Algen aus der Gruppe der Dinoflagellaten haben ihr Erbgut ungewöhnlich organisiert

Teile:
03.05.2019 16:39
Kategorie: News

Kraftwerk ohne DNA

In den Zellen der meisten Lebewesen finden sich spezielle Strukturen, die für die Energiegewinnung zuständig sind. Diese sogenannten Mitochondrien besitzen normalerweise ein eigenes Erbgut, zusätzlich zu dem im Zellkern. Einer bisher einzigartigen Ausnahme sind Uwe John vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) und seine Kolleginnen und Kollegen nun bei einem einzelligen Parasiten auf die Spur gekommen. Die Mitochondrien des Dinoflagellaten Amoebophrya ceratii scheinen auch ohne eigenes Erbgut einwandfrei zu funktionieren, berichtet das Team im Fachjournal Science Advances.

Dinoflagellaten stellen einen großen Teil des Planktons in den Meeren. Etwa die Hälfte der rund zweitausend bekannten Arten betreibt Fotosynthese wie die Pflanzen, andere leben räuberisch oder wechseln je nach Angebot zwischen verschiedenen Ernährungsformen. Und schließlich hat diese vielseitige Algen-Gruppe auch Parasiten in ihren Reihen. Bei einem solchen hat das Team um Uwe John nun einen Blick ins Erbgut geworfen – und dabei eine Überraschung erlebt.

Gallery 2 here

Gefunden haben die  Forscher ihr Studienobjekt innerhalb der Zellen von anderen Dinoflagellaten aus der Gattung Alexandrium. Zu dieser gehören etliche Arten, die bei Massenentwicklungen dazu neigen, giftige Algenblüten zu bilden. Ganze Teppiche aus diesen Einzellern treiben mitunter im Wasser und produzieren das auch für Menschen gefährliche Nervengift Saxitoxin. Doch es gibt Parasiten, die solche Algenblüten eindämmen können. Zu diesen gehört eine Art namens Amoebophrya ceratii, die im Mittelpunkt der aktuellen Studie stand.

Diese Einzeller schwimmen als sogenannte Dinosporen durchs Wasser, bis sie ihren Wirt gefunden haben“, erklärt Uwe John. Wenn es soweit ist, heften sie sich an ihr Opfer an, dringen in dieses ein und fressen es von innen auf. Dabei werden sie immer größer und bilden ein Stadium mit vielen Zellkernen. Wie ein Wurm kriecht dieses schließlich aus dem toten Wirt heraus und zerfällt in 200 bis 400 neue Dinosporen. Ein solcher Infektionszyklus dauert nur drei bis vier Tage und kann den Alexandrium-Populationen massiv zusetzen.

Das Team hat das Erbgut des Giftalgen-Bezwingers sequenziert, das aus etwa 100 Millionen Basenpaaren besteht. Das ist für einen Dinoflagellaten sehr wenig. Nun ist ein kleines Genom für einen Parasiten noch nichts Besonderes. Viele Anhänger dieses Lebensstils stellen nicht alle zum Überleben nötigen Stoffwechselprodukte selbst her, sondern bedienen sich bei ihren Wirten. Dadurch machen sie sich zwar von diesen abhängig, können aber auch auf viele Gene verzichten. Doch diesen Weg hat Amoebophrya ceratii nicht eingeschlagen. „Bei dieser Art funktionieren noch fast alle Stoffwechselprozesse, so dass sie auch allein sehr gut zurechtkommen sollte“, sagt Uwe John. Und das schafft sie mit einem deutlich kleineren Erbgut als alle anderen Dinoflagellaten.

Besonders weit getrieben hat sie diese Reduktion in jenem Teil des Genoms, der außerhalb des Zellkerns liegt. Bei Pflanzen und Algen findet sich eigene DNA außer in den Mitochondrien auch in den Plastiden, die sie für die Fotosynthese brauchen. Deren Erbgut ist bei Dinoflagellaten im Allgemeinen schon ziemlich klein und besteht nur aus 14 Genen. Amoebophrya ceratii aber scheint die Plastiden und mit einer Ausnahme auch deren Gene ganz abgeschafft zu haben.

Gallery 1 here

Noch spektakulärer ist das Sparprogramm, das der Parasit seinen Mitochondrien auferlegt hat. Bei seiner Verwandtschaft finden sich in der DNA dieser kleinen Zellkraftwerke immerhin noch drei Gene. Amoebophrya ceratii hat offenbar das komplette Mitochondrien-Genom eingespart. Trotz aller akribischen Fahndungsarbeit hat das Team keine Spur davon gefunden. Zwei Gene sind offensichtlich verschwunden, das dritte, die Cytochrom c Oxidase 1 (COX1 oder COI) ist in den Zellkern gewandert. „Das hat mich total überrascht“, sagt Uwe John, „denn bisher ist kein anderes sauerstoffatmendes Lebewesen bekannt, das in seinen Mitochondrien kein eigenes Erbgut besitzt.

Diese Sparmaßnahme könnte praktisch sein, wenn die Parasiten schnell viele neue Dinosporen bilden müssen. „Möglicherweise ist es dann effektiver, alle Vorgänge über den Zellkern zu regulieren“, meint Uwe John. „So können wahrscheinlich auch die Ressourcen des Wirtes bestmöglich genutzt werden.“ Damit wäre allerdings nichts gewonnen, wenn dafür die Energieversorgung zusammenbräche. Doch die Gefahr scheint nicht zu bestehen: Die Mitochondrien funktionieren in allen Lebensstadien gut und ermöglichen den Dinosporen auf Wirtssuche sogar ein rasantes Schwimmtempo. „Diese Parasiten haben für ihre Energiegewinnung wohl einen ganz eigenen Weg gefunden“, resümiert Uwe John. „Sie benötigen zur Energiegewinnung nur einen Teil der fünf bekannten Proteinkomplexe, die durchgängig in den Mitochondrien von Menschen und allen Tieren zu finden sind.

Die Forscher hoffen, dass diese Erkenntnisse helfen werden, die Evolution der Dinoflagellaten und ihrer Verwandten insgesamt besser zu verstehen. Das wäre auch deswegen interessant, weil zur Verwandtschaft dieser Algen auch andere Parasiten und die Erreger von Krankheiten wie Malaria gehören. Zudem könnten die Ergebnisse auch neue Einblicke in die Entwicklungsgeschichte von Mitochondrien und Plastiden liefern. Beide waren ursprünglich unabhängige Lebewesen, die vor Urzeiten von anderen Einzellern geschluckt wurden und in ihnen als sogenannte Endosymbionten weiterlebten. Mit der Zeit haben sie ihr Erbgut verkleinert und sind zu Dienstleistern der Zellen geworden, die alleine nicht mehr lebensfähig sind. Diese Entwicklung aber hat Amoebophrya ceratii wohl auf die Spitze getrieben und ihren Endosymbionten auch den letzten Rest ihrer genetischen Eigenständigkeit genommen.

Weitere Informationen: https://www.awi.de.

Link zur Studie: https://advances.sciencemag.org/content/5/4/eaav1110.