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Höhere Vereisungsgefahr bei 300 bar?

Ein herzliches Hallo an die Tauchergemeinde,

folgende Frage habe ich, bei der Verwendung der 300-bar Technik: Beim Einatmen wird die kompremierte Atemluft von 300 bar auf Umgebungsdruck entspannt. Hierbei wird Kälte an die Umgebung abgegeben. Ist die Vereisungsgefahr nicht um ein vielfaches höher, im Vergleich zu der 200-bar Technik?

Vielen Dank vorab.

Skippy
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11.01.2005 13:49
Ja. Die auftretende Temperaturdifferenz ist proportional zur Druckdifferenz.
Sehr stark vereinfacht:
T2-T1=mue*(p2-p1)
mit: mue=Joule-Thomson-Koeffizient
11.01.2005 14:45
Mhmmm...
Aber bei höherem Druck ist das Volumen kleiner. Macht es das nicht wieder fit?
11.01.2005 16:32
Nö, warum. Das Gas expandiert doch wieder auf den selben Mitteldruck. Das aus der Flasche entnommene Gasvolumen ist zwar kleiner, aber die Anzahl der Moleküle ist in beiden fällen identisch.
11.01.2005 16:54
@Dirk,

das ist so nicht ganz komplett, meine ich.

Zusaetzlich zum Joule-Thompson Effekt muss man die Inversionstemperatur in Betracht ziehen. Das ist der Punkt, bei dem sich das Atemgas beim Entspannen von "abkuehlen" nach "erwaermen" (bzw. andersrum, je nach Gasart, z.B. Helium) aendert.
Das ist, iirc, bei Luft so um die 160 Bar. Das ist der kritischte Punkt beim Tauchen mit der hoechsten Gefahr des Vereisens.

Daher denke ich ist es egal, ob in der Flasche zu Beginn des TG 300 bar oder 220 bar war.
11.01.2005 17:33
@ Soni: Die Inversionstemperatur von Luft liegt oberhalb der Raumtemperatur, also tritt bei der Entspannung eine Abkühlung auf. (Ti(N2)=866 K,Ti(O2)=1041 K). Die Inversionstemperatur ist sicher auch vom Druck abhängig, das kann aber in dem hier betrachteten Fall vernachlässigt werden. Für Stickstoff und Sauerstoff ergibt sich z.B. eine Abkühlung von ca. 0,3 K pro bar.
11.01.2005 19:17
Bei niedrigen Drücken kühlt sich ein Gas beim Entspannen ab. Das geschieht solange das Gas etwa ein ideales Gas ist. Bei zunehmendem Druck treten allerdings Wechselwirkungen zwischen den Molekülen auf, so daß dieser Effekt abnimmt und schließlich sogar dazu führt, daß Gase beim Entspannen sich erwärmen. Diesen Punkt bezeichnet man Inversionspunkt - Luft 0°C 490 bar (nicht °C!).
Soni hat insofern Recht, daß bei etwa 170 bar der Abkühlungseffekt am stärksten ist (Kurve sieht aus wie eine Parabel).
Folglich: bei 170 bar kühlt sich das Gas an einer Drossel (1. Stufe des Atemreglers) am stärksten ab. Bei 300 bar findet ebenfalls Abkühlung statt, dieses ist jedoch nicht mehr so stark. Implikation für 300 bar Tauchen. KEINE!!!´

Ich hoffe, das hilft.
Holger
11.01.2005 20:57
Ha, wieder mal eine coole Frage auf dem Netz. Ist ja richtig wissenschaftlich hier.
Ich habe das auch praktisch ausprobiert, weil ich mir von der 300bar Technik einige Vorteile erhofft habe. Während (120 Tg) ist mir aufgefallen, dass ein vereisen eines gängigen Automaten bei 300bar Technik nicht wirklich ins Gewicht gefallen ist. Jedoch eher erschreckend hat sich die Tatsache niedergeschlagen, wie launisch sich der Mitteldruck bei den verschiedenen Automaten verhalten hat. Vor allem ist dieses Verhalten nicht sofort aufgetreten, sondern erst nach 20-30 Tg. Unkontrolliertes abblasen war die Folge. Ich werde weiterhin mit 300bar Technik tauchen, jedoch ein genaues Augenmerk darauf richten, mit welchen Automaten ich das tue.
11.01.2005 22:10
Vielen Dank für die Antworten an Alle. Meine Zweifel bei der Verwendung der 300-Bar Technik, bezüglich des Vereisens sind somit aus der Welt.

Gut Luft - unter wie über Wasser

Skippy
12.01.2005 12:46
@tauchero_15
Fakten, Fakten Fakten! Und immer an die Taucher denken.

Hatte bis jetzt bei ca. 4° noch keine Probleme.

MfG
Andreas
12.01.2005 16:04
Ok. Jetzt mal Butter bei die Fische.

