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chrisfussSSI IT, IANTD CCR, TMX Instructor

Gas Content Model vs Bubble Modles by Dr. Simon Mitchell

Da wir genau das Thema letztens im Equipmentforum zum Thema Trimix Tauchcomputer hatten und fuer alle, die nicht so stark in Englischsprachigen Foren unterwegs sind und es noch nicht mitbekommen haben, hier eine Praesentation von Simon Mitchell in der er das Thema sehr gut zusammen fasst und die NEDU Studie weiter belegt und auch erklaert auf welche nicht auf den Menschen uebertragbaren Experimente VPM basiert. 

 

https://www.youtube.com/watch?v=UY61E49lyos

 

Cheers

Christian

 

 

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TondobarPassivtaucher
08.06.2016 22:50

Sehr interessant der Vortrag, vielen Dank dafür, Christian!

Wenn ich Mitchells Interpretation richtig verstanden habe, dann manövriert VPM den Taucher in eine nicht mehr tolerierbare Übersättigung der langsamen Gewebe.

Sofern man sich an die berechneten Dekostopps hält, kann das bei Perfusionsmodellen nicht passieren, weil diese ja einen Dekostopp verlangen, sobald auch nur eines der Gewebe an die Grenze der tolerierten Übersättigung stößt. Rein rechnerisch kann bei den Perfusionsmodellen das Wärmediagramm zum Ende des Tauchgangs keine roten Bereiche haben.

Nun habe ich gerade mal nachgelesen, dass VPM mit nur 5 freien Parametern auskommt, die aus Navy-Tabellen abgeleitet wurden. ZHL-16 hat 48 Parameter, da darf man wohl etwas mehr Genauigkeit erwarten.

Wie sieht es bei den anderen Blasenmodellen aus? RGBM ist wohl eher ein Hybrid, in dem u.a. die Parameter von ZHL-16 enthalten sind. RGBM sollte die langsamen Gewebe also auch nicht in den nicht mehr tolerablen Bereich fahren, oder?

Handelt es sich bei dem aufgedeckten Problem vielleicht nur um ein spezifisches Problem von VPM und betrifft nur VPM?

tiger22TMX/OWSI
09.06.2016 00:25

@ chris: Danke für den Link - tolle Zusammenfassung des legendären Threads im RBW-Forum thumbup

 

@Tondobar: Nein, das ist kein spezifisches Problem von VPM. Der NEDU-Test basierte auf einem Navy-Bubble-Modell namens BVM(3).

Ein großer Teil des RBW-Threads drehte sich später um die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf VPM. Die sehr anschauliche Darstellung der Sättigungsverläufe mit Hilfe von Heat Maps hat sich übrigens in dem o.g. RBW-Thread entwickelt.

Fazit: es gibt keinerlei Evidenz, warum die Limitierung des Blasendurchmessers grundsätzlich besser (d.h. geringere DCS-Rate) sein soll als die Limitierung des Übersättigung beim GC-Modell. Dagegen gibt es mit der NEDU-Studie eine klare Evidenz für eine (unakzeptabel) höhere DCS-Rate als beim GC-Modell der Navy.

Auch für die weitverbreitete Behauptung, Deep Stops seien grundsätzlich sinnvoll, gibt es außer der anekdotischen Lebenserfahrung von Richard Pyle offensichtlich weder Evidenz noch eine nachvollziehbare Theorie.

Hier der Link zur Studie: http://archive.rubicon-foundation.org/xmlui/bitstream/handle/123456789/10269/NEDU_TR_2011-06.pdf

 

 

 

uanlikerIT PATD
09.06.2016 22:37

 

Die HeatMap zeigt die Übersättigung an, d.h. Differenz zwischen Gewebegasspannung und Umgebung. Dies ist keine Aussage bzgl. tolerierter Überspannung.

 

Mitchell nutzt dies als Bestätigung von Bühlmanns Hypothese (bzw. Experimente), dass die schnellen Gewebe eine Übersättigung besser vertragen als die langsamen.

 

Die Pyle-Stopps und GF wurden durch die Bounce-TGs (im Sinne von Mitchell) mit TMX populär, weil man schlechte Erfahrung mit reinem Bühlmann gemacht hat. Für mich ist die Übertragbarkeit der Aussagen auf TMX offen.

Helium verhält sich anders als Stichstoff. Mein Gefühl/Erfahrung sagt, dass die He-Koeffizienten im Bühlmann-Modell nicht korrekt sind (zu konservativ für die mittleren/langsamen Gewebe und zu aggressiv für die schnellen Geweben).

