Ist es ein Schwamm? Ist es ein Manteltier (speziell eine Synascidie)?
von Robert Hofrichter (mittelmeer [ÄT] aon.at, www.fnz.at, www.redsea-ec.org)
Man sieht in der Diskussion, die Meinungen gehen weit auseinander... (obwohl es nur 2 Möglichkeiten gibt). Also gebe ich auch noch meinen Senf dazu...
Während der Untersuchung des Lebendmaterials bei meeresbiologischen Kursen taucht regelmäßig die Frage „Schwamm oder Synascidie?“ auf. Die Unterscheidung beider Organismen ist bei manchen Formen und oberflächlich betrachtet in der Tat mit Unsicherheiten verbunden. Sowohl größere, makroskopische Gebilde als auch kleinere Formen, die im Binokular oder Mikroskop
untersucht werden, können sich verblüffend ähneln. Schwämme und Ascidien sind völlig unterschiedlich gebaut und stehen im Stammbaum des Tierreiches an den beiden entgegengesetzten Enden des Systems. Beide kommen aber im selben Lebensraum vor und beide haben die gleiche Ernährungsweise: Sie sind innere Filtrierer, die aktiv Wasser durch den Körper pumpen.
Synascidie ist kein taxonomischer Begriff, sondern beschreibt eine Organisationsform der Ascidiacea (Seescheiden) innerhalb der Tunicata (Manteltiere; Stamm Chordata). Die meisten auffälligen, Schnorchlern und Tauchern vertrauten Seescheiden wie die rote Halocynthia papillosa (Pyuridae, Stolidobranchiata), die milchig-knorpelig aussehende Phallusia mammilata (Ascidiidae, Phlebobranchiata) oder die bis zur Unkenntlichkeit durch andere Organismen bewachsene Microcosmus sulcatus (Pyuridae, Stolidobranchiata) sind solitär. Bei ihnen haben wir es mit Einzeltieren zu tun, die alle „für sich allein“ leben. Lapidar ausgedrückt: Jedes Tier hat seinen eigenen Mantel (= Tunica, das namensgebende Merkmal der Tunicata)! Wenn sie im Lebensraum ungestört sind, lassen sich in der Regel (falls nicht kontrahiert) ihre Ingestions- (Einström-) und Egestionsöffnung (Auströmöffnung) deutlich erkennen. Die beiden Öffnungen auszumachen fällt allerdings bereits bei dichtbewachsenen Exemplaren von M. sulcatus schwer. Meist kleiner und dennoch markant ist auch die zweite Organisationsform der Seescheiden, die sozialen bzw. stolonialen Ascidien, bei denen mehrere bis zahlreiche Einzeltiere an der Basis durch Stolone verbundene Kolonien bilden. Bekannte soziale Formen sind die durchscheinenden, oft in regelrechten Büscheln wachsenden Clavellina lepadiformis und C. nana (Polycitoridae, Aplousobranchiata). Bei ihnen hat ebenfalls jedes Einzeltier eine eigene Ingestions- und Egestionsöffnung. Diese bisher genannten Wuchs- bzw. Organisationsformen der Ascidien können kaum mit Schwämmen verwechselt werden.
Zu Bestimmungsproblemen kommt es bei der dritten Organisationsform der Ascidiacea, den kolonialen Synascidien. Bei ihnen sind mehrere bis zahlreiche, meist recht kleine Einzeltiere mit einem gemeinsamen Mantel umhüllt. Auch nutzen sie ein gemeinsames Gefäßsystem. Die Einzeltiere haben zwar eigene Ingestionsöffnungen, nach außen aber meist eine markante, gemeinsame Egestionsöffnung. Deutlich ist diese Anordnung bei Botryllus schlosseri (Styelidae, Stolidobranchiata) zu sehen. Die sternförmigen Kolonien dieser Art ähneln kleinen Blüten.
Und nun zum Problem, wie auch in diesem Fall: Die gemeinsame Ausströmöffnung der Synascidie kann für das Osculum eines Schwammes gehalten werden (= Ausströmöffnung des wasserführenden Kanalsystems), die oft sehr kleinen Einströmöffnungen der Synascidie für die meist mikroskopisch kleinen Ostia oder Poren (Öffnung des Exopinacoderm, durch die Wasser in den Schwamm einströmt). Allerdings können Seescheiden im Gegensatz zu Schwämmen schnell kontrahieren, wodurch die Egestionsöffnung verschlossen werden kann. Auch im Habitus und der Färbung (die bei manchen Manteltierarten stark variieren kann) können Synascidien Schwämmen sehr ähnlich sehen. So könnten Synascidien der Gattung Polysyncraton oder Amaroucium leicht mit Schwämmen verwechselt werden.
Im Mittelmeer sehr häufig ist die Gallert-Synascidie Diplosoma listerianum (Didemnidae, Aplousobranchiata), die verschiedene Untergründe, vor allem den Hartboden, manchmal aber auch Algen bedeckt. Die wenige Millimeter dicken und bis zu 20 cm im Durchmesser erreichenden Krusten sehen wie Schwämme aus. Bei dieser Art ist die Unterscheidung dennoch relativ leicht, da es im Mittelmeer keine derart gallertig durchscheinenden Schwämme gibt. Durchscheinend ist auch eine andere Synascidie, Polycitor sp., die regelmäßig in der Rhizomschicht des Neptungrases (Posidonia oceanica) zu finden ist.
Bleibt noch mit dem Besitz von Nadeln (Spicula) ein eindeutiger Hinweis auf einen Schwamm? Leider nein! Auch Synascidien wie zum Beispiel Vertreter der Familie Didemnidae weisen kleine, sternförmige Kalkkörperchen auf!
Mit etwas Übung kann man Schwämme und Synascidien dennoch relativ leicht unterscheiden. Die Zuhilfenahme einer Stereolupe erleichtert dies zusätzlich.
Die Lösung: Die gemeinsamen Egestionsöffnungen der Synascidien sind – in der Relation zur Gesamtgröße des Gebildes – in der Regel größer und markanter als die Oscula der Schwämme. Ihre Verteilung auf der Kolonie ist meist regelmäßiger als jene der Oscula und sie sind teilweise farblich gut vom übrigen Mantel abgesetzt. Den Manteltierkolonien fehlen die radiären Kanäle, die bei Schwämmen häufig auffällig zu den Oscula führen. Meist sind auch die Einströmöffnungen der Synascidien größer als die Ostien (Poren) der Schwämme. Sie sind oft regelmäßig rund um die großen Egestionsöffnungen angeordnet, wie man das bei Schwämmen kaum findet. Bei kleineren, krustenförmigen Synascidienkolonien ist der Rand der (aus dem gemeinsamen Mantel gebildeten) Kruste meist sehr dünn und durchscheinend, was bei Schwämmen ebenfalls nicht zu beobachten ist.
Fazit: Das abgebildete Tier ist ein Schwamm und kein Manteltier!
Und welche Art Schwamm? Schwämme lassen sich so einfach ohne mikroskopische oder weiter reichende Untersuchungen nicht bis auf die Art bestimmen, da ihre Wuchsformen recht unterschiedlich sein können. Es könnte Polymastia robusta sein, aus der Gattung gibt es im Mittelmeer 5 Arten. Es könnte aber auch alles andere sein... Man sollte sich lieber nicht festlegen. Schon gar nicht, wenn man kein Schwammspezialist ist (und ich bin keiner...)
