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joebarbrevetiert

Bühlmann - Knopf im Kopf

Geändert von joebar,
03.11.2022 15:58

Da ich eher ein visueller Typ bin habe ich mir ein Diagramm mit den M-Linien des Bühlmann LZH16 erstellt und damit mal etwas herum gespielt.

Soweit so gut, aber beim Gaswechsel bei 21m auf ein EAN 50 habe ich jetzt ein kleines Problem.

Nehmen wir an das Gewebe mit der Halbwertszeit 54.3 ist das Leitgewebe und erfordert einen Stop bei 18m. Das bedeutet der p(N2) im Gewebe ist irgendwo bei 2.6 bar. p(N2 Amb) entspricht einer Lufttiefe von 21m. Beim Wechsel auf das EAN 50 ist der p(N2 Amb) auf einen Schlag tiefer und entspricht einer EAD von ca. 10m.

Beim betrachten des Diagrams befinde ich mich nun jenseits der M-Linie, geschweige von der GF Linie (nicht eingezeichnet).

Habe ich da irgendwo einen Logikfehler?

headscratch

Edit, habe das Gewebe mit der Halbwertszeit 27 erwischt. Ändert aber am Problem nichts

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Dominik_Emind is like parachute
03.11.2022 17:55
Hi joebar,

wenn ich Dich richtig verstehe, so ist es letzten Endes könnte man sagen eine Grenze der Darstellung die Du Dir ausgesucht hast:

Die M-Linien "leben" ja in einem Raum eines minimal tolerierten Umgebungsdrucks bei gegebenem Inertgas-Druck im Gewebe. Nur wenn kein Gaswechsel stattfindet steht dieser minimal tolerierte Druck in einem unveränderlichen Verhältnis zum inspiratorischen Inertgas-Partialdruck. Der Trick am Gaswechsel ist ja grade, dass der inspiratorische Inertgas-Partialdruck massiv sinken kann (so dass ein starker Gradient aus dem Gewebe raus zeigt) ohne dass der Umgebungsdruck insgesamt sinken muss.
joebarbrevetiert
03.11.2022 20:10
Danke Dominik
das muss ich jerzt erst mal verarbeiten big

Ich nehme an du willst mir damit nicht sagen dass sich die a und b Parameter vom Bühlmann beim Gaswechsel verändern?
Dominik_Emind is like parachute
03.11.2022 20:14Geändert von Dominik_E,
03.11.2022 20:16
Nein die a und b nicht, aber der Anteil des Inertgases, und damit die Änderung des Inertgas-Partialdrucks pro bar Änderung Gesamtdruck. Die Darstellung in einem 2D-Diagramm ist cool, aber an dieser einen Stelle (Gaswechsel) hat sie eben auch diese Tücke. Du springst beim Wechsel auf EAN50 von 21m auf ca. 10m nur in Bezug auf den inspiratorischen Partialdruck des N2, aber nicht in Bezug auf den Umgebungsdruck, und dieser ist eigentlich die Koordinate in der diese M-Linie da "lebt". Die Ceiling nach der wir tauchen hat ja am Ende die Einheit bar, oder halt Meter Wassersäule...
joebarbrevetiert
03.11.2022 20:22Geändert von joebar,
03.11.2022 20:24

Physikalische Chemie ist bei mir wohl zu lange her.

ich habe im Kopf dass die Löslichkeit eines Gases in einer Flüssigkeit vom Partialdruck des Gases über der Flüssigkeit abhängig ist. Oder ist das Problem dass es sich nicht wirklich um Flüssigkeiten handelt und deshalb obiges nicht gilt?

Dominik_Emind is like parachute
03.11.2022 20:29
Das gilt! Aber eine implizite Annahme die in all dieser Dekotheorie drinsteckt ist ja, dass, wenn man ein mit Partialdruck p übersättigtes Gewebe unter einen Gesamtdruck P absinken lässt, dann Blasen entstehen. Und den Blasen schreibt man das Problem zu, und die will man also vermeiden. Deren Entstehung ist also viel viel mehr eine Funktion des sinkenden Umgebungsdrucks, nicht des sinkenden Partialdrucks. So lange man nur ein Gas hat, ist dieser Unterschied nicht nutzbar, denn um den Partialdruck zu senken muss ja der Gesamtdruck sinken. Kann man auf Dekogas wechseln, kann der Gesamtdruck gleich bleiben (und man selbst daher weit von der M-Linie weg), aber der Partialdruck (des Inertgases) schnurrt zusammen. Das Resultat ist ein starker Gradient aus dem Gewebe raus, aber keine Blasen.