 

Spannend ist auch, dass er nicht GF100/100 empfiehlt, sondern deutliche tiefere GFs, d.h. er baut eine massive Sicherheitsmarge zum Bühlmann-Modell ein. Wieso?

 

TondobarPassivtaucher
10.06.2016 00:32

Urs, Tiger, ich folge Euch und zäume das Pferd von hinten auf. Die US Navy hat ein anscheinbar solides Experiment durchgeführt, bei dem ein in der Druckkammer simulierter Tauchgang nach zwei Dekompressionsmodellen ausgetaucht wurde, dem NMRI98 (gas content model) und dem BVM(3) [bubble volume model]. Taucher, die nach BVM(3) dekomprimierten, erlitten signifikant häufiger DCS.Auf den ersten Blick scheint damit NMRI98 die Realität besser abzubilden als BVM(3).

Auf die Navy-Studie hin wurde dann in diversen Foren und auf Konferenzen diskutiert, ob und wie die Ergebnisse auf die von den zivilen Tauchern genutzten Modelle (Bühlmann GC mit GF und VPM) übertragbar seien. Mitchell hat die zwei Tauchprofile mit dem Bühlmannmodell nachsimuliert und festgestellt, dass am Ende des Tauchgangs die langsamen Gewebe unterschiedlich viel Inertgas enthalten haben. Bei dem mit BVM(3) durchgeführten Deko war es deutlich mehr als bei dem Profil nach NMRI98. Daraufhin kam er zu dem Schluss, dass dieser Unterschied die Ursache für die Anhäufung von DCS-Fällen bei den BVM(3) Tauchgängen war. 

Dann wurde der Tauchgang mit VPM und vielleicht auch noch anderen Blasenmodellen simuliert, und wieder waren die langsamen Gewebe höher mit Stickstoff beladen, als am Ende des NMRI98

Habe ich das nun so grob richtig zusammengefasst?

Sind die Blasenmodelle nun deswegen ein Holzweg? Vom medizinischen Standpunkt sind Blasen doch einigermaßen sicher als Auslöser von DCS identifiziert. So zu tauchen, dass man diese Blasen nach besten Kräften am Wachstum hindert, scheint mir daher nicht unvernünftig und weit hergeholt. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass wir weiter mit GC Modellen tauchen sollten, bis die Blasenmodelle die GC-Modelle im Experiment schlagen.

Tiger996CCR Normoxic, CCR Full Cave, TXR Technical Wreck,
10.06.2016 10:35

hmm

 

wen man möglichst schnell in den flachen bereich soll, wäre dan nicht eine z.B. 75/75 besser als eine 30/75 ? 

tiger22TMX/OWSI
10.06.2016 15:29

@tondobar: Mitchell hat untersucht, ob Bubble-Modelle grundsätzliche eine bessere Dekompression ermöglichen als GC-Modelle, wie von den Bubble-Verfechtern wie Wienke, Yount & Co. seit den 1990ern behauptet wurde (besser heißt weniger DCS Hits).

Ihre Theorie klang einleuchtend: Große Bubbles -> große DCS, also kleine Bubbles -> kleine DCS. Doch dafür wurde lt. Mitchell bis heute kein Beweis gefunden. Im Gegenteil: die NEDU-Studie hat für eine (!) bestimmte Testumgebung sogar signifikante Nachteile nachgewiesen (#DCS Hits). Nicht mehr und nicht weniger.


@urs: Mitchell hat keine GFs empfohlen, sondern nur gesagt, mit welchen Faktoren er selbst taucht - nach dem Motto "Your mileage may vary".

Wg. ZHL und DCS: ich weiß nicht, ob die DCS-Rate bei ZHL höher war als bei VPM, aber beide Modelle wurden mehrfach weiterentwickelt (ZHL aufgebohrt von 8 auf 16 Gewebe und mit GFs "gepimpt", VPM-A/B/B-E mit Conservatism-Faktoren etc.)

Erstaunlich finde ich dabei folgendes: es wurde in beiden Lagern immer nur an den Schräubchen gedreht, ohne das zu Grunde liegende Modell in Frage zu stellen. Offensichtlich hat man aus den DCS-Fällen, VGE-Tests etc. nur den Schluss gezogen, dass die Limits zu aggressiv gewählt waren (Sättigung, Blasendurchmesser).

