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SeraphinCMAS**, Sidemount

Krankheitsverläufe bei Notaufstieg?

Geändert von Seraphin,

Hallo allerseits ...

... im anderen Beitrag, den ich nicht kapern möchte, hatte ich erwähnt, dass meinem Wissen nach bei den meisten vom Grund geborgenen Tauchern as abwerfbare Blei eben nicht abgeworfen wurde ...

No na ned, sonst wären sie ja wohl auch hoch geschossen und nicht auf den Grund gesunken ...

Spannender wäre dagegen zu wissen, wie die belastbaren Zahlen bei verschiedenen Notaufstiegsszenarien aussehen ...

Bei der möglichkeit zu kontrollierten Aufstiegen würde ich mir am wenigsten schwere Komplikationen erwarten ...

... das andere Extrem ist der Abwurf all seines Blei, und dann aus der Tiefe wie eine Rakete durch zu starten ...

... dazwischen gibt es noch weitere Varianten ...

... bspw. das (belächelte?) Bojenreiten oder nur einen kleineb Teil des Blei abzuwerfen, nämlich genau jene Differenz die aus neutralem Auftrieb den Abtrieb bewirkt.

Ich habe mich für den medizinischen statt Ausbildungs-Forenbereich entschieden, da es mir vorerst nicht um Ableitungen für die Praxis geht, sonder vorallem darum, ob es dazu überhaupt belastbare Zahlen gibt, welche Notfall-Aufstiegsprozeduren welches Outcome "versprechen" könnte ...

... dass da viele andere gesundheitliche Faktoren noch zusätzlich reinspielen, was das Thema schwerer greifbar macht, ist mir klar ...

Weiß da jemand was?

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CiccioneAdvanced Technical Mermaid
19.11.2024 15:20
Ich finde das Thema sehr interessant und relevant. Schließlich kiann jeder von uns in die Situation kommen und dann ggf. schlicht nicht die Zeit haben, alle Eventualitäten durchzuspielen.

Es kommt sicher auf das Konkrete Szenario an:
Ich kenne zwei Fälle:

1) Hochschießen (aufgrund von Hyperkapnie/Panik) bei normalem Sport-TG auf ca 30m ohne tatsächlich Deko zu haben --> hat mit einer Kammerfahrt geendet, ohne dass bleibende Schäden blieben

2) CCR-TG auf ca 60m; etwa 1h an TTS war entstanden -> Taucher kam in Schwierigkeiten und tauchte (in Panik) auf --> bei Ankunft im Krankenhaus verstorben
PerkedderCMAS**/DTSA**
19.11.2024 15:52
Ich kenne einen Fall von einem Freund: Längere Zeit auf ca. 50 Metern, dann im Aufstieg bei ca. 30 Metern Probleme gekriegt und abgesackt auf über 70 Meter. Sein Buddy hinterher und hat ihn nach oben geschossen. (Er hatte Tiefenrausch ....) D.h. in 2 Minuten war er oben ...
Dann Hubschrauber, Druckkammer, etc., 3 Monate Tauchverbot. Aber er lebt! Das hätte auch anders ausgehen können.

Warum das hier nicht unter Tauchunfälle aufgetaucht ist, weiß ich nicht.
IvoryAOWD DTSA**
19.11.2024 16:02Geändert von Ivory,
19.11.2024 16:03
Ich habe mal einen Notaufstieg mit Panik mitgemacht, weil einer der beteiligten Taucher an meinem Longhose hing. War ein Wiederholungstauchgang auf 35 Meter. Habe auf 6 Metern abgebremmst und nochmal 20 Sekunden gewartet. War nach knapp über einer Minute oben, was nicht Vmax ist. Keine Symptome und hatte vorsichtshalber Sauerstoff geatmet. Auch die beiden anderen, die durchgeschossen sind, hatten keine Symptome. Deren Vorsättigung war zwar marginal geringer aber in Summe reicht das glaube ich einfach nicht, um dich zu töten, es sei denn man hat einen Stimmritzenkrampf dabei.