Du zeichnest in Deiner Skizze als X-Achse p[N2], also den N2-Partialdruck, als "Tiefe". Wenn Du aber einen Gaswechsel machst, ändert sich zwar dein p[N2], aber nicht Deine physikalische Tiefe. Der Sprung nach links in Richtung M-Linie oder drüber findet bei dem was für die Ceiling entscheidend ist in dem Moment gar nicht statt.
joebarbrevetiert
03.11.2022 20:33
Top! Der Nebel beginnt sich zu lichten.

Besten Dank
Dominik_Emind is like parachute
03.11.2022 20:39
p_tol = p_amb/b + a wäre die Gleichung die bei Bühlmann den Zusammenhang zwischen erlaubtem Inertgas-Partialdruck im Gewebe p_tol, und minimal nötigem Umgebungsdruck p_amb den man nicht unterschreiten soll um Probleme zu vermeiden angibt. Die Gleichung die das was Workman M-Linie nannte "macht". Mit eben den bekannten a und b Parametern für jedes Kompartiment. Beide Drücke misst man in bar, aber es ist einmal ein Partialdruck, und einmal ein globaler Umgebungsdruck. p_amb sinkt durch den Gaswechsel nicht.
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
03.11.2022 20:45
@joebar

wenn schon physikalische Chemie, dann solltest Du eher den Blick auf die Reaktionskinetik werfen.
Unterstellt wird bei dem Modell immer eineReaktion 1. Ordnung. Damit hängt die Geschwindigkeit davon ab, wie weit der aktuelle Zustand vom Gleichgewicht entfernt ist. Wenn Du nun auf ein N2 armes Gas wechselst, erhöhst Du den Konzentrationsgradienten und beschleunigst damit die Diffusion des Inertgases aus dem Gewebe heraus. Die Rekation wird umso langsamer je näher Du an den Gleichgewichtszustand herankommst.
joebarbrevetiert
03.11.2022 20:48
Yep, ich habe den p_amb immer als Partialdruck angenommen
Dominik_Emind is like parachute
03.11.2022 20:52
Genau. Und das ist nur so lange einfach nur ein konstanter Faktor zwischen den beiden (und damit einfach so "machbar") wie eben kein Gaswechsel stattfindet. Beim Gaswechsel ändert sich dieser Faktor, und das heisst halt es findet ein Sprung im Partialdruck statt ohne Sprung im Umgebungsdruck.
joebarbrevetiert
03.11.2022 20:52
ciccione
Schon klar, diese Geschwindigkeitsänderung wird ja mit der Halbwertszeit beschrieben.
Je näher am Gleichgewicht, desto weniger Änderung pro Zeiteinheit
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
03.11.2022 21:44Geändert von Ciccione,
03.11.2022 21:45
Halbwertszeiten gelten eigentlich nicht bei Gleichgewichtsreaktionen, sondern nur bei Reaktionen, die ausschließlich in eine Richtung laufen (z.B. radioaktiver Zerfall). Hier bleibt t1/2 stets Konstant. Bei der Deko ist genau das eben nicht der Fall.
Du nimmst ja IMMER Inertgas auf und gibst gleichzeitig welches ab. Lediglich bei lm Atmen von reinem Sauerstoff hast du keine Gleichgewichtsreaktion mehr, da aus dem Gas ja kein Stickstoff mehr aufgenommen werden kann.
joebarbrevetiert
03.11.2022 22:04
Naja, im Zusammenhang mit Bühlmann und seinen Kompartimenten habe ich bis jetzt immer von Halbwertszeiten gelesen