Mein Fazit, etwas anders formuliert: das Modell spielt keine große Rolle, solange der Dekoverlauf einer bestimmten Kurvenform entspricht - egal, ob er mit VPM, RGBM, ZHL oder Ratio Deco oder dem Orakel von Delphi ermittelt wurde.




il_LupoPADI RD, CMAS 3*
10.06.2016 15:37Geändert von il_Lupo,
10.06.2016 15:42

Die "Empfehlung" von 30/75 kam auch in dem RBW Thread auf. Begründung war glaub ich, dass man sich derzeit einfach nicht sicher ist welches Modell die Realität besser abbildet. Es gibt zwar Dank der der NEDU Studie Hinweise darauf, dass GC den BM Modellen vorraus ist, aber noch keine abschließdenden Beweise. Vor der Studie sind viele im Techn. Bereich mit 20/70 und ähnlichem getaucht. Seit dem häufen sich in den englisch sprachigen Foren GFs die teilweise deutlich abweichen. 

Aber als verantwortlicher Wissenschaftler für aktuelle Dekompressionsforschung kann er keine Empfehlung rausgeben, da nicht genug Beweise vorhanden sind. Es gibt nur diese eine Studie(zumindest weis ich nur von der, vll gibt es ja mitlerweile mehr). Daher erwähnt er nur seine Derzeitige Einstellung.

Als hinweis noch: Bei der Studie wurden keine klassischen Druckkammerfahrten gemacht sondern Druckkammerfahrten bei denen die Taucher wirklich unter Wasser waren und die Luft über Wasser eine Druckerhöhung erfuhr bis die Tauchtiefe erreicht wurde. Das macht insofern einen Unterschied da Wasser bzw der Fakt das der Körper komplett untergetaucht ist die physiologischen Prozesse im Körper massiv beeinflusst.

Zu Blasen und DCS:

Blasen wurden nur als EIN Faktor bei einer bestimmten Art von DCS Unfällen sicher identifiziert. Es gab in anderen Studien mWn auch Unfälle wo keinerlei Auffälligkeiten bezüglich der Blasen aufgetreten sind. Das Blasen wichtig sind, darüber sind sich alle Wissenschaftler einig. Aber ob sie als alleiniger Indikator für Modelle geeignet sind, darüber wird noch gestritten. Genauso ist nicht gesichert, welchen Einfluss sie genau auf den Körper haben. Ebensowenig weis man ob die Modellannahmen des Blasenwachstums im Körper genauso zutreffen, wie sie es außerhalb in Gelexperimenten oder anderen Versuchen tun. Ich persönlich bin daher von den derzeitigen Blasenmodellen nicht überzeugt. Daher wird mein TC auch demnächst ersetzt ;)

RGBM und allgemein Phasenmodelle:

Leider ist über die derzeitige Version von RGBM so gut wie nichts bekannt. Frühere Versionen basierten genauso wie VPM auf den Publikationen von Yount und Hoffmann. Soweit ich das noch nachverfolgen konnte ist der allg. Konsens, das RGBM auch heute noch darauf zugreift.

Der Witz ist, das selbst für heutige TC diese Modelle nicht in aktzeptabler Zeit berechnet werden können, würde man sie so umsetzen wie ursprünglich erdacht. Daher gibt es einige Arbeiten, die nur mathematische Vereinfachung betrachten, um die Modelle auf Microcontrollern mit eingeschränktem Arithmetik Operationen zum laufen zu bekommen.

 

Hinweis meinerseits: Ich bin NICHT als Wissenschaftler oder ähnliches tätig und habe auch sonst keine Verbindung zu den genannten Dingen außer das Hobby Tauchen. Ich interessiere mich lediglich seit einiger Zeit für die verschiedenen Dekompressionsmodelle und habe das/die ein oder andere Paper/Studie verfolgt um mich auf dem laufendem zu halten. Daher nehmt meine Anmerkung bitte mit Vorsicht zur Kenntnis und hinterfragt sie auch Kritisch!

TondobarPassivtaucher
10.06.2016 23:59

Man ist geneigt, sich dem Fazit von tiger22 anzuschließen. Jedes Modell, welches ein treppenförmiges Dekostufenmuster erzeugt, kann man durch Einführung von Fummelfaktoren dahinbiegen, dass man nahezu DCS-freie Tauchgänge damit durchführen kann.

Dass VPM auf heutigen Tauchcomputern nicht lauffähig ist, wage ich doch zu bezweifeln. Ich habe heute in meiner alten Sammlung von Aufsätzen zur Dekompression gekramt. Dort fand ich genau diesen Satz wieder, aber das war im Jahr 2000. Mittlerweile sollte das auf jedem besseren Smartphone zu realisieren sein. Aber warum sollte sich jemand die Mühe machen, wenn die Ergebnisse von VPM kaum besser oder sogar schlechter sind als die ollen GC Modelle?