Ansonsten glaube ich das deine beiden Fälle schon das Wesentliche darlegen. Bei einem Nullzeittauchgang ist das Risiko von Verletzungen auch bei durchschießen eher zu vernachlässigen, wenn die Alternative ertrinken ist. Bei einem TG mit nennenswert Deko, und bei solchen Tiefen ist ein unkontrolliertes Hochschießen wohl nur noch das 1% Restchance wenn alles andere ausgeschöpft ist. Jedenfalls sollte man sich dann sicher sein, dass alles andere ausgeschöpft ist. Das ist ja letzlich der Grund warum die Anforderungen an Redundanz und Skills beim technischen Tauchen einfach andere sind. Beim Sporttauchen ist das Risiko zu ertrinken einfach das dominierende Thema und da kann man nur raten, im Zweifel lieber weg mit dem Blei.
19.11.2024 16:12Geändert von kwolf1406,
19.11.2024 16:17
Mein Eindruck ist, die Varianz ist extrem groß. Ich habe Obduktionsbilder nach verunglückten Sporttauchgängen gesehen, da waren große Arterien weite Strecken lang mit Luft gefüllt. Andere Berichte von extremen Dekoverletzungen, schwersten Symptomen und Druckkammer enden gut.

SeraphinCMAS**, Sidemount
19.11.2024 18:00
Danke schonmal für eure ersten Antworten, gespannt bin ich ja auch, ob es auch Auswertungen von Unfallstatistiken dahingehend gibt.

Perkedders genanntes Beispiel reicht jedenfalls schonmal dafür, dass mir sprichwörtlich die Spucke weg bleibt. Bei der Tauchgangsbeschreibung hätte ich mir beim Hochschießen den eher den baldigen Tod erwartet ... durch Auftreten von massiven Gasembolien durch die Druckentlastung ... das zu überleben, und scheinbar ja auch noch ohne wesentliche Folgeschäden, das hätt ich echt nichtmal für möglich erachtet ...
PerkedderCMAS**/DTSA**
19.11.2024 18:26
Ich das Tauchgangprofil, also die Aufzeichnung seines Tauchcomputers, gesehen. Ja, ich glaube, das gehört in die Kategorie "Mehr Glück, als Verstand." wink2
Dominik_Emind is like parachute
19.11.2024 18:33Geändert von Dominik_E,
19.11.2024 18:57
Statistisch aussagefähige Zahlen speziell dazu kenne ich nicht. Das wäre auch sehr kompliziert: viele Notaufstiege die passieren, ob nun kontrolliert oder nicht, sind ja nichtmal der eigentliche Auslöser, sondern in sich selbst eine Konsequenz eines anderen Problems. Insofern ist der Outcome dann nicht nur von Art und Geschwindigkeit des Aufstieges abhängig, sondern vor allem auch davon, was sonst noch los ist. Wenn es ein technisches Problem war ist natürlich nur der Aufstieg das Thema. Aber wenn ein bemerkter Herzinfarkt, dann würde ja der auch an der Oberfläche nicht immer überlebt...

Insofern gibt es da glaube ich nur sehr wenig echten Entscheidungsraum: sollte je der Fall auftreten, dass ganz hart keinerlei Atemgas (oder aber kein Herzschlag) mehr da ist, dann kann die betreffende Person nicht überleben wenn sie unter Wasser bleibt.

Sagen wir aber mal so herum: Denoble et al., UHM Vol. 35, No. 6 (2008), dort Figure 4: 590 tödliche Tauchunfälle haben sie untersucht. Dort dann nach verschiedenen Aspekten des Unfalls analysiert, wie z.B. ursprünglicher Trigger, aber eben auch dem was sie "Disabling Injury" nennen, die relevante Verletzung die dann das Leben beendet. Simples Beispiel: Trigger kann sein "keiner hat mehr Gas" (es gab aber bei der Studie auch andere Trigger, das ist wichtig!). Daraus folgen dann Notaufstiege oder eben auch nicht, und es kann zu Disabling Injuries wie z.B. Ersticken (wenn kein Aufstieg erfolgt), oder halt auch DCS (wenn Dekopflicht ausgelassen wird), kommen. Es ist so und so keine einfache 1:1 Abbildung.

Aber: Disbaling Injury bei 33% der untersuchten Tode war Ersticken. Bei weiteren 29% dann AGE. Die beiden sind also die Löwenanteile. Die DCS dagegen nur bei 3%(!).