zB. "Moderne Tauchmedizin" 3. Auflage von 2019 Seite 86
... Die Halbwertszeit entspricht, analog einem exponentiellen Abkühlungsprozess oder des radioaktiven Zerfalls, genau der Zeit, die ein Kompartiment benötigt, bis es zur Hälfte mit einem Inertgas ge- oder entsättigt ist...
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
03.11.2022 22:16
Diese "Halbwertszeit gilt aber nur solange du auf einer Tiefe bist und das gleiche Gas atmest. Und auch dann nur wenn man vereinfachend annimmt, dass die Adsorption von N2 vernachlässigbar ist. Diese Vereinfachung gilt solange man von Gleichgewichtszustand weit entfernt ist
Dominik_Emind is like parachute
03.11.2022 22:25Geändert von Dominik_E,
03.11.2022 22:36
Ciccione, das ist aber doch für die Frage hier eigentlich nicht bedeutend, denn das Modell (auf das sich seine Frage ja bezog) operiert eben mit Halbwertszeiten. Davon aber abgesehen: Kein Modell ist perfekt. Soll es auch nicht sein, es soll ja einfacher als die Realität sein. Ein Teil der Effekte die Du ansprichst spielt möglicher Weise im realen Menschen eine Rolle, aber das tritt doch wiederum weit hinter andere Dinge die eh auch unbekannt sind zurück. Das was Du ansprichst sind eigentlich sogar diejenigen Teile des Modells die vermutlich ziemlich wenig Probleme machen. Unter anderem deshalb, da es ja gar nicht darauf ankommt ob eine konkrete, feste Halbwertszeit irgendein reales Gewebe nun passend beschreibt. Die Kompartimente sind keine realen Teile. Wichtig ist, dass die Spannbreite der Halbwertszeiten die realen Zeitskalen einigermaßen abdeckt, und das scheint doch zu klappen.

Das Rein- und Rausdiffundieren von Gasen an sich ist der Teil den wir eigentlich leicht unter Kontrolle bekommen. Die Teile die problematischer sind: Blasenbildung und natürlich wo genau will man die Grenze ziehen.
CiccioneAdvanced Technical Mermaid
03.11.2022 23:23
Dominik, ganz sicher ist das nur ein deutlich vereinfachtes Modell. Allein schon deshalb, weil es sich um Blasen nicht schert. Im Prinzip nur 16 parallel ablaufende Reaktionen, bei denen ein Gas hinein bzw hinausdiffundiert. Die jeweiligen Geschwindigkeitskonstanten (aus denen sich ein t1/2 berechnen lasst), über einen gewissen Bereich verteilt.
Erstaunlich, dass so ein theoretisches Modell, das kaum auf realen Daten basiert in der Praxis funktioniert
Punkfish Divingbunte Kärtchen, einfarbige Kärtchen, egal - Hauptsache Tauchen :-)
04.11.2022 10:00
Ciccione: Das Modell ist ja nicht "ausgedacht", sondern die Werte der tolerieren Übersättigung wurden empirisch ermittelt, deshalb funktioniert es... Hat ne Menge Ziegen und eine Menge DCS Fälle an Menschen aus der Druckkammer gekostet, da stecken schon Daten dahinter.
Und genau in dieser Empirie stecken auch die Blasen: Die waren grundsätzlich bekannt, aber nicht Mal eben messbar, deshalb hat halt nur das Ergebnis interessiert. Heute würde man die Werte wahrscheinlich eher aus Blasenmessungen ableiten, dann aber mit der nächsten Unsicherheit, dass Blasen ja auch nicht automatisch DCS bedeuten....
joebarbrevetiert
04.11.2022 15:31
Habt vielen Dank, ich denke der Knopf hat sich gelöst. Der Hinweis dass der tolerierte Überdruch vom Umgebungsdruck abhängig ist brachte die Erlösung.

Meine graphische Lösung hat jetzt die M-Linie, eine Sättigungslinie für Luft und eine Sättigungslinie für EAN 50. Dabei sieht man schön dass beim Gaswechsel auf 21m ein viel grösseres Delta zur Entsättigung zur Verfügung steht.

Ich werde mich nun weiter in die GF einlesen, da sind auch im Zusammenhang mit Nitrox und Gaswechsel noch ein paar Fragen offen.
04.11.2022 16:31
Grauer Namensvetter

Die dort hinterlegte Excel-Datei sollte man unbedingt genauer lesen. Dort ist alles sehr anschaulich in den Begleittexten erklärt!
joebarbrevetiert
04.11.2022 17:21
thumbup Die habe auch schon zu Rate gezogen und auch den Hans für etwas angefragt.

Ich verstehe es einfach besser wenn ich es selber erarbeite.
Antwort