Diese (die GC-Modelle) sind ja eigentlich Lösungen einer linearen Differentialgleichung 1. Ordnung. Warum eigentlich 1. Ordnung? Hat dazu mal jemand was publiziert? Beim Abtauchen müssen Inertgase erst ins Blut, bevor sie in die verschiedenen Körpergewebe eindiffundieren. Beim Auftauchen umgekehrt erst aus dem Gewebe heraus ins Blut diffundieren und dann aus dem Blut in die Gasphase der Lunge. Die Gewebe müssten also mindestens mit einer DGL 2. Ordnung beschrieben werden. Oder aber man sagt, das Blut sei so fix, dass man es vernachlässigen kann. Dem widerspricht, dass Bühlmann dem Blut ein tau von 4 Minuten zugeordnet hat.

@Wolf: Gibt es Vermutungen, was DCS-Symptome ausgelöst haben könnte bei den Patienten, die keine Blasen hatten? Wenn die Inertgase schön in Lösung bleiben, dann wüsste ich jetzt nicht, wie sie jemanden krank machen könnten. Vielleicht hat man nur im Blut der Betroffenen keine erhöhte Blasenzahl feststellen können.

il_LupoPADI RD, CMAS 3*
11.06.2016 01:56

@Tondobar:

Ja das mit den Blasen und DCS ist leider ein sehr komplexes Thema, das für mich als Nicht-Mediziner teilweise undurchschaubar ist. Wenn ich mich recht entsinne war die Rede von keinen Auffälligkeiten. D.h. es können durchaus Blasen dagewesen sein, aber sie waren eben nicht Auffällig groß oder anders als bei Tauchern die keinen DCS hatten. Solange nichts weiteres bekannt ist bleibe auch ich bei der Vermutung das Blasen für DCS verantwortlich sind.

Bezüglich VPM und TC: Naja in deinem Smartphone werkelt in aller Regel auch ein ARM oder ähnliches. In einem TC sind es eher Microcontroller ala PIC18F87K22(z.B. im OSTC 3). Mir sind keine ARM oder ähnlichen bekannt, lasse mich aber gerne eines besseren belehren. Ich bin jetzt nicht sehr in dem Gebiet unterwegs, aber ich hab mit von einem gutem Bekannten(der in diesem Umfeld arbeitet) mal erklären lassen, das diese Dinger was komplexere Berechnungen angeht immer noch langsam sind, wenn man ihnen nicht Teile aus vorher berechneten Tabellen gibt. Daher vertrauch ich auf diese Aussage. Wenn mir jemand einen Gegenbeweis liefert bin ich gerne bereit mich belehren zu lassen.

Und ja solange das Profil einem bestimmten entspricht scheint es relativ Sicher zu sein. Nur generiert VPM solche Treppenstufen anscheinend nicht. Daher fällt es für mich weg. Mal sehen was die Zukunft bringt Derzeit ist ZHL-16 mit GFs um die 40/70 wohl am meisten verbreitet.

wwjkTaucher
11.06.2016 11:47

Keine Sorge, auch für Mediziner ist das ein komplexes Thema, vor allem weil man zu wenig darüber weiss. Und die Gesamtbedeutung dieses Problems ist zu gering als das wesentliche Ressourcen zu dessen Lösung vorhanden wären.

Löst Euch mal von den GF low um die 30, denn das ist nichts anderes wie Bühlmann an die Blasnemodelle anzu'biegen'. Will ich die Stops aus der Tiefe nach oben verschieben, sind wir bei einem GF low oberthalb 50, Tiger liegt da mit seinen 75/75 schon richtiger. Mal sehen, wie das weitergeht, aber ich wette, dass wir in 1-2 Jahren keine GF low unterhalb 60 mehr sehen werden, eher noch höher.

uanlikerIT PATD
11.06.2016 11:48Geändert von uanliker,
11.06.2016 11:50

VPM gibt es in mehreren käuflich erwerbaren Tauchcomputern: http://www.hhssoftware.com/v-planner-live/ https://www.shearwater.com/products/perdix/ https://www.opensafety.eu/index.php?cPath=3_26 und andere. ARM-Prozessoren werden auch in Tauchcompter eingesetzt, ist eine Frage der Ausprägung/Linie - Cortex M3 geht https://www.element14.com/community/groups/energy-micro/blog/2012/05/08/cortex-m3-efm32-gecko-for-scubapro-dive-computer oder http://www.divedepo.com/diving-computers-instruments/442-xdeep-bt-tmx.html

Die Frage der Studie war bei fixer Tauchzeit eine minimale DCS Rate für Tauchgänge mit Luft zu erhalten. Bei mehr Deko wird davon ausgegangen, dass die DCS Rate sinkt. Die Studie hat gezeigt, dass man die langsamen Gewebe am Ende des Tauchgangs nicht zu stark aufsättigen soll, dass man aber eine höhere Überstättigung der schnellen Gewebe tolerieret und somit für die Art der untersuchten Tauchgängen die tiefen Stopps nicht sinnvoll sind.