Nun kann man massive DCS und AGE natürlich nicht immer klar trennen. Aber diese Zahlen sind einer der Gründe aus denen wir gerne sagen, dass DCS mehr Publicity bekommt als sie verdient hat. Eine denkbare Hypothese daraus könnte sein, dass auch substantielle (irgendwo kommt aber eine Grenze deren Überschreiten man nicht mehr repariert, vermutlich so ganz grob im Bereich zwischen 30min und 60min) ausgelassene Dekopflicht manchmal, zumal mit schneller Behandlung, verkraftet werden kann. Aber dass ein zu rapider Aufstieg dabei (wegen der Embolisation) bereits vorher sehr gefährlich sein kann.
Dominik_Emind is like parachute
19.11.2024 18:46
Ein Einzelfall, den man daher in beide Richtungen nicht überbewerten darf, aber der ein Beispiel dafür ist, dass auch "Operation Hail Mary" mal erfolgreich sein kann, ist hier publiziert:

https://www.researchgate.net/publication/265230004_Extreme_survival_A_serious_technical_diving_accident

Umstände waren ein CCR-TG auf maximal 105m. Durch technischen Defekt kam es zu einem CO2-Hit. Ein gutes Stück weit hat sich dann die Gruppe kontrolliert nach oben gearbeitet, aber dann geriet die Situation zunehmend ausser Kontrolle, und ab 24m ist der verunfallte Taucher unkontrolliert hoch. Dabei wurden 51min Dekopflicht ausgelassen. Der Taucher hat überlebt.

Das große Thema ist bei sowas auch immer, wie genau die 51min zu verstehen sind. Ihr wisst ja alle, dass die Dekopflicht in relativ weitem Rahmen per Modell und GFs gewählt werden kann. 51min einer Dekopflicht bei GFs 40/50 auslassen ist schon wieder was anderes als 51min bei 95/95.

Daher ist bei solchen Fallbeschreibungen oft was anderes als das was man zuerst denkt das was die Natur zu lernen anbietet. Hier, warum denn der verunfallte Taucher bitte nicht ans eigene Bailout oder an die Flasche eines Buddys (wurde ihm angeboten) ist. Da er überlebt hat, kann er erzählen. Er sage, dass das Gefühl der Atemnot derart überwältigend war, dass er sich schlicht nicht dazu bringen konnte, den Loop auch nur sekundenweise aus dem Mund zu nehmen. Das kann man einfach mal annehmen und im Kopf behalten bei der nächsten BOV Diskussion, denke ich.
19.11.2024 22:27Geändert von kwolf1406,
19.11.2024 22:27
Nur ein Gedanke/Hypothese dazu: Dominik zitiert, dass AGE einen höheren Anteil an den Todesfällen hat, als DCS. Ich kann mir gut vorstellen, dass nach Notaufstieg bei längerer Dekopflicht eine hohe Überschneidung mit AGE besteht und der Lungenriss klinisch prominenter und schneller ist, als die DCS, aber ein Teil der Taucher, hätten sie keine AGE entwickelt, dann später an der DCS verstorben wären.
Dominik_Emind is like parachute
19.11.2024 22:52
Letztlich, es wird bei zunehmender Schwere Verläufe auch immer schwieriger, aus der Beobachtung zwischen DCS und AGE zu trennen. Zumindest wenn das DCS beteiligt ist, aber ohne dessen Beteiligung sind Todesfälle offensichtlich selten (aber natürlich auch nicht non-existent). Es fällt natürlich auch nicht schwer sich vorzustellen, dass eine zentrale Embolie (im Endeffekt dann nicht wichtig ob durch lokal gewachsene oder von arteriell dorthin verfrachtete Blasen) tendenziell schwerwiegendere Konsequenzen hat als ein Vorgang in peripheren Geweben.
SeraphinCMAS**, Sidemount
19.11.2024 22:59Geändert von Seraphin,
19.11.2024 23:05
@Dominik
Neben den medizinischen Notfällen oder Gasverlust, die natürlich Zeitdruck verursachen und Unterwasser der Tod die logische Folge wäre, denke ich in Bezug auf den Bleiabwurf eben auch an simplen Auftriebsverlust, der ja per se keinen Zeitdruck oder medizinischen Notfall bedingt ... aber, falls mangels anderer Alternativen, durch Bleiabwurf trotzdem das kaum bremsbare Durchschießen zur Folge hätte ...