*Klugscheißmodus an*

Bei idealen Gasen tritt _kein_ Temperatureffekt auf, ihr Joule-Thomson-Koeffizient (mue) ist 0.
Die Drücke, die im diskutierten Fall vorherrschen, lassen die Annahme, es handele sich um ein ideales Gas, nicht zu. Die Größe von mue kann mit Hilfe der realen Gasgesetze (Virialansatz, van der Waals-Gleichung) abgeschätzt werden. Setzt man in die (mathematische) Definition von mue hingegen das ideale Gasgesetz ein, so zeigt sich das - wie oben bereits gesagt- mue=0 wird.

Für Luft ändert sich das Vorzeichen von mue (in den für uns interessanten Temperaturintervall), bedingt durch die Abhängigkeit der Inversionstemperatur vom Druck, erst bei Drücken deutlich jenseits von 400 bar. Das heißt erst ab Drücken die größer sind als dieser Wert würde bei der Expansion von Luft eine Erwärmung auftreten. Bei einen Druck von 300 bar erfolgt also in jedem Fall eine Abkühlung.

Ob bei der Expansion eines Gases (an einer Drossel) eine Abkühlung oder Erwärmung erfolgt hängt vom Vorzeichen des Joule-Thomson-Koeffizienten ab, welches durch die Inversionstemperatur bestimmt wird. Hat mue ein negatives Vorzeichen so erfolgt Erwärmung, bei positivem Vorzeichen Abkühlung.

Liegt die Temperatur unter der Inversionstemperatur (mue ein positives Vorzeichen) ist die Expansion mit einer Abkühlung verbunden.
Liegt die Temperatur über der Inversionstemperatur (mue ein negatives Vorzeichen) ist die Expansion mit einer Erwärmung verbunden.

Die Inversionstemperatur ist vom Druck abhängig, für Luft ist der Verlauf dieser Abhängigkeit auch näherungsweise parabelförmig. Aber für die hier betrachteten Temperatur- und Druckintervalle ist mue immer positiv. Es erfolgt also eine Abkühlung des Gases.


Ergo, die Abkühlung ist bei der Expansion von 300 bar auf Mitteldruck größer, dies muss aber nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Vereisungsgefahr führen.


*Klugscheißmodus aus*

Das bei Drücken um 160 bar die Abkühlungsrate am stärksten ist, könnte ihre Ursache darin haben, dass unter diesen Verhältnissen die sog. Innere Arbeit, die das Gas leisten muss, am größten ist. Die Konsequenz dieser "Mehrarbeit" wäre ein stärkere Abkühlung.

jm2c

Dirk
12.01.2005 19:10
@ DirkH

Sei mir nicht böse, aber wenn Du schon den Klugscheißmodus an hast, dann bitte korrekte Antworten. Oben schrieb ich im wesentlichen das gleiche wie Du, nur eben ein wenig populär wissenschaftlicher. Dennoch, Deine Kurve scheint sich auch parabelförmig zu verhalten. Also hat die Parabel (2. Ordnung) einen Scheitelpunkt, in diesem Fall den Tiefpunkt. Der liegt eben bei ungefähr 170 bar. Der Nullpunkt wird - ebenfalls bereits oben geschrieben (Inversionspkt) bei etwa 490 bardurchschritten, also wird bei Gasentspannung von 300 bar auf MD das Gas sich an der Drossel abkühlen, allerdings weniger stark als von 170 bar.

Konsequenz für 300 bar Tauchen: keine (die Beantwortung der eigentlichen Threadfrage).

Schöne Grüße
Holger
12.01.2005 20:17
@ Holger

Nein ich bin dir nicht böse.

Ich wüsste nicht , was an meinen Ausführungen falsch ist. Ich habe das Diagramm gefunden, auf das du dich beziehst. Bei dem 170 bar Effekt wie auch schon zuvor ACK.
Deine Aussage bezüglich idealer Gasen ist nicht korrekt. Nur reale Gase können -wie bereits gesagt- den Joule-Thomson-Effekt zeigen. Dies war der Hauptkritikpunkt an deiner Antwort. Da die Frage nach den Ursachen einer Vereisung häufiger gestellt wird, habe ich mich um eine ausführliche und korrekte Erklärung bemüht. Ob nun Inversionstemperatur oder -punkt ist nebensächlich, da die Inversionstemperatur vom Druck abhängt. Das Resultat ist das selbe. Vielleicht sollten wir diese Diskussion per PM weiterführen, da wir vom eigentlich Thema inzwischen weg sind.

Nix für ungut

Viele Grüße

Dirk
12.01.2005 23:07
Aber ja doch Dirk, möchte dem was Du hier im Klugscheissmodus vom Stapel lässt gar nichts entgegen setzen. Ich kenne mich nicht so gut aus und muss neidlos zugestehen: Da spricht der Fachmann, das tönt ja wie aus dem Lexikon. Genau genommen hast Du recht, mein Beitrag hat eigentlich auf die Frage von Skippy hier nur am Rande etwas zu suchen.

Jedoch die Tatsache, dass die 300-Bar Technik höhere Ansprüche an Material und Konstruktion der 1. Stufe stellt, als das die Tauchindustrie gerne hätte, sollte bei diesen Fragen nie ausser Acht gelassen werden. Ich glaube einfach nicht, dass ein Automat auf einen 300 Bar betrieb gebaut und konzipiert wird, wenn die grosse Masse 200 Bar Technik will. Es wird doch eher sein, dass man am Rande probiert, ob sich das konstruierte Teil, als 300 Bar tauglichen Automaten auch anbieten lässt.