Bühlmann war Mediziner und so hat der das Modell gewählt, was er verstand (Workmann) und hat dann Koeffizienten gesucht die zu weniger DCS führen; plus eine Anpassung für das Tauchen in erhöhten Lagen (sprich Berge) eingeführt.

Die Praxis hat schon von ein paar Jahren gezeigt, dass ein reines VPM Modell zu Problemen führt, d.h. die flachen Stopps waren zu kurz, entsprechend wurde die B Erweiterung eingeführt. Die E Erweiterung bin ich mir unsicher, ob es zur Angleichung an GF Modelle war oder schlechte Erfahrung.

Meine persönliche Erfahrung ist, dass man bei kurzen TGs (sprich weniger als 1/2h Sauerstoff-Deko) konservativ (sprich mit eher viel Deko) tauchen soll und bei längeren Geschichten eher die O2-Deko kürzen kann bzw. einen höheren GF-High wählen kann. Oder man orientiert sich an VPM-B +2, da hat man die Anpassung automatisch drin

Oder anders formuliert: Sag mir ein Profil, was du tauchen willst und ich finde dir ein Modell / Einstellungen die dir sagt, dass das Profil i.O. ist. Und nach dem TG oder besser ein paar, weisst du dann auch ob es eine gute Idee war

Gruss Urs

il_LupoPADI RD, CMAS 3*
11.06.2016 14:37Geändert von il_Lupo,
11.06.2016 14:40

Danke Urs für die Info bezüglich ARM. Ich weis, dass VPM in TCs käuflich erwerbar ist. Nur ändert das nichts an meiner Aussage, das die Rechner keinen vollen VPM rechnen, sondern meist Cache-Tabellen haben oder sich andere Vereinfachungen zu Nutzen machen, um nicht erst eine Quadratwurzel oder Exponentialterme berechnen zu müssen etc. (s. z.B. hier http://retis.sssup.it/~giorgio/paps/2011/jsut11-kuck.pdf, ist mit 2011 sogar recht aktuell). Auf nichts anderes wollte ich Hinweisen. Das ein Smartphone mit Snapdragon 8xx, ARM Cortex A9 oder ähnliche mit 1 Ghz und mehr Taktrate und einem reichhaltigen Arithmetik-Befehlssatz kein Problem mit VPM hat steht außer Frage. Nur haben die meisten TC meines Wissens nach sog. Low-Power Microcontroller verbaut. Ohne die wäre nach ein paar wenigen Tauchgängen schluss, da die Batterie leer ist. Ein ARM Cortex M3 oder der PIC18F87K22 takten im Zweistelligen vielleicht unterem dreistelligen MHz Bereich max und haben "Deep-Sleep" Modi, wo auf microHz runtergetaktet wird. Außerdem haben sie meist einen eingeschränkten Befehlssatz und können daher gar nicht in akkzeptabler Zeit aufwendige Rechenmodelle ausführen. Wichtig ist hier der Zeitfaktor. Rechnen können tut man es mit denen schon, es dauert nur zu lange. Ohne jetzt die Umsetzungen für ZHL genau zu kennen, denke ich, das auch dort teilweise auf Cache und ähnliches zurückgegriffen wird.

VPM-B/E wurde glaube ich auf betreiben einiger Technischer Taucher eingeführt, die extrem Tiefe Tauchgänge gemacht haben und mit VPM-B schelchte Erfahrungen gemacht haben. Im Endeffekt ist die E Variante mWn(habs nie genauer betrachtet) nichts anderes als ein VPM-B bei dem die Flachen Stops verlängert wurden.

Es stimmt allerdings, dass man zu jedem Profil Einstellungen finden kann, die einem sagen werden, das es sicher ist. Nur ist das wirklich Sinnvoll? Der derzeitige Konsens unter den "Dekompressions-Wissenschaftlern" scheint ja, wie wwjk gesagt hat, gegen VPM und ähnliche zu sprechen und ZHL mit GF um 70/60 anzustreben. Bin ähnlich gespannt was die nächsten 2-3 Jahre bringen.

Das nächste ist dann inwiefern Bühlmann mit TMX noch vereinbar ist bzw. wie die Faktoren dort gewählt werden müssen. Da herrscht ja momentan auch noch Dunkelheit was Forschung angeht. Wohl leider auch, weil es, wie bereits von wwjk erwähnt, zu wenig Bedeutung hat als das da massiv Resourcen reingesteckt werden. Solange nicht das Militär daran interessiert ist, denke ich, dass wir(die Gesamtheit der Taucher) dort zum Teil Versuchskaninchen sind.