... kann mir aber Vorstellen, dass es auch dazu zu wenige Zahlen gibt, sei es aufgrund der Seltenheit oder des nicht bekannt werden ...

@AGE
Kann man die AGE, ihr redet doch von der arteriellen Gasembolie, von der DCS denn überhaupt trennen?

... denn sie entsteht ja auch unmittelbar durch die Dekompression: das Ausperlen des Inertgases innerhalb des arteriellen Systems. Im Grunde ist die AGE doch auch nur die schwerste Verlaufsform der DCS innerhalb des arteriellen Systems?
Dominik_Emind is like parachute
19.11.2024 23:19
Seraphin, in Denoble et al. sind letztlich alle Arten von Hergängen die in dieser Sammlung auftauchten enthalten. Es gibt ein "Buoyancy Trouble" bei den Triggern, man könnte annehmen das viele darunter (aber ebenso auch unerwünschte Aufstiege). Dieser Trigger war aber nicht so arg häufig.

DCS/AGE: so theoretisch könnte man sagen, bei der DCS bestehen die Blasen aus Inertgas. Bei der einfachsten Form der AGE -- Klaus nannte es Lungenriss -- wäre es dagegen direkt Atemgas. Ist aber im Endeffekt kein bedeutendes Kriterium, denn normal ist ja alles was man hat erstmal die Symptome. Und was macht man dann mit Inertgas-Blasen die durch ein PFO von der venösen auf die arterielle Seite wechseln? Allein an Hand derer am Unfallort nicht sicher unterscheidbar. Todesfälle werden aber oft obduziert, da kann man dann z.B. eine die AGE auslösende Lungenverletzung finden...
SpaetberufenerMaster Scuba Diver
20.11.2024 06:00Geändert von Spaetberufener,
20.11.2024 06:05
Es ist eine Frage der Definition. Die AGE gehört eigentlich auch zur DCS, weil der Pathomechanismus auch eine Ausdehnung eines Gases bei Aufstieg und Dekompression ist (Boyle). In Deutschland wird zwischen der Ausfällung und Ausdehnung von Inertgas (Henry) und der Ausdehnung von Atemgas unterschieden, im Definitionssinne von DCS ist das strenggenommen inkorrekt. Ich gehe davon aus, dass im Sporttauchbereich die AGE durch Luftanhalten beim Notausstieg wesentlich häufiger ist, im Teich-Bereich ist das anders. Der Sporttaucher atmet eher seine Flasche leer und/oder steigt falsch auf als dass er eine nennenswerte Dekozeit ansammelt.

Ich habe auch gelesen, dass nach Tauchunfällen in einem Großteil der Fälle das Blei nicht abgeworfen würde. Wahrscheinlich überfällt die Panik die Taucher so schnell (oder sie verlieren aus medizinischen Gründen das Bewusstsein, beispielsweise bei Herzinfarkt oder Immersionssyndrom), dass sie an das Blei nicht mehr denken.
20.11.2024 10:01Geändert von kwolf1406,
20.11.2024 10:03
Ja, das Blei wird in der aufkommenden Panik sicher auch vergessen. Konsequenz wäre, nicht nur in der Ausbildung währed Tauchgängen den Bleiabwurf regelmäßiger zu üben. Aber man muss sich ein möglichst realistisches Übungszenario ausdenken, ohne aber den Blei/Taschen- Verlust zu riskieren.
Dominik_Emind is like parachute
20.11.2024 12:20
Wir sollten aber mal herausbekommen, auf wie sicheren Füßen das mit "wird oft nicht abgeworfen" steht, und bei wie vielen dieser Unfälle das nicht-Abwerfen überhaupt relevant war. Ich lese das auch ab und an, vor allem in VDST Materialien. Aber die Datenbasis wäre mal interessant!

AGE/DCS: eine Unterscheidung im Sinne von "Welche Probleme hat der Mensch grade?" ergibt ja durchaus Sinn. Ein schmerzender Muskel kann sehr viel entspannter angegangen werden als ein totaler Verlust des Sehvermögens auf einem Auge. Scharf durchziehen kann man es aber natürlich nicht.

