mechanismen der freien Diffussion und den Prozesse beim Blasenwachstum teilnehmen. Das Hb "hält" die O2 Moleküle einfach "fest" anstatt dass sie "frei" in ein Gewebe diffundieren und dort Blasen bilden könnten.
12.01.2012 14:06
@Steffen25: Ok, bis jetzt hatte ich immer gemeint, dass nur die Toxizität von erhöhtem O2-Anteil auf den Surfactant der Lungenalveolen zeitgebunden ist und die Wirkung von erhöhtem pO2 aufs ZNS nicht. Ist aber anscheinend wie immer komplizierter als vorgestellt...

@kwolf1406: Das mit den Inertgasen ist mir klar, und ich weiss eigentlich, dass Du mir damit meine Frage beantwortet hast. Ist einfach schwer vorzustellen, dass unter den beim Tauchen wahnsinnig veränderten Druckverhätnissen trotzdem noch alles einwandfrei funktioniert und sich das ausgleicht. Der O2-Verbrauch im Gewebe steigt ja während dem Tauchen (grundsätzlich) nicht an, der pO2 in den Alveolen schon. Den zusätzlich physikalisch gelösten O2 bringt man dann auch nicht schwuppdiwupps wieder weg... (so zumindest meine falsche Vorstellung)

Kann mir aber jemand folgende Behauptung bestätigen: Wenn man einen Notaufstieg zu schnell und aus genügender Tiefe macht, dann entstehen - zumindest im arteriellen Blut - auch O2-Bläschen (oder Mikrobläschen) die aber schlichtweg irrelevant sind, und selbst wenn sie pathologisch wirksam würden, binnen kürzester Zeit wieder vom Körper abgebaut werden könnten?
12.01.2012 16:25
" Den zusätzlich physikalisch gelösten O2 bringt man dann auch nicht schwuppdiwupps wieder weg..."
Doch, bzw. bleibt weit unter der kritischen Sättigung (von Überspannung imho gar nicht zu reden)

Wenn man einen Notaufstieg zu schnell und aus genügender Tiefe macht, dann entstehen - zumindest im arteriellen Blut - auch O2-Bläschen(oder Mikrobläschen)..."
nein - Bläschen getrennt nach Gasen, gibt es nicht, sofern überhaupt mehrere Gase an einer Bläschenbildung beteiligt sein können. Sicher gehen auch einige O2 (und CO2-Moleküle) in die Mikroblasen rein - diffundieren aber sofort wieder raus, da der O2 in der Umgebung verstoffwechslt wird - und sogar der nicht an Hb gelöste zuerst (und CO2 ist sowieso noch viel stärker löslich und an Hb gebunden). diese wenigen O2-Moleküle wirken also nach einem sehr kurzzeitigen (hypothetischen?) Peak allenfalls blasenverkleinernd, da sie den N2 verdrängt hatten - und schnell weg sind.

Ich glaube, wir reden aber wie die Blinden von der Farbe, weil du nach Effekten fragst, die noch niemand gesehen hat, bzw. die, wenn überhaupt, nicht "klinisch relevant" statt finden. Es stellt sich ehrlich gesagt für mich so jenseits aller praktischen Konsequenz dar, dass ich mir nicht die Zeit nehmen will, tiefer nach quantitativen Aussagen zu recherchieren.

Vielleicht kann da jemand anderes noch dazu schreiben?
12.01.2012 17:43
Richard Pyle hat bei einem seiner weniger berühmten Aufstiege (er war wohl auf 100% O2 auf Deko, am Ende haben ihn wohl Haie an die Oberfläche gezwickt, wimre. Dabei hatte er kurzzeitig einen DCS it, wie er ihn von Inertgasen her kannte, ging aber in sehr kurzer wieder weg.
12.01.2012 18:32
Hi MatV
"auf Deco" d.h. er hatte doch wohl eine Inertgassättigung "drunterliegen"?
23.01.2012 13:54
Naja, wie immer
Antwort