 

TondobarPassivtaucher
11.06.2016 16:56

Spannender Thread, vor allem multidisziplinär - das macht Spass!

Ausgehend von der Aussage, dass VPM vieel zu rechenaufwändig sei, um auf einem Tauchcomputer zu laufen, wurde gezeigt, dass VPM in der Spitzenklasse der Armband-Tauchcomputer bereits käuflich zu erwerben ist. Es kam der berechtigte Einwand, dass man nicht wisse, ob VPM wirklich vollständig berechnet würde oder nur anhand von Tabellen. Das dürfte tatsächlich Herstellergeheimnis sein, was wir hier nicht klären können. Aber das war ja auch nicht die Frage. Die Frage war, ob es geht oder nicht. Und ich behaupte weiterhin, dass es geht. Dass die in den Tauchcomputern tatsächlich verwendete Hardware es nicht kann, da widerspreche ich ja gar nicht. Das, was der Endkunde für den Tauchcomputer bezahlt, sind nur zum allergeringsten Teil die Kosten der Hardware selbst. Schaut doch mal bitte, was ein Einplatinencomputer wie der Raspberry Pi kostet (40€) und was er alles kann. Ja, das ist natürlich ein Stromfresser. Aber das sind Tauchlampen Modell Varta Volkssturm und Heizunterwäsche auch. Und was machen wir Taucher? Wir kaufen uns 20 Ah - Akkutanks und klemmen die an unser Backblech. Angenommen, rein hypothetisch, es gäbe ein sicheres Dekomodell, mit dem man die Dekozeit gegenüber allen heute bekannten Modellen halbieren könnte, aber das hätte den Nachteil, sehr rechenaufwändig zu sein. Ich behaupte mal, mindestens die halbe Taucherweilt wäre mit Akkutank-gespeisten Kleinstrechnern unterwegs. An der Rechenintensität liegt es also nicht, dass VPM nicht Standard auf den TC ist.

Pauschal finde ich den Rückgriff auf Tabellen auch nicht unmoralisch. Wenn im Modell eine Gleichung ausgerechnet werden muss, in der Wurzel 2 als Konstante steht, kann man das natürlich so programmieren, dass die CPU stumpf bei jedem Durchlauf die Quadratwurzel aus der Zahl 2 ziehen muss. Oder aber ich schreibe als Programmierer schon gleich 1,4142 hin. Wenn der nächste Faktor im Produkt ein Messwert mit nur drei signifikanten Stellen ist, dann reicht das doch allemal aus. Und durch diesen Kniff verändert sich ja auch nicht mein Modell. Deshalb stimme ich nicht zu, dass ein mit Tabellenwerten simuliertes VPM-Modell kein volles VPM mehr ist. Sofern bei der numerischen Umsetzung Fachleute am Werk sind, merkt man keine Unterschiede. Etwas anderes wäre es, wenn man Gleichungen des Original-VPM verinfacht, beispielsweise durch Linearisierung einer quadratischen Terms, Neuberechnung von variablen Koeffizienten nur alle 5 Minuten o.Ä.

Die Tauchcomputer von Ratio haben neben dem VPM-Modell gegen Aufpreis übrigens noch ein GPS Feature an Bord. Wer sich mal mit GPS beschäftigt hat weiß, dass da auch viel zu rechnen ist. Anscheinend langweilen sich die Ratio- Computer Aber weil es relativ rechenintensiv ist, greift man auch da gern auf Tabellen zurück. Mir ist noch nicht zu Ohren gekommen, dass sich diese Tabellen nachteilig auf die Navigation ausgewirkt hätten.

Wenn wir Taucher ein Interesse an verbesserten Dekomodellen haben, dann sollten wir nicht erwarten oder hoffen, dass Institutionen wie Industrie und Militär das für uns tun. Big Data ist doch sehr populär aktuell, nicht nur Google und Facebook, sondern auch die öffentliche Forschung ist an dem Thema dran. Gründen wir eine Stiftung, spenden wir jährlich den Preis einer Trimix-Füllung und übertragen wir doch all unsere Tauch-Profile an eine von der Stiftung verwaltete Datenbank, aus denen sich die Unis und Institute bedienen können. Mit den Stiftungsgeldern könnte man dann auch einzelne Forscher fördern. Vielleicht nicht unbedingt die Autoren des verlinkten Papers aus der Underwater Technology - hab's nur überflogen, machte aber nicht wirklich Lust, es in Gänze zu lesen.