Wenn man AGE nur die Dinge nennt die entweder Konsequenz einer mechanischen Lungenverletzung sind, oder aber direkt nach dem Auftauchen mit massiven zentralen Symptomen hervortreten, dann ist klassische DCS absolut häufiger als AGE, bei allen Arten des Gerätetauchens.

Wenn man natürlich aber sagen wollte alles bei dem irgendwo in der Kette mal arterialisiertes Gas eine Rolle spielte sei AGE, nun ja, dann wäre der berühmte Fall eines Menschen in dem der Taucherdämon PFO wohnt und der regelmäßig milde Probleme nach nach sanften TGs hat ja schon AGE. Glaube nicht, dass so eine Definition sinnvoll wäre.
Halte es für besser, wenn man schon trennen will, dann tatsächlich nach der Frage ging der Weg des Gases plausibel über eine Lungenverletzung, oder (weil ersteres weiss man am Unfallort ja nichtmal) sind zumindest deutliche neurologische Symptome direkt nach dem Auftauchen aufgetreten?

Per se, wie gesagt, sind halt tödliche Ausgänge (und nur solche wurden in Denoble et al. angeschaut) nach klassischer DCS viel seltener als nach AGE. Und das überrascht ja auch nicht, nennenswerte Menge Gas im Muskelgewebe ist meh, in den Venen ists irgendwie schlecht aber die Natur kann arbeiten. In den Gehirnarterien...einfach nur schlecht.
IvoryAOWD DTSA**
20.11.2024 14:17
Datenbasis wäre schon interessant. Aber gefühlt kommt es schon immer mal wieder zu stirnrunzeln bei Unfallberichten. Ich erinnere mich noch an das TL Pärchen das in 6 Metern Tiefe tot neben dem Einstieg lag. Und auch der Fall "kam bis zur Oberfläsche und ist dann wieder abgesackt" ist mir schon ein paar mal begegnet. Vielleicht sollte man das Thema Bleiabwurf schon vertiefter in der Ausbildung angehen. Ich erinnere außer der Übung den Bleigurt über ein Knie zu legen, keine nennenswerten Inhalte in meiner damaligen OWD Ausbildung.
SeraphinCMAS**, Sidemount
20.11.2024 14:55Geändert von Seraphin,
20.11.2024 15:01
Betreffend des abgeworfenen Bleis, möchte ich diese Fragestellung bewusst ausklammern. Es diente eigentlich nur der Einleitung, und schließlich ist es ein logischer Schluss, dass mit nicht abgeworfenem Blei am Grund liegend letztlich eine Todesfolge eintritt, ob nun das Ertrinken zum Tode führte oder davor ein eine andere akute Erkrankung. Es gibt viele Gründe durch die man mit Blei tot am Grund liegen kann, aber der Tod an sich ist "statistisch" logisch. Ich hoffe ihr wisst worauf ich hinaus will.

Mir geht es bei der Frage dagegen gezielt um das Szenario, isoliert betrachtet, über die Art und Weise des Notaufstieges und seiner Folgen. Vereinfacht gesagt: Ließe es sich objektivieren, welche Art des Notaufstieges in Abhängigkeit des Tauchgangprofils welches Risiko (tödlich, oder zumindest ernste, d.h. Folgeschäden) bedingt.

Sprich, wie groß sind die Chancen auf einen glimpflichen Ausgang beim Abwerfen allen Blei's, gegenüber anderen "gezielteren" Varianten.

Natürlich, um eine Bereinigung von anderen ursächlichen, gesundheitlichen Komplikationen.

Das Thema Blei abwerfen und die gesundheitlichen Folgen durch den ungebremsten Aufstieg schwebt quasi vage über meiner Vorstellung (bezogen auf "anspruchsvolle" Tauchgänge, bei Nullzeit ist es ja gängige Lehrmeinung).

Bisher bin ich davon ausgegangen, dass bei anspruchsvolleren Tauchgängen (bspw Doppelgerät, Tiefe um die 40+ Meter) das letale Risiko überwiegt ... weshalb ja auch im technischen Tauchen bewusst auf abwerfbares Blei verzichtet wird, und auf Balanced Rig kombiniert mit Redundanz zwecks Risikovermeidung Bleiverlust gesetzt wird.

