Sorry, dass ich so spät erst meinen Senf dazu gebe. Letzten Monat hatte ich das Vergnügen, an einer Online-Fortbildung zur Verbindlichkeit Technischer Regeln (darunter fällt auch die EN 12021) teilzunehmen. Diesen Thread hatte ich im Urlaub zwar registriert, aber die Unterlagen zum Vortrag nicht zur Hand.
Grundsätzlich stimmt, was schon gesagt wurde: Eine Norm ist kein Gesetz und die Nichteinhaltung selbst begründet noch keine (straf)rechtlichen Sanktionen. Es sei denn, das Gesetz verweist auf eine konkrete Technische Regel (z.B. § 35 h Abs. 3 StVZO auf DIN 13 164). Das dürfte bei der DIN EN 12021 aber nicht der Fall sein.
Zum Tragen kommt die DIN EN 12021 erst dann, wenn der Kompressorbetreiber vor Gericht gezerrt wird. Geht die Initiative vom Staatsanwalt aus, dann wegen Körperverletzung. Meldet sich ein geschädigter Kunde / geschädigtes Vereinsmitglied, dann wegen §823 BGB (Schadenersatzpflicht). In beiden Fällen bewertet das Gericht, ob Fahrlässigkeit vorliegt. An dieser Stelle kommen die Technischen Regeln ins Spiel, weil
- die Nichteinhaltung einer Technischen Regel als Fahrlässigkeit gewertet wird
- die Beweislast bei dem liegt, der etwas von der Norm abweichendes begründen will
So weit, so gut. Wenn nun die DIN EN 12021 das anzuwendende Prüf- und Überwachungsverfahren für die Atemluft
nicht im Detail vorschreibt, gibt das ein Problem, nämlich eine Regelungslücke. Denn die Frage nach dem
Stand der Technik wird in diesem Punkt von der Norm nicht beantwortet. Unter Juristen gelten Normen "als vorweggenommene, abstrakte Sachverständigengutachten". Wenn eine Norm auf ein relevantes Detail keine Antwort gibt, wird das Gericht einen Sachverständigen dazu befragen. Und bis zum Gegengutachter gilt dann dessen Wort als
Stand der Technik. Heißt, der Sachverständige definiert dann, welches Prüfverfahren "geeignet" ist und bewertet dadurch auch die Frage der Fahrlässigkeit.
Wenn man selbst kein Experte ist, dann sucht man sich Rat. Der Fragesteller Nacktmull hat genau aus diesem Grund an einer Kompressorschulung teilgenommen:
Auf der Kompressorschulung haben wir erfahren, dass wir laut der DIN EN 12021:2014 wohl unseren Kompressor "aufrüsten lassen" müssen, nämlich um eine permanente Öl- und CO2-Messung im Betrieb in Echtzeit.
Genau darin sehe ich nun das Problem bzw. den Handlungszwang. Der von Nacktmull ausgewählte Sachverständige hat dem Betreiber des Kompressors den aktuellen Stand der Technik verkündet. Und genau dieser ist vom Betreiber einzuhalten, um rechtliche Konsequenzen im Fall der Schädigung eines Dritten abwehren zu können. Und wie es den Anschein hat, ist das keine Einzelmeinung, sondern Konsens unter den Herstellern von Atemluftkompressoren, die logischerweise daran Geld verdienen.
Fazit: Nicht die DIN EN 12021 ist das eigentliche Problem, sondern der Stand der Technik, welcher von der Mehrheit der Fachleute definiert wird. Der Stand der Technik kann explizit durch Technische Regeln definiert werden, oder auch "demokratisch" als Mehrheitsmeinung der Fachleute, wenn es zu einer bestimmten Frage keine einschlägige Technische Regel gibt. Bei der Frage, ob die Atemluft kontinuierlich überwacht werden muss, liegt Letzteres vor. Wenn man in der Kompressorschulung ausdrücklich belehrt wird, eine solche kontinuierliche Messung nachrüsten zu müssen, hat man leider schlechte Karten.