Tiger996CCR Normoxic, CCR Full Cave, TXR Technical Wreck,
11.06.2016 20:07

Also Ratio schreibt ja dazu folgendes:

 

Die iX3M Serie nutzt echte und vollständige Algorithmen um die aktuelle Gewebesättigung zu bestimmen und
anschließend das Dekompressionsprofil in
Echtzeit zu berechnen.

 

 

 

Die meisten Computer interpolieren gespeicherte Daten um Dekompressionsprofile zu berechnen.
Eine billige Art der Umsetzung ohne Berücksichtigung vieler, individueller Faktoren des gegenwärtigen Tauchgangs.

 

il_LupoPADI RD, CMAS 3*
11.06.2016 21:54

Also die Aussage von Ratio ist ja ganz nett. Aber ohne Beweise würde ich das erstmal als reine Werbemasche betrachten. Nu schweifen wir ein wenig vom Thema ab, woran ich zugegebenermaßen nicht unschuldig bin! Wie Tondobar richtig gesagt hat ist auch nichts verwerfliches dran sich Vereinfachung etc. zu Nutze zu machen. Ich wollte eigentlich nur auf den Fakt hinweisen, dass auch heute noch die meisten TCs VPM nicht sinnvoll rechnen können ohne Kniffe der Hersteller. Was halt zeigt wie Komplex das ganze Thema ist, das war die Aussage die ich treffen wollte, aber, Asche über mein Haupt, nicht wirklich zum Ausdruck gebracht habe.

So eine Cloud Datenbank wäre zwar ganz nett, hat aber einen riesen Nachteil. Den sogenannten "Selection Bias" (zu Deutsch Stichprobenverzerrung). Solange nicht wirklich JEDER Tauchgang den der jeweilige Teilnehmer macht dort erfasst wird, muss man davon ausgehen, das die Daten unvollständig sind. Denn jeder könnte nur die Tauchgänge hochladen, bei denen kein Vorfall zu vermelden ist. Den einen DCS und das zugehörige Profil wird einfach nicht hochgeladen. Damit verliert eine solch Datenbank schnell an Interesse für die Wissenschaft, zumindest was die Bestätigung von Modellen betrifft. Das ist auch ein großer "Vorwurf" gegenüber der DAN und der LANL Datenbank.

Interessant wäre derzeit eher Grundlagenforschung bezüglich der Ursachen von DCS und das Gewebeverhalten bei der Gasauf- und abnahme (von Unterschiedlichen Gasen). Und dafür gibt es außerhalb von Industrie und Militär einfach kein breites Interesse der Öffentlichkeit. Da ist es viel Interessanter Ursachen für Krebs zu finden und ihn zu bekämpfen.. go figure! 

Für das Sättigungstauchen gibt es genug Forschung, aber das machen wir ja nicht. Derzeit sind die NEDU Studie und die ASEM Studie der Franzosen unsere einzigen Anhaltspunkte für Tauchgänge die ein normaler Sporttaucher oder Technischer Taucher unternimmt. Und die sagen, das die langsamen Gewebe besonders zu beachten sind. Ich werde weiterhin versuchen mich auf dem laufenden zu halten und an Diskussionen wie dieser hier teilnehmen, mal aktiv mal als stiller Teilnehmer.

 

Es ist ein hoch Interessantes Thema und auch äußerst brisant für uns. Nur leider tut sich sehr wenig in dem Gebiet.

TondobarPassivtaucher
12.06.2016 13:29

Ich hatte die DAN-Datenbank bewusst nicht angesprochen, weil es leicht auf DAN-Bashing hinausläuft. Ja, das läuft schon ein paar Jahre, sollte also mal langsam Früchte tragen. Die LANL-Datenbank kenne ich nicht. Die großen Player auf dem Gebiet der Auswertung anonymer Daten (Google, Facebook, etc.) haben auch damit zu kämpfen, dass die Qualität der Daten nicht so gut ist. Manches ist nicht direkt zugänglich und muss indirekt aus zugänglichen Daten erraten werden, User geben absichtlich falsche Daten ein, nutzen falsche Identitäten. Für all diese Probleme mit stark heterogenen Datensammlungen gibt es aber Lösungen. Man muss eben nur auf der Höhe der Zeit sein und diese Lösungen auch einsetzen. Tauchgangsprofile, die unter kontrollierten Studienbedingungen gewonnen wurden, bekommen ein höheres Gewicht als anonyme Profile, man filtert mit Plausibilitätschecks Datenmüll raus usw., usf. Solange 90% des Rohdatenmaterials in Ordnung sind, sollte man damit in der Lage sein, unsere 50 und mehr Jahre alten Dekomodelle zu verbessern. Ich finde, eine derart zentrale Frage sollten die Taucher selbst in die Hand nehmen und nicht anderen überlassen. Die Ignoranz von Microsoft gegenüber bestimmten Problemen mit Windows war ja auch mit ein Grund für die Entwicklung von Linux. Lupos Schlusssatz "Solange nicht das Militär daran interessiert ist, denke ich, dass wir(die Gesamtheit der Taucher) dort zum Teil Versuchskaninchen sind." kann man auch positiv deuten. Wir Taucher setzen uns ein und riskieren auch was, um die Deko-Forschung voran zu bringen.