Während meine Einleitung eine verallgemeinerte Pauschalierung ("natürlich hat der Tote am Grund sein Blei, ansonsten triebe er an der Wasseroberfläche") zulässt, ist es bei abgeworfenem Blei umso vielschichtiger und nicht pauschalisierbar. Durch das Hochschießen könnte man direkt sterben, oder es auch überleben (falls nicht ein vorhergehender Auslöser zum Tode führt). Dabei ist mir nach bisheriger Auffassung auch gleichgültig, ob die AGE arteriell entstanden, durchs PFO ins arterielle System übergetreten ist, oder im Zuge einer Lugenverletzung entstanden ist. Ich frage hier nicht als Mediziner der behandeln möchte. Die Folge ischämischer Mangelversorgung bspw. des Gehirns, des Herzens oder auch eine ischämische Störung des Gasaustausches in der Lunge (venös, statt arteriell betrachtet) bleibt doch das Risiko der unkontrollierten Dekompression, unabhängig von allfälligen Begleiterkrankungen. Bzw. natürlich verschlechtern zusätzliche Verletzungen wie ein ebenfalls auftretender Lungenriss die Überlebenschancen bzw. den Behandlungserfolg ...

Ich hoffe, es ist weiter verständlich, worauf ich hinaus möchte.

Jedenfalls nehme ich aus Perkedders beschriebenem Fallbeispiel, dass das hochschießen, auch bei anspruchsvollen Tauchgängen, nicht zwingend zum Tode oder schweren Folgeschäden führt. Ein Einzelfall macht zwar keine Statistik, und eine derart isoliert betrachtende Statistik gibt es vllt. auch nicht (oder kann es nicht geben?) ... dennoch hätte ich mir einen solch glimpflichen Ausgang bisher nicht als Möglichkeit vorzustellen gewagt.
20.11.2024 15:13
Ich bring mal das andere Exterm der Erwartung: Beim Abstieg auf 10m Probleme, zügiger Aufstieg, man sollte erwarten daß nix passiert. Nach ca. 24h Symptome einer "leichten" DCS (Schmerzen im Ellenbogengelenk), nach ca. 36h CGE mit Thalamusinfarkt ca. 36h.
Ansosnten ist die Datenbasis mau, es passiert einfach nicht genug.
Dominik_Emind is like parachute
20.11.2024 15:24Geändert von Dominik_E,
20.11.2024 15:25
Seraphin, aber Du sagst es doch schon: nicht nach oben kommen ist ganz am Ende unweigerlich und dauerhaft tödlich. Wenn *das* wirklich die Alternative ist, hart ersticken, dann ist buchstäblich alles andere besser. Selbst schwere Embolien können überlebt werden. Genau das meinte ich mit eigentlich gibt es keinen echten Entscheidungsraum. Wenn wirklich hart kein Gas ist um Deko zu machen, dann muss die Deko eben ausgelassen werden. Der Schweregrad wäre sowas wie:

DCS --> wird fast immer überlebt

AGE --> wird zwar regelmäßig auch mal, aber keinesfalls immer, überlebt

Ersticken --> wird nach menschlichem Ermessen in der Situation nie überlebt

Wenn man schon wählen muss zwischen Ersticken und der AGE, dann also wohl leider die AGE immer noch "besser". Leider kann man nicht zuverlässig sagen, welche Aktion dann eher DCS-artige und welche eher AGE-artige Symptome macht. Ausser halt, dass schnell Aufsteigen gefährlich ist.

Wenn man ein balanced rig hat nimmt man kein abwerfbares Blei weil man es nicht braucht. Man kommt ja hoch. Nicht weil unten bleiben eine Option wäre (das geht halt nur genau so lange wie man Gas hat). Wenn balanced rig nicht erreichbar und aus irgendeinem Grund auch sonst keine Redundanz machbar, dann muss man sich von Gewicht trennen.
SeraphinCMAS**, Sidemount
20.11.2024 15:40Geändert von Seraphin,
20.11.2024 15:43
>>> nicht nach oben kommen ist ganz am Ende unweigerlich und dauerhaft tödlich.