@Andreas, ich weis was Du von mir hören willst und ich denke, dass Dich das auch wirklich interessiert. Ein Automatentyp ist mir als besonders „launisch“ aufgefallen und das ist der Beuchat VX 10. Die Automaten wurden von mir nach einer gewissenhaften Revision, d.H. streng nach Herstellerweisung, auf einen Mitteldruck von 9.5 Bar eingestellt, bei einer Flaschenfüllung von 200 Bar. Als ich die Automaten an eine 300 Bar Flasche hängte, war anfänglich noch nichts von einer Mitteldruckveränderung zu sehen. Erst nach ca. 15 Tg baute sich bereits an beiden Automaten ein zu hoher Mitteldruck von über 12 Bar auf. Nach weiteren 10 mal Flaschen öffnen, baute sich der Mitteldruck bei 280 Bar Flaschendruck auf stolze 15 Bar auf. Nach dem Auswechseln der Hochdruckdichtung und des O-Rings der Kompensationskammer und erneutem genauen prüfen, ob auch wirklich keine Verunreinigung vorliegt, habe ich das Selbe noch mal beobachtet. Vor allem, wenn die vollen Flaschen geöffnet sind und an den Automaten für ein paar Minuten nicht geatmet wird, baut sich der Druck langsam und kontinuierlich auf. Dieses Verhalten konnte ich bei Apeks und auch bei Poseidon bis jetzt nicht feststellen. Das heisst nicht, dass es unter diesen Marken nicht auch Sünder, oder Fehler gibt, die einfach noch nicht entdeckt wurden. Wenn Du wie ich die Möglichkeit hast, Deine Flaschen mit 300 Bar zu befüllen, ist das eine tolle Sache. Ich möchte auch nicht mehr auf die Vorteile verzichten. Zur eigenen Sicherheit würde ich meine Aufmerksamkeit darauf richten, wie sich Deine Automaten über eine längere Zeit verhalten, was den Mitteldruck angeht.
13.01.2005 01:11
Also, nocheinmal herzlichen Dank für die ausführlichen und sehr profihaften Antworten.

Die Frage hatte sich für mich gestellt, da ich mit dem Gedanken spiele auf die 300-Bar Technik umzusteigen. Ich selbst tauche mit zwei erste Stufen von Sherwood, als Hauptautomaten verwende ich den Blizzard und den Oasis. Lt. Herstellerbeschreibung sind die Automaten bereits auf die 300-Bar Technik ausgelegt.

Auf den Hinweis von Tauchero_15 (Vielen Dank) möchte ich fragen, wer mit Sherwood-Automaten in Verbindung mit der 300-bar Technik und dem Mitteldruck schon Erfahrungen gesammelt hat.

Erneut vielen Dank im Voraus.

Skippy
13.01.2005 08:49
Hallo DirkH und Holger!

wirklich interessante Ausführungen über die Tauchphysik! Habt ihr da mal ein Link oder ein Buchtipp für mich? In den gängigen Tauchlehrbüchern kommt man über die Gasgleichung ja nicht hinaus
Ich bin zwar der Thermodynamik halbwegs bewandert aber über die Inversionstemperatur muss ich zu meiner Schande gestehen hab ich noch nichts gehört.

Danke und Gruß Schalmmfräse
13.01.2005 10:08
@ DirkH
Selbstverständlich weisen nur reale Gase einen Joule Thompson Effekt aus. Das habe ich in der Tat sehr schlampig - sprich falsch - hinge"rotzt".

Wünsche noch einen schönen Morgen

@ Schlammfräse
Das ist alles noch Wissen von einem GUTEN Studium, das bereits über 10 Jahre zurückliegt. Nachzulesen in besseren Physikbüchern oder fachspezifischen Technikbüchern. In meinem Büro als auch in meiner "Hauptwohnung" habe ich kein einziges rumliegen, kann Dir also auch nichts nennen.

Wünsche ebenfalls guten morgen
Holger
13.01.2005 11:43
@ Holger
Dann sind wir uns ja im Prinzip einig.

Wünsche dir noch ´nen schönen Tag

@Schlammfräse
Einige links zur Tauchphysik findest du hier:
http://www.taucher.net/ausb/index.html?only=Tauchphysik
Ob dort speziell auf den Joule-Thomsom-Effekt eingegangen wird weiss ich leider nicht.
Als Buchtipp:

Gerd Wedler, Lehrbuch der Physikalischen Chemie, Wiley-VCH,ISBN: 3527310665

P.W. Atkins, Physikalische Chemie, Wiley-VCH,ISBN: 3527302360

Römpp Lexikon Chemie, Hermann Römpp, Jürgen Falbe, Manfred Regitz, Thieme Verlag, ISBN: 3131078308

HTH

Gruss und schönen Tag noch

Dirk
Antwort