Tiger996CCR Normoxic, CCR Full Cave, TXR Technical Wreck,
14.06.2016 16:26

Aber das ganze Betrifft ja auch die aufstiegsgeschwindigkeiten.

 

Mir wurde mal beigebracht bis 80% der MAx tiefe mit 10m/min und ab da an 3m/min die 3m/min wirken ja aber wie ein einziger Deep Stop.

wen ich jetzt nach Bühlmann tauchen will und Gradient Faktoren von z.B. 75/85 nehme würden 3m/min ja wenig sinn ergeben oder sehe ich da was falsch ?

uanlikerIT PATD
19.06.2016 19:51Geändert von uanliker,
30.06.2016 21:47

Korrket, bei Bühlmann geht man von 10m/min (heute in der Tiefe zu mindest bei Nitrox-oder Luft-Gemischen bis 15m/min aus) bis zum ersten Dekompressionsstopp. Die weitere Aufstiegeschwindigkeit ergibt sich durch die Stopps. 

Beim TMX-TG hat man festgestellt, dass dies in der Praxis so nicht funktioniert und hat a) die Aufstiegsgeschwindigkeit runter genommen b) früher mit Stopps gestartet.

atdotdeTL Assi
30.06.2016 06:57

Wenn die heat maps tatsaechlich etwas mit der Erklaerung zu tun haben (und vieles spricht ja dafuer), dann scheint mir die Botschaft davon weniger Blasen- vs. Saettigungsmodelle zu sein sondern vielmehr die Feststellung, dass die Konzentration auf das "Leitgewebe", also die Idee, dass zu jedem Zeitpunkt der Dekostopp von dem Gewebe bestimmt wird, welches am dichtesten an seine Grenzen kommt und alle anderen Gewebe egal sind, solange sie nicht ueberholen, zu naiv ist. Es kommt halt nicht nur auf diesen worst case an sondern man muss gleichzeitig zusehen, dass sich in den anderen Geweben nicht zu viel tut.

 

Mit Leitgewebe ist es zB total egal, was die langsamen Gewebe tun, solange sie nicht den Dekostopp ausloesen. Das heat map sagt aber: Schau da auch drauf, achte da drauf, dass in der Summe aller Gewebe die Uebersaettigung nicht zu gross wird.

 

In Subsurface wird diese Information uebrigens auch in Form des "Gewebesaettigungsplots" ganz unten dargestellt.

Zum Vergleich des Rechenaufwands zwischen Saettigungsmodell und VPM: Da kommte es drauf an, welche Frage man stellt: Will man nur wissen, was die naechste Stopptiefe ist, ist das im Saettigungsmodell wesentlich einfacher, da dies direkt aus der momentanen Gewebesaettigung abzulesen ist. Fragt man aber, nach der Gesamtdekozeit (simuliert also den Tauchgang zuende), muss man natuerlich mehr rechnen. Fuer VPM muss man immer die zweite Rechnung durchfuehren, daher ist es wesentlich schwieriger, die aktuelle ceiling anzusagen, der Rechenaufwandt fuer die Gesamtdekozeit ist aber nur etwa einen Faktor drei hoeher: Am Ende funktioniert VPM so, dass man eine Annahme ueber die maximale Uebersaettigung macht (die a- und b-Faktoren bei Buehlmann) und dann die Dekodauer ausrechnet und mit einem bestimmten Wert vergleicht, entsprechend nimmt man dann neue a- und b-Faktoren, rechnet nochmal und vergleicht wieder. Und so weiter, bis es passt. Als wir das letztes Jahr in Subsurface eingebaut haben, haben wir etwas rumprobiert und festgstellt, dass fuer die allermeisten Tauchgaenge drei Runden notwending sind, bis es passt. Daher der Faktor drei.

 

Wahrscheinlich bin ich fuer diesen Thread etwas spaet, aber ich versuch's doch noch mal.

Antwort