Ist ne persönliche Haltungsfrage, doch je nach bleibenden Folgeschäden, ist der Tod nicht immer die schlimmste Folge. Unabhängig davon, gibt es auch andere Varianten ... eben das Balanced Rig oder das in der Einleitung auch erwähnte Bojenreiten, selbst ein an der Spool der Boje unterstütztes hochflösseln wäre denkbar, um doch einigermaßen kontrollierbare, oder wenigstens bremsbare Aufstiege zu handeln. Aber soweit wollte ich eben auch bewusst noch nicht ...

Ich hatte eben den Eindruck bzw. die Erkenntnis, dass ich keine ansatzweise objektivierbare Vorstellung habe, wie riskant oder eben doch nicht so riskant das hochschießen an sich ist, verglichen mit anderen Varianten. Deshalb wurde ich neugierig.
Dominik_Emind is like parachute
20.11.2024 15:53
Ich halte es aber auch für enorm unwahrscheinlich, dass jemand auch nur die Entscheidung treffen würde absichtlich zu ersticken wo der Weg nach oben frei wäre. Ich würde stark vermuten, dieser wird irgendwann "reflexhaft" angetreten wenn frei.

Vielleicht kann man das irgendwie daraus ziehen: die Dekopflicht wird man nicht absitzen können. Aber die paar Minuten die man noch Gas hat sind besser in einen kontinuierlichen langsamen Aufstieg (--> Vermeidung direkte Embolie!) investiert, als in irgendwas anderes.
20.11.2024 16:04Geändert von kwolf1406,
20.11.2024 16:06
Um es komplizierter zu machen: Den "Notaufstieg" gibt es beim VDST gar nicht. Es gibt nur das kontrollierte Austauchen. Alles andere ist ein Unfall. Deswegen üben wir auch keinen "schwimmenden Notaufstieg" o.ä., sondern nur reguläre Aufstiege.

D.h. in meinen Augen: Es muss immer mit weniger, als 10/min aufgetaucht werden mit Einhalten der Dekostopps. Ein Bleiabwerfen mit Hochschiessen oder Auslassen von Dekostopps ist nicht regulär und nicht sicher - und auch im Training keine Option (außer Bleiabwurf ohne Tiefenänderung). Allenfalls ultima ratio, wenn ansonsten der Tod unausweichlich wäre. Dann ist die Frage DCS oder AGE, und was ist schädlicher, irrelevant.
Dominik_Emind is like parachute
20.11.2024 20:08
"Allenfalls ultima ratio, wenn ansonsten der Tod unausweichlich wäre. Dann ist die Frage DCS oder AGE, und was ist schädlicher, irrelevant."

Das ist genau mein Punkt auch, ja. Natürlich führt niemand so eine Situation absichtlich herbei.
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
20.11.2024 21:34
In den 80ern hatte ich mal ein Bich "Sporttauchen leicht und sicher".

Damals gab es tatsächlich noch den unkontrollierten Notausstieg. Also ein Blick nach oben, ob der weg frei ist, dann den "Klodeckel" vollmachen (Jackets gab's ebenso wenig wie Powerinflator - der Klodeckel hatte eine kleine Flasche unten vorne ohne eine erste Stufe) und hochschießen.

Hab das damals im jugendlichen Leichtsinn einmalig geübt aus 18m. Sofort danach wieder nasse Rekompression.

Wie gesagt, war damals tatsächlich Stand der Technik.

Heute würde ich das nur tun, wenn ich die Wahl habe zwischen Sensemann in der Tiefe und (vielleicht) überleben. Wobei selvst bei geübten Tauchern in einer Paniksituation der Verstand im Arsch ist und kaum mehr rationales Denken erlaubt
andre171PADI MSD, NAS Foundation, künftig weiter mit dem VDST
20.11.2024 22:50
2006 gabs das beim mir im PADI OWD noch... 9m Tiefe, Jacket aufpumpen und laut Ahhhhhhh rufen... kurz später ist man an der Oberfläche.
IMHO muss sowas aber nicht mehr sein.

Jedoch Bergung eines bewusslosen Trockentauchers predigen und dann beim Kurs gesagt bekommen: komm nicht mit Doppel und Trocki, sondern mit dem Nassanzug und der Monoflasche, halte ich auch nicht für zielführend...
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